Urteil des BVerwG vom 20.11.2012

BVerwG: befragung, anhörung, unerlaubtes entfernen, betroffene person, soldat, fremder, usbekistan, wahrheitspflicht, verkehrsunfall, besitz

BVerwG 1 WB 21.12
Rechtsquellen:
SÜG § 6 Abs. 1, Abs. 3
SG § 13 Abs. 1
Stichworte:
Anhörung; Befragung; Geheimschutzbeauftragter; Militärischer Abschirmdienst;
Sicherheitsrisiko; Soldat; Wahrheitspflicht.
Leitsatz:
Ein Soldat ist als Betroffener einer Sicherheitsüberprüfung im Rahmen seiner Befragung durch
den Militärischen Abschirmdienst und im Rahmen seiner Anhörung durch den zuständigen
Geheimschutzbeauftragten an die Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG gebunden.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 21.12
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
die ehrenamtliche Richterin Oberstabsarzt Huger und
den ehrenamtlichen Richter Stabshauptmann Stroscher
am 20. November 2012 beschlossen:
Die Verfahren BVerwG 1 WB 21.12 und BVerwG 1 WB 22.12 werden zu
gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe
I
1 Der Antragsteller wendet sich im Verfahren BVerwG 1 WB 21.12 gegen die Feststellung eines
Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) und im Verfahren BVerwG
1 WB 22.12 gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in der für ihn durchgeführten
einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 - Sabotageschutz).
2 Der 1964 geborene Antragsteller ist Berufssoldat und gehört seit dem 1. Juli 1991 der
Bundeswehr an. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit Ablauf des 30. April 2020 enden. Er
wurde am 4. April 2003 zum Hauptmann ernannt. Seit dem 1. Januar 2000 wurde er bei der ... in
A. auf dem Dienstposten eines Taktik-/System-Offiziers (TSO) verwendet. Seit dem 12. August
2009 ist er nicht mehr in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit eingesetzt. Er wird zurzeit beim Stab
des ... als Vertreter des S 3-Offiziers verwendet.
3 In der Zeit von Januar 2002 bis Juli 2009 nahm der Antragsteller an dreißig Auslandseinsätzen
überwiegend im Rahmen des Deutschen Einsatzkontingents ISAF (Termez/Usbekistan bzw.
Mazar-e Sharif/Afghanistan) teil.
4 Am 30. August 2005 schloss der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt für den
Antragsteller eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2/A 2) ab. Sie war nach Mitteilung des
Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - mit der Auflage verbunden, dass der Antragsteller
über Veränderungen in seinen derzeitigen Beziehungen zu Personen aus Staaten gemäß § 13
Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG zu berichten habe. Zudem sollte nach Ablauf von drei Jahren eine
Wiederholungsüberprüfung eingeleitet werden. Die Auflagenentscheidung beruhte - wie der
Bundesminister der Verteidigung erläutert hat - darauf, dass der Antragsteller während seiner
Auslandseinsätze ein russisches Ehepaar kennengelernt hatte, zu dem er regelmäßigen Mail-
Kontakt pflegte. Weiterhin hatte er als Dolmetscher umfangreiche Kontakte zu usbekischen
Behörden.
5 Am 19. September 2006 verhängte der Kommodore des Einsatzgeschwaders
Termez/Usbekistan gegen den Antragsteller eine Disziplinarbuße von 2 500 €, die seit dem 4.
Oktober 2006 unanfechtbar ist. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Er hat am 11.09.2006 in Termez/Usbekistan auf dem Parkplatz der Diskothek S. gegen 23:00
Uhr in stark alkoholisiertem Zustand einen einheimischen Taxifahrer tätlich angegriffen, indem er
diesen würgte, und hat des Weiteren das Taxischild vom Dach des Taxis gerissen. Nach diesem
Vorfall hat er einer hinzukommenden Person fest in den Nacken gegriffen. Als sich dieser als
Soldat zu erkennen gab, ließ er von ihm ab. Auf dem Parkplatz befanden sich noch weitere
usbekische Personen, die Hauptmann ... als deutschen Soldaten kennen, da er sich sehr oft im
Einsatzland in Termez aufhält.
Im Laufe des Abends hat er sich dann noch entgegen des Geschwaderbefehls 06/2005, der
Ausgangsbeschränkung ab 23:30 Uhr vorschreibt, in ein nicht erlaubtes Lokal begeben und dort
verweilt. Dieses tat er mit einem anderen Offizier bis zum 12.09.2006 morgens gegen 00:30 Uhr.“
6 Der zuständige Sicherheitsbeauftragte teilte diesen Sachverhalt dem Militärischen
Abschirmdienst (MAD) als sicherheitserhebliche Erkenntnis mit. Am 4. November 2008 wurde
der MAD mit der Durchführung einer Wiederholungsüberprüfung beauftragt. Nachdem der
Antragsteller eine Sicherheitserklärung abgegeben hatte und durch den MAD befragt worden
war, teilte ihm der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung mit
Anhörungsverfügung vom 4. Juni 2009 mit, dass der der Disziplinarbuße zugrundeliegende
Sachverhalt als sicherheitserhebliche Erkenntnis angesehen werde, und gab dem Antragsteller
Gelegenheit zur Stellungnahme.
7 Mit Schreiben vom 10. Juli 2009 erklärte der Antragsteller, er befinde sich momentan in seinem
30. Auslandseinsatz im Einsatzgeschwader Mazar-e Sharif in Afghanistan. Der mit der
Disziplinarbuße geahndete Vorfall stelle ein einmaliges Fehlverhalten dar, das weder seiner
soldatischen Grundeinstellung noch seiner professionellen Berufsauffassung entspreche. Das
hätten auch seine Vorgesetzten bekräftigt. Nach deren Einschätzung werde er nach einer Phase
der Konsolidierung die Voraussetzungen hinsichtlich der Zuverlässigkeit und des
Verantwortungsbewusstseins als Fachgruppenleiter und für den uneingeschränkten Einsatz
erfüllen.
8 Mit dem im Verfahren BVerwG 1 WB 21.12 angefochtenen Bescheid vom 27. Juli 2009 stellte
der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung fest, dass die erweiterte
Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Die
Entscheidung schließe auch einen Einsatz des Antragstellers in einer sicherheitsempfindlichen
Tätigkeit nach Ü 1 (Verschlusssachenschutz) aus. Der Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen
Tätigkeit werde nach positivem Abschluss einer Wiederholungsüberprüfung frühestens ab 31.
