Urteil des BVerwG vom 16.10.2002

BVerwG (beschwerde, zulassung, beurteilung, anlage, entfernung, bundesverwaltungsgericht, windkraftanlage, begründung, kritik, aufgabe)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 7.03
VGH 8 S 737/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des Ver-
waltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
16. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen, die diese selbst
trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 225 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ge-
stützte Beschwerde ist unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbrin-
gen ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision
rechtfertigen könnte.
1. a) Wegen der "Frage der rechtlichen Beurteilung der Errich-
tung von Windkraftwerken" kommt eine Zulassung der Revision
schon deshalb nicht in Betracht, weil mit dieser allgemeinen
Formulierung keine klärungsfähige Rechtsfrage aufgeworfen
wird. Den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
ist nur dann genügt, wenn eine konkrete Rechtsfrage formuliert
wird. Das Gegenteil ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss
des Berufungsgerichts vom 3. Februar 2000, durch den die Beru-
fung zugelassen worden ist, "da die Frage der rechtlichen Be-
urteilung der Errichtung von Windkraftwerken grundsätzliche
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Bedeutung" habe. Denn diese Begründung kann nicht isoliert ge-
lesen werden; sie bezieht sich auf den Zulassungsantrag und
damit auf den in ihm enthaltenen sehr konkreten Vortrag zum
Verhältnis zwischen § 8 Abs. 3 BNatSchG und § 11 Abs. 3
NatSchG BW, das rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig sei.
b) Ob die in der Beschwerdebegründung formulierten Fragen zur
Verunstaltung des Landschaftsbildes den Darlegungsanforderun-
gen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügen, kann offen bleiben.
Sie rechtfertigen jedenfalls deshalb die Zulassung der Revisi-
on nicht, weil sie keinen grundsätzlichen Charakter haben,
sondern die konkrete Rechtsanwendung durch das Berufungsge-
richt betreffen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist
rechtsgrundsätzlich geklärt, dass eine Verunstaltung im Sinne
von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB voraussetzt, dass das Bau-
vorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hin-
sicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische
Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird
(BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1990 – BVerwG 4 C 6.87 – (NVwZ
1991, 64 = ZfBR 1990, 293); Urteil vom 15. Mai 1997 – BVerwG
4 C 23.95 - ZfBR 1997, 322). Dieser Grundsatz gilt auch gegen-
über im Außenbereich privilegierten Vorhaben; er gilt auch für
Windkraftanlagen. Zwar sind diese Anlagen durch § 35 Abs. 1
Nr. 6 BauGB grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesen. Eine
Entscheidung über den konkreten Standort hat der Gesetzgeber
jedoch nicht getroffen. Ihre Zulässigkeit steht deshalb unter
dem Vorbehalt, dass die jeweilige Anlage das Orts- und Land-
schaftsbild im Einzelfall nicht verunstaltet. Ob die Schwelle
zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten
Umständen der jeweiligen Situation ab (BVerwG, Beschluss vom
15. Oktober 2001 – BVerwG 4 B 69.01 - BRS 64 Nr. 100).
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In Übereinstimmung mit dem OVG Bautzen (Urteil vom 18. Mai
2000 – 1 B 29/98 - NuR 2002, 162) hat das Berufungsgericht
darüber hinaus angenommen, dass eine Verunstaltung des Land-
schaftsbildes nur in Ausnahmefällen anzunehmen sei, nämlich
wenn es sich um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion beson-
ders schutzwürdige Umgebung oder um einen besonders groben
Eingriff in das Landschaftsbild handelt. Weitergehende allge-
meine Rechtssätze dürften sich kaum formulieren lassen. Zumin-
dest die in der Beschwerde angesprochenen Fragen lassen sich
nicht verallgemeinernd klären. So ist zwar nicht zweifelhaft,
dass auch ein nicht unter förmlichen Naturschutz gestelltes
Gebiet durch Windenergieanlagen verunstaltet werden kann; wann
dies der Fall ist, hängt jedoch von einer wertenden Betrach-
tung des jeweiligen Gebiets ab. Ob eine Landschaft durch tech-
nische Einrichtungen und Bauten bereits so vorbelastet ist,
dass eine Windkraftanlage sie nicht mehr verunstalten kann,
ist ebenfalls eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Die Be-
schwerde weist ferner zwar zutreffend darauf hin, dass die
technische Neuartigkeit einer Anlage und die dadurch bedingte
optische Gewöhnungsbedürftigkeit allein nicht geeignet ist,
das Orts- oder Landschaftsbild zu beeinträchtigen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1983 – BVerwG 4 C 18.81 -
BVerwGE 67, 23 <33>). Dies hat aber auch das Berufungsgericht
angenommen. Zu Recht hat es die Verunstaltung auch nicht al-
lein daraus abgeleitet, dass Windkraftanlagen angesichts ihrer
Größe markant in Erscheinung treten. In welcher Entfernung ei-
ne Windkraftanlage nicht mehr verunstaltend wirken kann, lässt
sich ebenfalls nicht abstrakt festlegen.
2. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsurteil
weiche im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 1990 – BVerwG 4 C
6.87 - (NVwZ 1991, 64 = ZfBR 1990, 293) ab, ist sie unzuläs-
sig, weil es ihr nicht gelingt und angesichts der Begründung
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des Berufungsgerichts auch nicht gelingen kann, einen von die-
ser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden
Rechtsgrundsatz im Berufungsurteil darzulegen. Das Berufungs-
gericht geht nämlich ausdrücklich von der Definition der Ver-
unstaltung durch das Bundesverwaltungsgericht und damit auch
davon aus, dass die Windkraftanlage nur dann unzulässig sein
kann, wenn sie dem Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht
"grob" unangemessen ist. Zwar wird das Wort "grob" bei der
Subsumtion des Sachverhalts unter den Rechtsbegriff der Verun-
staltung nicht erneut ausdrücklich zitiert; der Sache nach
nimmt das Berufungsgericht jedoch an, dass hier ein grobes
Missverhältnis zwischen der streitigen Anlage und dem Land-
schaftsbild besteht.
3. a) Als Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter
rügt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht die Revision
nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe, obwohl
es selbst die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuge-
lassen hatte. Damit kann sie keinen Erfolg haben. Auch wenn
der Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
grundsätzlich dem Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO entspricht, besteht doch schon bei generalisieren-
der Betrachtung keine Notwendigkeit, nach Zulassung der Beru-
fung jeweils auch die Revision zuzulassen; die Zulassung der
Revision erfordert immer eine neue, eigenständige Prüfung. Im
vorliegenden Fall war die Berufung, wie bereits ausgeführt
ist, insbesondere wegen der Anwendung des § 8 Abs. 3 BNatSchG
(a.F.) bei der Zulassung von Windenergieanlagen zugelassen
worden. Wegen dieser Fragen hat inzwischen sogar bereits ein
Revisionsverfahren stattgefunden. Weshalb das Berufungsgericht
nach Zurückverweisung der Sache erneut die Revision zulassen
sollte, ist nicht erkennbar; auch die Beschwerde nennt keinen
materiellen Grund hierfür.
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b) Aus dem Vortrag der Beschwerde, das Berufungsgericht habe
aktenwidrig angenommen, dass die projektierten Windenergiean-
lagen aus der Tallage ebenso zu sehen oder auch nicht zu sehen
wären wie die bereits vorhandenen Windpark-Anlagen B. und S.,
ergibt sich der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht.
Die Beschwerde bezieht sich mit ihrem Vorwurf der Aktenwidrig-
keit allein auf die bei den Behördenakten befindlichen Sicht-
barkeitsstudien. Die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren
vorgelegte Sichtbarkeitsstudie (Ordnungsnummer "zu 31") ent-
hält für dieses Problem jedoch überhaupt keine verwertbaren
Aussagen. Zwar sind in ihr mehrere Ansichten auf die von der
Klägerin geplanten Anlagen durch Beschreibungen und Fotomonta-
gen dokumentiert; die im Ortstermin als vorhanden festgestell-
ten Anlagen B. und S. sind jedoch in der Studie nicht erkenn-
bar.
Dagegen ergibt sich aus dem Protokoll über die Ortsbesichti-
gung in der Tat nicht, dass das Berufungsgericht die Örtlich-
keit auch aus der Tallage in Augenschein genommen hat. Dazu
bestand jedoch auch kein Anlass. Denn für ein Berufungsge-
richt, das seit Jahrzehnten im Umgang mit Bauzeichnungen,
Landkarten und sonstigen Bauakten erfahren ist, musste sich
auch ohne eine derartige Ortsbesichtigung auf der Grundlage
der durchgeführten Besichtigung und der von der Klägerin
selbst mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2002 vorgelegten Karte
der Schluss aufdrängen, dass aus dem Tal heraus - zumindest
von einzelnen Standorten aus gesehen - nur die nahen Wind-
kraftanlagen der Klägerin zu sehen sein würden. Weshalb dies
hier anders sein sollte, legt die Beschwerde nicht substanti-
iert dar.
