Urteil des BVerwG vom 29.11.2012

BVerwG: soldat, körperliche unversehrtheit, ärztliche behandlung, soziale einrichtung, strafverfahren, gewalt, disziplinarverfahren, ermittlungsverfahren, kompanie, wohnung

BVerwG 2 WD 10.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 10.12
Truppendienstgericht Süd 2. Kammer - 07.12.2011 - AZ: TDG S 2 VL 41/10
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 29. November 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Lange und
ehrenamtliche Richterin Stabsunteroffizier Weilepp,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Hauptsekretärin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 2. Kammer des
Truppendienstgerichts Süd vom 7. Dezember 2011 im Ausspruch über die
Disziplinarmaßnahme geändert.
Der Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines
Hauptgefreiten herabgesetzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.
Gründe
I
1 Der 24 Jahre alte Soldat bewarb sich nach dem Realschulabschluss für den freiwilligen Dienst
in der Bundeswehr und wurde im Januar 2006 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit
berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt auf acht Jahre verlängert. Sie endet hiernach mit Ablauf
des 31. Dezember 2013. Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt im September 2008
zum Stabsunteroffizier.
2 Seinen Dienst trat der Soldat bei der 7./Logistikbataillon 4 in P... an. Im März 2006 wurde er zur
..../Logistikbataillon ... in R... versetzt. Im November 2009 wurde seine Dienststelle nach R...
verlegt. Der Soldat hat den Unteroffizierslehrgang Fachdienst und eine bundeswehrinterne
Berufsausbildung zum Kfz-Mechatroniker erfolgreich absolviert. Er wird als Kfz -
Instandsetzungsunteroffizier für ungepanzerte Radfahrzeuge und Kraftfahrer eingesetzt.
3 Der Soldat wurde nicht planmäßig beurteilt. Die Sonderbeurteilung vom 18. Juni 2010
bewertete die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten im Durchschnitt mit „5,30“.
4 Der Soldat leiste ruhig und zuverlässig seinen Dienst und erfülle die an ihn gestellten Aufträge
mit Engagement und großem Einsatz zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Im Kameradenkreis
sei er integriert und voll anerkannt. Im Bereich der Radinstandsetzung zeige er aufgrund seiner
Erfahrung gutes fachliches und praktisches Können. Auch im Bereich der allgemeinmilitärischen
Ausbildung sowie als Kraftfahrer könne er individuell eingesetzt werden. Physisch gut belastbar
sei er in der Lage, Stresssituationen solide zu bewältigen, jedoch fehle ihm im psychischen
Bereich oftmals die Ausgeglichenheit. Dem Ablegen und der Dokumentation sportlicher
Leistungen müsse er mehr Bedeutung zukommen lassen. Für Aufgaben im Rahmen des
erweiterten Aufgabenspektrums der Bundeswehr sei er uneingeschränkt geeignet. Insgesamt sei
der Soldat ein Unteroffizier ohne Portepee, der im MitteIfeld der Vergleichsgruppe der Kompanie
seinen Platz finde.
5 In seiner Stellungnahme stützte der nächsthöhere Vorgesetzte die Beurteilung des
Kompaniechefs. Der Soldat sei praktisch veranlagt und werfe seine Erfahrung und sein gutes
fachliches Können in der Rad-Instandsetzung für die Auftragserfüllung der Kompanie in die
Waagschale. Im Kreis der Kompanie sei er voll integriert. Physisch sei er belastbar, könne auch
die geforderten IGF Leistungen erbringen. Es gelte aber, beharrlich das Ablegen aller
Leistungen zu forcieren. Für die Verwendung im Auslandseinsatz im Kosovo sei er geeignet. Mit
seinem Leistungsbild liege er im hinteren Leistungsdrittel der Vergleichsgruppe im Bataillon. Um
weiter nach vorne zu kommen, müsse er noch mehr aus sich herausgehen, Arbeit und
Verantwortung einfordern und in Stresssituationen noch ausgeglichener werden.
6 Die weitere Sonderbeurteilung vom 9. März 2012 bewertete die Aufgabenerfüllung auf dem
Dienstposten im Durchschnitt mit „5,00“.
7 Stabsunteroffizier ... sei ein ruhig auftretender Soldat, der die an ihn gestellten Aufgaben
grundsätzlich erfülle. In seiner Zielstrebigkeit desorientiert, verstehe er es leider oft nicht, seine
Ziele zu seinem Vorteil zu definieren. Die ihm übertragenen Aufgaben arbeite er meistens im
Sinne der übergeordneten Führung ab, könne aber mehr Arbeitseinsatz an den Tag legen. In der
Praxis sei er handwerklich geschickt und gehe mit ihm anvertrautem Material sorgfältig um.
Seine Stärke beweise er beim Durchführen der Sicherheitsüberprüfung an Radfahrzeugen. Hier
könne er auf ein nachhaltiges Fachwissen zurückgreifen und erfülle die an ihn gestellten
Aufträge zur vollen Zufriedenheit seines Zugführers. Im alltäglichen Dienst steche er nicht durch
besondere Eigeninitiative ins Auge. Unter erschwerten Rahmenbedingungen stehe er seinen
Mann und erfülle seine Aufgaben zuverlässig. Im Kameradenkreis sei er anerkannt, obwohl er
beim Arbeiten im Routinedienst eher der Einzelgänger als der Team-Player sei. Sein Verhalten
gegenüber Vorgesetzten habe sich teilweise gebessert. Sport sei ein Schwerpunkt seines
Lebens. Physisch und psychisch sei Stabsunteroffizier ... voll belastbar und stelle das auch
immer wieder unter Beweis. Seine sportlichen Leistungen als Soldat erfülle er zuverlässig,
schenke der Dokumentation seiner Leistungen aber wenig Aufmerksamkeit.
