Urteil des BVerwG vom 18.12.2002
BVerwG (gefahr, antragsteller, öffentliche sicherheit, intensität des grundrechtseingriffs, rasse, gefährlichkeit, verordnung, begriff, wahrscheinlichkeit, körperliche unversehrtheit)
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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 CN 1.02
Verkündet
OVG 4 K 8/00
am 18. Dezember 2002
Schöbel
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
- 2 -
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesver-
waltungsgericht Dr. H a h n , Dr. G e r h a r d t ,
Dr. G r a u l i c h und V o r m e i e r
für Recht erkannt:
- 3 -
Das Verfahren des Antragstellers zu 10 wird
eingestellt. Insoweit ist das Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 29. Mai 2001 wirkungslos.
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 29. Mai 2001 wird auf-
gehoben, soweit es § 3 Abs. 1 Nrn. 1, 5, 6 und
8 bis 10, § 3 Abs. 2 Nr. 1, soweit auf rasse-
spezifische Merkmale abgestellt wird, sowie § 4
Abs. 4 Satz 1 hinsichtlich der in § 3 Abs. 1
Nr. 1 erfassten Rasse sowie § 4 Abs. 4 Satz 2
hinsichtlich der in § 3 Abs. 1 Nrn. 5, 6 und 8
bis 10 erfassten Rassen der Landesverordnung
zur Abwehr der von Hunden ausgehenden Gefahren
vom 28. Juni 2000 für nichtig erklärt hat. In-
soweit werden die Normenkontrollanträge abge-
lehnt.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Von den bis zur Erledigung des Rechtsstreits
des Antragstellers zu 10 angefallenen Kosten
des Revisionsverfahrens tragen die Antragstel-
ler zu 1 bis 2 und 4 bis 12 jeweils ein Drittel
ihrer außergerichtlichen Kosten sowie jeweils
ein Dreiunddreißigstel der Gerichtskosten und
der außergerichtlichen Kosten des Antragsgeg-
ners. Von den danach angefallenen Kosten des
Revisionsverfahrens tragen die Antragsteller
zu 1 bis 2 und 4 bis 9, 11 und 12 jeweils ein
Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten sowie
je ein Dreißigstel der Gerichtskosten und der
außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.
Der Antragsgegner trägt die übrigen Kosten des
Revisionsverfahrens.
Von den im Beschluss vom 24. April 2001 nicht
erfassten Kosten des ersten Rechtszuges tragen
die Antragsteller zu 1 bis 2 und 4 bis 12 je-
weils ein Viertel ihrer außergerichtlichen Kos-
ten sowie je ein Vierundvierzigstel der Ge-
richtskosten und der außergerichtlichen Kosten
des Antragsgegners, der Antragsgegner die übri-
gen Kosten.
- 4 -
G r ü n d e:
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen im Einzelnen benannte Vor-
schriften der vom Antragsgegner erlassenen Landesverordnung
zur Abwehr der von Hunden ausgehenden Gefahren (Gefahrhunde-
verordnung - GefHVO -) vom 28. Juni 2000 (GVOBl Schl.-H. 2000,
S. 533, ber. S. 549).
Als gefährliche Hunde bestimmt § 3 Abs. 1 GefHVO elf Rassen
oder Gruppen von Hunden sowie deren Kreuzungen untereinander;
dazu gehören auch Hunde der Rassen American Staffordshire Ter-
rier, Staffordshire Bullterrier, Fila Brasileiro, Bullmastiff
und Mastino Napoletano. Außerdem gelten nach § 3 Abs. 2 GefHVO
u.a. solche Hunde als gefährlich, die durch rassespezifische
Merkmale, Zucht, Haltung, Ausbildung oder Abrichten eine über
das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffs-
lust, Schärfe oder eine andere in ihrer Wirkung vergleichbare,
Mensch oder Tier gefährdende Eigenschaft, insbesondere Beiß-
kraft und fehlende Bisslösung, besitzen. Unter bestimmten Vo-
raussetzungen wird durch § 4 Abs. 1 GefHVO für gefährliche
Hunde eine Anleinpflicht und durch § 4 Abs. 4 GefHVO ein Maul-
korbzwang begründet.
Die Antragsteller zu 1, 2, 4 bis 6 und 12 halten jeweils
mindestens einen Hund der Rasse American Staffordshire Ter-
rier. Der Antragsteller zu 7 ist Halter und Züchter von Hunden
der Rasse Staffordshire Bullterrier. Die Antragstellerin zu 8
ist Halterin eines Hundes der Rasse Fila Brasileiro. Die An-
tragstellerin zu 9 ist Halterin eines Hundes der Rasse Bull-
mastiff. Die Antragstellerin zu 11 hält einen Hund der Rasse
Mastino Napoletano. Die Hunde sind bislang nicht auffällig ge-
worden.
- 5 -
Ihren Normenkontrollantrag haben die Antragsteller u.a. damit
begründet, die Gefahrhundeverordnung verstoße gegen die ver-
fassungsrechtlichen Grundsätze der Bestimmtheit und Verhält-
nismäßigkeit sowie das Willkürverbot und verletze die allge-
meine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Eigentums-
recht (Art. 14 Abs. 1 GG). Der Begriff "Rasse" in § 3 GefHVO
sei unbestimmt, insbesondere weil in Züchterverbänden und der
Bevölkerung darüber uneinheitliche Vorstellungen vorherrsch-
ten. Dies treffe vermehrt auf den Begriff "Kreuzung" in § 3
Abs. 1 GefHVO zu. Die Regelung sei auch unverhältnismäßig,
weil sie keine Negativtests für aufgelistete Hunde vorsehe.
Gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße die Auflistung,
weil es keine gefährlichen Hunderassen an sich gebe, sondern
allenfalls gefährliche Hunde-Individuen. Das "Kampfhunde-
Image" sei kein taugliches Unterscheidungskriterium. Der An-
lein- und der Maulkorbzwang in § 4 GefHVO seien unverhältnis-
mäßig. Schließlich fehle es an einer wirksamen und sorgfälti-
gen Tatsachenermittlung sowie an vertretbaren Einschätzungen
als Grundlage für die strittigen Regelungen der Gefahrhunde-
verordnung.
