Urteil des BVerwG vom 20.10.2010

BVerwG (gemeinde, beiladung, berlin, ausbau, flugsicherung, gegenstand, flughafen, bundesverwaltungsgericht, ungewissheit, durchführung)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 A 4000.09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2010
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
als Berichterstatterin gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3 VwGO
beschlossen:
Der Beiladungsantrag der Gemeinde Stahnsdorf
(vertreten durch den Bürgermeister, Annastraße 3, 14532
Stahnsdorf; Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Hümmerich & Bischoff, Am Kanal 16 - 18, 14467
Potsdam) wird abgelehnt.
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G r ü n d e :
I
Die Gemeinde Stahnsdorf hat mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 beantragt,
sie gemäß § 65 Abs. 1 VwGO zum vorliegenden Verfahren beizuladen.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Anfechtungsklagen der
Klägerinnen gegen den Planergänzungsbeschluss "Lärmschutzkonzept BBI"
zum Vorhaben "Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld" vom 20. Oktober
2009. Der Planergänzungsbeschluss regelt den Nachtflugbetrieb für die Zeit ab
Inbetriebnahme der neuen Südbahn, die Anforderungen an
Schallschutzvorrichtungen für Schlafräume und grenzt das Nachtschutzgebiet
sowie das Entschädigungsgebiet Außenwohnbereich ab.
Zur Begründung ihres Beiladungsantrags hat die Gemeinde Stahnsdorf
ausgeführt: Im September 2010 habe die Deutsche Flugsicherung GmbH
(DFS) neue Flugroutenentwürfe öffentlich bekannt gemacht. Die Flugrouten mit
nach Norden abknickenden Startrouten führten dazu, dass ihr Gemeindegebiet
in geringer Höhe überflogen werde. Daher sei sie durch das Vorhaben nunmehr
betroffen. Sie könne als Trägerin der Planungshoheit und Eigentümerin von
Grundstücken im Gemeindegebiet das vorliegende Verfahren fördern. Ihr
könne nicht entgegengehalten werden, dass sie gegen den
Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-
Schönefeld vom 13. August 2004 und den Planergänzungsbeschluss nicht
geklagt habe. Beide Beschlüsse seien unter Zugrundelegung eines früheren mit
der DFS abgestimmten Betriebsmodells davon ausgegangen, dass die
Flugrouten für den An- und Abflug zum Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld so
verlaufen, dass ihr Gemeindegebiet nicht betroffen sei.
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II
Gemäß § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, solange das Verfahren noch nicht
rechtskräftig abgeschlossen ist, andere, deren rechtliche Interessen durch die
Entscheidung berührt werden, beiladen.
Ob rechtliche Interessen eines anderen auch dann durch die Entscheidung
berührt werden können, wenn er den Planfeststellungsbeschluss, der
Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist, hat unanfechtbar werden lassen
(vgl. Beschluss vom 17. Mai 2005 - BVerwG 4 A 1001.04 - juris) und ob die
Gemeinde Stahnsdorf befugt gewesen wäre, den Planfeststellungsbeschluss
für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld vom 13. August
2004 und den Planergänzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 anzufechten,
kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen
für eine Beiladung erfüllt sein sollten, sprechen jedenfalls im Rahmen des
Ermessens überwiegende Gründe gegen die beantragte Beiladung.
Die Beiladung ist kein geeignetes Mittel, um der Gemeinde Stahnsdorf die
Verteidigung eigener Rechte zu ermöglichen. Eigene Rechte könnte sie, auch
wenn sie beigeladen würde, im anhängigen Verfahren nicht geltend machen.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die Frage, ob der
Planergänzungsbeschluss Rechte verletzt. An dieser
Beschränkung des Streitgegenstandes würde die Beiladung nichts ändern (vgl.
Urteil vom 28. April 1972 - BVerwG 4 C 42.69 - BVerwGE 40, 101 <104>).
Die Entscheidung im vorliegenden Verfahren könnte die rechtlichen Interessen
der Gemeinde Stahnsdorf allenfalls faktisch berühren. Ihre tatsächliche
Betroffenheit hängt allerdings von den Flugrouten, insbesondere den
Abflugverfahren, ab. Die An- und Abflugverfahren sind im Planfeststellungs-
und im Planergänzungsbeschluss nicht geregelt; sie werden vielmehr - wie in §
27a Abs. 2 LuftVO vorgesehen - vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung
durch Rechtsverordnung festgelegt. Die Gemeinde Stahnsdorf macht selbst
geltend, dass ihr Gemeindegebiet ausgehend von den im
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Planfeststellungsverfahren zugrunde gelegten Flugrouten nicht oder jedenfalls
nicht erheblich betroffen wäre. Anders wäre es, wenn die Abflugverfahren auf
der Grundlage des Vorschlags der DFS vom September 2010 festgelegt
würden. Welche An- und Abflugverfahren das Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung für den ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld festlegen
wird, ist gegenwärtig nicht abzusehen. Bereits die Ungewissheit, ob und
inwieweit die Entscheidung im vorliegenden Verfahren die rechtlichen
Interessen der Gemeinde Stahnsdorf faktisch berühren würde, spricht gegen
ihre Beiladung.
Gegen die Beiladung sprechen außerdem Gründe der Prozessökonomie.
Würde die Gemeinde Stahnsdorf beigeladen, müsste ihr sowohl im
vorbereitenden Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit
zur Äußerung gegeben werden. Das würde die Durchführung des ohnehin
komplexen Verfahrens erschweren und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch
verzögern. Würde ihrem Antrag stattgegeben, könnten zudem auch andere auf
der Grundlage des DFS-Flugroutenentwurfs betroffene Gemeinden ihre
Beiladung beantragen. Wie die Gemeinde Stahnsdorf das Verfahren über die
Beiträge der Hauptbeteiligten hinaus fördern sollte, ist demgegenüber nicht
ersichtlich. Die Sichtweise lärmbetroffener Gemeinden wird in das anhängige
Verfahren bereits von den Klägerinnen eingebracht. Die Klägerinnen berufen
sich - wie die Gemeinde Stahnsdorf - auf ihre Planungshoheit als Gemeinde
und auf Eigentum an Wohngrundstücken. Die Gemeindegebiete der
Klägerinnen liegen näher am Flughafen als das Gebiet der Gemeinde
Stahnsdorf. Die Klägerinnen wären, wenn die im Planfeststellungsverfahren
zugrunde gelegten Flugverfahren festgelegt würden, stärker betroffen als es die
Gemeinde Stahnsdorf sein könnte.
Dr. Philipp
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