8 Der nächsthöhere Vorgesetzte fügte hinzu, Stabsunteroffizier ... sei prinzipiell ein engagierter
Unteroffizier ohne Portepee, der seine charakterliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen
habe. Grundsätzlich solide in der Aufgabenerfüllung müsse er sich noch steigern, um zukünftig
deutlicher aus der Masse der Instandsetzungsunteroffiziere hervorzustechen und sich so in
seiner Vergleichsgruppe besser zu positionieren. Die Anlagen dazu habe er ohne Zweifel.
Positiv sei seine Eigenschaft, gerade unter Belastung nicht die Ruhe zu verlieren und solide
seine Aufträge abzuarbeiten. Im Führungsverhalten sowie in der eigenständigen Erfüllung von
erteilten Aufgaben sei Steigerungspotential vorhanden, das er jetzt stärker nutzen solle. Er sei
physisch und psychisch für Einsätze im erweiterten Aufgabenspektrum geeignet.
Nichtsdestotrotz solle er mehr Wert auf den Nachweis seiner individuellen Grundfertigkeiten
legen, um auch hier seiner Vorbildfunktion noch gerechter zu werden. Er solle bis zum
Dienstzeitende auf seinem derzeitigen Dienstposten verbleiben.
9 In der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht hat der frühere Disziplinarvorgesetzte,
Hauptmann ... ..., als Leumundszeuge zu Person und Führung des Soldaten ausgeführt, er sei
von März 2009 bis März 2011 Kompaniechef des Soldaten gewesen. Im Dienst habe der Soldat
sich sehr positiv dargestellt. Die Tendenz bei ihm gehe klar in Richtung vorderes
Leistungsdrittel. Er sei stets bereit gewesen, auch Sonderaufgaben zu übernehmen. Leider habe
er aufgrund des Verfahrens nicht mit in den Einsatz gehen können. Er habe stets hervorragende
Leistungen gezeigt. Die Vorfälle hätten sich nicht in der Einheit herumgesprochen und es habe
auch keine Auswirkungen auf den täglichen Dienstbetrieb oder auf seine dienstlichen
Leistungen gegeben. Eine Beförderung des Soldaten zum Feldwebel sei nicht geplant. Es habe
keine Auffälligkeiten in Bezug auf Alkohol gegeben. Dem Soldaten seien keine Soldaten
unterstellt. Er habe keine Situation erlebt, in der er bei dem Soldaten ein Fehlverhalten
festgestellt hätte.
10 In der Berufungshauptverhandlung hat der frühere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten,
Oberleutnant ..., erläutert, er kenne den Soldaten etwa seit 2008 vom Sehen, seit 2009 etwas
genauer und sei von November 2011 bis zur Sommerpause 2012 sein Chef gewesen. Der
Soldat liege mit seinen Leistungen im Mittelfeld. Er falle gelegentlich durch kritikwürdige
Kleinigkeiten auf, wenn er z.B. nicht ordnungsgemäß rasiert sei oder verschlafen habe. Als
gewalttätig sei der Soldat weder innerhalb noch außerhalb des Dienstes aufgefallen. Man könne
sagen, der Soldat äußere sich im Dienst schon mal schwungvoll, aufbrausend wäre schon zu
viel gesagt. Alkoholprobleme des Soldaten seien ihm nicht bekannt. Sein Leistungsniveau habe
der Soldat im Vergleich mit dem Stand zur zweiten Sonderbeurteilung deutlich gesteigert. Er
werde vom Zugführer mittlerweile auch für die Erledigung bestimmter Aufträge gelobt. Er arbeite
selbständig und stehe jetzt sehr positiv da. Dass er den Soldaten in der zweiten
Sonderbeurteilung etwas kritischer bewertet habe als sein Vorgänger in der ersten
Sonderbeurteilung könne an einem strengeren Maßstab liegen. Er habe den Soldaten damals
jedenfalls so gesehen, wie in der zweiten Sonderbeurteilung beschrieben. In der Folge habe
dieser sich aber deutlich gesteigert. Die in der von ihm verfassten Sonderbeurteilung
angesprochenen Probleme mit Vorgesetzten bestünden z.B. darin, dass der Soldat erteilte
Aufträge nicht sofort erledige und in Frage stelle. Befehlsverweigerungen stünden aber nicht in
Rede. Er erledige seine Aufträge im Ergebnis schon. Gelegentlich gebe es die genannten
kleineren Probleme mit der Rasur oder dem Verschlafen. Grund der von ihm verhängten
Disziplinarbuße sei, dass der Soldat dreimal gegenüber unterschiedlichen Vorgesetzten
unzutreffend angegeben habe, er habe sich während einer Suche nach ihm im San-Bereich
befunden, während er tatsächlich auf der Stube eingeschlafen gewesen sei.
11 Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 9.November 2012 verweist auf eine durch das
Amtsgericht ... am 1. Dezember 2009 wegen Körperverletzung verhängte Geldstrafe in Höhe von
75 Tagessätzen zu je 30 € und eine am 29. November 2011 durch den Kompaniechef wegen
einer unwahren dienstlichen Meldung verhängte Disziplinarbuße in Höhe von 750 €.
12 Die Auskunft aus dem Zentralregister vom 16. Oktober 2012 enthält ebenfalls das seit 9.
Dezember 2009 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts ... vom 1. Dezember 2009, durch das
gegen den Soldaten wegen Körperverletzung eine Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 30 €
verhängt worden war. Diese Eintragung betrifft den Vorwurf, der Gegenstand von Punkt 2 der
Anschuldigungsschrift ist.
13 Das den Vorwurf nach dem Anschuldigungspunkt 1 betreffende Strafverfahren wurde mit
Beschluss des Amtsgerichts ... vom 20. Oktober 2009 unter der Auflage der Zahlung von 200 €
an den Geschädigten und 1 200 € an eine soziale Einrichtung nach § 153a StPO vorläufig und
mit Beschluss vom 18. Juni 2010 endgültig eingestellt.