Juli 2011 zugelassen. Im Begründungsschreiben vom 27. Juli 2009 führte der
Geheimschutzbeauftragte aus, er habe im Rahmen der ihm obliegenden Fachaufsicht und
angesichts der Häufung sicherheitserheblicher Erkenntnisse im Zusammenhang mit Einsätzen
in Termez die Zuständigkeit für die erweiterten Sicherheitsüberprüfungen an sich gezogen. Die
mit der Disziplinarbuße geahndeten Verstöße gegen Befehle und Weisungen dokumentierten
ein Verhalten des Antragstellers, das Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und die besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und
Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste begründe. Bei Usbekistan handele es sich um
einen Staat mit besonderen Sicherheitsrisiken im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG. In
diesem Kontext komme den einschlägigen Geschwaderbefehlen und den entsprechenden
Befehlen/Weisungen vor Ort besondere Bedeutung zu. Die Bewertung dieses Staates durch die
Nationale Sicherheitsbehörde gebe Anlass zu einer stringenten Befolgung der Vorgaben, die der
Antragsteller jedoch missachtet habe. Bei der Prognose sei zu berücksichtigen, dass das
Fehlverhalten des Antragstellers bisher einmalig sei. Um eine verlässliche Grundlage für die
Klärung einer nachhaltigen Persönlichkeitsveränderung zu gewinnen, bedürfe es aber noch
einer weiteren Zeit der Nachbewährung. Diese werde - abweichend von der sonst geltenden
Wirkungsdauer der Feststellung eines Sicherheitsrisikos - bis zum Ablauf des 31. Juli 2011
begrenzt.
9 Gegen diese Entscheidung beantragte der Antragsteller mit Schreiben seines
Bevollmächtigten vom 7. September 2009 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.
10 Er machte geltend, es lägen neue Erkenntnisse vor, die er dem Geheimschutzbeauftragten
persönlich vortragen wolle. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. November 2009
erklärte er, dass der persönlichkeitsfremde und situationsbezogene alkoholisierte Zustand bei
dem Angriff auf den Taxifahrer aus der langen und hohen dienstlichen Belastung im
Einsatzgebiet resultiert habe. Seine Sprach- und Bewegungsfähigkeit sei durch den Alkohol
nicht eingeschränkt gewesen. Den Taxifahrer habe er nicht gewürgt. Er könne sich auch nicht
daran erinnern, das Taxischild vom Dach gerissen zu haben. Das in der Disziplinarbuße
beanstandete Lokal habe er zuvor schon einmal besucht, als der Besuch noch erlaubt gewesen
sei. Von dieser Erlaubnis sei er weiterhin ausgegangen. Die dort eingetretene
Zeitüberschreitung beruhe nicht auf Vorsatz.
11 Am 12. Januar 2010 fand nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - eine
Erörterung des Sachverhalts zwischen dem Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium
der Verteidigung, dem Antragsteller und dessen Bevollmächtigtem statt. Im Rahmen dieses
Gesprächs sei vereinbart worden, dass der Antragsteller bei seiner Einheit beantragen solle, den
MAD mit der Durchführung einer einfachen Sicherheitsüberprüfung für den vorbeugenden
personellen Sabotageschutz (Ü 1) zu beauftragen. Sofern diese Sicherheitsüberprüfung mit
einem positiven Ergebnis abgeschlossen werde, sei für den Antragsteller die Möglichkeit
gegeben, weiterhin Flugzeuge zu steuern, ohne jedoch Staaten im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1
Nr. 17 SÜG anfliegen zu können. Mit dieser Vorgehensweise habe sich der Antragsteller ebenso
wie sein Verfahrensbevollmächtigter einverstanden erklärt und gebeten, den Antrag auf
gerichtliche Entscheidung bis zur Entscheidung über die Sabotageschutzprüfung ruhen zu
lassen.
12 Am 20. Januar 2010 wurde die einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 - Sabotageschutz)
eingeleitet. Dabei wurde bekannt, dass das Amtsgericht H. den Antragsteller mit Strafbefehl vom
5. August 2009, rechtskräftig seit dem 22. August 2009, wegen unerlaubten Entfernens vom
Unfallort zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt und ihm die
Fahrerlaubnis für die Dauer eines Monats entzogen hatte. Im Strafbefehl wurde der Antragsteller
beschuldigt, am 15. April 2009 in H. mit seinem Kraftfahrzeug (Amtliches Kennzeichen: ...) gegen
11:40 Uhr den ... befahren und in Höhe der dortigen Hausnummer 7 einen Verkehrsunfall
verursacht zu haben, wodurch an dem dort abgestellten Fahrzeug ein Fremdschaden in Höhe
von 1 349,67 € entstanden war, und sich anschließend von der Unfallstelle entfernt zu haben,
ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Im Sicherheitsüberprüfungsverfahren
wurden unter anderem die polizeiliche Vernehmung des Geschädigten als Zeuge vom 15. April
2009 und die polizeiliche Vernehmung des Antragstellers als Beschuldigter vom 17. April 2009
herangezogen. Der Vernehmung des Geschädigten waren Kopien von zwei Hinweiszetteln
beigefügt, die der Geschädigte am 15. April 2009 mittags an seinem Fahrzeug vorgefunden
hatte. Dabei handelt es sich um zwei unlinierte/unkarierte Zettel jeweils mit dem Aufdruck
„Holsten“. Der erste Zettel enthält den Text „... hat Ihren Wagen beim Ausparken vorne
angefahren. Bitte im ‚Cafè Fresh’ melden. 15.04. ca. 11.40 Uhr“; auf dem zweiten Zettel sind der
Name und die Telefonnummer des Zeugen vermerkt. In seiner Vernehmung als Beschuldigter
am 17. April 2009 hatte der Antragsteller angegeben, dass er beim Ausparken mit seiner
Anhängerkupplung langsam gegen einen parkenden Pkw gestoßen sei. Er habe den leichten
Anstoß bemerkt; im selben Augenblick sei er schon von einem Passanten angesprochen und auf
die Berührung mit dem anderen Pkw hingewiesen worden. Er selbst habe sich den
beschädigten Pkw angeschaut und daran keinen Schaden festgestellt. Trotzdem habe er an
dessen Frontscheibe einen Zettel mit seiner Anschrift und seiner Telefonnummer hinterlassen.
13 Nachdem der Antragsteller vom MAD am 1. September 2010 befragt worden war, teilte der
Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller mit
Anhörungsverfügung vom 4. November 2010 als sicherheitserhebliche Erkenntnisse mit, dass er
am 15. April 2009 einen Verkehrsunfall verursacht und sich von der Unfallstelle entfernt habe,
ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. In der Befragung durch den MAD habe
er fälschlicherweise erklärt, nicht im Besitz eines Bundeswehrführerscheins zu sein. Eine
Nachfrage bei der Zentralen Militärkraftfahrstelle der Bundeswehr habe jedoch ergeben, dass er
seit 1997 Inhaber eines Bundeswehrführerscheins „Klasse B“ sei. Außerdem habe er es
entgegen Nr. 405 ZDv 43/2 unterlassen, die Anordnung des Fahrverbotes unverzüglich seinem
Disziplinarvorgesetzten zu melden. Damit habe er seine Dienstpflichten verletzt. Ferner habe er
in der Befragung durch den MAD erklärt, am Fahrzeug des Geschädigten einen Zettel aus
kariertem Papier mit der Angabe seines Namens und seiner Telefonnummer hinterlassen zu
haben. Es hätten jedoch nur Zettel eines Zeugen festgestellt werden können. In der persönlichen
Anhörung durch den Geheimschutzbeauftragten habe der Antragsteller die Verkehrsunfallflucht
verschwiegen.
