Urteil des BVerwG vom 03.10.1985

BVerwG (culpa in contrahendo, der rat, vertrag, gvg, abschluss, sachzusammenhang, beschwerde, antrag, verschulden, verwaltungsgericht)

Rechtsquellen:
VwGO
§ 40 Abs. 2 Satz 1
GVG
§ 17 Abs. 2, § 17 a Abs. 2, 4
Stichworte:
Rechtsweg; Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte; Verschul-
den bei Vertragsabschluss; culpa in contrahendo; Vorhaben- und
Erschließungsplan.
Leitsatz:
Für Ansprüche aus Verschulden bei der Anbahnung oder dem Ab-
schluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (culpa in
contrahendo) aus Gründen, die typischerweise auch Gegenstand
eines Amtshaftungsanspruchs sein können, sind die ordentlichen
Gerichte zuständig (im Anschluss an BGH, Urteil vom 3. Oktober
1985 - III ZR 60/84 - NJW 1986, 1109).
Beschluss des 4. Senats vom 30. April 2002 - BVerwG 4 B 72.01
I. VG Gera vom 28.07.1999 – Az.: VG 4 K 377/99.GE -
II. OVG Weimar vom 22.08.2001 - Az.: OVG 1 ZO 651/99 -
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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 72.01
OVG 1 ZO 651/99
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. April 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. R o j a h n und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Auf die weitere Beschwerde der Beklagten wird
der Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsge-
richts vom 22. August 2001 aufgehoben. Die Be-
schwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Gera vom 28. Juli 1999
- 4 K 377/99.GE - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten beider Beschwer-
deverfahren.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird für bei-
de Instanzen auf jeweils 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt von der beklagten
Stadt Schadensersatz nach den Grundsätzen des Verschuldens
beim Vertragsabschluss (culpa in contrahendo). Sie ist Eigen-
tümerin eines Grundstücks, für das sie zunächst mehrfach ver-
geblich versucht hatte, eine Baugenehmigung bzw. einen Bauvor-
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bescheid zu erhalten. Am 23. Januar 1996 stellte sie beim
Stadtplanungsamt der Beklagten den Antrag, ein Verfahren zur
Aufstellung eines Vorhaben- und Erschließungsplans (nach § 7
BauGB-MaßnahmenG 1993) einzuleiten. Am 21. Juli 1997 beschloss
der Rat der Beklagten die Einleitung eines derartigen Verfah-
rens. Wegen zwischenzeitlich aufgetretener Schwierigkeiten
lehnte sein Bau- und Wirtschaftsausschuss am 26. Januar 1998
die Weiterführung des Verfahrens ab. Daraufhin zog die Kläge-
rin ihren Antrag zurück, wobei sie die Hoffnung äußerte, dass
es einen Ausgleich für den ihr entstandenen Schaden geben wer-
de. Im Mai 1998 wurde der Klägerin die Baugenehmigung für ein
anderes Bauvorhaben auf dem Grundstück erteilt.
Die Klägerin hat am 14. April 1999 beim Verwaltungsgericht
Gera Klage mit dem Ziel erhoben, die Beklagte zur Zahlung von
Schadensersatz in Höhe von 117 800 DM zu verurteilen.
Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 28. Juli 1999
den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den
Rechtsstreit an das Landgericht Gera verwiesen (NJW 1999,
3574). Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Thüringer Ober-
verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg für zulässig er-
klärt (NJW 2002, 386). Hiergegen wendet sich die Beklagte mit
der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen weiteren Beschwer-
de.
II.
Die zulässige weitere Beschwerde (vgl. § 17 a Abs. 4 Satz 4, 6
GVG) hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts ist für den vorliegend geltend gemach-
ten Anspruch der ordentliche Rechtsweg gegeben. Daher hat es
bei der vom Verwaltungsgericht beschlossenen Verweisung an das
Landgericht zu bleiben.
