Urteil des BVerwG vom 03.01.2012

BVerwG: nebenanlage, mobilfunk, werkstatt, begriff, bahn, ausnahme, grundstück, zugang, bestätigung, anwendungsbereich

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 27.11
VGH 2 B 11.397
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Januar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 19. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwer-
de geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.
1. Die Beschwerde hält für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine Mobil-
funksendeanlage eine fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne des § 14
Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1990 ist.
Diese Frage ist, soweit sie entscheidungserheblich wäre, nicht klärungsbedürf-
tig. Der Verwaltungsgerichtshof hat als entscheidend für die Einordnung einer
Mobilfunksendeanlage als fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne von
§ 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO angesehen, ob die in Rede stehende Anlage - wie
hier - bezogen auf das gesamte infrastrukturelle Versorgungsnetz eine unterge-
ordnete Funktion hat oder von ihrer Funktion und Bedeutung so gewichtig ist,
dass sie als eigenständig und damit als Hauptnutzung anzusehen ist (UA
Rn. 24). Dass eine Mobilfunksendeanlage, wenn sie bezogen auf das gesamte
infrastrukturelle Versorgungsnetz eine untergeordnete Funktion hat, eine fern-
meldetechnische Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist,
bedarf nicht der Bestätigung in einem Revisionsverfahren. Denn dies ist - wie
der Verwaltungsgerichtshof zutreffend dargelegt hat - in der obergerichtlichen
Rechtsprechung inzwischen allgemein anerkannt (OVG Lüneburg, Beschluss
vom 6. Dezember 2004 - 1 ME 256/04 - BRS 67 Nr. 64; VGH Kassel, Urteil vom
6. Dezember 2004 - 9 UE 2582/03 - BRS 67 Nr. 65; OVG Münster, Beschluss
vom 6. Mai 2005 - 10 B 2622/04 - BRS 69 Nr. 83; VGH München, Urteil vom
1. Juli 2005 - 25 B 01.2747 - BRS 69 Nr. 85; OVG Koblenz, Beschluss vom
5. Februar 2010 - 1 B 11356/09 - BRS 76 Nr. 178; VGH Mannheim, Beschluss
vom 26. April 2010 - 8 S 33/10 - BRS 76 Nr. 82). Der 4. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs, der die Einstufung einer Mobilfunksendeanlage als
fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO in
einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne nähere Begründung
abgelehnt hatte (Beschluss vom 29. Juli 1999 - 4 TG 2118/99 - BRS 62 Nr. 83),
hat bei den anderen Obergerichten keine Gefolgschaft gefunden. Der 10. Senat
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des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der die Frage
in einem Beschluss vom 25. Februar 2003 - 10 B 2417/02 - (ZfBR 2003, 377)
noch offen gelassen hatte, hat sich inzwischen der dargelegten Auffassung der
anderen Obergerichte angeschlossen (OVG Münster, Beschluss vom 6. Mai
2005 a.a.O.). Im Hinblick auf diesen Stand der obergerichtlichen Rechtspre-
chung hat sich die Lage gegenüber dem für die stattgebende Kammerentschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 24. Januar 2007 - 1 BvR
382/05 - BRS 71 Nr. 74) maßgebenden Zeitpunkt des dort angefochtenen Be-
schlusses (2. Februar 2005), in dem eine grundsätzliche Bedeutung der Qualifi-
zierung einer Mobilfunksendeanlage als fernmeldetechnische Nebenanlage im
Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO nicht hätte verneint werden dürfen, we-
sentlich geändert. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Qua-
lifizierung von Mobilfunksendeanlagen ist in der Zwischenzeit zwar nicht ergan-
gen; einen Hinweis zur Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO hat der Se-
nat jedoch bereits in seinem Beschluss vom 1. November 1999 - BVerwG 4 B
3.99 - (BRS 62 Nr. 82) gegeben. Dort hat er die Anwendung des § 14 Abs. 2
BauNVO 1962/1968/1977 auf Mobilfunksendeanlagen abgelehnt. Er hat jedoch
dargelegt, dass der Zweck der Ergänzung des § 14 Abs. 2 BauNVO im Jahr
1990 durch den neuen Satz 2 darin bestanden habe, den Anwendungsbereich
dieser Vorschrift auf fernmeldetechnische Nebenanlagen zu erweitern, weil
auch sie der Versorgung der Baugebiete dienen könnten, jedoch vom Begriff
der Elektrizität nicht erfasst würden. Er ist, ohne über die Voraussetzungen im
Einzelnen entscheiden zu müssen, davon ausgegangen, dass Mobilfunksende-
anlagen seit der Änderung der BauNVO Nebenanlagen im Sinne von § 14
Abs. 2 Satz 2 BauNVO sein können.