14 Mit Schreiben vom 22. November 2010, das sein Bevollmächtigter inhaltlich mit Schriftsatz
vom 12. Januar 2011 wiederholte, erklärte der Antragsteller dazu unter anderem, er habe keine
Veranlassung für die Meldung des Fahrverbots gesehen, weil er damals „nicht im Besitz einer Ü“
gewesen sei. Er habe angegeben, einen Führerscheinlehrgang abgeschlossen zu haben; er
habe dann die Auskunft erhalten, dass der von der Kfz-Inspektion der NVA ausgestellte
Führerschein der DDR dem Bundeswehrführerschein gleichgestellt sei. Da er nicht Führer von
Dienstkraftfahrzeugen sei, sei er nicht der Meldepflicht nach Nr. 405 ZDv 43/2 unterworfen. In der
persönlichen Anhörung beim Geheimschutzbeauftragten habe er zu dem Verkehrsunfall nichts
gesagt, weil es in diesem Gespräch um die Vorgänge in Termez 2006 und darum gegangen sei,
welche Maßnahmen zu ergreifen seien, um ihn schnellstens wieder in den Dienstbetrieb zu
integrieren. Auch zu diesem Zeitpunkt sei er „nicht im Besitz einer Ü“ gewesen, zu der er
nachträglich hätte Angaben machen können.
15 Mit dem im Verfahren BVerwG 1 WB 22.12 angefochtenen Bescheid vom 16. Februar 2011
stellte der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung fest, dass die
einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko
darstellten. Gegebenenfalls vorher ergangene Sicherheitsbescheide/Mitteilungen über das
Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung seien hiermit ungültig und mit einem Ungültigkeitsvermerk
zu versehen. Ein anschließender oder späterer Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen
Tätigkeit stehe unter dem Vorbehalt einer entsprechenden Entscheidung des
Geheimschutzbeauftragten. Im Begründungsschreiben vom 16. Februar 2011 führte der
Geheimschutzbeauftragte im Wesentlichen aus, das Verhalten des Antragstellers innerhalb der
letzten fünf Jahre (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Nichtmelden des Sachverhalts beim
Disziplinarvorgesetzten, unvollständige Angaben während der persönlichen Anhörung durch
den Geheimschutzbeauftragten und unwahre Angaben bei der Befragung durch den MAD)
begründeten nachhaltige Zweifel an seiner Eignung bei der Ausübung einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Es entstehe der Eindruck, dass der Antragsteller stets nur
negative Fakten zu seiner Person angebe, die bereits bekannt seien, dass er Umstände
beschönige oder Unkenntnis vortäusche, um sein Verhalten zu rechtfertigen. Ein Einstehen für
Fehler und das uneingeschränkte Ansprechen sicherheitserheblicher Erkenntnisse sei bei ihm
nicht festzustellen. Damit zeige der Antragsteller, dass er sein Individualinteresse priorisiere.
Dadurch habe er das Vertrauen, das ihm der Dienstherr bei der Ausübung einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegenbringen müsse, nachhaltig beschädigt und gegen
die Wahrheitspflicht verstoßen. Die Prognose sei nicht positiv. Denn die vorherige Feststellung
eines Sicherheitsrisikos in der erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) habe beim Antragsteller
keine Veränderung im Verhalten bewirkt. Zurzeit könne nicht mit hinreichender Sicherheit
festgestellt werden, ob die von ihm nun gezeigte Einsicht situations- oder
persönlichkeitsbegründet sei. Deshalb bedürfe es eines längeren Zeitraums, in dem der
Antragsteller belegen könne, dass er seinen Verpflichtungen zur Wahrung auch überwiegender
Interessen nachkommen werde. Eine Auflagenentscheidung sei nicht mehr möglich. Im Rahmen
der Güterabwägung sei deshalb ein Sicherheitsrisiko festzustellen.
16 Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom
15. Juni 2011 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt und zur Begründung
auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen.
Der Bundesminister der Verteidigung - R II 2 - hat die Anträge vom 7. September 2009 und vom
15. Juni 2011 mit seiner Stellungnahme vom 25. April 2012 dem Senat vorgelegt.
17 Der Antragsteller beantragt,
im Verfahren BVerwG 1 WB 21.12:
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 27.
Juli 2009 aufzuheben,
im Verfahren BVerwG 1 WB 22.12:
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 16.
Februar 2011 aufzuheben,
hilfsweise,
ihn, den Antragsteller, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
18 Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
19 Er hält den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 7. September 2009 für unzulässig. Dem
Antragsteller fehle für die Aufhebung des Bescheids vom 27. Juli 2009 nach Erlass des
Bescheids vom 16. Februar 2011 die erforderliche Beschwer. Mit dem Abschluss der einfachen
Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 - Sabotageschutz) seien vorher ergangene
Sicherheitsbescheide/Mitteilungen über das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung und damit
auch der Bescheid vom 27. Juli 2009 ungültig geworden. In der Sache sei der Antrag
unbegründet, weil der Geheimschutzbeauftragte rechts- und ermessensfehlerfrei zu dem
Ergebnis habe kommen dürfen, dass das Fehlverhalten des Antragstellers im Jahr 2006
sicherheitserhebliche Zweifel an seiner Zuverlässigkeit offenbare. Mit seinem Verstoß gegen die
Ausgangsbestimmungen im seinerzeit gültigen „Geschwaderbefehl Nr. 06/05 zur Organisation
des Dienstbetriebes“ des Einsatzgeschwaders Termez vom 19. Februar 2005 habe der
Antragsteller gezeigt, dass er nicht jederzeit bereit und in der Lage sei, den geltenden
Vorschriften nach besten Kräften, vollständig, gewissenhaft und unverzüglich Folge zu leisten
und damit seiner Verpflichtung aus § 11 SG nachzukommen. Gerade von einem
Geheimnisträger werde ein hohes Maß an Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und
Verantwortungsbewusstsein, insbesondere die Einhaltung von Regeln und Vorschriften und der
genaue Umgang mit Vorgaben zwingend erwartet. Das Fehlverhalten des Antragstellers
begründe die Sorge, dass er auch bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit die
einschlägigen Sicherheitsbestimmungen nicht hinreichend beachten werde. Die
nachrichtendienstliche Gefährdungslage folge daraus, dass es zur Methodik fremder
Nachrichtendienste gehöre, Personen anzusprechen, die - wie der Antragsteller - gegen Befehle
und Weisungen verstießen, die dem Schutz der Kontingentangehörigen dienen.
Der Antrag gegen den Bescheid vom 16. Februar 2011 sei unbegründet. Die
Verkehrsunfallflucht des Antragstellers zeige, dass dieser nicht bereit gewesen sei, sich den
unangenehmen Folgen der Verursachung eines Unfalls zu stellen. Sein Verhalten lasse den
Schluss zu, dass er nicht immer bereit und in der Lage sei, sich jederzeit rechtstreu zu verhalten.
