Urteil des BVerwG vom 15.12.1997

BVerwG: verbot der diskriminierung, teilzeitbeschäftigung, transparenz, vergleich, besoldung, verordnung, beamter, gemeinschaftsrecht, stundenlohn, einheit

Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3,
Art. 74 Abs. 1 Nr. 27, Art. 125a Abs. 1
Richtlinie 97/91/EG des
Rates vom 15. Dezember 1997
§ 4
AGG
§ 2 Abs. 1 Nr. 1
BBesG
§ 1 Abs. 2 Nr. 4, § 6 Abs. 1
LBG (BW)
§ 153i
Lehrkräftezulagenverordnung (BW)
§ 1 Abs. 1
Stichworte:
Fortgeltendes Bundesrecht; Grundgesetzänderung; Föderalismusreform I; Re-
visibilität von Landesbeamtenrecht; Besoldung; Alimentation; Teilzeitbeschäfti-
gung; Diskriminierungsverbot; Stellenzulage; pädagogische Beraterin; Fachbe-
raterzulage; Einheit der Dienstbezüge; Kürzungsregelung; Arbeitsbedingungen;
gleiches Entgelt; Gesamtbetrachtung der Dienstbezüge; Transparenz; Gemein-
schaftsrecht; Pro-rata-temporis-Grundsatz.
Leitsätze:
Das Bundesbesoldungsgesetz in der bis zum 31. August 2006 geltenden Fas-
sung gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort, solange es
nicht durch Landesrecht ersetzt ist.
Ob eine Besoldung bei Teilzeitbeschäftigung gemeinschaftsrechtliche oder na-
tionale Diskriminierungsverbote verletzt, ist auf der Grundlage eines Gesamt-
vergleichs der Vor- und Nachteile vorzunehmen, wenn die Transparenz der ein-
zelnen Entgeltparameter gewahrt ist (im Anschluss an Urteil vom 23. Septem-
ber 2004 - BVerwG 2 C 61.03 - BVerwGE 122, 65 = Buchholz 240 § 6 BBesG
Nr. 23).
Urteil des 2. Senats vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 2 C 82.08
I. VG Freiburg vom 04.05.2005 - Az.: VG 7 K 742/05 -
II. VGH Mannheim vom 10.04.2008 - Az.: VGH 4 S 1387/06 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 82.08
VGH 4 S 1387/06
Verkündet
am 29. Oktober 2009
Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister
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für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 10. April 2008 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Freiburg vom 4. Mai 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und Revisi-
onsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin steht als Sonderschullehrerin im Dienst des Beklagten. Sie war ab
September 1998 mit 18/27 Wochenstunden und ist seit September 2003 mit
18/26 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt. Im September 2000 wurde sie vom
Beklagten zur pädagogischen Beraterin für Sprachbehindertenpädagogik be-
stellt. Der damit verbundene Arbeitsaufwand unterscheidet sich nicht von dem
vollzeitbeschäftigter Beamter in derselben Funktion. Die der Klägerin für die
Beratertätigkeit zustehende Stellenzulage wird vom Beklagten entsprechend
dem Verhältnis von Teil- und Vollzeitbeschäftigung als Sonderschullehrerin ge-
kürzt. Für die Tätigkeit als pädagogische Beraterin erhält die Klägerin nach ei-
nem für Teil- wie Vollzeitbeschäftigte gleichermaßen geltenden Schlüssel eine
Anrechnung auf ihr Unterrichtsdeputat. Er führt bei ihr zu einer Verringerung um
drei Unterrichtsstunden wöchentlich ohne dass damit eine Reduzierung ihrer
Dienstbezüge verbunden wäre, die 18/26 übersteigt.
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Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch gegen die Kür-
zung der Zulage erhobene Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr im We-
sentlichen mit folgender Begründung stattgegeben:
Der Klägerin stehe ab April 2003 ein Anspruch auf Gewährung einer ungekürz-
ten Stellenzulage nach der Lehrkräftezulagenverordnung zu. Die Zulage gehöre
zwar zu den Dienstbezügen nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 BBesG; fehle einem be-
stimmten Besoldungsbestandteil unter Berücksichtigung seiner besonderen
Zweckbestimmung und Ausgestaltung jedoch der wechselseitige Bezug zum
Beschäftigungsumfang, werde er von § 6 Abs. 1 BBesG nicht erfasst. Dies sei
bei der Fachberaterzulage der Fall. Allein diese Auslegung vermeide auch ei-
nen Verstoß gegen § 153i LBG (BW) sowie gegen den gemeinschaftsrechtli-
chen Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit bei Männern und Frau-
en und gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er
einen Verstoß gegen § 6 Abs. 1 BBesG rügt. Er beantragt,
das
Urteil
des
Verwaltungsgerichtshofs
Baden-
Württemberg vom 10. April 2008 aufzuheben und die Be-
rufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richts Freiburg vom 4. Mai 2005 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hätte die
Berufung der Klägerin zurückweisen müssen; denn die Klägerin hat als teilzeit-
beschäftigte Lehrerin keinen Anspruch auf ungekürzte Zahlung der Fachbera-
terzulage.
