Urteil des BVerwG vom 05.06.2013

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BVerwG 5 C 7.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 C 7.13
OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 27.05.2011 - AZ: OVG 12 A 2561/09
In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und Dr. Fleuß
beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 5 C 23.11 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.
Gründe
1 Die Anhörungsrüge ist teilweise unzulässig und teilweise unbegründet. Der Senat hat den
Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§
152a Abs. 1 VwGO).
2 1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur
Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt
aber nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen einer gerichtlichen
Entscheidung ausdrücklich beschieden wird. Es ist daher verfehlt, aus der Nichterwähnung
einzelner Begründungsteile der Revisionsbegründung in den gerichtlichen
Entscheidungsgründen zu schließen, das Gericht habe sich mit den darin enthaltenen
Argumenten nicht befasst (stRspr, vgl. Beschluss vom 5. August 2010 - BVerwG 5 B 10.10 - juris
Rn. 2; BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392
f.>). Nur wenn im Einzelfall besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen, dass dies
nicht der Fall ist, wird der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (stRspr, vgl. etwa
Beschluss vom 18. Dezember 2008 - BVerwG 6 B 70.08 - juris sowie BVerfG, u.a. Beschluss
vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>).
3 2. Im vorliegenden Fall liegen diese Voraussetzungen nicht vor oder werden nicht einmal im
Sinne von § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO dargelegt. Die Rügeschrift (RS) macht im Wesentlichen
geltend,
dass der Senat eine vorgetragene und aktenkundige frühere Antragstellung vom 10. Februar
2006 übergangen habe (RS S. 1 - 3),
dass der Senat die für die Erfüllung der Spätaussiedlereigenschaft sprechenden und vom
Oberverwaltungsgericht festgestellten Umstände nicht ausreichend berücksichtigt habe und zu
Unrecht vom Erfordernis einer zeitnahen Antragstellung ausgegangen sei (RS S. 4 - 10),
dass er durch das Abstellen auf eine „Ausschlussfrist“ eine unzulässige
Überraschungsentscheidung getroffen habe (RS S. 10 - 12) und
dass der Senat durch eine nicht nachvollziehbare Begründung dieses entscheidungstragenden
Gesichtspunkts das rechtliche Gehör verletzt habe (RS S. 12 - 13).
4 Nicht ausreichend dargelegt wird ein Gehörsverstoß, soweit die Klägerin den vom Senat im
Urteil vom 13. Dezember 2012 aufgestellten Grundsatz in Zweifel zieht, dass der Antrag auf
Aufnahme als Spätaussiedler auch in den von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG erfassten Härtefällen in
zeitlichem Zusammenhang mit der Spätaussiedlung gestellt werden muss. Insoweit erschöpft
sich die Rügeschrift in einer rein materiell-rechtlichen Kritik der Urteilsgründe (RS S. 4 - 10).
Auch soweit die Klägerin eine mangelnde Befassung mit den Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts zum Vorliegen der materiell-rechtlichen Spätaussiedlereigenschaft
beanstandet, wird kein Gehörsverstoß dargetan. Es wird weder die mangelnde Berücksichtigung
eigenen Sachvortrags geltend gemacht noch die Entscheidungserheblichkeit der
diesbezüglichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts aufgezeigt. Es wird insbesondere
nicht erläutert, weshalb es auf das Vorliegen der materiell-rechtlichen
Spätaussiedlervoraussetzungen ankommen soll, wenn das Rechtsmittel nach der
Rechtsauffassung des Senats schon wegen des formellen Kriteriums der zeitlichen Verspätung
des Aufnahmeantrags keinen Erfolg haben kann.
5 An der erforderlichen Darlegung eines Gehörsverstoßes fehlt es auch bei der abschließenden
Bewertung der Rügeschrift, dass das vom Senat festgestellte Erfordernis eines zeitlichen
Zusammenhangs von Aussiedlung und Antragstellung „nicht nachvollziehbar“ sei bzw. „eine
willkürliche Grenze von 4 Jahren“ (RS S. 12 f.) enthalte. Damit wird allenfalls ein Verstoß gegen
Art. 3 Abs. 1 GG behauptet, nicht aber der im Rahmen der Gehörsrüge allein rügefähige Verstoß
gegen Art. 103 Abs. 1 GG dargetan.