Die Verstöße des Antragstellers gegen die Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben seien
ebenfalls sehr schwerwiegend. Er habe fälschlicherweise behauptet, einen karierten Zettel mit
seinen Personalien an der Frontscheibe des beschädigten Fahrzeugs hinterlassen zu haben. Im
Erörterungstermin mit dem Geheimschutzbeauftragten habe man vom Antragsteller erwarten
müssen, dass er alle Umstände offenlegt, die im Zusammenhang mit der möglichen
Neueinleitung einer Sicherheitsüberprüfung von Bedeutung sein könnten. Die Zweifel an der
Zuverlässigkeit des Antragstellers würden dadurch verstärkt, dass er es unter Verstoß gegen Nr.
405 ZDv 43/2 unterlassen habe, seinen Vorgesetzten das verhängte Fahrverbot zu melden. Von
einem Entzug der privaten Fahrerlaubnis sei auch die Fahrerlaubnis der Bundeswehr betroffen.
20 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug
genommen. Die Beschwerdeakten des Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - ... und ... und
die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
21 Die Verfahren BVerwG 1 WB 21.12 und BVerwG 1 WB 22.12 betreffen
Sicherheitsüberprüfungen des Antragstellers, die als Wiederholungsüberprüfungen in Erfüllung
der Nebenbestimmung zur Mitteilung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom
30. August 2005 über das Ergebnis einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung (A 2) durchgeführt
worden sind. Die dem Verfahren BVerwG 1 WB 22.12 zugrundeliegende einfache
Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 - Sabotageschutz) sollte dazu dienen, dem Antragsteller bei einem
positiven Ergebnis zunächst den weiteren (eingeschränkten) fliegerischen Einsatz zu
ermöglichen. Die Verfahren werden deshalb gemäß § 23a Abs. 2 WBO in Verbindung mit § 93
Satz 1 VwGO zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
22 Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung haben keinen Erfolg.
23 1. a) Der Antrag gegen den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium
der Verteidigung vom 27. Juli 2009 ist zulässig.
24 Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach ständiger
Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den
Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheids angefochten
werden (vgl. z.B. Beschlüsse vom 24. Mai 2000 - BVerwG 1 WB 25.00 -
veröffentlicht in BVerwGE 111, 219 und in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9>, vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 18 m.w.N., vom 21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB 68.09 - Rn. 17
und vom 21. Oktober 2010 -
BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 25 ).
Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) folgende
Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte für Streitigkeiten, die die dienstliche Verwendung eines
Soldaten betreffen (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 26. Oktober 2012 - BVerwG 1 WDS-
VR 6.12 und BVerwG 1 WDS-VR 7.12 - Rn. 23 - 33
Buchholz vorgesehen>), erstreckt sich auch auf die Überprüfung sicherheitsrechtlicher
Bescheide im Sinne des § 14 Abs. 3 SÜG, weil mit der Feststellung des
Geheimschutzbeauftragten über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos im Kern über
die sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche Verwendung
entschieden wird (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 -
BVerwGE 140, 384 = Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 25 Rn. 27 - 30).
25 Für den gestellten Aufhebungsantrag hat der Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis mehr,
weil ihn der Bescheid vom 27. Juli 2009 nicht mehr beschwert. Durch den Bescheid des
Geheimschutzbeauftragten vom 16. Februar 2011 sind vorher ergangene
Sicherheitsbescheide/Mitteilungen über das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung ohne
Einschränkungen für ungültig erklärt worden. Damit hat sich der Regelungsgegenstand des
Bescheids vom 27. Juli 2009 in der Sache erledigt. Der Antragsteller kann sein diesbezügliches
Rechtsschutzbegehren deshalb nur mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag weiterführen.
26 Hat sich eine truppendienstliche Maßnahme, die keinen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG
darstellt, vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht
gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der
Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO in
der seit dem 1. Februar 2009 geltenden Fassung (Bekanntmachung vom 22. Januar 2009, BGBl
I S. 81) verlangt zwar von dem jeweiligen Antragsteller nicht mehr die förmliche Stellung eines
Feststellungsantrages (vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 2009 - BVerwG 1 WB 76.08 - und vom
24. März 2009 - BVerwG 1 WB 46.08 - Rn. 20
SG Nr. 52>); der Antragsteller muss aber das Feststellungsinteresse substantiiert geltend
machen (stRspr, Beschlüsse vom 17. Februar 2009 - BVerwG 1 WB 76.08 -, vom 24. März 2009
a.a.O., vom 25. März 2010 - BVerwG 1 WB 42.09 - Buchholz 450.1 § 19 WBO Nr. 3 = NZWehrr
2010, 161 m.w.N. und vom 26. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 13.11 - Rn. 18).
27 Das erforderliche Feststellungsinteresse kann sich nach der Rechtsprechung des Senats aus
einem Rehabilitierungsinteresse, aus einer Wiederholungsgefahr oder aus der Absicht ergeben,
einen Schadenersatzanspruch geltend zu machen, sofern dieser nicht von vornherein als
aussichtslos erscheint. Zusätzlich kommt auch ein berechtigtes Feststellungsinteresse in
Betracht, wenn die erledigte Maßnahme eine fortdauernde faktische
Grundrechtsbeeinträchtigung nach sich zieht.
28 Zwar hat der Antragsteller ein derartiges Feststellungsinteresse nicht dargetan. Der Senat
geht aber bei der hier gegebenen Sachlage ausnahmsweise davon aus, dass für den
Antragsteller ein Rehabilitierungsinteresse zu unterstellen ist, weil er seit dem 12. August 2009
infolge des Bescheids vom 27. Juli 2009 nicht mehr in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit
verwendet wird und dies in seiner herausgehobenen Stellung als Fachgruppenleiter TSO einem
größeren Kreis von Soldaten bekannt geworden ist.
29 b) Der danach zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.
30 Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten vom 27. Juli 2009 war rechtmäßig und verletzte
den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
31 Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine
vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl.
z.B. Beschluss vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8
§ 14 SÜG Nr. 14 Rn. 23 m.w.N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle, aufgrund einer an
diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr
übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).
32 Der Eintritt des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung in die
Zuständigkeit zur Feststellung eines Sicherheitsrisikos der Stufe Ü 2 ist rechtlich nicht zu
beanstanden.
33 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung mit Nr. 2416 ZDv 2/30 obliegt die
Entscheidung, ob ein Sicherheitsrisiko im Hinblick auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit
vorliegt, im Bundesministerium der Verteidigung und in den Fällen, in denen eine erweiterte
Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) erforderlich ist, dem
Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung, in den übrigen Fällen der
Sicherheitsüberprüfung von Soldaten dem Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt. Der
Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt ist dem Geheimschutzbeauftragten im
Bundesministerium der Verteidigung fachlich nachgeordnet (Nr. 2422 ZDv 2/30; vgl. auch Nr.