Ausgangspunkt der Prüfung ist § 6 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 4 des Bundes-
besoldungsgesetzes (BBesG) in der bis zum 31. August 2006 geltenden Fas-
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sung. Das Bundesbesoldungsgesetz gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als
Bundesrecht fort, solange es nicht durch Landesrecht ersetzt ist. Das Land
Baden-Württemberg hat seit 1. September 2006 einzelne Vorschriften seines
Landesbesoldungsgesetzes in der Fassung vom 12. Dezember 1999 (GBl 2000
S. 2) geändert. Es hat das Bundesbesoldungsgesetz aber bisher nicht im Sinne
des Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG „ersetzt“, d.h. sein Besoldungsrecht erkennbar
in eigener Verantwortung geregelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 - 1 BvR
636/02 - BVerfGE 111, 10 <30>).
1. Der Klägerin steht dem Grunde nach die Stellenzulage gemäß § 1 Abs. 1 der
Verordnung der Landesregierung über Zulagen für Lehrkräfte mit besonderen
Funktionen - Lehrkräftezulagenverordnung - vom 24. April 1995 (GBl. S. 328) in
der Fassung vom 11. Dezember 2007 (GBl. S. 538, 540) zu, weil sie als Lehre-
rin dauerhaft die in der Anlage zu § 1, Nr. 2 der Verordnung aufgeführte Funkti-
on einer Fachberaterin wahrnimmt.
Anders als vom Verwaltungsgerichtshof angenommen, fällt die Fachberaterzu-
lage in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 BBesG. Diese Vorschrift ist ver-
fassungsrechtlich unbedenklich, weil sie eine Kürzung vorsieht, die der Verrin-
gerung der Arbeitszeit entspricht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2008
- 2 BvL 6/07 - BVerfGE 121, 241 <258>). Gemeinschaftsrechtlich entspricht sie
dem Pro-rata-temporis-Grundsatz nach § 4 Nr. 2 des Anhangs zu der Richtlinie
97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 (ABl EG Nr. L 14 S. 9, vgl. Urteil
vom 26. März 2009 - BVerwG 2 C 12.08 - ZBR 2009, 306 = juris Rn. 13).
Die Fachberaterzulage gehört gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 BBesG zu den Dienstbe-
zügen. § 6 Abs. 1 BBesG knüpft an diese Legaldefinition an und regelt, dass
bei Teilzeitbeschäftigung die Dienstbezüge im gleichen Verhältnis wie die Ar-
beitszeit gekürzt werden. Der Wortlaut, dem namentlich im Besoldungsrecht
eine besondere Bedeutung zukommt (§ 2 Abs. 1 BBesG, siehe auch Urteil
vom 21. Juni 2007 - BVerwG 2 C 17.06 - Buchholz 240 § 57 BBesG Nr. 4), ist
eindeutig und lässt für eine einschränkende Auslegung, wie sie der Verwal-
tungsgerichtshof vorgenommen hat, keinen Raum. Dass der Anspruch auf die
Fachberaterzulage unabhängig vom konkreten Arbeits- und Zeitaufwand be-
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steht, ändert daran nichts. § 78 BBesG, der die gesetzliche Grundlage für die
Funktionszulage bildete, enthält auch keine Ermächtigung des Verordnungsge-
bers, bestimmte Zulagen aus dem Anwendungsbereich des Proportionalitäts-
grundsatzes etwa wegen ihrer Zweckbestimmung herauszunehmen (Urteile
vom 21. Juni 2007 a.a.O. und vom 26. März 2009 a.a.O Rn. 12).
2. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar, § 144
Abs. 4 VwGO. Die Kürzung verstößt insbesondere nicht gegen § 153i Halbs. 2
LBG (BW), § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG und auch nicht
gegen Gemeinschaftsrecht. Denn die Klägerin wird im Ergebnis sogar besser-
gestellt als eine vergleichbare Lehrkraft in Vollzeit.