14 Der Soldat ist ledig und kinderlos. Nach der Auskunft der Wehrbereichsverwaltung Süd vom
17. Oktober 2012 erhielt er im November 2012 Bezüge in Höhe von 2 076,77 € brutto. Unter
Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge, Vermögenswirksamer Leistungen und eines
Abzugsbetrages nach § 39 Abs. 2 BBesG in Höhe von 104,18 € wurden ihm tatsächlich 1 649,95
€ netto ausgezahlt. In der Berufungshauptverhandlung hat der Soldat ergänzend erläutert, er
zahle aktuell 350 € im Monat an Krediten ab und 200 € für die Miete an seine Freundin, bei der
er vor einem halben Jahr eingezogen sei. Zu seinen Zukunftsplänen nach Dienstzeitende hat er
ausgeführt, im Rahmen des BFD zunächst ein Praktikum bei Audi in ... machen zu wollen.
Danach wolle er die Ausbildung zum Kfz-Meister und zum Sachverständigen beginnen. Die vom
Leumundszeugen angesprochenen Probleme mit seiner Rasur resultierten aus Hautproblemen,
wegen derer er auch schon beim Arzt gewesen sei.
II
15 1. Das Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten mit Verfügung des Kommandeurs der 10.
Panzerdivision vom 23. Februar 2010 eingeleitet worden. Der Anhörung der Vertrauensperson
hatte der Soldat zuvor widersprochen.
16 Nach Gewährung des Schlussgehörs am 25. August 2010 und am 3. November 2010 hat die
Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 17. Dezember 2010
folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Satz
2 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG zur Last gelegt:
„1. In der Nacht auf den oder am Morgen des 21. Dezember 2008 schlug der Soldat in der
Wohnung des ... Z... ... in L... in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit seinen Bekannten S...
und ... S... den auf einer Couch sitzenden ... R... ohne rechtfertigenden Grund mit der Hand oder
der Faust mehrfach auf den Kopf und den Rücken. ... R... erlitt aufgrund der Gewalttätigkeiten
Blutergüsse an der linken Seite seines Oberkörpers sowie Schwellungen und Hämatome im
Gesicht und klagte über Schmerzen an Hals und Rücken.
2. Am 14. Februar 2009 gegen 03.00 Uhr schlug der Soldat auf der Toilette der Diskothek ‚S... in
der D... Straße ... in D...-S... den Kopf des Herrn ... L... ohne rechtfertigenden Grund mit seiner
linken Hand gegen einen dort befindlichen Sichtschutz aus Holz. Der Geschädigte L... erlitt
hierdurch eine tiefe Risswunde oberhalb der Nase, die genäht werden musste, und war in der
Folge für eine Woche krankgeschrieben. Als Spätfolge trug er eine Narbe davon.“
17 Die 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Urteil vom 7. Dezember 2011 gegen
den im Verfahren nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Soldaten wegen eines
Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von drei Jahren verbunden mit einer
Gehaltskürzung in Höhe von 1/20 für die Dauer von 18 Monaten verhängt.
18 Ihrer Entscheidung legt die Kammer folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:
„Zu Anschuldigungspunkt 1:
Bei dem Besuch einer Weihnachtsfeier des gemeinsamen Fußballclubs durch den Soldaten und
dessen Bekannte ... S... und ... Sa... wurde von ... S... der Verdacht geäußert, ... R... habe ihm
eine Woche zuvor auf einer privaten Feier das Mobiltelefon entwenden wollen. Wegen dieses
Verdachts wollten sie daraufhin ... R... zur Rede stellen und suchten am 21.12.2008 die
Wohnung des ... Z... auf dem ... in L... auf, in der sich unter anderem ... R... und ... R... aufhielten.
Nachdem ihnen Zugang zu der Wohnung gewährt wurde, schlug der Soldat den auf der Couch
sitzenden Zeugen ... R... mit der Hand mehrfach auf den Kopf und den Rücken.
Noch am selben Tage stellte der Geschädigte ... R... bei der Polizei in H... Strafanzeige. Nach
Abschluss der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen erhob die
Staatsanwaltschaft H... mit Datum vom 10. August 2009 Anklage gegen die o.g. Täter. Nach
durchgeführter Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht - Jugendrichter - H... am 20. Oktober 2009
wurde das Verfahren gegen den Soldaten wegen gefährlicher Körperverletzung in der
Hauptverhandlung gemäß § 153a Strafprozessordnung gegen die Auflage, einen Geldbetrag in
Höhe von 200,00 Euro an den Geschädigten R... und einen weiteren Geldbetrag in Höhe von
1.200,00 Euro an L... e.V., ein Begegnungszentrum für psychisch kranke Menschen in H... zu
zahlen, vorläufig und nach Zahlung am 18. Juni 2010 durch das Amtsgericht H... endgültig
eingestellt.“
19 Der Soldat bestreite die Vorwürfe der Anschuldigungsschrift zwar. Die Kammer halte seine
Einlassung, er habe den Geschädigten nur einmal gestoßen und dieser sei daraufhin auf die
Couch gefallen, aber für eine Schutzbehauptung. Dies ergebe sich aus den Angaben der Zeugin
Ro..., die nach dem persönlichen Eindruck der Kammer glaubwürdig sei. Dagegen seien die
Aussagen des Soldaten widersprüchlich, während sich die Aussagen der Zeugin Ro... mit den
Angaben des Geschädigten im Strafverfahren decken würden.
20 Zum Anschuldigungspunkt 2 ergäben sich die tatsächlichen Festsstellungen aus den
bindenden tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts H... vom 1.
Dezember 2009, von denen sich zu lösen, die Kammer keinen Anlass sehe. Die bindenden
Feststellungen lauteten:
„Am 14.02.2009 gegen 03.00 Uhr schlug der Angeklagte auf der Toilette der Diskothek ‚S...’ in
D... den Kopf des Geschädigten L... ohne rechtfertigenden Grund mit seiner linken Hand gegen
einen dort befindlichen Sichtschutz aus Holz.
