Urteil des BVerwG vom 26.01.2006

BVerwG: beitragsbemessung, verfahrensmangel, erlass, zukunft, zahl, anerkennung, beitragsjahr, grundrecht, rechtsnorm, geschäftsbetrieb

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 87.05
OVG 3 LB 14/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 30. September 2005 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 645 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die
Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Be-
schwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entschei-
dung, von der die Berufungsentscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel be-
zeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Se-
nats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne
des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
a) Der in erster Linie geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Abweichung
von der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte
ist nicht gegeben. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sin-
ne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine
Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz
abgerückt ist, der von einem der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte
aufgestellt worden ist. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe
Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
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verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt
wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der
genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat.
aa) Der Kläger führt den Beschluss vom 3. Mai 1995 - BVerwG 1 B 222.93 -
(Buchholz 451.45 § 113 HwO Nr. 2 = GewArch 1995, 425) an und entnimmt ihm,
dass Kammerbeiträge wesentlichen Verschiedenheiten der Mitglieder Rechnung tra-
gen müssten und Beiträge im Verhältnis der Beitragspflichtigen vorteilsgerecht sein
müssten; der Vorteilsbegriff könne auch dann erfüllt sein, wenn der Nutzen der von
der Kammer finanzierten Tätigkeit nicht messbar sei, sondern weitgehend nur vermu-
tet werden könne, insbesondere keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen dar-
stelle. In dem Urteil vom 26. Januar 1993 - BVerwG 1 C 33.89 - (BVerwGE 92, 24
<25, 27>) habe das Bundesverwaltungsgericht die Vorteile nach den Aufgaben der
betreffenden Kammer abstrakt bestimmt. Demgegenüber habe das Oberverwal-
tungsgericht folgenden Rechtssatz aufgestellt: "Darüber hinaus war die Beklagte hier
ausnahmsweise auch aus einem anderen Grund nicht verpflichtet, bei der Bestim-
mung des für die Beitragsbemessung maßgebenden Nutzens der Kammertätigkeit
(vorrangig) auf die Aufgabenbeschreibung abzustellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses
der Beitragssatzung befand sich die Beklagte mitten in der Errichtungsphase. Wäh-
rend dieser Phase hatte sie ihren Geschäftsbetrieb im eigentlichen Sinne noch nicht
- allenfalls in äußerst geringem Maße - aufgenommen, so dass es zur Wahrnehmung
der ihr gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Hauptsatzung obliegenden Aufgaben noch
nicht - allenfalls in äußerst geringem Maße - gekommen war".
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen in diesem Zusammenhang wird eine Diver-
genz nicht dargelegt. Selbst wenn in der angeführten Passage des angefochtenen
Urteils ein Rechtssatz im Sinne einer Umschreibung normativer Voraussetzungen
aufgestellt sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Oberverwaltungsge-
richt damit von den angeführten Rechtssätzen in den Entscheidungen des Bundes-
verwaltungsgerichts abgewichen ist. Das Berufungsgericht führt vielmehr eingangs
der angeführten Stelle aus, dass bei der Bestimmung des für die Beitragsbemessung
maßgeblichen Nutzens der Kammertätigkeit grundsätzlich auf die im Heilberufege-
setz und der Hauptsatzung der Beklagten normativ festgelegten Aufgaben abzustel-
len sei. Nur unter den besonderen Umständen der vorliegenden Konstellation (Feh-
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len einer Hauptsatzung, Errichtungsphase) müsse nicht "(vorrangig)" auf die Aufga-
benbeschreibung abgestellt werden, sondern dürften die von ihm angeführten Erwä-
gungen Gewicht erlangen.