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1. Die Klägerin macht einen Schadensersatzanspruch aus der
Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht geltend, der
nicht auf einem Vertrag beruht. Hierfür ist der ordentliche
Rechtsweg gegeben (§ 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Die Klägerin hat bei der beklagten Stadt die Einleitung eines
Verfahrens beantragt, in dem ein Vorhaben- und Erschließungs-
plan beschlossen werden sollte. Über einen derartigen Antrag
des Vorhabenträgers hat die Gemeinde nach pflichtgemäßem Er-
messen zu entscheiden. Im Anschluss daran findet eine Beteili-
gung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange statt. Der
endgültige Beschluss erfolgt durch Satzung, die der höheren
Verwaltungsbehörde anzuzeigen ist (§ 7 Abs. 3 BauGB-MaßnahmenG
1993). Die Durchführung der im Plan beschlossenen Vorhaben ist
Gegenstand eines Vertrags, in dem auch die Frage der Tragung
der Kosten für die Planung und die Erschließung geregelt wird
(§ 7 Abs. 1 BauGB-MaßnahmenG 1993). Im vorliegenden Fall ist
es unstreitig nicht zum Abschluss eines derartigen Vertrags
gekommen. Im Hinblick auf die entstandenen Schwierigkeiten
wurde das Verfahren bereits nach Anhörung der Träger öffentli-
cher Belange beendet.
Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihres Schadensersatz-
anspruchs auf Verschulden bei Vertragsabschluss (culpa in con-
trahendo). Zur Begründung führt sie aus, der Schaden wäre
nicht entstanden, wenn die Beklagte sie früher darauf aufmerk-
sam gemacht hätte, dass das Verfahren zum Vorhaben- und Er-
schließungsplan nicht
Erfolg versprechend
sei. Für einen der-
artigen Anspruch ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Dies
ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die
mit derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang
steht:
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 3. Oktober 1985
- III ZR 60/84 - (NJW 1986, 1109) im Anschluss an frühere Ent-
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scheidungen (Urteile vom 21. Dezember 1964 - III ZR 70/63 -
BGHZ 43, 34; 8. Juni 1978 - III ZR 48/76 - BGHZ 71, 386;
7. Februar 1980 - III ZR 23/78 - BGHZ 76, 343) hervorgehoben,
dass auch nach der seit dem 1. Januar 1977 geltenden Neufas-
sung des § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO Ansprüche aus Verschulden bei
der Anbahnung oder dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen
Vertrages (culpa in contrahendo) vor die Zivilgerichte gehö-
ren, wenn sie in engem Zusammenhang mit Amtshaftungsansprüchen
stehen. In solchen Fällen werde eine getrennte Beurteilung von
(deliktischen) Amtspflichten und vorvertraglichen Pflichten
dem Streitverhältnis nicht gerecht und vernachlässige die
sachliche Nähe der beiden Ansprüche. Anderes gelte, wenn ein
Kläger die Erstattung von Leistungen verlange, die er auf
Grund eines Vertrags oder im Blick auf einen noch abzuschlie-
ßenden umfassenden Vertrag erbracht habe. Denn derartige Er-
stattungs- und Bereicherungsansprüche stellten die Kehrseite
des Leistungsanspruchs dar und seien im selben Rechtsweg zu
verfolgen wie dieser.
Auch das Bundesverwaltungsgericht hat - in Anwendung der vor
dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung des § 40 Abs. 2 Satz 1
VwGO - den Rechtsweg zu den Zivilgerichten davon abhängig ge-
macht, dass ein Sachzusammenhang mit einem Amtshaftungsan-
spruch besteht und dieser aktuell ist (vgl. Urteil vom 29. Mai
1973 - BVerwG VII C 2.72 - (DÖV 1974, 133 = Buchholz 310 § 40
VwGO Nr. 125). In der vorgenannten Entscheidung hat es den
Verwaltungsrechtsweg für einen Schadensersatzanspruch wegen
Verschuldens bei Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Ver-
trags nur deshalb bejaht, weil dieser im Sachzusammenhang mit
dem Anspruch auf Erfüllung des Vertrags stand. Es hat ausge-
führt, dies müsse auch dann gelten, wenn erst die Auslegung
des Vertragsinhalts ergebe, dass der Vertrag unwirksam sei.