6 Soweit die Klägerin den Vorwurf einer Überraschungsentscheidung erhebt, wird das
Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG zwar angesprochen. Eine unzulässige
Überraschungsentscheidung liegt aber nur vor, wenn ein Gericht seine Entscheidung auf
Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützen will, mit
denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen
Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen -
nicht zu rechnen brauchte (Beschlüsse vom 21. September 2011 - BVerwG 5 B 11.11 - juris Rn.
3 und vom 29. Juli 2004 - BVerwG 9 B 23.04 - juris Rn. 3 m.w.N.). So liegen die Dinge hier
jedoch nicht. Der Senat hat bereits die Revision der Beklagten mit Beschluss vom 1. Dezember
2011 (BVerwG 5 B 43.11) wegen der Frage zugelassen, ob die Erteilung eines
Aufnahmebescheids nach §§ 26, 27 Abs. 2 BVFG davon abhängig gemacht werden kann, dass
der Aufnahmeantrag in einem hinreichenden zeitlichen Zusammenhang mit der Begründung des
ständigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland gestellt wird. Dementsprechend hat
die Beklagte ihre Revisionsbegründung vom 10. Januar 2012 ganz wesentlich darauf gestützt,
dass der Aufnahmeantrag nicht zeitnah zur Aussiedlung gestellt worden und dass in ihren
Verwaltungsvorschriften ein zeitlicher Rahmen von einem Jahr vorgesehen sei. Da diese
Rechtsfrage auch im Zentrum der mündlichen Verhandlung des Senats vom 13. Dezember 2012
stand, konnte es die Klägerin nicht überraschen, dass ihr mehr als 4 Jahre nach Aussiedlung
gestellter Antrag am Kriterium des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs scheitern könnte.
7 Schließlich liegt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht darin, dass der Senat im
Urteil vom 13. Dezember 2012 von einer Antragstellung am 4. Juni 2007 ausgegangen ist. Zum
einen hat die Klägerin während des Revisionsverfahrens nicht vorgetragen, der Antrag sei
bereits früher gestellt worden. Es fehlt daher bereits an der für Art. 103 Abs. 1 GG wesentlichen
Nichtberücksichtigung von Parteivorbringen. Zum anderen ist auch die Erwartung der Klägerin
unberechtigt, dass im Revisionsverfahren von Amts wegen oder auf Grund vorinstanzlichen
Vorbringens auf ein früheres Datum abgestellt wird. Denn das Bundesverwaltungsgericht ist
nach § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen
tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Oberverwaltungsgericht hat im Berufungsurteil
ausdrücklich festgestellt, dass der Antrag „am 4. Juni 2007“ bzw. „rund 4 1/2 Jahre nach
Wohnsitzaufgabe (Ende 2002)“ gestellt worden ist (UA S. 5, 28). Es hat damit erkennbar dem
Schreiben vom 10. Februar 2006, mit dem nach Angaben der Klägerin im Wesentlichen nur das
Antragsformular angefordert worden ist, noch keine verfahrenseinleitende Bedeutung
beigemessen. Da diese Wertung jedenfalls nicht evident und zweifelsfrei fehlerhaft ist, kann die
tatrichterliche Feststellung des Antragsdatums auch nicht - wie die Klägerin meint - als eindeutig
aktenwidrig angesehen und vom Revisionsgericht korrigiert werden (vgl. Beschlüsse vom 6.
April 2009 - BVerwG 6 B 73.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 60 Rn. 4 und vom 23.
Dezember 2011 - BVerwG 5 B 24.11 - juris Rn. 3).
8 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es
nicht, weil sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum
Gerichtskostengesetz ergibt.
Vormeier
Dr. Häußler
Dr. Fleuß