Der Geschädigte erlitt dadurch eine tiefe Risswunde oberhalb der Nase, die genäht werden
musste. Der Geschädigte wurde für eine Woche krankgeschrieben. Nach Ziehung der Fäden
verblieben bis auf eine Narbe keine Spätfolgen beim Geschädigten.“
21 Der Soldat bestreite, den Geschädigten ohne rechtfertigenden Grund geschlagen zu haben
und behaupte, dieser habe ihn nach einem Wortgefecht geschlagen, so dass er in Gegenwehr
den Kopf des Geschädigten ergriffen und diesen auf eine Trennwand zwischen den Urinalen
geschlagen zu haben. Dieser Einlassung stünden aber die bindenden Feststellungen des
Strafurteils entgegen.
22 Der Soldat habe damit vorsätzlich gegen seine Pflicht zur außerdienstlichen Achtungs- und
Vertrauenswahrung verstoßen und so ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 in Verbindung mit §
17 Abs. 2 Satz 2 SG begangen, für das er nach § 10 Abs. 1 SG verschärft hafte.
23 Es handele sich um ein schwerwiegendes Dienstvergehen im außerdienstlichen Bereich, das
zu einer fühlbaren Disziplinarmaßnahme führen müsse. Eine körperliche Misshandlung sei mit
dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der
Menschenrechte und den Verpflichtungen aus § 10 Abs. 1 SG unvereinbar. Der Soldat habe
seine Eignung für die Führung junger Menschen in Frage gestellt und den Anforderungen der
Inneren Führung in der Bundeswehr nicht entsprochen. Sein Fehlverhalten greife gravierend in
Grundrechte der Betroffenen ein, die nicht nur im militärischen Bereich besonders geachtet
werden müssten, wo ihre Missachtung nach §§ 30, 31 WStG sanktioniert sei. Derartige Verstöße
verletzten Kriminalstrafrecht, das dem allgemeinen Rechtsfrieden diene. Die ordentlichen
Leistungen des Soldaten seien mildernd zu berücksichtigen. Der Leumundszeuge habe eine
Leistungssteigerung trotz des Verfahrens bestätigt. Dienstliche Auswirkungen habe die Tat nicht.
Die lange Verfahrensdauer sei zu berücksichtigen. Der Soldat habe Unrechtseinsicht glaubhaft
gemacht. Der Leumundszeuge habe bestätigt, dass das Fehlverhalten im Widerspruch zu
seinem Eindruck des Soldaten stehe. Ein Beförderungsverbot verbunden mit einer
Gehaltskürzung reiche hiernach aus, um den Soldaten längere Zeit an seine Pflichten zu
erinnern.
24 3. Gegen das Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft mit Schriftsatz vom 3. Januar 2012 zu
Ungunsten des Soldaten beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Berufung eingelegt.
25 Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei bei Körperverletzungen von Soldaten eine
Dienstgradherabsetzung. Ein Beförderungsverbot verbunden mit einer Bezügekürzung käme
allenfalls bei nur einer Körperverletzung und Vorliegen von Milderungsgründen in Betracht. Hier
stünden aber zwei Körperverletzungen im Abstand von zwei Monaten in Rede. Der Soldat habe
sein Opfer grundlos und ohne Provokation gewaltsam und brutal gegen eine Holzwand
geschlagen. Eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat sei aus den Angaben des
Leumundszeugen nicht abzuleiten. Wegen des schwerwiegenden Versagens sei dem Soldaten
die Vorgesetztenstellung nicht zu belassen. Ordentliche dienstliche Leistungen seien eine
Selbstverständlichkeit und hätten nicht mildernd berücksichtigt werden dürfen. Das Fehlen
dienstlicher Auswirkungen sei kein Milderungsgrund. Der Milderungsgrund des langen
Verfahrens sei überbewertet worden. An Reue und Einsicht des Soldaten bestünden starke
Zweifel. Das Urteil erwähne zu Lasten des Soldaten sprechende Aspekte nicht.
III
26 Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht
eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.
27 Das von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte Rechtsmittel ist auf die Bemessung der
Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1
Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die
disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu
legen. Da das Rechtsmittel zuungunsten des Soldaten durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft
eingelegt wurde, ist der Senat nicht an das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO
i.V.m. § 331 StPO) gebunden.
28 1. Das Truppendienstgericht ist zu der Feststellung gelangt, dass der Soldat am 21.
Dezember 2008 ... R... mehrfach mit der Hand auf den Kopf und auf den Rücken geschlagen hat.
Außerdem habe er am 14. Februar 2009 den Kopf von ... L... gegen einen Sichtschutz aus Holz
geschlagen, so dass dieser eine Risswunde oberhalb der Nase erlitt. Damit habe er vorsätzlich
gegen die Pflicht zur außerdienstlichen Achtungs- und Vertrauenswahrung verstoßen.
29 Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Senat damit
bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstgericht rechtsfehlerfrei
getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der
Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der
Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des
angefochtenen Urteils bestimmt.
30 2. Einer Entscheidung des Senats in der Sache stehen Verfahrenshindernisse oder
Verfahrensmängel nicht entgegen.
31 Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleibt die Prüfung der
Prozessvoraussetzungen und möglicher Verfahrenshindernisse (Dau, WDO, 5. Aufl., § 116 Rn.
20). Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung zwar regelmäßig
gegenstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den
gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen (so Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 2
WD 64.87 - S. 10 des Urteilsabdrucks). Beachtlich sind allerdings Aufklärungs- und
Verfahrensmängel von solcher Schwere, dass sie die Grundlage der vom Senat zu treffenden
Entscheidung über die Maßnahmebemessung - die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen
Feststellungen zur Schuld des früheren Soldaten - erschüttern (vgl. Beschlüsse vom 19. August
2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz 450.2 § 121 Rn. 12, 17 und vom 24. März 2010 -
BVerwG 2 WD 10.09 - Rn. 12, 15, 17).
32 Ein solcher Verfahrensmangel liegt hier insbesondere nicht in einer entgegen § 90 Abs. 1
Satz 2 WDO unterlassenen Pflichtverteidigerbestellung.