2705 Abs. 4 ZDv 2/30). Nach diesen Vorschriften wäre im Fall des Antragstellers für die
Feststellung eines Sicherheitsrisikos in einer einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) und in
einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) grundsätzlich der Geheimschutzbeauftragte beim
Streitkräfteamt zuständig gewesen. Nach den vom Senat im Beschluss vom 14. Dezember 2010
- BVerwG 1 WB 13.10 - (Rn. 17 f) dargestellten Grundsätzen war der Geheimschutzbeauftragte
im Bundesministerium der Verteidigung jedoch befugt, im Rahmen seiner Fachaufsicht in die
Zuständigkeit einzutreten. Dies hat er in rechtlich nicht zu beanstandender Weise damit
begründet, dass er als übergeordnete Behörde im Rahmen der Fachaufsicht und im Hinblick auf
die Häufung sicherheitserheblicher Erkenntnisse im Einsatzgeschwader Termez die
Zuständigkeit für die erweiterte Sicherheitsüberprüfung an sich gezogen habe.
34 Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten war auch in der Sache rechtmäßig.
35 Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten
ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer
Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der
Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den
anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann,
verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt
oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. z.B. Urteile vom 15. Februar 1989
- BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2 und vom 15. Juli
2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> = Buchholz 442.40 § 29d LuftVG Nr. 1;
Beschlüsse vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 24, vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 2 VR 6.09 - juris
Rn. 15, vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 30
Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1>, vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB 40.10 - Rn. 22 und vom
21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 = Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 25
jeweils Rn. 24 ff.).
36 Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges
der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche
Anhaltspunkte - wie hier in Rede stehend - Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei
der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und/oder die besondere Gefährdung
durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste begründen (§ 5 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 und 2 SÜG). Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen
Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine
Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich nicht
auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine
„Beweislast”, weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der
Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass
der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht
werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz
402.8 § 5 SÜG Nr. 11 S. 17, vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - Rn. 22 und vom 22. Juli
2009 - BVerwG 1 WB 53.08 - Rn. 24; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL
13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).
37 Die Feststellung im Bescheid vom 27. Juli 2009, dass in der Person des Antragstellers ein
Sicherheitsrisiko vorliegt, hält die Grenzen des vorbezeichneten Beurteilungsspielraums ein.
38 Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen
Sachverhalt ausgegangen.
39 Er hat den Sachverhalt berücksichtigt, auf dem die bestandskräftige Disziplinarbuße vom 19.
September 2006 beruht. Außerdem hat er den Inhalt der Stellungnahme des Antragstellers vom
10. Juli 2009 in seine Erwägungen einbezogen. Auf dieser Basis hat er zutreffend zugrunde
gelegt, dass der Antragsteller seine disziplinarrechtlich geahndeten Verstöße gegen Befehle und
Weisungen aus dem Geschwaderbefehl eingeräumt hat. Den vom Antragsteller bestrittenen
tätlichen Angriff auf den Taxifahrer hat der Geheimschutzbeauftragte nicht als
sicherheitserhebliche Erkenntnis verwertet.
40 Der Geheimschutzbeauftragte war rechtlich nicht gehindert, die Disziplinarmaßnahme für die
sicherheitsrechtliche Überprüfung heranzuziehen (vgl. § 8 Abs. 7 WDO). Die Disziplinarbuße
war nicht nach § 8 Abs. 2 WDO als tilgungsreif zu qualifizieren, weil die Drei-Jahres-Frist im
Zeitpunkt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos noch nicht abgelaufen war.
41 Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in den
disziplinarrechtlich geahndeten Verfehlungen des Antragstellers hinreichende tatsächliche
Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und für seine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und
Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste erkannt hat. Mit dieser Einschätzung hat der
Geheimschutzbeauftragte weder den anzuwendenden Begriff noch den gesetzlichen Rahmen, in
dem er sich frei bewegen kann, verkannt; er hat insoweit auch nicht allgemeingültige
Wertmaßstäbe missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.
42 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche Anhaltspunkte, die
nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG, Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Zweifel an der Zuverlässigkeit
des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein
Sicherheitsrisiko begründen, unter anderem daraus ergeben, dass der Betroffene ein
Dienstvergehen begangen hat, das auch ohne speziellen Bezug zu
Geheimhaltungsbestimmungen wegen seiner Schwere oder seiner Begleitumstände
Rückschlüsse auf Umstände erlaubt, die für die sicherheitsrechtliche Prognose von Bedeutung
sind (vgl. Beschlüsse vom 9. November 2005 - BVerwG 1 WB 19.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG
Nr. 19, vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 17.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 20 = NZWehrr
2006, 153 und vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 - Rn. 29). In Übereinstimmung
hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 (Anlage C 18) als Beispiel für
entsprechende Anhaltspunkte Verstöße des Betroffenen gegen Dienstpflichten (vgl. Beschluss
vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 - Rn. 30 m.w.N.). Dabei kommt der Gehorsamspflicht (§
11 SG) ein besonderes Gewicht für die sicherheitsrechtliche Beurteilung zu.
43 Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass der Geheimschutzbeauftragte die Zweifel an
der Zuverlässigkeit des Antragstellers als Geheimnisträger mit den beschriebenen Verstößen
gegen die Befehls- und Weisungslage für das Einsatzgeschwader Termez begründet hat. Ohne
Rechtsfehler hat der Geheimschutzbeauftragte dem Fehlverhalten des Antragstellers eine
erhebliche sicherheitsrechtliche Relevanz beigemessen, obwohl es sich bei dem Vorfall im Juni
2006 um ein erstmaliges Versagen gehandelt hat. Insoweit hat der Geheimschutzbeauftragte
zutreffend hervorgehoben, dass den einschlägigen Geschwaderbefehlen und den
entsprechenden Befehlen und Weisungen vor Ort in einem Staat mit besonderen
Sicherheitsrisiken wie Usbekistan ganz besondere Bedeutung zukommt. Der Antragsteller war
als Teilnehmer an zahlreichen Auslandseinsätzen in Termez/Usbekistan und in seiner
herausgehobenen Funktion als Vorgesetzter und Fachgruppenleiter TSO eine exponierte
Persönlichkeit, die zudem vielen usbekischen Staatsangehörigen bekannt war. Gerade in dieser
Funktion war er verpflichtet, stringenten Vorgaben, die insbesondere der Sicherheit des
Einsatzgeschwaders dienen sollten, ohne die geringste Einschränkung Folge zu leisten. Diesen
speziellen Anforderungen an seine Tätigkeit in Termez hat der Antragsteller mit seinem
Fehlverhalten nicht Rechnung getragen. Deshalb ist die - nicht zuletzt durch die gesetzliche
Vorrangregelung in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG gestützte - Einschätzung des
Geheimschutzbeauftragten gerechtfertigt, dass der Antragsteller infolge seiner Nachlässigkeit
gegenüber verpflichtenden Geschwaderbefehlen auch im Bereich einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nicht hinreichend vertrauenswürdig und nicht hinreichend
zuverlässig ist. Nicht nur, aber gerade auch im Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen
Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen muss sich die militärische Führung auf die strikte
Einhaltung bestehender Befehle, Weisungen und sonstiger Regelungen jederzeit und ohne
weitere Nachprüfung verlassen können.
