Urteil des BVerwG vom 03.12.2008

BVerwG: aktenwidrigkeit, augenschein, satzung, grundstück, gemeinde, ausführung, verwertung, beteiligter, aufklärungspflicht, beweisantrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 26.08
OVG 1 C 10101/08.OVG
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Dezember 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Rheinland-Pfalz vom 14. August 2008 wird zurück-
gewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nicht-
zulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1.1 Die Beschwerde rügt als Verletzung der Aufklärungspflicht, das Normen-
kontrollgericht hätte zu den Fragen, ob ein Bebauungszusammenhang besteht,
ob dieser Bereich eine prägende Wirkung auf die durch die Satzung einbezo-
genen Flächen ausübt und ob die Abwägung der Antragsgegnerin zu bean-
standen ist, einen Augenschein einnehmen müssen. Damit wird ein Verfah-
rensfehler nicht aufgezeigt. Das Oberverwaltungsgericht hat die vor Ort beste-
hende Situation anhand zahlreicher von der Antragsgegnerin und vom An-
tragsteller vorgelegter und zu den Akten genommener (vgl. OVG-AS. 66 - 90)
Karten, Fotos und Luftbildaufnahmen in der mündlichen Verhandlung mit den
Beteiligten eingehend erörtert. Derartige Lichtbilder und Lagepläne sind im
Rahmen von § 86 Abs. 1 VwGO unbedenklich verwertbar, wenn sie die Örtlich-
keiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so ein-
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deutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck
mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt. Ist dies der Fall, so bedarf es
unter dem Gesichtspunkt des Untersuchungsgrundsatzes keiner Durchführung
einer Ortsbesichtigung. Das gilt nur dann nicht, wenn ein Beteiligter geltend
macht, dass die Karten oder Lichtbilder in Bezug auf bestimmte, für die Ent-
scheidung wesentliche Merkmale keine Aussagekraft besitzen, und dies zutref-
fen kann (stRspr; vgl. Urteil vom 14. November 1991 - BVerwG 4 C 1.91 -
Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 236 sowie Beschluss vom 4. Juni 2008
- BVerwG 4 B 35.08 - juris). Der Antragsteller legt jedoch in keiner Weise dar,
dass er in der mündlichen Verhandlung Bedenken gegen die Verwertung der
Unterlagen erhoben und auf einen Augenschein hingewirkt sowie einen ent-
sprechenden Beweisantrag gestellt hätte. Daher kann dahingestellt bleiben, ob
seine Ausführungen den Anforderungen an die Darlegung genügen, dass das
Gericht auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung nach
Einholen eines Augenscheins in den angesprochenen Fragen zu einem ande-
ren Ergebnis gelangt wäre.
Soweit sich die Aufklärungsrüge auf den Hinweis des Oberverwaltungsgerichts
bezieht, der im Januar 2004 erteilte Bauvorbescheid „dürfte inzwischen erlo-
schen sein“ (UA S. 13), betrifft sie eine das Urteil nicht tragende Ausführung
des Gerichts.
1.2 Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers ist nicht
erkennbar. Der Antragsteller konnte durch die Ausführungen des Oberverwal-
tungsgerichts, wonach es in seinem Verantwortungsbereich liegt, dafür Sorge
zu tragen, dass sein Grundstück befahrbar (und erreichbar) ist bzw. bleibt, nicht
überrascht sein. Denn die Antragsgegnerin hatte bereits vorgetragen, dass es
Sache des jeweiligen Eigentümers sei, die in seiner Sphäre liegende Problema-
tik der Zufahrtsprobleme durch entsprechende bauliche Lösungen zu entschär-
fen (UA S. 6).
1.3 Soweit die Beschwerde eine Aktenwidrigkeit behauptet, genügt sie nicht
den Darlegungserfordernissen. Diese Verfahrensrüge bedingt die schlüssig
vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung
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getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akten-
inhalt bestehe ein Widerspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es keiner
weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts bedarf; der
Widerspruch muss also „zweifelsfrei“ sein (stRspr; vgl. Beschluss vom
19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB
Nr. 1). Die Verfahrensrüge der „Aktenwidrigkeit“ verlangt eine genaue Darstel-
lung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus den
vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Die-
sen Anforderungen wird die Beschwerde schon im Ansatz nicht gerecht.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr
die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten,
höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erhebli-
chen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus,
worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen
soll (stRspr).