33 Nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO bestellt der Vorsitzende der Truppendienstkammer dem
Soldaten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat, auf Antrag oder von Amts wegen einen
Verteidiger, wenn die Mitwirkung eines solchen geboten erscheint. Ob die Mitwirkung eines
Verteidigers geboten ist, beurteilt sich nach der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage (Urteil
vom 7. November 2007 - BVerwG 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12, <14> Rn. 17 m.w.N.).
34 Besondere Schwierigkeiten ergaben sich hier nicht dadurch, dass die Verhängung der
Höchstmaßnahme ernsthaft im Raum gestanden hätte (vgl. Beschluss vom 21. Dezember 2011 -
BVerwG 2 WD 26.10 - und Urteil vom 19. Januar 2012 - BVerwG 2 WD 5.11). Denn nach den
angeschuldigten Pflichtverletzungen ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen - wie noch
auszuführen sein wird - die Dienstgradherabsetzung. Die in die Gesamtabwägung
einzustellenden erschwerenden Umstände sind nicht so gewichtig, dass ihnen durch das nach §
62 Abs. 1 Satz 4 WDO rechtlich zulässige Ausmaß einer Dienstgradherabsetzung nicht mehr
angemessen Rechnung getragen werden kann.
35 Eine Pflichtverteidigerbestellung war auch nicht wegen besonderer prozessualer
Schwierigkeiten geboten. Insbesondere gaben die unzutreffenden Belehrungen des
Disziplinarvorgesetzten im Rahmen der Vernehmungen des Soldaten im Ermittlungsverfahren
hierzu keinen Anlass (vgl. dazu Urteil vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 8.11). Fehlerhaft war,
den Soldaten auch nach der Aufnahme von Vorermittlungen durch die
Wehrdisziplinaranwaltschaft noch auf das angebliche Bestehen der Wahrheitspflicht
hinzuweisen und ihn nicht über das Recht auf Verteidigerkonsultation zu belehren. Die
Belehrungsfehler im Ermittlungsverfahren haben sich aber vorliegend nicht ausgewirkt (vgl. dazu
Urteil vom 16. Mai 2012 a.a.O.). Der Soldat war in den Vernehmungen durch den
Disziplinarvorgesetzten nicht geständig. Die Feststellungen des Truppendienstgerichts basieren
nicht auf einem Geständnis des Soldaten in der Hauptverhandlung, zu dem sich dieser durch ein
unter dem Einfluss unzureichender Belehrungen zustande gekommenes Geständnis schon im
Ermittlungsverfahren des Disziplinarvorgesetzten veranlasst gesehen haben kann. Vielmehr
beruhen die Feststellungen des Truppendienstgerichts zu Punkt 1 der Anschuldigungsschrift
darauf, dass dieses die Einlassungen des Soldaten durch eine Zeugenaussage widerlegt sah.
Zu Punkt 2 der Anschuldigungsschrift beruhen sie auf bindenden tatsächlichen Feststellungen
des rechtskräftigen Strafurteils.
36 3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein
zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich
darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder
aufrechtzuerhalten („Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der
Disziplin in der Bundeswehr“, vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 -
Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind
nach § 58 Abs. 7 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die
bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
37 a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der
Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das
Dienstvergehen, durch das zugleich kriminelles Unrecht verwirklicht wurde, schwer (vgl. zuletzt
Urteil vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 18.11 - Rn. 19):
38 Eine brutale körperliche Misshandlung des Betroffenen ist sowohl mit dem Menschenbild des
Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der Menschenrechte als auch mit der
gesetzlichen Verpflichtung zu vorbildhaftem Verhalten gemäß § 10 Abs. 1 SG unvereinbar.
Dadurch hat sich der Soldat nachhaltig in seiner Dienststellung als Vorgesetzter disqualifiziert.
Denn er hat sich jedenfalls für die Erziehung und Führung junger Menschen als ungeeignet
erwiesen und zugleich den Anforderungen der Inneren Führung in der Bundeswehr nicht
entsprochen. Ein solches Fehlverhalten stellt einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte des
Geschädigten dar. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu
achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieses Gebot kann innerhalb
wie außerhalb der Streitkräfte nicht unterschiedlich gelten (vgl. Urteile vom 18. Januar 1991 -
BVerwG 2 WD 24.89 - BVerwGE 93, 19, vom 23. Januar 1996 - BVerwG 2 WD 32.95 - DokBer B
1996, 147 und vom 5. Mai 1998 - BVerwG 2 WD 25.97 - BVerwGE 113, 217 = Buchholz 236.1 §
17 SG Nr. 19). Wie der Senat ferner in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben hat, ist auch
die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
gewährleistet. Diese Grundrechte bedürfen nicht nur im militärischen Bereich besonderer
Beachtung, da ihre Verletzung mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§§ 30, 31 WStG); Verstöße
dagegen sind auch generell durch das Kriminalstrafrecht, das dem allgemeinen Rechtsfrieden
dient, sanktioniert. Diesen Verpflichtungen hat der Soldat auch außer Dienst sowie außerhalb
dienstlicher Unterkünfte und Anlagen jederzeit zu entsprechen (vgl. Urteile vom 19. Oktober
1999 - BVerwG 2 WD 26.99 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 28 und vom 2. März 2000 - BVerwG 2
WD 44.99 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 32 jeweils m.w.N.).
39 Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch bestimmt,
dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Stabsunteroffizier in einem
Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VorgV).
Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung
dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in
besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und
unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in
ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht
erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten
Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer
Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2
WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29, Rn. 37 m.w.N., vom 13. Januar 2011 -
BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 §
58 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 30).
40 Bestimmend für Eigenart und Schwere des Dienstvergehens ist schließlich auch, dass der
Soldat zweimal außerdienstlich Tätlichkeiten begangen und damit wiederholt gegen dieselbe
Pflicht verstoßen hat.