Dass Mobilfunksendeanlagen in aller Regel keine baugrundstücks- und bauge-
bietsbezogenen Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind,
weil sie regelmäßig nur in geringem Umfang dem Nutzungszweck eines Bau-
gebiets oder Baugrundstücks dienend zu- und untergeordnet sind (OVG Müns-
ter, Beschluss vom 6. Mai 2005 a.a.O.), steht ihrer Einstufung als Nebenanla-
gen im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO nicht entgegen. Insoweit hat der
Verwaltungsgerichtshof zutreffend dargelegt, dass mit § 14 Abs. 2 Satz 2
BauNVO eine Spezialregelung geschaffen werden sollte, welche dazu dient,
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diesen speziellen Infrastruktursystemen einen erleichterten Zugang zu allen
Baugebieten zu verschaffen. In diesem Zusammenhang hat der Begriff der Ne-
benanlage somit in erster Linie einen instrumentell-rechtstechnischen Zweck,
der mit dem Begriffsinhalt, der ihm sonst in der Baunutzungsverordnung zu-
kommt, nicht übereinstimmt. Welchen Einwänden dieses auch von den anderen
Obergerichten geteilte Verständnis des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ausgesetzt
sein sollte, hat die Beschwerde nicht dargelegt.
2. Die Beschwerde möchte weiter geklärt wissen, ob es für den Gebietserhal-
tungsanspruch eines Nachbarn, der sich gegen eine Mobilfunksendeanlage im
Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO wendet, auf die Tatsache ankommen
kann, dass eine solche Nebenanlage auch den Charakter eines Teils einer ge-
werblichen Hauptanlage aufweist. Sie knüpft damit an die Auffassung des Ver-
waltungsgerichtshofs an, dass eine Mobilfunk-Basisstation bauplanungsrecht-
lich nicht nur Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO sei, son-
dern als Bestandteil eines gewerblich betriebenen Mobilfunknetzes auch eine
- nicht störende - gewerbliche Nutzung im Sinne der Baunutzungsverordnung
darstelle und insoweit einen Teil einer Hauptanlage bilde (UA Rn. 24). Im Hin-
blick auf den geltend gemachten Gebietserhaltungsanspruch war der Verwal-
tungsgerichtshof der Auffassung, dass die nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO
ausnahmsweise mögliche Zulassung einer der dort genannten Nebenanlagen
diesen Anspruch im Ergebnis nicht verletzen könne, auch wenn im vorliegen-
den Fall durch den bereits vorhandenen Gewerbebetrieb am nördlichen Rand
des Gebiets von einer Vorschädigung des Gebiets ausgegangen werde; auf die
Tatsache, dass diese Nebenanlage auch den Charakter eines Teils einer ge-
werblichen Hauptanlage aufweise, komme es insoweit nicht an (UA Rn. 30).
Ob es zutreffend ist, dass der Gebietserhaltungsanspruch durch die Zulassung
einer Mobilfunksendeanlage in einem faktischen reinen Wohngebiet selbst dann
nicht verletzt wäre, wenn die Bauaufsichtsbehörde das ihr in § 34 Abs. 2 i.V.m.
§ 31 Abs. 1 BauGB eingeräumte Ausnahmeermessen im Hinblick auf eine Vor-
schädigung des Gebiets fehlerhaft ausgeübt hätte, kann dahingestellt bleiben.
