Urteil des BVerwG vom 23.07.2008

BVerwG (rechtliches gehör, akten, verweigerung, interesse, bundesrepublik deutschland, erklärung, ermessensausübung, geheimhaltung, ermessen, hauptsache)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 20 F 7.08
OVG 95 A 1.08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 6. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Juli
2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischen-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat der Fachsenat des
Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Weigerung des Beklagten, die
begehrten Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg vor-
zulegen, rechtmäßig ist.
1. Zutreffend hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass
es im vorliegenden Fall ausnahmsweise unschädlich ist, dass das Verwal-
tungsgericht als Gericht der Hauptsache keinen förmlichen Beschluss erlassen
hat, aus dem sich ergibt, dass es die Vorlage der Akten als entscheidungser-
heblich ansieht, sondern sich auf eine formlose Abgabeverfügung beschränkt
hat.
Ein Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Haupt-
sachegerichts zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die
Entscheidung des Rechtsstreits ist dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn die
zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (Beschlüsse vom
27. Februar 2004 - BVerwG 20 F 10.03 -, vom 26. August 2004 - BVerwG 20 F
19.03 - juris, vom 29. März 2006 - BVerwG 20 F 4.05 - Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 41, vom 4. Mai 2006 - BVerwG 20 F 2.05 <20 PKH 3.05> - und vom
15. Februar 2008 - BVerwG 20 F 13.07 - juris). Das ist immer der Fall, wenn die
Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des Verfahrens
zur Hauptsache ist und die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache von
der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden -
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Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheim-
haltungsbedürftig sind. Entsprechendes gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall -
um die Löschung geheim gehaltener Angaben in den Akten der Verfassungs-
schutzbehörde gestritten wird.
2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem
Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes
Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR
385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November
2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347), das eine Verweigerung der Vor-
lage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in die-
sem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Ak-
teninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden ein-
schließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Le-
ben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse
vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 und vom 25. Februar
2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris).
Gemäß § 1 Abs. 1 BbgVerfSchG ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde
des Landes, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den
Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder
abzuwehren. Dazu gehört es, diese Gefahren durch Sammlung und Auswer-
tung von Informationen gemäß § 3 Abs. 1 BbgVerfSchG frühzeitig zu erkennen,
um deren Abwehr durch die zuständigen Stellen zu ermöglichen. Dieses Ziel
rechtfertigt die Geheimhaltung gewonnener verfassungsschutzdienstlicher In-
formationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Er-
kenntnisgewinnung (Beschluss vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 -
a.a.O.).
3. Grundsätzlich setzt die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorla-
ge (Sperrerklärung) bei Geheimhaltungsbedarf eine Ermessensausübung ge-
mäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO voraus. Der Fachsenat und damit auch das Be-
schwerdegericht haben insoweit nur zu überprüfen, ob die Entscheidung den
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an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anfor-
derungen genügt.
Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird der
obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse
und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung
in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den
Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben
(Beschlüsse vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179
<186>, vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO
Nr. 34, vom 13. Juni 2006 - BVerwG 20 F 5.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO
Nr. 42 und vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris). § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit ge-
heimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsge-
richt, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung
auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Ge-
setz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde,
lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Ge-
heimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven
Rechtsschutzes willen absieht (Beschluss vom 13. Juni 2006 a.a.O.).
Auch soweit die Aktenvorlage Gegenstand des Rechtsstreits selbst ist, sind die
Gründe, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen
können, von denjenigen Gründen zu unterscheiden, die im Verfahren der
Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt werden. Diese
Gründe können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Da die Sperrerklärung
als Erklärung des Prozessrechts auf die Prozesslage abgestimmt sein muss, in
der sie abgegeben wird, genügt es grundsätzlich nicht, in ihr lediglich auf die
die Sachentscheidung tragenden Gründe des - je nach Fachgesetz im Einzel-
nen normierten - Geheimnisschutzes zu verweisen. Die oberste Aufsichtsbe-
hörde ist vielmehr im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in be-
sonderer Weise in den Blick zu nehmen, welche rechtsschutzverkürzende Wir-
kung die Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess für den Betroffenen haben
kann. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Ver-
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fahrensbestimmung. Dementsprechend ist der obersten Aufsichtsbehörde auch
in den Fällen Ermessen zugebilligt, in denen das Fachgesetz der zuständigen
Fachbehörde kein Ermessen einräumt (Beschlüsse vom 1. August 2007
- BVerwG 20 F 10.06 - juris Rn. 5 und vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F
2.07 - NVwZ 2008, 554 = DVBl 2008, 655 = DÖV 2008, 510 - zur Veröffentli-
chung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Maßstab ist dabei neben dem
privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz und dem - je nach Fallkonstella-
tion - öffentlichen oder privaten Interesse an Geheimnisschutz auch das öffent-
liche Interesse an der Wahrheitsfindung (BVerfG, Beschluss vom 14. März
2006 - 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 - BVerfGE 115, 205 <241>). Die oberste
Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise er-
kennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verwei-
gerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat.