Die Antragsteller zu 1, 2, 4 bis 7 und 12 haben jeweils bean-
tragt,
die Landesverordnung zur Abwehr der von Hunden ausgehenden
Gefahren (Gefahrhundeverordnung) des Innenministeriums vom
28. Juni 2000 (GVOBl Schl.-H. 2000, S. 533, ber. S. 549)
für nichtig zu erklären hinsichtlich ihrer folgenden Rege-
lungen: § 3 Abs. 1; § 3 Abs. 2, soweit der Begriff "rasse-
spezifische Merkmale" benannt ist; § 3 Abs. 2 Ziffer 4;
§ 3 Abs. 2 Ziffer 5; § 3 Abs. 3 Satz 2, soweit lediglich
als "Kann"-Bestimmung geregelt; § 3 Abs. 3 Satz 3; § 4
Abs. 1 Satz 1, soweit allein eine Befreiung vom Leinen-
zwang auf dem befriedeten Besitztum "der Hundehalterin
oder des Hundehalters" zugelassen wird; § 4 Abs. 4, soweit
- 6 -
gefährliche Hunde im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 aufgeführt
sind; § 5, § 7 Abs. 2.
Die Antragsteller zu 8 bis 11 haben jeweils beantragt,
die §§ 3, 4 und 5 der Landesverordnung zur Abwehr der von
Hunden ausgehenden Gefahren (Gefahrhundeverordnung) des
Innenministeriums vom 28. Juni 2000 (GVOBl Schl.-H. 2000,
S. 533, ber. S. 549) für nichtig zu erklären.
Der Antragsgegner hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat mit Ur-
teil vom 29. Mai 2001 § 3 Abs. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1, soweit auf
rassespezifische Merkmale abgestellt wird, § 4 Abs. 1 Satz 1,
soweit auf das befriedete Besitztum der Hundehalterin oder des
Hundehalters abgestellt wird, § 4 Abs. 4 Satz 1, soweit Hunde
im Sinne des § 3 Abs. 1 betroffen sind, und Satz 2 der Landes-
verordnung zur Abwehr der von Hunden ausgehenden Gefahren vom
28. Juni 2000 für nichtig erklärt und im Übrigen die Normen-
kontrollanträge zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es, soweit noch von Bedeutung, im Wesentli-
chen ausgeführt, die Verordnung sei zutreffend auf §§ 174, 175
LVwG gestützt worden, denn mit der Gefahrhundeverordnung werde
die von der Haltung von Hunden ausgehende abstrakte Gefahr für
die öffentliche Sicherheit bekämpft. Allerdings verstießen die
getroffenen Regelungen zum Teil gegen höherrangiges Recht.
Die Auflistung gefährlicher Hunde in § 3 Abs. 1 GefHVO sei we-
gen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3
Abs. 1 GG rechtswidrig und daher nichtig, denn andere ver-
gleichbare großrahmige Hunde wie z.B. der Deutsche Schäfer-
- 7 -
hund, die Deutsche Dogge, der Rottweiler und der Boxer seien
darin nicht aufgeführt. Daran ändere auch nichts die Regelung
in § 3 Abs. 2 GefHVO, weil die Gefährlichkeit von Hunden da-
nach individuell erwiesen werden müsse, während sie bei denen
nach § 3 Abs. 1 GefHVO unwiderleglich vermutet werde. Die Un-
gleichbehandlung sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil
die Anknüpfung an die Rassezugehörigkeit von Hunden schon vom
Ansatz her nicht geeignet sei, eine Gefährlichkeit zu indizie-
ren; die Rassezugehörigkeit von Hunden falle somit als Diffe-
renzierungskriterium für eine Ungleichbehandlung aus. An das
"Kampfhunde-Image" dürfe nicht differenzierend angeknüpft wer-
den, weil es insoweit an verlässlichem Zahlenmaterial fehle
und die entsprechende Einschätzung dem ständigen Wandel unter-
liege.
Die Ungleichbehandlung der aufgelisteten Hunde könne auch
nicht mit einer Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers
und einer daraus fließenden Typisierungsfreiheit begründet
werden. Das lasse sich zwar für als neu anzusehende schwer
überschaubare und komplexe Sachverhalte annehmen, nicht aber
für das Problem so genannter gefährlicher Hunde, das seit län-
gerem wahrgenommen werde. Die Grenzen der zulässigen Typisie-
rung seien schließlich auch deshalb überschritten, weil davon
eine große Zahl von Haltern betroffen sei, die ihre Hunde ver-
antwortungsbewusst und kontrolliert führten und hielten.
Mit der Anknüpfung der Gefährlichkeit an den Begriff der Hun-
derasse habe der Verordnungsgeber weiterhin gegen das Eig-
nungsgebot des § 73 Abs. 1 LVwG sowie - ohne dass dies der
Entscheidung bedürfe - das Übermaßverbot aus § 73 Abs. 2 LVwG
verstoßen.
Die Regelung in § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO verstoße mit dem Be-
griff "rassespezifische Merkmale" gegen den Bestimmtheits-
grundsatz und sei daher nichtig.
- 8 -
§ 4 Abs. 4 GefHVO sei wegen der Anknüpfung an die Rassezugehö-
rigkeit ebenfalls teilweise ungültig und für nichtig zu erklä-
ren.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zugelassen, so-
weit das Urteil des Oberverwaltungsgerichts § 3 Abs. 1, § 3
Abs. 2 Nr. 1 sowie § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 GefHVO betrifft.
Zur Begründung der Revision hat der Antragsgegner ausgeführt,
das Oberverwaltungsgericht gehe zutreffend davon aus, dass der
von § 175 Abs. 1 LVwG vorausgesetzte Begriff der abstrakten
Gefahr nicht nur eine empirisch belegbare, sondern auch eine
"naturwissenschaftlich mögliche (nicht auszuschließende)" Ge-
fahr umfasse. Nach der irrevisiblen Interpretation des Landes-
rechts durch das Oberverwaltungsgericht reiche im Hinblick auf
die erheblichen Schadensrisiken insbesondere für die durch
Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter das nicht auszu-
schließende, aber erhebliche "Gefahrenpotential" der in § 3
Abs. 1 aufgelisteten Hunderassen und der nach § 3 Abs. 2 Nr. 1
GefHVO aufgrund rassespezifischer Merkmale gefährlichen Hunde
aus, um den Tatbestand der polizeirechtlichen Eingriffsermäch-
tigung zu erfüllen. Diese Auslegung entspreche einem generel-
len Trend im Sicherheitsrecht, die präventive Gefahrenabwehr
in Richtung auf eine Gefahrenvorsorge zu erweitern, und werde
von der Revision nicht angegriffen.