41 b) Die nachteiligen Auswirkungen des Dienstvergehens bestehen in erster Linie in den
gesundheitlichen Schäden der Opfer. Diese sind allerdings von unterschiedlichem Gewicht: Der
Geschädigte ... R... hat nach seinen in der Berufungshauptverhandlung mit Einverständnis der
Beteiligten verlesenen Angaben in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht lediglich
Schmerzen durch Prellungen und Hämatome erlitten, wegen derer eine ärztliche Behandlung
nicht erfolgt ist und er auch keine Ansprüche auf Schmerzensgeld geltend gemacht hat.
Dagegen hat der Geschädigte ... L..., wie vom Strafgericht und vom Truppendienstgericht mit
Bindungswirkung für den Senat festgestellt, gravierendere Beeinträchtigungen erlitten. Er hatte
hiernach eine Risswunde im Gesicht, die genäht werden musste, war eine Woche arbeitsunfähig
und trug in der Folge eine Narbe davon.
42 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Dienstvergehen einer breiteren Öffentlichkeit
jenseits der in den Strafverfahren angehörten Zeugen und den mit den Verfahren befassten
Strafverfolgungsorganen bekannt geworden ist. Nachteilige Auswirkungen für die
Personalführung hatte es allerdings insofern, als der Soldat während des laufenden Verfahrens
nicht für die Teilnahme an einem Auslandseinsatz eingeplant werden konnte und damit seine
Verwendungsbreite eingeschränkt war.
43 c) Die Beweggründe des Soldaten sprechen gegen ihn. Er hat angegeben, aus einem Affekt
heraus bzw. aus Dummheit gehandelt zu haben. Das Motiv, auf Konflikte unüberlegt durch
Einsatz von Gewalt zu reagieren, ist in hohem Maße sozialschädlich und gefährdet das
Zusammenleben in der Gesellschaft, das auf eine friedliche Konfliktlösung angewiesen ist.
44 d) Das Maß der Schuld des Soldaten wird durch sein vorsätzliches Handeln bestimmt.
45 Selbst wenn die Schuldfähigkeit des Soldaten zum Tatzeitpunkt im Sinne des § 21 StGB
durch den vorangegangenen Alkoholgenuss erheblich gemindert gewesen sein sollte, würde
dies die Schuld des Soldaten im Hinblick auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht
mildern (Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 2 WD 13.07 - Rn. 36 f.). Nach der gefestigten
Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Urteile vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 -
NZWehrr 2006, 127 und vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193 =
Blutalkohol 2005, 179), der sich insoweit der neueren Judikatur des Bundesgerichtshofs (vgl.
u.a. Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02 - NStZ 2003, 480 = NJW 2003, 2394, Beschluss
vom 27. Januar 2004 - 3 StR 479/03 - NStZ 2004, 495, Urteile vom 9. Juli 2003 - 2 StR 106/03 -
BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 32 und vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04 - NStZ
2005, 151 f.) angeschlossen hat, ist bei selbstverschuldeter Trunkenheit und dadurch bewirkter
verminderter Schuldfähigkeit eine - nach dem Gesetz (§ 21 StGB analog) im Ermessen des
Gerichts stehende - Maßnahmemilderung nicht geboten, weil eine solche sonst der Prämierung
des Fehlverhaltens nahe käme, also mit dem legislatorischen Zweck der Milderungsvorschrift
des § 21 StGB (analog) nicht vereinbar ist. Ein Fall selbstverschuldeter Trunkenheit liegt
jedenfalls dann vor, wenn der betreffende Soldat für Art und Umfang des Alkoholgenusses selbst
verantwortlich war.
So lag der Fall auch hier. Insbesondere gibt es keinen Hinweis auf eine Alkoholabhängigkeit
des Soldaten mit Krankheitswert.
46 Es liegen auch keine Milderungsgründe in den Umständen der Tat vor, die die Schuld des
Soldaten mindern könnten. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B.
Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.) nur dann gegeben, wenn die
Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten
gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet
und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Dazu hat der Senat in seiner gefestigten
Rechtsprechung verschiedene - nicht abschließende - Fallgruppen entwickelt, z.B. ein Handeln
unter schockartig ausgelöstem psychischen Zwang oder unter Umständen, die es als
unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und
im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen oder
seelischen Ausnahmesituation. Hier kann schon angesichts des wiederholt gleichartigen
Versagens insgesamt nicht von einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat gesprochen
werden.
47 e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" hält der
Senat dem Soldaten seine in fachlicher Hinsicht guten und im Laufe des Disziplinarverfahrens
noch gesteigerten dienstlichen Leistungen bei der Kraftfahrzeuginstandsetzung und der
Sicherheitsüberprüfung zugute, die ihm seine früheren Disziplinarvorgesetzten sowohl beim
Truppendienstgericht als auch in der Berufungshauptverhandlung bestätigt haben.
48 Von einer Nachbewährung geht der Senat gleichwohl nicht aus. Diese setzt nicht nur eine
Steigerung der Leistungen in fachlicher Hinsicht voraus. Zusätzlich ist erforderlich, dass der
Soldat sich während des Verfahrens in jeder Hinsicht ohne Anlass zu Beanstandungen durch
seine Vorgesetzten führt. Denn von einer Nachbewährung kann nur dann gesprochen werden,
wenn durch das Gesamtverhalten des Soldaten im Laufe des gerichtlichen Disziplinarverfahrens
deutlich wird, dass das Verfahren selbst nachhaltig pflichtenmahnend auf den Soldaten wirkt und
dieser unter dem Eindruck des Verfahrens durch seine dienstliche Führung in jeder Hinsicht
dokumentiert, dass er die durch die Dienstpflichtverletzungen begründeten Zweifel an seiner
charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung durch besonders korrekte Pflichterfüllung
ausräumen will. Hier ist es aber nicht nur zur Verhängung einer Geldbuße wegen einer
unwahren dienstlichen Meldung gekommen. Der Leumundszeuge hat auch von wiederholten
Rügen wegen unzureichender Rasuren oder verspätetem Dienstantritt wegen Verschlafens
berichtet. Die unzureichenden Rasuren mögen - wie der Soldat in der
Berufungshauptverhandlung erläutert hat - auf Hautprobleme zurückzuführen sein, die er nicht zu
vertreten hat. Für das Verschlafen oder für unwahre Angaben in dienstlichen Angelegenheiten
gilt dies aber nicht.