Auch das Urteil des beschließenden Senats vom 17. Februar 1971
- BVerwG IV C 86.68 - (BVerwGE 37, 231) stellt auf den aktuel-
len Sachzusammenhang zu Ansprüchen aus Amtshaftung ab.
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An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Von einem derarti-
gen Sachzusammenhang ist bei denjenigen Ansprüchen wegen Ver-
schuldens beim Vertragsabschluss auszugehen, deren Entste-
hungsgründe typischerweise auch Gegenstand eines Amtshaftungs-
anspruchs sein können, unabhängig davon, ob im Einzelfall ein
solcher auch geltend gemacht wird. Dazu gehören insbesondere
Fälle, in denen die Verletzung einer Beratungs- oder Aus-
kunftspflicht (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 3. Mai 2001
- III ZR 191/00 - BauR 2001, 1404 und vom 6. Februar 1997
- III ZR 241/95 - NVwZ 1997, 1243) oder Vertrauensschutz gel-
tend gemacht wird.
Soweit
dagegen der Schadensersatzanspruch aus culpa in contra-
hendo neben Ansprüchen aus einem Vertrag geltend gemacht wird,
fordert der Sachzusammenhang den Rechtsweg vor den Verwal-
tungsgerichten. Dies gilt auch dann, wenn (erst) die Auslegung
des Vertragsinhalts ergibt, dass der Vertrag unwirksam ist
(vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1973 - BVerwG VII C 2.72 -
a.a.O.). Die Verwaltungsgerichte sind auch insoweit zuständig,
als die Erstattung von Leistungen verlangt wird, die auf Grund
eines Vertrages oder im Blick auf einen noch abzuschließenden
umfassenden Vertrag erbracht worden sind. Derartige Erstat-
tungs- und Bereicherungssansprüche stellen die Kehrseite des
Leistungsanspruchs dar und sind daher im selben Rechtsweg zu
verfolgen wie dieser (BGH, Urteil vom 3. Oktober 1985 - III ZR
60/84 - a.a.O.).
2. Das Oberverwaltungsgericht wendet gegen die in der Recht-
sprechung entwickelte Differenzierung ein, diese führe zu zu-
fälligen Ergebnissen. Die Zuweisung zu dem einen oder anderen
Rechtsweg könne nicht von der jeweiligen Prozesslage und dem
Parteivorbringen abhängen. Dem ist nicht zu folgen. Nach § 17
Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen
Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden
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rechtlichen Gesichtspunkten. Werden aus einem einheitlichen
Lebenssachverhalt mehrere Ansprüche geltend gemacht, die teil-
weise dem einen, teilweise einem anderen Rechtsweg zuzuordnen
sind, verbleibt es bei der Zuständigkeit des zuerst angerufe-
nen Gerichts. Bei der Zusammenstellung der Ansprüche scheiden
lediglich diejenigen aus, die offensichtlich nicht gegeben und
insbesondere erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel er-
hoben worden sind, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu
können (VGH Mannheim, Urteil vom 12. März 1993 - 8 S 2554/92 -
). Damit hat es der Gesetzgeber dem Kläger innerhalb
der umschriebenen Grenzen durchaus möglich gemacht, mit seinem
Parteivorbringen den zulässigen Rechtsweg zu bestimmen. Das
angerufene Gericht bleibt auch dann zuständig, wenn sich spä-
ter herausstellt, dass über die Klage auf einer anderen recht-
lichen Grundlage zu entscheiden ist und die betreffende
Rechtsmaterie einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist.