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Konkretisie-
rung des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit bei der normativen Abschätzung von wissen-
schaftlich nicht näher geklärten Gefahren durch den Verord-
nungsgeber und die Beurteilung von dessen Typisierungsbefugnis
richteten sich nach der Intensität des Grundrechtseingriffs
gegenüber den Hundehaltern. Die Anknüpfung an die in § 3
Abs. 1 GefHVO aufgelisteten Hunderassen sowie die Normierung
- 9 -
der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO aufgeführten "rassespezifischen
Merkmale" seien nicht personenbezogen oder verhaltenssteuernd,
so dass Prüfungsmaßstab allein das in Art. 3 Abs. 1 GG enthal-
tene Willkürverbot sei. Dieses sei nicht verletzt, weil der
Verordnungsgeber im Interesse des Ausschlusses von Sicher-
heitslücken und der Praktikabilität und Vollzugsfähigkeit der
Verordnung bei der normativen Erfassung der massenhaften Hun-
dehaltung zu einer typisierenden Regelung berechtigt sei. Zu-
dem habe sich der Verordnungsgeber um eine vollständige Erfas-
sung der in Betracht kommenden Sachverhalte bemüht, indem er
sämtliche nicht von der Liste des § 3 Abs. 1 GefHVO erfassten
Hunderassen über § 3 Abs. 2 GefHVO als ebenso gefährlich "gel-
ten" lasse. Für die Vereinbarkeit der personenbezogenen Ver-
haltenspflichten des § 4 GefHVO mit dem Gleichheitssatz komme
es zwar auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an. Entgegen der
Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei die Verhältnismä-
ßigkeit aber gewahrt, da der Leinen- und Maulkorbzwang einer-
seits zum Schutz überragender Rechtsgüter erforderlich sei und
die im Übrigen freie Hundehaltung andererseits nur wenig be-
schränke.
Der Antragsgegner beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern, soweit darin § 3 Abs. 1,
§ 3 Abs. 2 Nr. 1 (teilweise) sowie § 4 Abs. 4 Satz 1 (teil-
weise) und Satz 2 der Landesverordnung des Landes
Schleswig-Holstein zur Abwehr der von Hunden ausgehenden
Gefahren vom 28. Juni 2000 für nichtig erklärt worden ist,
und die Normenkontrollanträge auch insoweit abzulehnen.
Die Antragsteller zu 1 und 2 sowie 4 bis 9, 11 und 12 beantra-
gen,
die Revision zurückzuweisen.
- 10 -
Sie verteidigen das angegriffene Urteil und vertreten unter
Verweis auf die Urteile des Senats vom 3. Juli 2002 zur Nie-
dersächsischen Gefahrtier-Verordnung die Auffassung, dass der
Verordnungsgeber mit der Anknüpfung an die Rassezugehörigkeit
bestimmter Hunde Gefahrenvorsorge betreibe, zu der er aufgrund
der polizeilichen Verordnungsermächtigung nicht befugt sei.
Der Antragsteller zu 10 hat mit Zustimmung des Antragsgegners
seinen Normenkontrollantrag für erledigt erklärt.
II.
1. Nach seiner Erledigung ist das Verfahren des Antragstellers
zu 10 einzustellen. Insoweit ist das angefochtene Urteil für
wirkungslos zu erklären (entspr. § 92 Abs. 3 VwGO, § 269
Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 173 Satz 1 VwGO).
2. Die Revision ist zulässig, aber nur im ausgesprochenen Um-
fang begründet.
a) Die Revision des Antragsgegners muss Erfolg haben, soweit
die Antragsteller nicht im Sinne des § 47 Abs. 2 VwGO antrags-
befugt sind. Danach ist ein Normenkontrollantrag nur zulässig,
soweit der Antragsteller geltend macht, durch die Rechtsvor-
schrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu
sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Eine Rechts-
verletzung der Antragsteller kann nur durch solche Vorschrif-
ten der angegriffenen Verordnung in Betracht kommen, die sich
auf die von den Antragstellern gehaltenen Hunde beziehen. Die-
se gehören den in § 3 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4, 7 und 11 GefHVO
aufgeführten Rassen an, so dass die Normenkontrollanträge hin-
sichtlich der übrigen in § 3 Abs. 1 GefHVO genannten Rassen
- 11 -
unzulässig sind. Dies gilt auch für die Regelungen in § 4
Abs. 4 Sätze 1 und 2 GefHVO, soweit sie auf § 3 Abs. 1 GefHVO
Bezug nehmen.
Demgegenüber fehlt die Antragsbefugnis in Bezug auf § 3 Abs. 2
Nr. 1 GefHVO nicht deshalb, weil die Antragsteller Hunde der
unter § 3 Abs. 1 GefHVO fallenden Rassen halten. Denn bei Un-
gültigkeit des § 3 Abs. 1 GefHVO müssen die Antragsteller
grundsätzlich gewärtigen, dass § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO ein-
greift. Der in § 4 Abs. 4 Satz 2 GefHVO zum Ausdruck kommenden
Normsystematik lässt sich entnehmen, dass auch bei den unwi-
derleglich gefährlichen Hunden nach § 3 Abs. 1 GefHVO die Vo-
raussetzungen des § 3 Abs. 2 GefHVO festgestellt werden kön-
nen. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind
allerdings sämtliche Hunde der Antragsteller "bisher nicht
auffällig geworden". Gleichwohl müssen die Antragsteller sich
bei Geltung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO u.U. dem Feststel-
lungsverfahren des § 3 Abs. 3 GefHVO unterziehen.
Die danach bestehende Begrenzung der Antragsbefugnis ist nicht
mit der Erwägung in Frage zu stellen, die Gefahrhundeverord-
nung sei ein unteilbares Regelwerk. Erstreckt sich die mögli-
che Rechtsverletzung des Antragstellers nur auf Teile einer
Norm, so kann die Antragsbefugnis nicht weiter gehen. Die Un-
teilbarkeit einer Rechtsvorschrift kann allenfalls bewirken,
dass die Norm über den Antrag hinausgehend umfassend für nich-
tig erklärt wird.
b) Die Revision ist unbegründet, soweit das Oberverwaltungsge-
richt die Nichtigkeit von § 3 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4, 7 und 11
GefHVO festgestellt hat. Die Entscheidungsgründe des Oberver-
waltungsgerichts verletzen zwar Bundesrecht. Die Entscheidung
erweist sich insoweit aber aus anderen Gründen als richtig
(§ 144 Abs. 4 VwGO). Aus den im Senatsurteil vom 3. Juli 2002
- BVerwG 6 CN 8.01 - (DVBl 2002, 1562) genannten Gründen
- 12 -
reicht auch im Land Schleswig-Holstein die allgemeine Ermäch-
tigungsgrundlage zum Erlass von Polizeiverordnungen nicht aus,
um darauf eine der Gefahrenvorsorge zuzurechnende Regelung
nach Art von § 3 Abs. 1 GefHVO zu stützen.
In § 3 Abs. 1 GefHVO werden elf Rassen oder Gruppen von Hunden
sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden
- unwiderleglich - als gefährlich eingestuft. An die Einord-
nung als "gefährlich" knüpft innerhalb der Verordnung ein
zwingendes Regiment von Regelungen für den Halter eines der
betroffenen Hunde. Die Verordnung ist auf die Ermächtigungs-
grundlage des § 175 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsgesetz für
das Land Schleswig-Holstein - Landesverwaltungsgesetz (LVwG) -
vom 2. Juni 1992 (GVOBl Schl.-H. 1992, S. 243, ber. S. 534),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Dezember 1998 (GVOBl
Schl.-H. 1998, S. 370) gestützt. Nach der Auslegung durch das
Oberverwaltungsgericht (Urteil S. 14) ermächtigt § 175 Abs. 1
LVwG zum Erlass von Regelungen, die der Abwehr einer abstrak-
ten Gefahr dienen.