Das Berufungsgericht konnte außerdem deshalb nicht von Rechtssätzen in den an-
geführten Entscheidungen abweichen, weil sich der Beschluss vom 3. Mai 1995 mit
den Voraussetzungen für einen Sonderbeitrag für Handwerkskammermitglieder zur
Finanzierung der betrieblichen Ausbildung befasst und das Urteil vom 26. Januar
1993 eine einkommensabhängige Beitragsbemessung betrifft, welche der Kläger im
vorliegenden Falle gerade vermisst. Dass das Oberverwaltungsgericht in Anwendung
des Art. 3 Abs. 1 GG von einem Rechtssatz in den genannten Entscheidungen ab-
weicht, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Das Berufungsgericht hat vielmehr
wegen der Besonderheit der Beitragserhebung für die Errichtungsphase der Beklag-
ten rechtliche Erwägungen angestellt, die in den von dem Kläger herangezogenen
Entscheidungen nicht veranlasst waren.
bb) Die außerdem geltend gemachte Abweichung von dem Urteil vom 25. November
1971 - BVerwG 1 C 48.65 - (BVerwGE 39, 100 <103>) ist ebenfalls nicht den Anfor-
derungen gemäß dargelegt. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammen-
hang mit der Prüfung einer Verletzung des Kammermitglieds in seinem Grundrecht
aus Art. 2 Abs. 1 GG die von dem Kläger angeführte Passage zur Beschreibung der
Kammeraufgaben für die Gruppe der beamteten Ärzte und der geringen Intensität
der Bindungen dieser Mitglieder durch die Kammertätigkeit verwendet. Ein Zusam-
menhang mit der vorliegenden Problematik wird durch den Kläger nicht dargelegt,
außerdem fehlt es an der Darlegung eines widerstreitenden Rechtssatzes.
b) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie
eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft,
die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher
Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt
die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung er-
heblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als
grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern,
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dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsge-
richtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der
Beschwerde aufgeworfene Frage verleiht der Sache keine rechtsgrundsätzliche Be-
deutung. Der Kläger hält die Frage für klärungsbedürftig, ob eine berufsständische
Kammer bei Erlass ihrer Beitragssatzung die Beiträge gegebenenfalls nach Maßgabe
der ihr zugewiesenen gesetzlichen Aufgaben differenzieren muss, auch wenn sie
sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Errichtungsphase befindet. Diese Frage kann
nicht abstrakt beantwortet werden, weil sie sich vorrangig nach dem jeweils zur An-
wendung kommenden Kammerrecht beantwortet, das hier nicht revisibles Landes-
recht ist. Soweit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit als korrigierender Maßstab heranzuziehen
ist, führt die Frage nicht auf eine noch nicht geklärte Problematik. Vielmehr sind die
Grundsätze der Beitragserhebung, soweit sie sich verallgemeinern lassen, bereits in
zahlreichen Entscheidungen und namentlich in dem von dem Kläger angeführten
Beschluss vom 3. Mai 1995 und in dem weiteren Beschluss vom 30. September
1998 - BVerwG 1 B 94.98 - (GewArch 1999, 23) dargestellt. Die dort umschriebene
Vorteilsgerechtigkeit muss nicht dadurch verletzt sein, dass während der Errich-
tungsphase einer Kammer das Fehlen messbarer Unterschiede in der Aufgaben-
wahrnehmung für sonst unterscheidbare Gruppen von Berufsangehörigen bei der
Beitragsbemessung berücksichtigt wird.
Überdies bezieht sich die aufgeworfene Frage auf inzwischen ausgelaufenes Recht.
Wie der Kläger selbst mit Schriftsatz vom 11. Januar 2005 vorgetragen hat, hat die
Beklagte für das Beitragsjahr 2005 fünf Beitragsklassen einzuführen beschlossen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Rechtsfra-
gen bei auslaufendem Recht trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche
Bedeutung, da die Zulassungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine für
die Zukunft geltende Klärung herbeiführen soll. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Klä-
rung noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft
von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdefüh-
rer darlegungspflichtig. Es müssen Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfäl-
len dargetan und ersichtlich sein (Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B
35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9). Daran fehlt es. Der Hinweis
des Klägers darauf, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage "auf den Erlass der ers-
ten Beitragssatzung der Psychotherapeutenkammer Ost auswirken wird", genügt
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dafür nicht. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, gleichsam gutachterlich
Rechtsfragen zu beurteilen, die sich in Bezug auf eine andere Kammer möglicher-
weise ebenfalls stellen. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, dass eine erst noch zu
gründende Kammer ihre Beitragssatzung an derjenigen der Beklagten orientieren
wird.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Bardenhewer Hahn Graulich