44 Der Geheimschutzbeauftragte hat seine Entscheidung - außer auf die Zweifel an der
Zuverlässigkeit des Antragstellers, die bereits für sich genommen zur Feststellung eines
Sicherheitsrisikos nötigten - daneben darauf gestützt, dass tatsächliche Anhaltspunkte eine
besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder
Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit begründeten (§ 5 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 SÜG, Nr. 2414 Satz 1 Nr. 2 ZDv 2/30). Er hat diese Gefährdung daraus hergeleitet,
dass es zur Methodik fremder Nachrichtendienste gehöre, Personen anzusprechen, die durch ihr
Verhalten - hier insbesondere durch den Verstoß gegen Befehle und Weisungen, die dem
Schutz der Kontingentangehörigen dienten - den Schluss auf ein nicht ausreichend
ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein zuließen. Diese Einschätzung ist rechtlich nicht zu
beanstanden, weil der Antragsteller als langjährig in zahlreichen Einsätzen in
Termez/Usbekistan tätiger Offizier dort eine bekannte Persönlichkeit geworden ist, die ohne
Weiteres im Blickfeld fremder Nachrichtendienste stehen kann.
45 Nicht zu beanstanden ist schließlich die vom Geheimschutzbeauftragten getroffene Prognose
der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers (zu den Voraussetzungen der
Prognose im Einzelnen: Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27.
September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 und vom 20.
Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 29). Er hat aus den Rechtsverstößen des Antragstellers
die Besorgnis abgeleitet, dass dieser im Rahmen der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen
Tätigkeit Sicherheitsbestimmungen ebenfalls nicht hinreichend beachten könnte, und deshalb -
auch nach Prüfung eines milderen Mittels - keine positive Prognose für den Antragsteller
ausgesprochen. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als einem allgemeingültigen Wertmaßstab hat
der Geheimschutzbeauftragte dadurch Rechnung getragen, dass er eine Verkürzung der Frist für
eine Wiederholungsprüfung eingeräumt hat. Grundsätzlich durfte er dem Antragsteller aber noch
über eine gewisse Zeit eine Bewährung abverlangen, die belegt, dass eine Verhaltensänderung
eingetreten ist, die auch eine nachhaltige Bestätigung finden und von Bestand sein wird (vgl.
dazu Beschlüsse vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 40
veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1> und vom 21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 -
Rn. 42 ).
46 Verfahrensfehler weist die angefochtene Entscheidung nicht auf. Der Antragsteller hatte
gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 und § 6 Abs. 1 SÜG Gelegenheit, sich zu den für die Entscheidung
erheblichen Tatsachen zu äußern.
47 2. Der Antrag gegen den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten vom 16. Februar 2011 ist
ebenfalls unbegründet.
48 Auch dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Es besteht auch kein Anspruch auf Neubescheidung.
49 Für die sachliche Zuständigkeit des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der
Verteidigung gelten die oben gemachten Ausführungen entsprechend. Der
Geheimschutzbeauftragte hat im Rahmen seiner Fachaufsicht die Entscheidung über die
Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 - Sabotageschutz) an sich gezogen.
50 Die Feststellung im Bescheid vom 16. Februar 2011, dass in der Person des Antragstellers
ein Sicherheitsrisiko vorliegt, hält die Grenzen des oben dargestellten Beurteilungsspielraumes
ein. Auch bei dieser Feststellung ist der Geheimschutzbeauftragte nicht von einem unrichtigen
oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen.
51 Bei der Sachverhaltserfassung hat er die rechtskräftige Verurteilung des Antragstellers wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort durch den Strafbefehl des Amtsgerichts H. vom 5. August
2009 und die Anordnung eines Fahrverbotes für die Dauer eines Monats berücksichtigt.
Außerdem hat er die Erklärungen des Antragstellers bei der Befragung durch den MAD am 1.
September 2010 und bei der persönlichen Anhörung durch den Geheimschutzbeauftragten am
12. Januar 2010 sowie die Unterlassung einer Anzeige des Fahrverbotes an den
Disziplinarvorgesetzten in den Sachverhalt einbezogen. Ferner hat er den Inhalt der
Stellungnahmen des Antragstellers und seines Bevollmächtigten vom 22. November 2010 bzw.
vom 12. Januar 2011 in seinem Begründungsschreiben vom 16. Februar 2011 aufgegriffen und
im Einzelnen gewürdigt. Diesen Erkenntnisquellen hat er aus den unten erläuterten Gründen
willkürfrei entnommen, dass der Antragsteller eine Straftat nach § 142 Abs. 1 StGB begangen
hat.
52 Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in der strafrechtlich
geahndeten Verfehlung des Antragstellers und in seinen unwahren bzw. unvollständigen
Angaben gegenüber dem MAD, gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten im
Bundesministerium der Verteidigung und gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten hinreichende
tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit erkannt hat. Mit dieser Einschätzung hat der
Geheimschutzbeauftragte auch bei dieser Feststellung weder den anzuwendenden Begriff noch
den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt; er hat insoweit auch
nicht allgemeingültige Wertmaßstäbe missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.
53 Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung mit Nr. 2414
Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (hier im Sinne des § 1 Abs. 4 SÜG) und damit ein
Sicherheitsrisiko begründen, können sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats unter
anderem daraus ergeben, dass der Betroffene eine für die sicherheitsrechtliche Prognose
relevante Straftat begangen hat (vgl. z.B. Beschluss vom 30. Mai 2012 - BVerwG 1 WB 58.11 -
Rn. 35 m.w.N.).
54 Das Delikt des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat der Geheimschutzbeauftragte aus
dem Strafbefehl des Amtsgerichts H. zugrunde gelegt. Da diesem Strafbefehl eine
Bindungswirkung wie etwa dem rechtskräftigem Urteil eines Strafgerichts nicht zukommt (vgl.
dazu: Beschluss vom 30. Mai 2012 - BVerwG 1 WB 58.11 - Rn. 36 - 39), hat er in einer
eigenständigen Beweiswürdigung in sich schlüssig und widerspruchsfrei ausgeführt, dass der
Antragsteller dieses Delikt tatsächlich begangen hat. Er hat dabei insbesondere die Erklärung
des Antragstellers gewürdigt, dass dieser in der Befragung zum Unfallhergang gegenüber der
Polizei eingeräumt habe, er habe den Unfall verursacht und auch bemerkt. Die Äußerung des
Antragstellers, er habe einen karierten Zettel mit seinen persönlichen Daten an der Frontscheibe
des geschädigten Fahrzeugs hinterlassen, hat der Geheimschutzbeauftragte schlüssig und
nachvollziehbar als unglaubwürdig gewertet, weil der Geschädigte ausgesagt habe, nur die
beiden - in Kopie vorliegenden - Zettel eines Zeugen mit dem Namen des Zeugen und dessen
Telefonnummer und der Mitteilung des Unfalls vorgefunden zu haben. Ein Zettel aus kariertem
Papier mit den Daten des Antragstellers sei hingegen nicht auffindbar gewesen. Deshalb sei der
Geschädigte nur aufgrund der Zettel des Zeugen in der Lage gewesen, die Anzeige gegen den
Antragsteller zu erstatten. Abgesehen davon wäre auch dann, wenn der Antragsteller die von
ihm behauptete Nachricht am geschädigten Fahrzeug hinterlassen hätte, seine Wartepflicht als
Unfallverursacher nicht entfallen (vgl. Kammergericht Berlin, Urteil vom 16. Februar 1998 - (3) 1
Ss 153/97 (88/97) - juris Rn. 7).