§ 3 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4, 7 und 11 GefHVO kann kraft Bundes-
rechts nicht auf § 175 LVwG gestützt werden.
Die Regelung des § 3 Abs. 1 GefHVO beruht auf der Annahme,
dass von bestimmten Hunden allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu
bestimmten Rassen oder Gruppen sowie deren Kreuzungen eine
abstrakte Gefahr ausgeht. Nach den vorliegenden Feststellungen
besteht jedoch lediglich ein entsprechender Verdacht. Ein blo-
ßer Gefahrenverdacht rechtfertigt kein Einschreiten der Si-
cherheitsbehörden in Form einer Rechtsverordnung auf der
Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung. Vielmehr müs-
sen Eingriffe der staatlichen Verwaltung in die Freiheitssphä-
re der Hundehalter zum Zwecke der Gefahrenvorsorge nach
rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen in einem be-
sonderen Gesetz vorgesehen sein. Das Oberverwaltungsgericht
- 13 -
hat bei seiner Entscheidung diesen bundesrechtlichen Gesichts-
punkt verkannt und damit gegen revisibles Recht verstoßen.
Dies wirkt sich im Ergebnis allerdings nicht aus, weil es dem
Normenkontrollantrag, soweit die revisionsgerichtliche Prüfung
eröffnet ist, hinsichtlich des § 3 Abs. 1 GefHVO wegen einer
Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG (I der
Entscheidungsgründe) und des in § 73 LVwG enthaltenen Gebots,
nur zulässige und geeignete Maßnahmen zu ergreifen (II der
Entscheidungsgründe), entsprochen hat. Diese Annahmen des
Oberverwaltungsgerichts sind nicht entscheidungserheblich und
daher nicht mehr zu erörtern.
Aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem
(Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 1 GG) folgt, dass in einem
Gesetz, durch das die Exekutive zum Erlass von Rechtsverord-
nungen ermächtigt wird, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten
Ermächtigung bestimmt werden. Das Parlament soll sich seiner
Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch
entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht
der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen
bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen
zu haben, dass schon aus der Ermächtigung erkennbar und vor-
hersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.
Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit stellt die notwen-
dige Ergänzung und Konkretisierung des aus dem Demokratie- und
Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes des Vorbehalts des
Gesetzes dar. Welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen
erfüllt sein müssen, hängt von den Besonderheiten des jeweili-
gen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität der Maßnahme,
namentlich der Grundrechtsrelevanz der Regelung ab (vgl.
BVerfGE 58, 257, 277 f.; BVerwGE 110, 253, 255 f.).
Die Verwendung der polizeilichen Generalklausel des § 175
Abs. 1 LVwG als Grundlage sicherheitsbehördlicher Verordnungen
ist unter den genannten verfassungsrechtlichen Aspekten unbe-
- 14 -
denklich, weil sie in jahrzehntelanger Entwicklung durch
Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinrei-
chend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristi-
schen Sprachgebrauch verfestigt ist (vgl. BVerfGE 54, 143,
144). § 175 Abs. 1 LVwG ermächtigt die genannten Stellen zum
Erlass von Verordnungen zur Abwehr von Gefahren für die öf-
fentliche Sicherheit. Dabei handelt es sich, wie aus der Er-
mächtigung zum Erlass einer normativen Regelung in Gestalt ei-
ner Verordnung ohne weiteres folgt und vom Oberverwaltungsge-
richt auch seiner Entscheidung zugrunde gelegt worden ist (Ur-
teil S. 14), um abstrakte Gefahren. Die abstrakte Gefahr ist
nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts anzunehmen,
wenn eine Verhaltensweise oder ein Zustand typischerweise für
die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit gefährlich ist,
d.h. wenn mit bestimmten Lebenssachverhalten nach den Gesetzen
der Erfahrung generell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
Gefahren verbunden sind und diese im Einzelfall regelmäßig zu
konkreten Gefahren zu führen pflegen. Gegen diese Umschreibung
ist aus bundesrechtlicher Sicht nichts zu erinnern; sie gibt
zutreffend wieder, was herkömmlich unter einer Gefahr im Sinne
des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts verstanden wird.
Das Oberverwaltungsgericht hat jedoch übersehen, dass aus der
landesgesetzlichen Übernahme des überkommenen Gefahrenbegriffs
eine Begrenzung der Reichweite der Ermächtigungsgrundlage in
§ 175 LVwG folgt. Die Vorschrift ist nur insoweit als Grundla-
ge für den Erlass einer sicherheitsbehördlichen Verordnung ge-
eignet, als mit ihr Gefahren bekämpft werden sollen, die dem
genannten Gefahrenbegriff entsprechen. Werden die durch diesen
Begriff gezogenen Grenzen überschritten, so liegt darin ein
Verstoß gegen Bundesrecht, weil die Einhaltung dieser Grenzen
unter dem Gesichtspunkt des Gebots einer hinreichend bestimm-
ten Ermächtigungsgrundlage für Verordnungen bundesverfassungs-
- 15 -
rechtlich geboten ist. Diese bundesrechtliche Begrenzung der
Verordnungsgebung nach § 175 LVwG hat das Oberverwaltungsge-
richt verkannt.
Der klassische Gefahrenbegriff, der nach den Ausführungen des
Oberverwaltungsgerichts auch § 175 LVwG zugrunde liegt, ist
dadurch gekennzeichnet, dass "aus gewissen gegenwärtigen Zu-
ständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden
bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden" (vgl. Ur-
teil des PrOVG vom 15. Oktober 1894, PrVBl 16, 125, 126).
Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen
lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursa-
chenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können,
begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenver-
dacht oder ein "Besorgnispotenzial" (vgl. Urteil vom
19. Dezember 1985 - BVerwG 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300, 315).
Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet keine Handhabe, der-
artigen Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begeg-
nen. Die Befugnisse und Ermächtigungen der Verwaltungsbehörden
und der Polizei nach § 175 LVwG umfassen Vorsorgemaßnahmen
nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit
dem Verordnungsgeber ohne eine nähere Prüfung der Vorausset-
zungen des Gefahrenbegriffs die Hunde der in § 3 Abs. 1 GefHVO
genannten Rassen und Gruppen als "gefährliche Hunde" angese-
hen, die im Unterschied zu anderen, in der Verordnung nicht
als "gefährlich" bezeichneten Hunden besonderen Haltungsbe-
schränkungen unterliegen. Mit diesem Verständnis hat es die
durch Bundesrecht gezogenen Grenzen der Auslegung des Begriffs
der abstrakten Gefahr überschritten.
Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die
hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl.
Urteil vom 26. Februar 1974 - BVerwG 1 C 31.72 - BVerwGE 45,
51, 57). Das trifft nicht nur für die "konkrete" Gefahr zu,
die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, sondern auch
- 16 -
für die den sicherheitsrechtlichen Verordnungen zugrunde lie-
gende "abstrakte" Gefahr. Die abstrakte Gefahr unterscheidet
sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahr-
scheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Be-
zugspunkt der Gefahrenprognose oder, wie der 4. Senat des Bun-
desverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 26. Juni 1970
- BVerwG 4 C 99.67 - (DÖV 1970, 713, 715) gesagt hat, durch
die Betrachtungsweise: Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in
dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer
Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich
gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn
eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von
Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall
einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit
generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämp-
fen; das hat zur Folge, dass auf den Nachweis der Gefahr eines
Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann (vgl.
auch Beschluss vom 24. Oktober 1997 - BVerwG 3 BN 1.97 -
Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 10). Auch die Feststellung einer
abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hin-
sicht genügend abgesicherte Prognose: Es müssen - bei ab-
strakt-genereller Betrachtung - hinreichende Anhaltspunkte
vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von
Schäden rechtfertigen. Dabei liegt es im Wesen von Prognosen,
dass die vorhergesagten Ereignisse wegen anderer als der er-
warteten Geschehensabläufe ausbleiben können. Von dieser mit
jeder Prognose verbundenen Unsicherheit ist die Ungewissheit
zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der
Gefahrenprognose betrifft. Ist die Behörde mangels genügender
Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachver-
halte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der er-
forderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine
Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein
Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen
- 17 -
ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten
Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben
und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitsein-
schränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten
nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann
Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Ge-
fahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus, die
- im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen
Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger
zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der beste-
henden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit
der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Be-
tracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlich-
keit einschließt, mithin - in diesem Sinne - "politisch" ge-
prägt oder mitgeprägt ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten
Senats - 3. Kammer - vom 28. Februar 2002 - 1 BvR 1676/01 -
DVBl 2002, 614). Eine derart weit reichende Bewertungs- und
Entscheidungskompetenz steht den Polizei- und Ordnungsbehörden
aufgrund der Verordnungsermächtigungen nach Art des § 175 LVwG
nicht zu. Denn es wäre mit den dargelegten Grundsätzen der Be-
stimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen
der Exekutive und des Vorbehalts des Gesetzes nicht vereinbar,
wenn die Exekutive ohne strikte Bindung an den überlieferten
Gefahrenbegriff kraft eigener Bewertung über die Notwendigkeit
oder Vertretbarkeit eines Verordnungserlasses entscheiden
könnte. Die rechtsstaatliche und demokratische Garantiefunkti-
on der sicherheitsrechtlichen Verordnungsermächtigungen wäre
in Frage gestellt, könnte die Exekutive nach diesen Vorschrif-
ten bereits einen mehr oder minder begründeten Verdacht zum
Anlass für generelle Freiheitseinschränkungen nehmen. Vielmehr
ist es Sache des zuständigen Gesetzgebers, sachgebietsbezogen
darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau (vgl.
hierzu Urteil vom 19. Dezember 1985, a.a.O., S. 316) und auf
welche Weise Schadensmöglichkeiten vorsorgend entgegengewirkt
werden soll, die nicht durch ausreichende Kenntnisse belegt,
- 18 -
aber auch nicht auszuschließen sind (vgl. Pieroth/Schlink/
Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 2002, S. 65 m.w.N.). Al-
lein der Gesetzgeber ist befugt, unter Abwägung der wider-
streitenden Interessen die Rechtsgrundlagen für Grundrechts-
eingriffe zu schaffen, mit denen Risiken vermindert werden
sollen, für die - sei es aufgrund neuer Verdachtsmomente, sei
es aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels oder einer verän-
derten Wahrnehmung in der Bevölkerung - Regelungen gefordert
werden. Das geschieht üblicherweise durch eine Absenkung der
Gefahrenschwelle in dem ermächtigenden Gesetz von der "Gefah-
renabwehr" zur "Vorsorge" gegen drohende Schäden (vgl. etwa
§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 6 Abs. 2
GenTG, § 7 BBodSchG). Demgegenüber ist in § 175 LVwG aus-
schließlich von der "Abwehr von Gefahren", nicht hingegen von
"Vorsorge" oder "Vorbeugung" die Rede. Auch darin zeigt sich
positivrechtlich, dass dem Gefahrenbegriff nicht aus sich he-
raus eine Erstreckung auf die Aufgabe der Risiko- oder Gefah-
renvorsorge innewohnt.
Das Oberverwaltungsgericht hat eine abstrakte Gefahr im Sinne
der Verordnungsermächtigung des § 175 LVwG für gegeben erach-
tet, ohne auf die bundesrechtlich gebotene Abgrenzung zur Ge-
fahrenvorsorge einzugehen. Seine Erwägung, von allen Hunden
gingen Gefahren aus (Urteil S. 14), rechtfertigt die in § 3
Abs. 1 i.V.m. § 4 GefHVO getroffene Regelung nicht.
Denn die Gefahrhundeverordnung knüpft nicht an Hunde allge-
mein, sondern an bestimmte, von ihr als "gefährliche Hunde"
bezeichnete Tiere an, denen sie alle Hunde der in § 3 Abs. 1
GefHVO aufgelisteten Rassen und Gruppen zurechnet. Die Gefahr-
hundeverordnung bekämpft daher insoweit nicht diejenigen Ge-
fahren, die wegen der Unberechenbarkeit des tierischen Verhal-
tens mit der Haltung von Hunden allgemein oder von solchen be-
stimmter Größe oder Beißkraft verbunden sind. Vielmehr sieht
der Verordnungsgeber Hunde bestimmter Rassen und Gruppen als
- 19 -
besonders gefährlich an, wobei der Beitrag dieser Merkmale zur
Gefährlichkeit des einzelnen Hundes ungeklärt ist. Das Rege-
lungskonzept der Verordnung lässt es nicht zu, die Aufzählung
in § 3 Abs. 1 GefHVO als Benennung besonders gefährlicher Hun-
de aufzufassen, die nicht wegen ihrer genetischen Herkunft,
sondern wegen anderer bei ihnen typischerweise gegebenen Merk-
male wie etwa ihrer Größe oder Beißkraft erfasst werden. Im
Gegenteil führt das Oberverwaltungsgericht aus (Urteil S. 15),
dass die aufgelisteten Hunde allein wegen ihrer Rassezugehö-
rigkeit "unabhängig von ihrer tatsächlichen Gefährlichkeit"
unwiderleglich als gefährlich gelten. Demgegenüber erfasst die
Regelung des § 3 Abs. 2 GefHVO durch bestimmte Umschreibungen
individuelle Tiere, die durch Eigenschaften oder Verhal-
tensauffälligkeiten gekennzeichnet werden. § 3 Abs. 1 GefHVO
kann nicht gewissermaßen als Unterfall der Regelung des § 3
Abs. 2 GefHVO angesehen werden, weil diese Vorschrift nicht
auf die Zugehörigkeit zu Rassen oder Gruppen abhebt. Das Ober-
verwaltungsgericht hat nicht ermittelt, dass gerade von den
Hunden der in § 3 Abs. 1 GefHVO genannten Rassen, Gruppen und
Kreuzungen Gefahren im dargelegten Sinn ausgehen.