Die Beschwerde wirft die Fragen auf,
1. ob von einer Prägung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
BauGB bereits auszugehen ist, wenn die nähere Umge-
bung dem Gebietscharakter eines Baugebiets der Bau-
nutzungsverordnung entspricht, ohne dass es auf Bau-
weise und überbaute Grundstücksfläche ankommt und
2. ob bei einem Baugebiet deshalb keine höheren Anfor-
derungen an die prägende Wirkung zu stellen sind, weil
anderenfalls keine Ergänzungssatzungen möglich wären,
was dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 34 Abs. 4
Satz 1 Nr. 3 BauGB widersprechen würde.
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB kann die Gemeinde durch Satzung ein-
zelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein-
beziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des
angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind. Diese Regelung setzt vor-
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aus, dass der baulichen Nutzung des angrenzenden Bereichs ein Maßstab zu
entnehmen ist, der als Grundlage für die Prägung der einbezogenen Flächen
herangezogen werden kann. Dies hat das Normenkontrollgericht vorliegend
bejaht. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der angrenzende Bereich die
Merkmale eines Dorfgebiets i.S.v. § 5 BauNVO aufweist. In diesem Zusam-
menhang wendet sich das Gericht gegen die Ansicht des Antragstellers, die
Bebauung „müsse noch homogener sein“ und führt zur Begründung aus, in
einem solchen Falle wäre eine Ergänzungssatzung weder bei Mischgebieten
noch bei Dorfgebieten zulässig. Diese Ausführungen beziehen sich erkennbar
lediglich auf die Art der baulichen Nutzung. Anders als es die Beschwerde mit
ihrer Frage unter 1. offenbar annimmt, stellt das Oberverwaltungsgericht keinen
Rechtssatz dahingehend auf, dass es auf die Bauweise oder die überbaubare
Grundstücksfläche überhaupt nicht ankommen könne. Vielmehr hat das Gericht
insoweit offensichtlich keine Bedenken, einen für die Anwendung von § 34
Abs. 1 oder 2 BauGB ausreichenden Maßstab zu erkennen, denn es geht da-
von aus, dass das Gebiet „keinesfalls so diffus sei, dass es auf den angren-
zenden Bereich nicht prägend wirken“ könne. Für dieses Ergebnis sprechen
übrigens auch die beigezogenen Fotos und Pläne, die eine dörfliche Struktur
erkennen lassen, der ohne Weiteres die Zulässigkeitsmerkmale für eine Be-
bauung im Innenbereich entnommen werden kann. Daher käme es in einem
Revisionsverfahren auf die Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfe-
nen Frage nicht an.
Soweit die Beschwerde sich mit ihrer Fragestellung unter 2. der Sache nach
dagegen wehren möchte, dass das Oberverwaltungsgericht auch ein Dorfgebiet
nach § 5 BauNVO als geeigneten Maßstab ansieht, kann ihr nicht gefolgt wer-
den, ohne dass es hierfür eines Revisionsverfahrens bedürfte. Wenn ein an-
grenzender Bereich einem der in der BauNVO angeführten Baugebiete ent-
spricht, verdeutlicht bereits § 34 Abs. 2 BauGB, dass hinsichtlich der Art der
baulichen Nutzung keine Zweifel an der nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB
erforderlichen Prägung bestehen. Dem steht nicht entgegen, dass Dorfgebiete
(ebenso wie Mischgebiete) eine größere Bandbreite an Nutzungsmöglichkeiten
eröffnen als andere Gebietsarten nach der BauNVO. Die Regelung in § 34
Abs. 1 BauGB macht überdies deutlich, dass das für die Prägung heranzuzie-
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hende Gebiet nicht einmal einem der in der BauNVO aufgeführten Baugebiete
entsprechen muss, wie dies beispielsweise bei historisch entstandenen Ge-
mengelagen der Fall sein kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel Gatz Dr. Jannasch
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