55 Ohne Rechtsfehler hat der Geheimschutzbeauftragte dieses Verhalten des Antragstellers als
ein ernstzunehmendes sicherheitsrelevantes Fehlverhalten gewertet. Entzieht sich ein Soldat
nach einem von ihm verursachten Verkehrsunfall durch eine Verkehrsunfallflucht der
Verantwortung für den von ihm angerichteten Schaden, lässt er eine charakterliche Einstellung
erkennen, aus der sich gewichtige Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit und an seiner
dienstlichen Zuverlässigkeit ergeben. Ein derartiges Verhalten zeigt in aller Regel eine
verantwortungslose Haltung des Kraftfahrers, der sich auf diese Weise nicht nur der Feststellung
seiner Person und seiner Beteiligung an dem Unfall, sondern auch den berechtigten Ansprüchen
des Geschädigten entzieht (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 17. Oktober 2006 - BVerwG 2 WD 21.05
- Rn. 28, 30). Die Bereitschaft, sich nach einem Verkehrsunfall sofort der Verantwortung für den
verursachten Schaden offen und ohne Ausflüchte zu stellen, weist im Hinblick auf die
Zuverlässigkeit des Betroffenen einen ähnlichen Bezug zu geheimhaltungsbedürftigen
Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen auf wie die Pflicht, in dienstlichen
Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG). Diese Pflicht hat nach der
Rechtsprechung des Senats ein besonderes Gewicht für die sicherheitsrechtliche Beurteilung.
Beim Umgang mit sicherheitsrelevantem Material kommt der Bereitschaft, etwaiges
Fehlverhalten umgehend und wahrheitsgemäß offenzulegen und damit zur möglichst schnellen
und umfassenden Schadensbegrenzung beizutragen, besondere Bedeutung zu. Zweifel an
dieser Bereitschaft begründet, wer versucht, sich durch eine Verkehrsunfallflucht oder durch
unwahre Angaben in dienstlichen Angelegenheiten seiner Verantwortung zu entziehen (vgl.
dazu im Einzelnen: Beschluss vom 21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 =
Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 25 jeweils Rn. 41).
56 Zutreffend hat der Geheimschutzbeauftragte erhebliche sicherheitsrechtliche Bedenken
außerdem aus dem Umstand abgeleitet, dass der Antragsteller seinem Disziplinarvorgesetzten
nicht die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes durch das Amtsgericht H. mitgeteilt hat.
Ausweislich seiner Personalgrundakte hat der Antragsteller am 30. Mai 1997 den Lehrgang
„Kraftfahrer Klasse B (Fortgeschrittene)“ erfolgreich abgeschlossen und gleichzeitig die 1.
Ausbildungs- und Tätigkeitsbezeichnung „Kraftfahrer FE - KL B“ zuerkannt erhalten. Am selben
Tag wurde ihm der Führerschein der Bundeswehr (Listen-Nummer der KF-Ausbildungsstelle:
8456) ausgehändigt. Nach Nr. 405 ZDv 43/2 sind Fahrer von Dienstfahrzeugen verpflichtet,
unverzüglich dem Disziplinarvorgesetzten oder einem ihm vergleichbaren Vorgesetzten die
Anordnung eines Fahrverbotes zu melden. Diese Meldepflicht trifft entgegen der Auffassung des
Antragstellers nicht nur die Soldaten, die aktuell Fahrer bzw. Fahrerin eines Dienstfahrzeugs
sind oder auf einem entsprechenden Dienstposten eingesetzt sind, sondern generell die Inhaber
und Inhaberinnen einer Dienstfahrerlaubnis der Bundeswehr. Das folgt aus Nr. 201 ZDv 43/2,
der zufolge die Dienstfahrerlaubnis der Bundeswehr in der für das Dienstfahrzeug erforderlichen
Klasse grundsätzlich zum Fahren von Dienstfahrzeugen berechtigt und die Inhaber bzw.
Inhaberinnen einer Dienstfahrerlaubnis oder Fahrberechtigung der Bundeswehr für
Dienstfahrzeuge der Klasse B aus dienstlichen Gründen jederzeit durch die anordnungsbefugten
Stellen nach Nr. 441 als Fahrer bzw. Fahrerin eines Dienstfahrzeugs der Bundeswehr eingesetzt
werden können. Die Meldepflicht nach Nr. 405 ZDv 43/2 erstreckt sich deshalb auf jeden Inhaber
einer Dienstfahrerlaubnis oder Fahrberechtigung der Bundeswehr für Dienstfahrzeuge der
Klasse B. Zu diesen gehört der Antragsteller, der seinen Disziplinarvorgesetzten oder einen
vergleichbaren Vorgesetzten über das rechtskräftig verhängte Fahrverbot unstreitig nicht in
Kenntnis gesetzt hat.
57 Nicht zu beanstanden ist auch die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten, dass der
Antragsteller bei seiner Befragung durch den MAD am 1. September 2010 über den Besitz eines
Bundeswehrführerscheins und über die Hinterlassung eines Zettels auf kariertem Papier am
Fahrzeug des Geschädigten falsche Angaben gemacht bzw. gegenüber dem
Geheimschutzbeauftragten bei der persönlichen Anhörung im Januar 2010 die Straftat des
unerlaubten Entfernens vom Unfallort verschwiegen hat. Zutreffend hat der
Geheimschutzbeauftragte ausgesprochen, dass der Antragsteller durch dieses Verhalten das
Vertrauen, welches ihm der Dienstherr bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen
Tätigkeit entgegenbringen muss, nachhaltig geschädigt hat, indem er seiner Wahrheitspflicht
nicht nachgekommen ist.
58 Ein Soldat ist als Betroffener einer Sicherheitsüberprüfung in seinen Äußerungen im Rahmen
der Befragung durch den MAD (§ 3 Abs. 2, § 35 Abs. 3 SÜG in Verbindung mit Nr. 2604 (4) Nr. 1
ZDv 2/30) und im Rahmen seiner Anhörung nach § 6 Abs. 1, Abs. 3 SÜG an die Wahrheitspflicht
nach § 13 Abs. 1 SG gebunden.