Der Senat kann nach den vorliegenden Feststellungen in dieser
Frage selbst entscheiden, weil es weiterer Sachaufklärung
nicht bedarf.
Die Regelungen des § 3 Abs. 1 Nrn. 2, 3, 4, 7 und 11 GefHVO
finden in § 175 LVwG keine Rechtsgrundlage. Sie knüpfen daran
an, dass ein Hund einer bestimmten Rasse oder einer Gruppe
oder einer entsprechenden Kreuzung zugehört. Aus der Zugehö-
rigkeit zu einer Rasse, einer Gruppe oder einer entsprechenden
Kreuzung allein lässt sich aber nach dem Erkenntnisstand der
Fachwissenschaft nicht ableiten, dass von den Hundeindividuen
Gefahren ausgehen. Zwar besteht der Verdacht, dass Hunde der
in Rede stehenden Rassen oder Gruppen ein genetisch bedingtes
übersteigertes Aggressionsverhalten aufweisen. Es ist jedoch
- 20 -
in der Wissenschaft umstritten, welche Bedeutung diesem Faktor
neben zahlreichen anderen Ursachen - Erziehung und Ausbildung
des Hundes, Sachkunde und Eignung des Halters sowie situative
Einflüsse - für die Auslösung aggressiven Verhaltens zukommt.
Insbesondere liegen weder aussagekräftige Statistiken oder
sonstiges belastbares Erfahrungswissen noch genetische Unter-
suchungen vor. Das Oberverwaltungsgericht weist - in anderem
Zusammenhang - selbst darauf hin, dass sich aus der Zugehörig-
keit zu einer bestimmten Hunderasse eine Gefährlichkeit nicht
ableiten lasse (Urteil S. 19 f.).
Dem die erhöhte Besteuerung von so genannten Kampfhunden
betreffenden Urteil des 11. Senats des Bundesverwaltungsge-
richts vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C 8.99 - (BVerwGE 110,
265) liegt keine andere Beurteilung der Gefährdungslage zu-
grunde. Im Gegenteil hat der 11. Senat in diesem Urteil ausge-
führt, die beklagte Gemeinde verfolge mit der Aufzählung be-
stimmter, unwiderleglich als Kampfhunde angesehener Hunderas-
sen im Steuertatbestand nicht in erster Linie oder gar aus-
schließlich einen im engeren Sinn "polizeilichen" Zweck der
Gefahrenabwehr. Vielmehr bestehe das Lenkungsziel auch darin,
ganz generell und langfristig im Gemeindegebiet solche Hunde
zurückzudrängen, die aufgrund bestimmter Züchtungsmerkmale ei-
ne "potenzielle Gefährlichkeit" aufwiesen. Da aus der nur po-
tenziellen Gefährlichkeit bei Hinzutreten anderer Faktoren je-
derzeit eine akute Gefährlichkeit erwachsen könne, sei es
sachgerecht, "bereits an dem abstrakten Gefahrenpotenzial an-
zuknüpfen" (a.a.O., S. 275; vgl. auch den erläuternden Be-
schluss vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz
401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 12 f.). In dem genannten Urteil
vom 19. Januar 2000 ist mit Blick auf andere, möglicherweise
nicht weniger gefährliche Hunderassen als die in der Steuer-
satzung genannten Rassen weiterhin ausgeführt, dass den erst-
genannten Rassen die größere soziale Akzeptanz zugute komme,
die die so genannten Wach- und Gebrauchshunde in der Bevölke-
- 21 -
rung genössen (a.a.O., S. 276 f.). Dieser Hinweis verdeut-
licht, dass auch der Urheber der damals umstrittenen Hun-
desteuersatzung, der als kommunaler Satzungsgeber über einen
anderen und größeren normativen Gestaltungsspielraum verfügte
als der Urheber der Schleswig-Holsteinischen Gefahrhundever-
ordnung, bei der näheren Bestimmung der Hunderassen, die er
der erhöhten Besteuerung unterwarf, nicht auf ein gesichertes
Erfahrungswissen über besonders gefährliche Hunderassen zu-
rückgreifen konnte, sondern dass insoweit u.a. - gewissermaßen
ersatzweise - Gesichtspunkte der sozialen Akzeptanz von Bedeu-
tung waren, die für die Feststellung einer Gefahr im Sinne des
allgemeinen Rechts der Gefahrenabwehr ohne Belang sind.
Fehlt es demnach an ausreichenden Belegen für einen kausalen
Zusammenhang zwischen Rassezugehörigkeit und Schadenseintritt
und somit an einer abstrakten Gefahr aufgrund der Rassezugehö-
rigkeit, erlaubt das allgemeine Gefahrenabwehrrecht keine Maß-
nahmen des Verordnungsgebers, die allein an die Rassezugehö-
rigkeit anknüpfen. Derartige Regelungen gehören zur Gefahren-
vorsorge und bedürfen, wie dargelegt, einer speziellen gesetz-
lichen Grundlage. Namentlich hat der Gesetzgeber die etwaige
Einführung so genannter Rasselisten selbst zu verantworten.
Auch der vom Antragsgegner erwähnte Grundsatz, dass im Hin-
blick auf die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter - Leben
und körperliche Unversehrtheit von Menschen - bereits die ent-
ferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts zur Begründung
einer (abstrakten) Gefahr ausreichen kann, eröffnet dem Ver-
ordnungsgeber nach § 175 Abs. 1 LVwG nicht die Möglichkeit,
zur Gefahrenabwehr an die Zugehörigkeit eines Hundes zu einer
Rasse oder einer Gruppe anzuknüpfen. Richtig ist, dass der
Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, der für die
Annahme einer Gefahr erforderlich ist, von der Größe und dem
Gewicht des drohenden Schadens abhängt: Die Wahrscheinlichkeit
des Schadenseintritts muss umso größer sein, je geringer der
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möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie darf umso
kleiner sein, je schwerer der etwa eintretende Schaden wiegt
(vgl. Urteil vom 2. Juli 1991 - BVerwG 1 C 4.90 - BVerwGE 88,
348, 351). Gleichwohl muss auch dann, wenn ein schwerwiegender
Schaden befürchtet wird, aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung
oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen zumindest eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt dieses Schadens
sprechen. Von solchen (echten) Gefahrenlagen sind diejenigen
Fälle zu unterscheiden, in denen - wie hier - wegen erhebli-
cher Erkenntnislücken lediglich ein Gefahrenverdacht besteht.