4. Nach diesen Grundsätzen ist die Verweigerung des Beklagten nicht zu be-
anstanden. Der mit der obersten Aufsichtsbehörde i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO identische Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 26. September 2007
gegenüber dem Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache geweigert, den
Verwaltungsvorgang vorzulegen.
4.1 Soweit der Kläger geltend macht, es bestünden gewichtige Zweifel, ob die
Sperrerklärung überhaupt von der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde ab-
gegeben worden sei, weil die Erklärung - wie Aktenzeichen und der namentlich
aufgeführte Bearbeiter belegten - von der Verfassungsschutzbehörde stamme,
wird nicht beachtet, dass § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO lediglich fordert, dass „die“
oberste Aufsichtsbehörde, also das zuständige Bundes- oder Landesminis-
terium über die Verweigerung entscheidet. Der Zweck der besonderen Zustän-
digkeitsregelung in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Missbräuche bei der Geheimhal-
tung von Akten nach Möglichkeit auszuschalten und der Erklärung eine beson-
dere Autorität zu verleihen, ist bereits durch den Rang der Behörde gewährleis-
tet, für die der Minister als deren Leiter eine besondere politische Verantwor-
tung trägt. Im vorliegenden Fall hat das Ministerium des Innern des Landes
Brandenburg durch seinen Staatssekretär die Sperrerklärung abgegeben; die-
ser zeichnet damit in rechtlicher Hinsicht verantwortlich für die Erklärung. Wer
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nach den organisationsinternen Regelungen als sogenannter Entwurfsverfasser
die Entscheidung vorbereitet hat, ist dagegen unerheblich. Es handelt sich inso-
fern nicht um eine Erklärung der Verfassungsschutzbehörde. Im Übrigen ist es
selbst unter Berücksichtigung eines etwaigen Interessenkonflikts nicht geboten,
dass stets der Minister persönlich oder sein Vertreter die Erklärung abgibt. Sie
kann auch durch den Prozesssachbearbeiter oder einen anderen Referenten
des Ministeriums erfolgen (Beschluss vom 1. Februar 1996 - BVerwG 1 B
37.95 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 24).
4.2 Die Sperrerklärung genügt den Anforderungen des § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO.
Soweit der Kläger einwendet, die in der Sperrerklärung vom 26. September
2007 dargelegten Gründe des Geheimhaltungsinteresses i.S.d. § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO seien zu unbestimmt (Beschwerdebegründung S. 4) und im Zu-
sammenhang mit Einwänden gegen die Ermessensausübung eine mangelnde
Differenzierung zwischen unterschiedlichen Akteninhalten rügt (Beschwerdebe-
gründung S. 5 f.), ist ihm zuzugeben, dass die Ausführungen - wie auch das
Oberverwaltungsgericht angemerkt hat (BA S. 3) - sehr allgemein gehalten
sind. Auch hat es der Beklagte versäumt, die Aktenstücke (Deckblätter und An-
lagen) mit Blattzahlen zu präzisieren und formale Merkmale anzuführen (vgl.
dazu Beschluss vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - a.a.O.), um an-
hand dieser Kriterien die Geheimhaltungsbedürftigkeit des (gesamten) Akten-
stücks zu begründen. Auf das Schreiben des Beklagten vom 7. Februar 2008
kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, weil dieses Schreiben keine
verwertbare Sperrerklärung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO darstellt (dazu
sogleich unter 4.3). Die Sperrerklärung vom 26. September 2007 bezieht sich
aber erkennbar auf den konkreten Einzelfall. Dies machen die Ausführungen
deutlich, dass der Kläger anlässlich einer Demonstration von den eingesetzten
Polizeikräften als vermummt festgestellt worden sei und angenommen werde,
dass er aus dem Block der militanten linksextremistischen Demonstrationsteil-
nehmer stamme. Zudem enthält die Sperrerklärung zusammenfassend inhaltli-
che Erläuterungen zur Bedeutung der gesammelten Erkenntnisse und der Not-
wendigkeit des Quellenschutzes.