59 Nach dieser Vorschrift ist der Soldat verpflichtet, in dienstlichen Angelegenheiten die
Wahrheit zu sagen. Der Begriff der „dienstlichen Angelegenheiten“ erstreckt sich nicht nur im
engeren Sinne auf den eigentlich militärischen Bereich, sondern auch auf alle mit dem Dienst
zusammenhängenden Vorgänge (Urteile vom 19. März 1991 - BVerwG 2 WD 50.90 - BVerwGE
93, 52, 54 und vom 27. August 2003 - BVerwG 2 WD 5.03 - BVerwGE 119, 1, 2), die den Bereich
der Bundeswehr als Teil der Exekutive berühren (Walz/Eichen/Sohm, SG, 2. Auflage 2010, § 13
Rn. 18; Scherer/Alff/Poretschkin, SG, 8. Auflage 2008, § 13 Rn. 2). Die Wahrheitspflicht gilt
hingegen nicht für Aussagen eines beschuldigten Soldaten im Strafverfahren, im gerichtlichen
Disziplinarverfahren, in gerichtlichen Antrags- und Beschwerdeverfahren sowie in Verfahren vor
Exekutivorganen, die nicht der Bundeswehr angehören (Walz et al. a.a.O., § 13 Rn. 19 ff.;
Scherer et al. a.a.O. § 13 Rn. 3; vgl. auch Urteil vom 11. Juli 1968 - BVerwG 2 WD 13.68 und
BVerwG 2 WD 14.68 - BVerwGE 33, 168). § 32 Abs. 4 Satz 4 WDO zieht für das vorgerichtliche
Ermittlungsverfahren die Grenze zum Selbstbelastungsverbot in der Weise, dass der Soldat
darin zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet ist, wenn er sich nach Belehrung zur Aussage
entschließt.
60 Zu den „dienstlichen Angelegenheiten“ gehören - neben den unter Berücksichtigung des § 13
Abs. 5 SÜG abgegebenen Sicherheitserklärungen (vgl. dazu Beschluss vom 28. Februar 2012 -
BVerwG 1 WB 28.11 - Rn. 35 m.w.N.) - auch Erklärungen eines Soldaten als betroffene Person
im Rahmen der Befragung durch die mitwirkende Behörde (MAD) und im Rahmen der Anhörung
nach § 6 Abs. 1, Abs. 3 SÜG, wenn er von der Gelegenheit zur Stellungnahme Gebrauch macht.
Diese Äußerungen stehen nicht im Kontext eines „repressiven“ Straf- oder gerichtlichen
Disziplinarverfahrens, das mit der Verfahrensgarantie des Grundsatzes, dass niemand
verpflichtet ist, sich selbst zu belasten (Selbstbelastungsfreiheit), ausgestattet ist. Die
Sicherheitsüberprüfung verfolgt demgegenüber ausschließlich präventive Ziele zum Schutz der
Sicherheitsinteressen der Bundeswehr. Das ergibt sich aus § 1 und § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG und
entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, der zufolge die Feststellung eines
Sicherheitsrisikos eine Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr mit einer prognostischen
Risikoeinschätzung darstellt (vgl. z.B. Beschluss vom 15. Dezember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09
- Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 29). Die Äußerungen des betroffenen Soldaten in diesem
Verfahren erfolgen im engsten Sinne im Rahmen einer „dienstlichen Angelegenheit“. Denn sie
stehen im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Frage, ob und gegebenenfalls unter
welchen Voraussetzungen die dienstliche Verwendung des betroffenen Soldaten in einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit in Betracht kommt (§ 2 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1, Abs. 3 SÜG
und § 35 Abs. 3 SÜG in Verbindung mit Nr. 2604 (4) Nr. 1 ZDv 2/30).
61 Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, im Erörterungstermin am 12. Januar 2010 habe
er die Unfallflucht nicht erwähnen müssen, weil es in diesem Gespräch mit dem
Geheimschutzbeauftragten nur um den der Disziplinarbuße zugrundeliegenden Vorfall
gegangen sei. Insoweit hat der Geheimschutzbeauftragte - vom Antragsteller nicht bestritten - in
seinem Begründungsschreiben vom 16. Februar 2011 im Einzelnen ausgeführt, dass bei der
Erörterung des weiteren Vorgehens, insbesondere für die in Erwägung gezogene
Sicherheitsüberprüfung Ü 1, ausdrücklich der Hinweis gegeben worden sei, dass keine weiteren
sicherheitserheblichen Erkenntnisse hinzukommen dürften, und dass der Antragsteller daraufhin
erklärt habe, dass dies nicht passieren werde. Daraus lässt sich entnehmen, dass der
Themenkreis im Erörterungstermin beim Geheimschutzbeauftragten die Gesamtsituation
bezüglich aller sicherheitserheblichen Erkenntnisse über den Antragsteller betraf und
insbesondere auch das Problem umfasste, ob weitere, dem Geheimschutzbeauftragten noch
nicht bekannte sicherheitserhebliche Erkenntnisse aufgetreten waren. Deshalb traf den
Antragsteller im Rahmen dieses Erörterungstermins eine umfassende Mitteilungspflicht, die
seine strafgerichtliche Verurteilung durch das Amtsgericht H. einschloss. Die dem Antragsteller
in diesem Gespräch unstreitig angebotene und von ihm akzeptierte Möglichkeit der Einleitung
einer Sicherheitsüberprüfung der Stufe Ü 1 konnte bei objektiver Betrachtung nur dann sinnvoll
sein und in Betracht kommen, wenn über den Antragsteller keine weiteren
sicherheitserheblichen Erkenntnisse vorliegen würden.
62 Die Rechtsauffassung des Antragstellers, er sei zu (wahrheitsgemäßen) Meldungen und
Aussagen nicht verpflichtet, wenn und solange er „nicht im Besitz einer Ü“ sei, geht fehl. Der
präventive Schutzzweck eines eingeleiteten Sicherheitsüberprüfungsverfahrens und die damit
verbundene Bindung des betroffenen Soldaten an die Wahrheitspflicht aus § 13 Abs. 1 SG gilt
auch für Soldaten, die (noch) nicht oder nicht mehr über einen positiven Sicherheitsbescheid des
zuständigen Geheimschutzbeauftragten verfügen.
63 Die erforderlichen Prognoseerwägungen des Geheimschutzbeauftragten lassen keine
Rechtsfehler erkennen. Insbesondere hat der Geheimschutzbeauftragte zutreffend
hervorgehoben, dass eine positive Prognose für den Antragsteller nicht möglich sei, weil er die
Feststellung eines Sicherheitsrisikos in der erweiterten Sicherheitsüberprüfung Ü 2 nicht zum
Anlass genommen habe, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Der Geheimschutzbeauftragte
hat auch die Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der allgemeingültigen
Wertmaßstäbe bei seiner Entscheidung beachtet, indem er ausdrücklich die Möglichkeit einer
(erneuten) Auflagenentscheidung und der Verkürzung der Frist für eine
Wiederholungsüberprüfung geprüft, angesichts des Verhaltens des Antragstellers und der
fehlenden positiven Prognose jedoch ausgeschlossen hat.
64 Weitere Einwände gegen die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten wie etwa eine
Verletzung von Verfahrensvorschriften sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Dr. Frentz
Dr. Langer
Dr. Eppelt