Denn das angefochtene Urteil beruht nicht auf dieser Rechtsauffassung; die
von der Beschwerde aufgeworfene Frage wäre in einem Revisionsverfahren
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nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht offen ge-
lassen, ob die Bauaufsichtsbehörde ihr Ausnahmeermessen ordnungsgemäß
ausgeübt hat, sondern festgestellt, dass dies der Fall ist (UA Rn. 36). Insoweit
ist er davon ausgegangen, dass ausnahmsweise zugelassene Anlagen keine
prägende Wirkung auf das Baugebiet haben dürfen (UA Rn. 37). Eine solche
prägende Wirkung durch die in Rede stehende Mobilfunksendeanlage hat er
verneint (UA Rn. 38): Es handele sich um die erste und einzige Mobilfunk-
Basisstation im faktischen reinen Wohngebiet. Eine prägende Wirkung insoweit
scheide daher aus. Eine Mitprägung des Baugebiets durch eine Mobilfunk-
Basisstation wäre denkbar bei einer Massierung solcher Anlagen innerhalb ei-
nes Baugebiets, was hier gerade nicht der Fall sei. Nur dann könne der Ge-
bietscharakter des faktischen reinen Wohngebiets geändert oder verfälscht
werden. Die ausnahmsweise zugelassene Anlage bleibe auch quantitativ hinter
der Regelbebauung zurück. Zwar handele es sich hier um den Teil einer weite-
ren gewerblichen Hauptanlage neben der bereits vorhandenen Kfz-Werkstatt.
Letztere befinde sich allerdings ohnehin am Rand des Baugebiets und zudem in
einer immissionsträchtigen Umgebung, nämlich direkt südlich des Schnittpunkts
zweier S-Bahn-Trassen. Zudem handele es sich bei der Mobilfunk-Basisstation
lediglich um eine gewerbliche „Nebennutzung“ auf dem Baugrundstück, das in
der Hauptnutzung weiter der Wohnnutzung vorbehalten bleibe. Die gewerbliche
Nutzung nehme sowohl in Hinsicht auf den Platzverbrauch auf dem Grundstück
als auch im Hinblick auf die Nutzungsintensität nur eine untergeordnete Rolle
ein. Daher liege auch insoweit keine Prägung des Gebiets durch das Bauvor-
haben vor, die zu einem Umkippen führen könnte. Im Ergebnis hat der Verwal-
tungsgerichtshof damit eine Prägung des Baugebiets nicht nur im Hinblick auf
eine - hier nicht gegebene - Massierung von Mobilfunksendeanlagen, sondern
auch im Hinblick auf die angenommene gewerbliche Hauptnutzung unter Be-
rücksichtigung der Vorschädigung des Gebiets durch die bereits vorhandene
Kfz-Werkstatt verneint. Im Hinblick auf diese Begründung hat die Beschwerde
einen Grund für die Zulassung der Revision nicht geltend gemacht. Wenn aber
die Zulassung der Mobilfunksendeanlage in dem faktischen reinen Wohngebiet
im Wege der Ausnahme objektiv rechtmäßig ist, kann der Gebietserhaltungsan-
spruch des Klägers bereits aus diesem Grund nicht verletzt sein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Philipp
Dr. Bumke
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 31 Abs. 1, § 34 Abs. 2
BauNVO
§ 14 Abs. 2 Satz 2
Stichworte:
Mobilfunksendeanlage; Mobilfunk-Basisstation; Nebenanlage; Hauptanlage;
gewerbliche Nutzung; reines Wohngebiet; Gebietserhaltungsanspruch; Aus-
nahmeermessen.
Leitsatz:
Eine Mobilfunksendeanlage, die bezogen auf das gesamte infrastrukturelle Ver-
sorgungsnetz eine untergeordnete Funktion hat, ist eine fernmeldetechnische
Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO.
Beschluss des 4. Senats vom 3. Januar 2012 - BVerwG 4 B 27.11
I. VG München vom 26.01.2009 - M 8 K 08.789 -
II. VGH München vom 19.05.2011 - 2 B 11.397 -