49 Zugunsten des Soldaten spricht auch, dass er in seinen Einlassungen in der
Berufungshauptverhandlung glaubhaft Einsicht in das Unrecht seiner Taten geäußert hat. Für
glaubhaft hält der Senat seine diesbezüglichen Bekundungen trotz des fehlenden
Geständnisses beim Truppendienstgericht deswegen, weil es in der Folgezeit nicht zu weiteren
aggressiven Akten im oder außerhalb des Dienstes gekommen ist. Außerdem ist der Senat auch
von einer charakterlichen Festigung des Soldaten überzeugt. Diese kommt darin zum Ausdruck,
dass der Soldat - wie vom Leumundszeugen in der Berufungshauptverhandlung bekundet -
seine Anstrengungen verstärkt hat, durch gute dienstliche Leistungen die Anerkennung seiner
Vorgesetzten zu erhalten. Sie schlägt sich auch in den vom Soldaten erläuterten, konkreten und
realistischen Zukunftsplänen für seine weitere berufliche Entwicklung nach dem Dienstzeitende
nieder. Die damit bereits durch das gerichtliche Disziplinarverfahren erreichte erzieherische
Einwirkung auf den Soldaten, dem der nächst höhere Vorgesetzte noch in der letzten
Sonderbeurteilung eine noch nicht abgeschlossene charakterliche Entwicklung attestiert hatte,
setzt das Maß einer darüber hinaus aktuell noch notwendigen Pflichtenmahnung herab.
50 f) Nach einer Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im
Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des
Wehrdisziplinarrechts die nach § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 61 Abs. 1 Satz 4 WDO zulässige
Dienstgradherabsetzung zum Hauptgefreiten geboten, aber auch ausreichend.
51 Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten
Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris) von einem
zweistufigen Prüfungsschema aus:
52 aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung
vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und
Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende
Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“.
53 Auf dieser ersten Stufe ist in der Rechtsprechung des Senats bei brutalen, körperlichen
Misshandlungen durch Soldaten in Vorgesetztenstellung im außerdienstlichen Bereich in aller
Regel eine Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad als angemessene
Maßnahme betrachtet worden (vgl. Urteile vom 23. Januar 1996 - BVerwG 2 WD 32.95 - juris,
vom 11. März 1998 - BVerwG 2 WD 30.97, vom 5. Mai 1998 - BVerwG 2 WD 25.97 - BVerwGE
113, 217 = Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 19, vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 26.99 -
, vom 2. März 2000 - BVerwG 2
WD 44.99 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 32 und vom 19. Juli 2006 - BVerwG 2 WD 13.05 - juris
Rn. 75 ). Jedenfalls bei
einer außerdienstlichen Körperverletzung, bei der auch die qualifizierenden
Tatbestandsmerkmale nach den §§ 224 - 227 StGB erfüllt sind, ist die Dienstgradherabsetzung
bis in einen Mannschaftsdienstgrad zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu
nehmen (Urteil vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 18.11 - Rn. 32).
54 Ein solcher Fall liegt auch hier vor, weil der Soldat bei der ersten der vom
Truppendienstgericht festgestellten Pflichtverletzungen gemeinschaftlich mit zwei weiteren
Personen gehandelt hat, so dass eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1
Nr. 4 StGB vorlag.
55 Dass es sich um ein außerdienstliches Fehlverhalten handelt, rechtfertigt keine mildere
Regelmaßnahme. Die Unfähigkeit, im privaten Bereich die Grenzen rechtmäßiger Anwendung
von körperlicher Gewalt einzuhalten, hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen des Dienstherrn
in die dienstliche Zuverlässigkeit des Soldaten. Soldaten üben für den Dienstherrn das staatliche
Gewaltmonopol in der Verteidigung des Staates und seiner Bürger nach Außen hin aus. Hierbei
muss der Dienstherr darauf vertrauen können, dass sie besonnen und unter Beachtung
rechtlicher Grenzen vorgehen. Dieses Vertrauen ist beeinträchtigt, wenn ein Soldat im privaten
Bereich Gewalt als Mittel der Konfliktlösung einsetzt.
56 bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in
§ 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des
Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung gegenüber der
auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem
angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu
klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren
oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein
höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach
„unten“ zu modifizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B. von
Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder
wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtbereich versagt hat. Bei den Auswirkungen
des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb sowie schädliche
Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen.
Hinsichtlich des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben der Schuldform
und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den
Tatumständen in Betracht zu ziehen.
57 Hiernach ist es zwar noch nicht geboten, wegen der vorliegenden Erschwerungsgründe die
Höchstmaßnahme zu verhängen. Diese erschwerenden Aspekte erlauben es allerdings auch
unter Berücksichtigung der für den Soldaten sprechenden Gesichtspunkt weder, eine mildere
Maßnahme als die Dienstgradherabsetzung als Pflichtenmahnung ausreichen zu lassen, noch
die Herabsetzung auf bloß einen Dienstgrad zu beschränken.
58 Das Vertrauen in die Integrität und Zuverlässigkeit des Soldaten ist nicht vollständig zerstört
und der Soldat damit für die Bundeswehr auch nicht untragbar, weil hier eine lediglich einmalige
Wiederholung des Fehlverhaltens in Gestalt der außerdienstlichen Körperverletzung in Rede
steht, für keinen der Geschädigten Folgen entstanden sind, die seine Lebensführung
schwerwiegend und lang andauernd beeinträchtigen, und weil der Soldat zum Zeitpunkt der
Pflichtverletzungen so jung war, dass noch nicht von einem verfestigten aggressiv-gewalttätigen
Charakterzug ausgegangen werden kann.