In diesen Fällen kommen nach dem allgemeinen Recht der Gefah-
renabwehr in erster Linie Maßnahmen zur weiteren Erforschung
des Sachverhaltes in Betracht. Dagegen sind Maßnahmen, die
über die Abklärung des Verdachts hinaus auf die Abwehr der
vermuteten Gefahr gerichtet sind, ohne spezialgesetzliche Er-
mächtigung zur Gefahrenvorsorge grundsätzlich nicht zulässig,
und zwar auch dann nicht, wenn höchstrangige Rechtsgüter auf
dem Spiel stehen. Zwar setzt die Feststellung einer Gefahr
nicht notwendig die genaue Kenntnis der zum Schadenseintritt
führenden Kausalverläufe voraus; vielmehr lässt sich ein be-
stehender Ursachenzusammenhang und damit die hinreichende
Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts - namentlich wenn es
um die Feststellung abstrakter Gefahren geht - auch indirekt
mit Hilfe statistischer Methoden nachweisen. Doch liegen, wie
bereits erwähnt, hinsichtlich der erhöhten Gefährlichkeit be-
stimmter Hunderassen derzeit weder aussagekräftige Statistiken
noch sonstige gesicherte Erkenntnisse vor, auf die der An-
tragsgegner sich beim Erlass der Gefahrtierverordnung hätte
stützen können.
Auch die vom Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung des
erkennenden Senats im Hinblick auf das erwähnte Urteil vom
3. Juli 2002 (a.a.O.) und vor allem unter Hinweis auf § 5
GefHVO vorgetragene Erwägung, die Gefahrhundeverordnung ent-
halte ein Regime "gestufter Rechtskonkretisierung", bei dem
- 23 -
die Einstufung eines Hundes als gefährlicher Hund nicht iso-
liert betrachtet werden dürfe, dessen daran anknüpfende, dif-
ferenziert ausgestaltete Rechtsfolgen vielmehr als solche ge-
würdigt werden müssten, ändert nichts daran, dass der Verord-
nungsgeber in unzulässiger Weise die Zugehörigkeit eines Hun-
des zu einer bestimmter Rasse oder Gruppe als Tatbestand einer
abstrakten Gefahr betrachtet hat. Die angegriffene Verordnung
nimmt insbesondere nicht etwa die Rasse- oder Gruppenzugehö-
rigkeit eines Hundes zum Anlass für eine Gefahrerforschung,
von deren Ergebnis abhängt, ob und gegebenenfalls welche Ver-
pflichtungen in Bezug auf den Hund bestehen (zu den bundes-
rechtlichen Grenzen einer derartigen Regelung vgl. Urteil vom
18. Dezember 2002 - BVerwG 6 CN 3.01 -).
c) Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die Nich-
tigkeitsfeststellung des Begriffs "rassespezifische Merkmale"
in § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO durch das Oberverwaltungsgericht
wendet. Entgegen den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts
fehlt es der Regelung auch insoweit nicht an der erforderli-
chen Bestimmtheit. Das Oberverwaltungsgericht hat den Begriff
"rassespezifische Merkmale" nicht definiert. Nach seiner An-
sicht ermangelt der Begriff "rassespezifische Merkmale" im Ge-
samtzusammenhang des § 3 GefHVO schon deshalb hinreichender
Bestimmtheit, weil der jeweiligen Rassezugehörigkeit - an die
der Verordnungsgeber auch im Rahmen des § 3 Abs. 1 GefHVO eine
der Sache nach nicht gerechtfertigte Vermutung der Gefährlich-
keit geknüpft habe - "als solcher keine rassespezifischen, mit
bestimmten Eigenschaften im Sinne eines entsprechenden Gefähr-
dungspotenzials einhergehenden Merkmale im Sinne einer über
das natürliche Maß hinausgehenden Kampfbereitschaft, Angriffs-
lust, Schärfe o.ä. zugeordnet werden (könnten) und damit auch
unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Norm unklar
bleiben (müsse), aus welchen Merkmalen im Einzelnen sich eine
über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, An-
griffslust, Schärfe oder in der Gefahrwirkung vergleichbare
- 24 -
Eigenschaft folgern (lasse) bzw. ergeben (solle)". Daher sei
die Bestimmung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO hinsichtlich des
Begriffs der "rassespezifischen Merkmale" wegen mangelnder
Klarheit nichtig (Urteil S. 25). Mit dieser Auffassung ver-
stößt das Normenkontrollurteil gegen den in § 47 VwGO enthal-
tenen und damit bundesrechtlichen Grundsatz des Gebots der
Normerhaltung, der es fordert, eine Vorschrift erst dann für
nichtig zu erklären, wenn sie sich auch nach sorgfältiger und
lückenloser, insbesondere den Gesamtzusammenhang der getroffe-
nen Regelung mitberücksichtigender Auslegung als mit höherran-
gigem Recht unvereinbar erweist. Kommt das Oberverwaltungsge-
richt durch eine dem Gebot der Normerhaltung nicht gerecht
werdende Auslegung zum Verdikt der Ungültigkeit der Vor-
schrift, so kann das Revisionsgericht die Norm unter Beachtung
dieses Grundsatzes selbst auslegen. § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO
kann dahin verstanden werden, dass er auf Hundeindividuen an-
zuwenden ist, die eine über das natürliche Maß hinausgehende
Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe oder eine andere ver-
gleichbare, Menschen oder Tiere gefährdende Eigenschaft besit-
zen, ohne dass es entscheidend darauf ankommt, aus welchen
Gründen eine derartige, feststellbare Eigenschaft vorhanden
ist. In dieser Auslegung hält sich § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO im
Rahmen der die Gefahrenabwehr betreffenden Ermächtigungsgrund-
lage des § 175 LVwG. Denn von Hunden, welche die genannten Ei-
genschaften haben, gehen Gefahren aus, die durch eine Rechts-
verordnung bekämpft werden dürfen.
Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO werden solche Hunde als gefähr-
lich angesehen, die durch rassespezifische Merkmale, Zucht,
Haltung, Ausbildung oder Abrichten eine über das natürliche
Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe
oder eine andere in ihrer Wirkung vergleichbare, Mensch oder
Tier gefährdende Eigenschaft, insbesondere Beißkraft und feh-
lende Bisslösung besitzen.
