Urteil des BVerwG vom 04.09.2007

BVerwG: daten, befragung, vergnügungssteuer, verfügung, gemeinde, durchschnitt, hauptsache, unternehmer, sachverständiger, aufklärungspflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 10.07 (10 B 61.06)
OVG 13 LC 450/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und Prof. Dr. Rubel
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 29. Juni 2006 wird aufgehoben. Der Rechts-
streit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache
bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Ent-
scheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens
folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Haupt-
sache.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerde-
verfahren auf 2 448 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Klägerin hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass auf ihre Verfah-
rensrüge das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren
Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwie-
sen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
Die von der Beschwerde erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO)
führt nicht zur Zulassung der Revision. Die angegriffene Entscheidung weicht
zwar von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil
vom 13. April 2005 (BVerwG 10 C 5.04 - BVerwGE 123, 218) ab. Nach Auffas-
sung des Berufungsgerichts sei eine Bemessung der Steuer nach den konkre-
ten Aufwendungen des Spielers nicht möglich; die Höhe der jeweiligen Umsätze
besage zu dem Umfang der Beteiligung des einzelnen Spielers nichts. Deshalb
könne die Vergnügungssteuer nur nach einem einheitlichen Pauschalsatz
(„Stückzahlmaßstab“) erhoben werden (UA S. 13 f.). Demgegenüber hat das
Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Stückzahlmaßstab nur ange-
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wandt werden könne, wenn der Durchschnitt der Einspielergebnisse der in einer
Gemeinde aufgestellten Gewinnspielautomaten nicht mehr als 25 % unter- oder
überschritten werde. Ein an die Einspielergebnisse der Geräte anknüpfender
Steuermaßstab bilde letztlich den zu besteuernden Vergnügungsaufwand der
Spieler ungleich wirklichkeitsnäher ab als der pauschale Stückzahlmaßstab (Ur-
teil vom 13. April 2005 - BVerwG 10 C 5.04 - a.a.O. S. 225).
Allerdings kann nicht festgestellt werden, ob die Entscheidung im Ergebnis auf
der Divergenz beruht. Denn das Berufungsgericht hat die Entscheidung gleich-
zeitig selbständig tragend darauf gestützt, dass auch dann, wenn die Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt würde, für die Ab-
kehr vom Stückzahlmaßstab keine ausreichenden Tatsachen vorlägen. Die Be-
schwerde erhebt insoweit eine Aufklärungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO),
weil das Berufungsgericht es verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, die erfor-
derlichen Tatsachen durch ein Sachverständigengutachten aufzuklären. Da das
angegriffene Urteil zugleich auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann, der
auch im Fall der Revisionszulassung wegen Divergenz zur Zurückverweisung
der Sache an das Oberverwaltungsgericht zwingen würde, schließt der Zweck
der Divergenzrevision, die Wahrung der Rechtseinheit sicherzustellen, nicht
aus, dass der beschließende Senat im Interesse der Prozessökonomie von der
Ermächtigung zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch macht, § 133
Abs. 6 VwGO (vgl. Beschluss vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 -
Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15).
Die Klägerin rügt den Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung (§ 86
Abs. 1 VwGO), weil das Oberverwaltungsgericht kein Sachverständigengutach-
ten zur Klärung der auf das Gebiet der Beklagten bezogenen „Schwankungs-
breite“ der Einspielergebnisse eingeholt hat. Sie meint, entgegen der Auffas-
sung des Berufungsgerichts könne ein Sachverständiger anders als eine Ge-
meinde Daten und Zahlen anderer Automatenaufsteller erhalten. In einen
Sachverständigen bestünde mehr Vertrauen, dass die Daten und Zahlen ge-
heim blieben, als in die öffentliche Verwaltung. In einer mündlichen Verhand-
lung hätte der Bevollmächtigte „dem Berufungsgericht aus der Hand 20 Städte
nennen können, bei denen die Unternehmer einer Befragung durch die Verwal-
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tung nicht zugestimmt haben, wohl aber ihre Zahlen und Daten einem Sachver-
ständigen zur Verfügung gestellt haben“.