59 Andererseits kann nicht außer Betracht bleiben, dass eine Dienstgradherabsetzung um
mindestens einen Dienstgrad hier bereits durch die erste Dienstpflichtverletzung nach deren Art
und Gewicht verwirkt ist. Dass der Soldat in engem zeitlichen Zusammenhang hiermit ein
zweites Mal eine vergleichbare Pflichtverletzung begangen hat und dabei auch mit für den
Geschädigten deutlich gravierenden Folgen in die körperliche Unversehrtheit eines anderen
Menschen eingegriffen hat, macht eine weitergehende Dienstgradherabsetzung zur
nachhaltigen Pflichtenmahnung erforderlich. Die für ihn sprechenden Gesichtspunkte - die sich
im Laufe des Verfahrens verbessernden dienstlichen Leistungen, seine Unrechtseinsicht und die
in seiner realistischen Zukunftsplanung zum Ausdruck kommende charakterliche Festigung -
rechtfertigen es, den gesetzlich zulässigen Rahmen einer Dienstgradherabsetzung nicht voll
auszuschöpfen. Die Dienstgrade des Stabs- und des Oberstabsgefreiten sollen nach der
Rechtsprechung des Senats allerdings nur solchen Soldaten verliehen werden können, die sich
nach ihren dienstlichen Leistungen sowie einer tadelfreien Führung in und außer Dienst deutlich
unter den Angehörigen des Mannschaftsdienstes herausheben (Urteil vom 27. Juni 1995 -
BVerwG 2 WD 3.95 - BVerwGE 103, 246 <248>). Da der Senat aus diesem Grund wegen eines
Dienstvergehens keine Herabsetzung in diese Dienstgrade ausspricht, ist die
Dienstgradherabsetzung zum Hauptgefreiten angemessen, aber auch ausreichend.
60 Weder § 16 Abs. 1 WDO noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO stehen einer Degradierung entgegen.
Die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme ist auch nicht mit Rücksicht auf die mit
Anschuldigungspunkt 2 sachgleiche strafrechtliche Verurteilung des Soldaten bzw. die
Einstellung nach § 153a StPO wegen des den Anschuldigungspunkt 1 bildenden Vorfalles
geboten. Steht im Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer
Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen
Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig
nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Strafverfahren und Disziplinarverfahren verfolgen
unterschiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck
grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und
Besserung der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen
Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten
oder wiederherzustellen, indem sie denjenigen, der die ihm obliegenden Dienstpflichten
schuldhaft verletzt hat, entweder durch eine erzieherische Maßnahme zu künftig pflichtgemäßem
Verhalten mahnt oder ihn aus dem Dienstverhältnis entfernt bzw. die sonst gebotene
Höchstmaßnahme ausspricht (vgl. Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris,
m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6 Rn.
51).
61 Die Dauer des Verfahrens gibt keinen Grund für eine weitergehende Abmilderung der
Maßnahme. Zwar kann eine überlange Verfahrensdauer, die einen Verstoß gegen die
Gewährleistung einer Verhandlung innerhalb angemessener Frist durch Art. 6 EMRK begründet,
einen Milderungsgrund bei solchen Disziplinarmaßnahmen begründen, die - wie hier die
Dienstgradherabsetzung - der Pflichtenmahnung dienen. Denn das Verfahren als solches wirkt
bereits belastend und kann mit - schon für sich genommen pflichtenmahnenden - Nachteilen
verbunden sein, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern
können (vgl. Urteile vom 17. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff. und juris Rn.
18; vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 -
BVerwG 2 WD 6.07 - Rn. 116; vom 22. Oktober 2008 - BVerwG 2 WD 1.08 - Rn. 122; vom 4. Mai
2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - a.a.O. Rn. 47). Eine lange Verfahrensdauer kann sich im Einzelfall
aber auch zugunsten des Soldaten auswirken, in dem sich ihm dadurch etwa die Möglichkeit
einer Nachbewährung bietet (vgl. Urteil vom 13. März 2008 - BVerwG 2 WD 6.07 - Rn. 118).
62 Hier verstößt die Dauer des vorliegenden Verfahrens zum einen noch nicht gegen Art. 6
EMRK. Denn es war sachgerecht, den Abschluss der nicht ungewöhnlich langen Strafverfahren
abzuwarten. Das Ermittlungsverfahren ist durch verschiedene Anhörungen des Soldaten
kontinuierlich betrieben worden. Das gerichtliche Disziplinarverfahren hat von seiner Einleitung
im März 2010 bis zur Berufungshauptverhandlung Ende November 2012 etwa 2 3/4 Jahre
gedauert. Dies ist für den Abschluss der Ermittlungen durch Entscheidung der
Einleitungsbehörde über die Einreichung der Anschuldigungsschrift und das Durchlaufen zweier
gerichtlicher Instanzen auch unter Berücksichtigung der geringen Schwierigkeiten der Sache
nicht unangemessen lang. Zum anderen sind die Belastungswirkungen des Verfahrens auch
bereits mildernd in die Maßnahmebemessung eingeflossen, insofern die Dauer des Verfahrens
dem Soldaten die Gelegenheit gegeben hatte, Leistungssteigerungen und eine charakterliche
Festigung nachzuweisen, die zu seinen Gunsten bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen
waren. Damit ist der pflichtenmahnenden Belastungswirkung der Verfahrensdauer ausreichend
Rechnung getragen.
63 Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft erfolgreich ist, sind die Kosten des
Berufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO dem Soldaten aufzuerlegen. Es
besteht kein Anlass, ihn aus Billigkeitsgründen (§ 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WDO) ganz oder
teilweise davon oder von den ihm in dem Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen
Auslagen (§ 140 Abs. 3 Satz 3 WDO) zu entlasten.
Dr. von Heimburg
Dr. Langer
Dr. Eppelt