- 25 -
Die in § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO erfassten Hunderassen gehören
typischerweise nicht einer der in § 3 Abs. 1 GefHVO aufgelis-
teten Rassen und auch nicht einer der davon bereits erfassten
Kreuzungen zu. Die Vorschrift knüpft, soweit sie zur Prüfung
steht, an bestimmte Eigenschaften sowie an Umstände an, die zu
diesen Eigenschaften geführt haben, nämlich rassespezifische
Merkmale, Zucht, Haltung, Ausbildung oder Abrichtung. Wenn das
Hundeindividuum Menschen und Tiere gefährdende Eigenschaften
hat, so ist es im Hinblick auf die Gefahrenabwehr ohne Bedeu-
tung, wie es sie erworben hat. Der Umstand, dass § 3 Abs. 2
Nr. 1 GefHVO auch mögliche Ursachen der gefährdenden Eigen-
schaften aufzählt, stellt bei diesem Verständnis lediglich ei-
ne Beschreibung von Anhaltspunkten dar, die zu den gefährli-
chen Eigenschaften einzelner Hunde beigetragen haben können
und Hinweise darauf geben können, dass diese Eigenschaften
vorliegen könnten, ohne dass die möglichen Ursachen ihrerseits
der Feststellung bedürfen, wenn die gefährdenden Eigenschaften
vorliegen. Unter diesen Umständen ist eine gewisse Unschärfe
des im Tatbestand der Norm genannten Begriffs "rassespezifi-
sche Merkmale" ohne Bedeutung für die Anwendung der Norm, die
auf die Bekämpfung einer aus bestimmten Eigenschaften indivi-
dueller Hunde resultierenden Gefahr zielt. Es ist eine Frage
der Feststellbarkeit im Tatsächlichen, ob ein bestimmter Hund
eine oder mehrere dieser Eigenschaften aufweist. Der Revisi-
onsbegründungsschrift (S. 2) lässt sich entnehmen, dass dies
auch die Auffassung des Verordnungsgebers selbst gewesen sein
dürfte. Denn dort ist ausgeführt, dass mit der fraglichen Re-
gelung sichergestellt werden sollte, dass über die Fälle of-
fensichtlicher Kreuzungen im Sinne von § 3 Abs. 1 GefHVO hi-
naus auch solche Hunde erfasst werden sollten, bei denen der
Nachweis einer Kreuzung etwa in früheren Zuchtgenerationen
nicht mehr ohne weiteres möglich sei.
Demnach betrifft die Regelung in § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO ins-
gesamt - einschließlich des Begriffs "rassespezifische Merkma-
- 26 -
le" - Hundeindividuen mit bestimmten "Eigenschaften". Ist bei
einem Hundeindividuum eine Menschen oder Tiere gefährdende Ei-
genschaft festgestellt, so unterliegt es keinen Bedenken, da-
rin eine Gefahr im Sinne des Polizeirechts zu sehen, die An-
knüpfungspunkt von Regelungen zur Verhinderung des Eintritts
von Schäden ist. Individuelle Eigenschaften von Hunden, die
Menschen oder Tier gefährden, begründen nicht nur einen Gefah-
renverdacht, sondern eine Gefahr.
Der Umstand, dass § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO zusätzlich auf die
Ursachen der gefährdenden Eigenschaften abstellt, lässt sich
nach dem Gesagten dahin verstehen, dass bestimmte bei einem
Hundeindividuum vorliegende Umstände, Anlass für die Ermitt-
lung bieten, ob der Hund gefährliche Eigenschaften hat. Dieser
Ermittlung dient das Feststellungsverfahren des § 3 Abs. 3
GefHVO. Die Norm beschreibt bei diesem Verständnis neben den
Voraussetzungen für die Annahme eines "gefährlichen Hundes"
die Voraussetzungen eines Gefahrenverdachts, deren Vorliegen
zu dem Feststellungsverfahren nach § 3 Abs. 3 GefHVO führt.
Bei diesem Ansatz ist die Norm nicht nur Grundlage für Maßnah-
men der Gefahrenabwehr, sondern darüber hinaus auch Anknüp-
fungspunkt für ein Gefahrermittlungsprogramm. Ein solches hat
der Senat in seinem Urteil vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN
8.01 - (a.a.O., S. 1562) für grundsätzlich zulässig erachtet.
Danach kann § 175 LVwG, ohne gegen Bundesrecht zu verstoßen,
Rechtsgrundlage für § 3 Abs. 2 Nr. 1 GefHVO sein. Dass ein Ge-
fahrenverdacht bei Vorliegen bestimmter rassespezifischer
Merkmale vorliegen kann und der Verordnungsgeber daran ein
Programm zur Gefahrerforschung anknüpft, begegnet aus der
Sicht des Bundesrechts keinen Bedenken.
d) Soweit die Revision darauf gerichtet ist, die vom Oberver-
waltungsgericht für teilweise nichtig erklärte Anordnung eines
Maulkorbzwangs in § 4 Abs. 2 GefHVO auch in Bezug auf die Hun-
derassen wiederherzustellen, denen die von den Antragstellern
- 27 -
gehaltenen Hunde angehören, ist sie hingegen unbegründet. Nach
den vorangegangenen Ausführungen ist § 3 Abs. 1 GefHVO hin-
sichtlich dieser Hunderassen (Nrn. 2, 3, 4, 7 und 11, a.a.O.)
nichtig. Insoweit ist § 4 Abs. 4 GefHVO ohne normativen An-
knüpfungspunkt und daher vom Oberverwaltungsgericht mit Recht
ebenfalls für nichtig erklärt worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1,
§ 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO. Sie
berücksichtigt, dass das beklagte Land hinsichtlich der "Ras-
seliste" unterlegen ist und das Interesse der Antragsteller
auf die Nichtigerklärung der sie jeweils treffenden Bestimmun-
gen bezogen ist, so dass ihr Unterliegen hinsichtlich der üb-
rigen Regelungen wertmäßig nur in geringerem Umfang zu Buche
schlägt. Außerdem ist berücksichtigt, dass im ersten Rechtszug
weitergehende Anträge gestellt worden waren. Angesichts der
ohnehin nur möglichen pauschalen Bewertung der Interessen der
Antragsteller ist eine mit der Erledigung des Rechtsstreits
des Antragstellers zu 10 im Revisionsverfahren zusammenhängen-
de Unschärfe der Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug
hinnehmbar.
Bardenhewer Hahn Gerhardt
Graulich Vormeier
- 28 -
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfah-
ren für die Zeit bis zur teilweisen Erledigung des Rechts-
streits auf 44 000 €, für die Zeit danach auf 40 000 € festge-
setzt.
Bardenhewer Hahn Graulich