Das Berufungsgericht hat hilfsweise seine Entscheidung auf die - von ihm zuvor
abgelehnte - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom
13. April 2005 a.a.O. und - BVerwG 10 C 8.04 - Buchholz 401.68 Vergnügungs-
steuer Nr. 39) gestützt, dass der „Stückzahlmaßstab“ für die Vergnügungssteu-
er dann nicht mehr als Grundlage für die Steuerbemessung für Gewinnspielau-
tomaten geeignet sei, wenn deren „Einspielergebnisse“ um mehr als 50 % von
dem Durchschnitt der Einspielergebnisse aller Automaten im Satzungsgebiet
abwichen. Das Verwaltungsgericht habe das Vorliegen dieser Voraussetzungen
schlicht unterstellt, nicht aber festgestellt. Die Beklagte habe dazu mitgeteilt, sie
habe alle Betreiber von Gewinnspielautomaten in ihrem Stadtgebiet vergeblich
um Hergabe derartiger Daten gebeten. Auch die Klägerin habe solche nicht
hergegeben. Unter diesen Umständen sei die Feststellung eines „Satzungsge-
biets-Durchschnittseinspielergebnisses“ und damit auch des Vorhandenseins
von für die Annahme der Unzulässigkeit der Pauschalbesteuerung maßgebli-
chen Abweichungen nicht möglich. Die Umsatzzahlen der Klägerin allein ge-
nügten aus verschiedenen Gründen schon nicht den Anforderungen, die das
Bundesverwaltungsgericht an die Bildung eines Durchschnitts gestellt habe.
Dem Begehren der Klägerin, ein Sachverständigengutachten einzuholen, könne
nicht entsprochen werden. Einem Sachverständigen stünden keine anderen als
die von der Klägerin vorgelegten Umsatzzahlen zur Verfügung. Damit könne er
schon tatsächlich nicht in der Lage sein, die auf das Gebiet der Beklagten be-
zogene „Schwankungsbreiten“-Frage zu klären.
Damit hat das Berufungsgericht seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts
wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO). Ob sich dem Oberverwaltungsgericht
die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erlangung repräsentativer
Zahlen über die Einspielergebnisse der besteuerten Spielapparate im Stadtge-
biet aufdrängen musste, ist von seinem materiellrechtlichen Standpunkt aus zu
beurteilen (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2005 - BVerwG 10 CN 1.05 - Buchholz
401.68 Vergnügungssteuer Nr. 40 S. 56). Auszugehen ist hier somit von dem
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Rechtsstandpunkt, den das Berufungsgericht hilfsweise eingenommen hat,
dass nämlich auf die - zuvor abgelehnte - materiellrechtliche Rechtsauffassung
des Bundesverwaltungsgerichts abzustellen sei. Die dort aufgestellten Beweis-
regeln besagen u.a., dass dann, wenn die Gemeinde nicht über vorhandene
Zahlen zu den Einspielergebnissen verfüge, ein „Aufklärungsversuch“ stattfin-
den solle, um mittels eines Sachverständigengutachtens „mit dem Ziel einer
Datenerhebung durch Befragung bei den Unternehmen“ weiterzukommen. Von
diesem „Aufklärungsversuch“ könne nur dann abgesehen werden, wenn das
Gericht „begründet zu der Auffassung gelangt, dass nach den Umständen des
Einzelfalles eine solche Beweiserhebung keine verwertbaren Daten erwarten
lässt“ (so Urteil vom 13. April 2005 - BVerwG 10 C 8.04 - a.a.O. S. 52). Das
Berufungsgericht hat in seiner hilfsweisen Begründung hiervon abweichende
Rechtssätze nicht verlautbart. Von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend hätte
sich die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erlangung repräsen-
tativer Zahlen über die Einspielergebnisse der besteuerten Spielapparate im
Stadtgebiet aufdrängen müssen. Die Klägerin hatte nämlich mit Schriftsatz vom
18. Oktober 2005 die Einholung eines Sachverständigengutachtens sinngemäß
als Beweis dafür angeregt, dass die Schwankungsbreite der Einspielergebnisse
in einem relevanten Umfang von dem Durchschnitt der Einspielergebnisse
gleichartiger Automaten im Gemeindegebiet abweicht. Sie hatte ausdrücklich
darauf hingewiesen, „anhand von Daten anderer Unternehmer“ werde ein Sach-
verständiger in der Lage sein, diesen Beweis zu erbringen. Wenn das Beru-
fungsgericht dieser Beweisanregung mit der Begründung nicht folgt, „da auch
einem Sachverständigen andere als die von der Klägerin vorgelegten Umsatz-
zahlen nicht zur Verfügung“ stünden, könne der Sachverständige „schon tat-
sächlich nicht in der Lage sein“, die Beweisfrage zu klären (UA S. 16), ist dies
von dem materiellrechtlichen Standpunkt, den das Berufungsgericht hilfsweise
eingenommen hat, nicht nachvollziehbar.