Damit nimmt der Gesetzgeber seit der Novellierung von § 17
Abs. 2 Satz 1 GVG durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die
sich aus dem Vortrag des Klägers und weiteren Besonderheiten
des Einzelfalls ergeben. Dahinter tritt die Regel, dass die
Gerichte einer Gerichtsbarkeit nur über die ihnen abstrakt zu-
gewiesenen Rechtsgebiete zu entscheiden haben, zurück. Der Ge-
setzgeber wollte damit erklärtermaßen der Gleichwertigkeit der
Gerichtszweige sowie praktischen Bedürfnissen Rechnung tragen
(vgl. BTDrucks 11/7030 S. 36; vgl. auch Kissel, Rn. 48 zu § 17
GVG: "Abkehr von der seitherigen Rechtstradition"). Die in
§ 17 Abs. 2 Satz 2 GVG geregelte Ausnahme ist der Verfassungs-
rechtslage geschuldet, stellt die genannte Zielrichtung jedoch
nicht in Frage. Ähnliches ergibt sich aus den weiteren 1990
eingefügten Regelungen, durch die eine Verweisung in höherer
Instanz nach möglicherweise jahrelangem Rechtsstreit in der
Hauptsache vermieden werden soll (vgl. § 17 a GVG und BTDrucks
11/7030 S. 36).
Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, das sich
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insoweit auch auf Stimmen aus der Literatur stützt, besteht
keine Notwendigkeit, alle Fälle, in denen sich ein Kläger auf
culpa in contrahendo als Anspruchsgrundlage stützt, derselben
Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Vielmehr ist von einer "Vielfalt
der im vorvertraglichen Stadium entstehenden Pflichten" (so
ausdrücklich der Regierungsentwurf zum jetzt in Kraft getrete-
nen § 311 Abs. 2 BGB, BTDrucks 14/6040 S. 161) auszugehen. Es
handelt sich um ein "gesetzliches Schuldverhältnis im Vorfeld
eines Vertrags" (BTDrucks 14/6040 S. 162). Damit steht im Ein-
klang, dass im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung
je nach Fallgestaltung der Rechtsstreit eher durch die Sachnä-
he zum Vertrag oder zum gesetzlichen Schuldverhältnis der
Amtshaftung geprägt sein kann.
Auch
soweit
sich das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf
die Kommentierung von Schmidt-Aßmann (in: Maunz-Dürig, Rn. 231
zu Art. 19 Abs. 4 GG) auf ein verfassungsrechtliches "Gebot
der Rechtswegklarheit" beruft, gebietet dies kein anderes Er-
gebnis. Denn die Verfassung fordert hierbei nicht eine dogma-
tisch bestmöglich zu begründende objektive Abgrenzung. Viel-
mehr geht es darum, dass dem Rechtsuchenden wirkungsvoller
Rechtsschutz zur Verfügung steht und Abgrenzungsschwierigkei-
ten nicht auf seinem Rücken ausgetragen werden, so dass er gar
Gefahr läuft, durch Ablauf von Fristen sein behauptetes Recht
nicht rechtzeitig wahren zu können (so ausdrücklich BVerfG,
Beschluss vom 25. März 1981 - 2 BvR 1258/79 - BVerfGE 57, 9
<22>).
3. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass es bei der vom
Verwaltungsgericht angeordneten Verweisung an das zuständige
Landgericht zu bleiben hat. Denn der von der Klägerin geltend
gemachte Anspruch kann typischerweise auch Gegenstand eines
Amtshaftungsanspruchs sein. Sie macht geltend, die beklagte
Stadt hätte sie besser beraten müssen. Dann hätte sie keinen
Antrag auf Einleitung eines Verfahrens mit dem Ziel gestellt,
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einen Vorhaben- und Erschließungsplan zu erlassen und einen
Durchführungsvertrag zu schließen. Dadurch wären ihr aufgewen-
dete Kosten erspart geblieben. Sie beruft sich somit auf eine
jedem potentiellen Interessenten an einer Bebauung des betrof-
fenen Grundstücks gegenüber bestehende Beratungspflicht der
beklagten Stadt. Ihr Ziel ist darauf gerichtet, so gestellt zu
werden, als hätte sie sich nie um den Abschluss eines Vertrags
bemüht. Erstattungs- oder Bereicherungsansprüche beispielswei-
se im Zusammenhang mit einem nicht wirksam gewordenen Ver-
tragsverhältnis (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1973
- BVerwG VII C 2.72 - a.a.O.) sind hier nicht im Streit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO; die
Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1,
§ 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow
Rojahn
Jannasch