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Darüber hinaus kam es dem Berufungsgericht auf die fehlende
Sichtbarkeit der bereits vorhandenen Anlagen B. und S. aus der
Tallage nicht entscheidungstragend an. Wesentlich war für das
Berufungsgericht, dass diese Anlagen fast die fünffache Ent-
fernung zum Naturschutzgebiet "K. F." aufwiesen und deshalb
optisch kaum in Erscheinung träten, während das Landschafts-
bild "eindeutig" von den Windkraftanlagen der Klägerin domi-
niert würde (BU S. 9). Die - in Parenthese gesetzte - Bemer-
kung, dass diese Windparks aus der Tallage nicht sichtbar sei-
en, hat keine selbständige Bedeutung, sondern rundet die Beur-
teilung durch das Berufungsgericht nur ab.
c) Unbegründet ist die Rüge, das Berufungsgericht hätte die
Beweisanträge der Nummern 2 bis 4 nicht ablehnen dürfen. Wie
die Beschwerde vorträgt, hat das Berufungsgericht die bean-
tragten Augenscheinseinnahmen mit der Begründung abgelehnt,
die Beweisanträge würden als wahr unterstellt. In einem sol-
chen Fall braucht das Gericht den beantragten Beweis nicht zu
erheben. Es muss dann allerdings in seiner Entscheidung auch
von den als wahr unterstellten Tatsachen ausgehen. Die Be-
schwerde wirft dem Berufungsgericht vor, dies nicht getan zu
haben. Tatsächlich wendet sie sich jedoch nur gegen die Würdi-
gung der Ergebnisse der (unterstellten) Augenscheinseinnahme.
So sieht sie beispielsweise zu Unrecht einen Widerspruch da-
rin, dass das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht un-
terstellt, der Windpark B. sei in einer Entfernung von 7,3 km
gut erkennbar, es dann jedoch die Wertung trifft, der Windpark
trete - im Vergleich mit der Anlage der Klägerin in 1,5 km
Entfernung - optisch kaum in Erscheinung. Eine solche Wertung
ist möglich. Es ist die Aufgabe des Berufungsgerichts, eine
eigene Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse vorzunehmen,
wenn sich die Prozessbeteiligten in ihrer Bewertung nicht ei-
nig sind.
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Nicht nachvollziehbar ist die Kritik der Beschwerde, das Beru-
fungsgericht hätte die in den Beweisanträgen aufgeführten Um-
stände im Urteil nicht als unerheblich bezeichnen dürfen,
nachdem die Beweisanträge zuvor im Wege der Wahrunterstellung
abgelehnt worden seien. Lehnt ein Gericht einen Beweisantrag
ab, weil es die in ihm enthaltenen Tatsachenbehauptungen als
wahr unterstellt, so bedeutet dies nur, dass es – zugunsten
des Antragstellers – von der Richtigkeit der behaupteten Tat-
sachen ausgeht, nicht jedoch, dass es auch die vom Antragstel-
ler aus ihnen gezogenen rechtlichen Schlüsse notwendigerweise
billigt. Insoweit kann die Wahrunterstellung gerade auf der
rechtlichen Beurteilung beruhen, dass die behauptete Tatsache
für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung sei. Da
dies auch der anwaltlich vertretenen Klägerin klar sein muss-
te, ist nicht erkennbar, womit das Berufungsgericht gegen den
Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen haben sollte.
d) Keine Verfahrensrüge, sondern eine Kritik an der materiell-
rechtlichen Entscheidung des Berufungsgerichts enthält die Rü-
ge, das Berufungsgericht habe gegen die Bindungswirkung der
Revisionsentscheidung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO verstoßen. Der
Senat hatte in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2001
– BVerwG 4 C 3.01 - (ZfBR 2002, 360) ausgeführt, es bedürfe
der tatrichterlichen Würdigung, ob öffentliche Belange der Zu-
lassung dieses grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesenen
Vorhabens entgegenständen. Unter anderem könne es darauf an-
kommen, ob die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes den Grad
der Verunstaltung erreiche. Hierfür bedürfe es einer eigenen
umfassenden Abwägung durch das Berufungsgericht. Dieser Aufga-
be hat sich das Berufungsgericht unterzogen. Es hat eine (er-
neute) Ortsbesichtigung durchgeführt und sodann geprüft, ob an
dem von der Klägerin vorgesehenen Standort der im Außenbereich
bevorrechtigt zulässigen Windenergie oder dem Schutz des Land-
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schaftsbildes der Vorrang gebührt. Eine solche Prüfung ist ge-
meint, wenn im Revisionsurteil von einer - die in § 35 Abs. 1
Nr. 6 BauGB enthaltene Wertung des Gesetzgebers nachvollzie-
henden - Abwägung die Rede ist. Ein Verstoß gegen § 144 Abs. 6
VwGO liegt nicht vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162
Abs. 3 VwGO. Es erscheint nicht billig, die Klägerin auch mit
den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerde-
verfahren zu belasten. Zwar hat sie bereits den Antrag ge-
stellt, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Förderung des Ver-
fahrens liegt darin jedoch noch nicht. Zudem hatte sie der Se-
nat auch noch nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert (vgl.
dazu auch BVerwG, Beschluss vom 31. Oktober 2000 – BVerwG
4 KSt 2.00 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 36). Den Wert des
Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Paetow
Lemmel