Die Klägerin erhält zwar eine gekürzte Zulage, obwohl sie nach den tatrichterli-
chen Feststellungen als Fachberaterin unabhängig von der Größe ihres Unter-
richtsstundendeputats Leistungen in einem Umfang wie vollzeitbeschäftigte
Lehrkräfte erbringt; der Dienstherr reduziert dafür jedoch ihr Unterrichtsdeputat
nach einem auch für Vollzeitbeschäftigte geltenden Schlüssel, sodass schon
hinsichtlich der Arbeitsbedingungen keine unterschiedliche Behandlung von
Voll- und Teilzeitbeschäftigten vorliegt. Die Ermäßigung des Unterrichtsdepu-
tats um drei Stunden wöchentlich nach diesem Schlüssel führt dazu, dass die
Klägerin gemessen am Unterrichtsdeputat vollzeitbeschäftigter Beamter be-
günstigt wird. Während die wöchentliche Stundenreduzierung bei vollzeitbe-
schäftigten Beamten mit einer Regelstundenzahl von 26 Stunden bei drei Un-
terrichtsstunden 11,54 % beträgt, beträgt sie bei der mit 18 Stunden teilzeitbe-
schäftigten Klägerin 16,67 %. Sie kommt damit in den Genuss eines Stunden-
ausgleichs, der etwa 5 % über dem ihrer in Vollzeit beschäftigten Kollegen liegt.
Ihr „Stundenlohn“ erhöht sich im Vergleich zum „Stundenlohn“ von Vollzeitbe-
schäftigten damit in einem Ausmaß, das die Kürzung bei der Funktionszulage
- um zuletzt 11,94 € monatlich - mehr als kompensiert und eine Benachteiligung
somit auch hinsichtlich des Entgelts ausschließt.
Die Einbeziehung auch kompensatorischer Maßnahmen und sämtlicher Besol-
dungsbestandteile entspricht dem Grundsatz der Einheit der Dienstbezüge (§ 1
Abs. 2 BBesG) und der Rechtsprechung des Senats zu § 88b LBG Schleswig-
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Holstein a.F. Danach liegt eine gleichheitswidrige Benachteiligung dann nicht
vor, wenn Belastungen durch entsprechende Entlastungen ganz oder nahezu
vollständig ausgeglichen werden. Ungleich belastend oder diskriminierend kann
nur der Teil der dienstlichen Beanspruchung sein, bei dem ein solcher Aus-
gleich nicht möglich ist. Der Gleichheitssatz erfasst nur den Saldo aus Mehrbe-
lastung und Entlastung (Urteil vom 23. September 2004 - BVerwG 2 C 61.03 -
BVerwGE 122, 65 <73 f.> = Buchholz 240 § 6 BBesG Nr. 23 S. 9 f.; zum Aus-
gleichsgedanken auch: Urteile vom 28. November 2002 - BVerwG 2 CN 1.01 -
BVerwGE 117, 219 <226> = Buchholz 237.6 § 80 NdsLBG Nr. 3 und vom
25. Oktober 2007 - BVerwG 2 C 16.06 - Buchholz 237.3 § 71b BrLBG Nr. 1
Rn. 16 f.). Eine solche Gesamtbetrachtung steht auch mit der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs in Einklang. Die von ihm grundsätzlich verlang-
te Betrachtung jedes einzelnen Entgeltbestandteils gründet in dem Erfordernis
einer hinreichenden Transparenz und in der Befürchtung, die praktische Wirk-
samkeit der maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte würde gemin-
dert, wenn die Gerichte verpflichtet wären, die Gesamtheit der verschiedenen
gewährten Vergütungen zu bewerten und miteinander zu vergleichen (EuGH,
Urteile vom 17. Mai 1990 - Rs. C-262/88 - NJW 1991, 2204 Rn. 34, vom
26. Juni 2001 - Rs. C-381/99 - juris Rn. 35 und vom 27. Mai 2004 - Rs.
C-285/02 - NVwZ 2004, 1103 <1104>). Die vom Europäischen Gerichtshof be-
fürchteten Schwierigkeiten dieser Art bestehen angesichts der transparenten
Regelungen im Bundesbesoldungsgesetz hier jedoch nicht. Die der teilzeitbe-
schäftigten Klägerin gezahlten Bezüge für die von ihr zu leistenden Unter-
richtswochenstunden und die Fachberaterzulage lassen sich jeweils gesondert
mit den entsprechenden Bezügen vollzeitbeschäftigter Lehrer vergleichen. Aus
diesem Vergleich ergibt sich der dargelegte Besoldungsvorteil zugunsten der
Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Herbert Groepper Dr. Heitz
Thomsen Dr. Burmeister
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