Ein solches Gutachten hat es nicht eingeholt, weil dem Sachverständigen keine
andere Tatsachengrundlage zur Verfügung stehen könne, so dass er damit
schon tatsächlich nicht in der Lage sei, die auf das Gebiet der Beklagten bezo-
gene „Schwankungsbreiten“-Frage zu klären. Damit hat das Oberverwaltungs-
gericht nicht begründet, weshalb es durch die Einholung eines gerichtlichen
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Sachverständigengutachtens mit dem Ziel einer Datenerhebung durch Befra-
gung bei den Automatenaufstellern im Gebiet der Beklagten nicht zu weiterfüh-
renden aussagekräftigen Zahlenangaben über die Einspielergebnisse gelangen
könnte (zu dieser Möglichkeit vgl. Urteil vom 13. April 2005 - BVerwG 10 C
8.04 - a.a.O. S. 52). Es hat insbesondere nicht festgestellt, dass eine Befragung
anderer Automatenaufsteller durch einen Sachverständigen von vornherein
aussichtslos wäre. Erst wenn eine solche Beweiserhebung keine verwertbaren
Daten erwarten lässt, ist Raum für eine Entscheidung, zu wessen Lasten die
Nichtaufklärbarkeit geht.
Allerdings kann die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Beteiligten
die Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Gerichts herabsetzen. Die ge-
richtliche Aufklärungspflicht findet dort ihre Grenze, wo das Vorbringen der Be-
teiligten keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Aufklärung bietet (vgl. Urteil
vom 29. Juni 1999 - BVerwG 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174, 177 f.). Davon
kann jedoch hier nicht ausgegangen werden. Zwar hält das Berufungsgericht
die von der Klägerin für die eigenen Apparate vorgelegten Zahlen für ungenü-
gend, weil sie nach den vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen Anforde-
rungen das Überschreiten der noch zulässigen Schwankungsbreite der Ein-
spielergebnisse nicht hinreichend dargetan habe. Die Urteilsgründe lassen aber
nicht erkennen, dass dies der Klägerin als mangelnde Substantiierung ihres
Vortrags entgegengehalten worden wäre.
Ein Verwaltungsgericht verletzt seine Aufklärungspflicht auch dann nicht, wenn
ein anwaltlich vertretener Kläger die Einholung eines Sachverständigengutach-
tens nicht ausdrücklich beantragt hat (Beschluss vom 26. Juni 1975 - BVerwG
6 B 4.75 - Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 17 S. 9). Anträge in vorbereitenden
Schriftsätzen können insoweit nicht als wirksame Anträge behandelt, sondern
allenfalls als Beweisanregungen an das Gericht angesehen werden (Urteil vom
28. Mai 1965 - BVerwG 7 C 125.63 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 42).
Der Klägerin ist das jedoch nicht entgegenzuhalten, weil sie in der mündlichen
Verhandlung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war und deshalb von ihr
eine förmliche Antragstellung nicht erwartet werden konnte.
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Das Urteil kann auf dem hier beanstandeten Verfahrensmangel beruhen; denn
es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht, sofern es Beweis erho-
ben hätte, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Unter diesen Umständen erübrigt sich ein Eingehen auf die behaupteten Ver-
fahrensmängel der Gehörsverletzung und der Verletzung der Hinweispflicht.
Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47
Abs. 1 und 3 GKG.
Vallendar Prof. Dr. Rubel Buchberger
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