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Die Durchsicht der Aktenstücke belegt die Geheimhaltungsgründe. Die Fest-
stellung des Fachsenats, dass die Aktenstücke geheimhaltungsbedürftig sind,
ist nicht zu beanstanden. Der Senat hat die von dem Beklagten vorgelegten,
uneingeschränkt lesbaren Aktenstücke im Einzelnen durchgesehen. Unter Be-
rücksichtigung der Verpflichtung zur Geheimhaltung gemäß § 99 Abs. 2
Satz 10 Halbs. 2 VwGO einerseits und der Pflicht zur Begründung gemäß
§ 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO andererseits ist festzuhalten, dass die gesperrte
Akte in ihrer Gesamtheit gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbe-
dürftig ist. Bei den gesperrten Aktenstücken handelt es sich um als vertraulich
eingestufte Verschlusssachen, die jeweils neben Sachverhaltsschilderungen
der Quelle auf sogenannten Deckblättern zahlreiche Aktenzeichen, Organisati-
onskennzeichen, Verfügungen, Randbemerkungen, Unterstreichungen und
namentliche Hinweise enthalten. Zu Recht hat der Fachsenat des Oberverwal-
tungsgerichts auch festgestellt, dass eine teilweise Schwärzung der Aktenstü-
cke nicht in Betracht kommt. Die Überprüfung durch den Senat hat keine Bean-
standungen ergeben.
Soweit der Kläger rügt, der Fachsenat benenne in der angefochtenen Ent-
scheidung nur „eine“ Quelle, während in der Sperrerklärung auf „Quellen“ ver-
wiesen werde (Beschwerdebegründung S. 4), scheint er die Ausführungen des
Fachsenats misszuverstehen: Der Fachsenat nimmt Bezug auf Sachverhalts-
schilderungen auf sogenannten Deckblättern (BA S. 4) - im Plural -, bezieht
sich also erkennbar auf mehrere Begebenheiten, woraus ohne Weiteres folgt,
dass mit „der“ Quelle nicht zwingend nur „eine“ Person als Quelle gemeint ist.
Soweit der Kläger vorträgt, aus der Sperrerklärung ergebe sich, dass beim Be-
klagten Aktenstücke vorhanden seien, die nicht der Geheimhaltung unterlägen
(Beschwerdebegründung S. 4), ist anzumerken, dass der Fachsenat und damit
auch das Beschwerdegericht nur über die Verweigerung der Vorlage der Ak-
tenstücke zu entscheiden haben, die im Rahmen des „in-camera“-Verfahrens
vorgelegt worden sind. Ob und gegebenenfalls welche Akten, die nicht Gegen-
stand des Zwischenverfahrens sind, gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzule-
gen sind, entscheidet das Gericht der Hauptsache.
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Wie sich weiter aus der Sperrerklärung vom 26. September 2007 ergibt, hat der
Beklagte in seiner Eigenschaft als oberste Aufsichtsbehörde auch das ihm
durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Ermessen erkannt und geprüft, ob
überwiegende Interessen an der unbeschränkten Offenlegung der Aktenstücke
trotz ihres geheimen Inhalts gegeben sind. Auch diese Ausführungen sind zwar
sehr allgemein gehalten. Die Behörde hat sich aber nicht darauf beschränkt,
die Gründe die Verweigerung aufzuzeigen, sondern hat das festgestellte Ge-
heimhaltungsinteresse sowohl gegen das öffentliche Interesse an der von Amts
wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Hauptsachegericht als
auch gegen das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Lö-
schungsanspruchs abgewogen. Zwar könnte die Formulierung, dass aufgrund
des „Vorliegens der hier niedergelegten Erwägungen … die Ermessensent-
scheidung … nicht anders ausfallen“ kann, zunächst die Annahme nahelegen,
die Behörde habe sich bei ihren Ermessenserwägungen „gebunden“ gefühlt
und auf eine Ermessensentscheidung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO - wie
auch der Kläger rügt (Beschwerdebegründung S. 5 bis 8) - verzichtet. Mit dem
Hinweis auf das Informations- und Rehabilitationsinteresse des Klägers, das
die Behörde mit Blick auf das zeitliche Moment der Aktualität unter Hinweis auf
das letzte „Speicherdatum“ in Bezug setzt zur konkreten Prozesssituation, wer-
den jedoch Punkte aufgezeigt, die die Ermessenserwägungen tragen. Diese
Ausführungen sind zwar sehr kurz gehalten, genügen aber (noch) den Anforde-
rungen an eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dass
sich die Behörde bei dem zeitlichen Faktor möglicherweise (auch) an dem Re-
gellöschungstermin orientiert hat, den sie ausweislich des im Hauptsachever-
fahren angefochtenen Bescheids vom 2. August 2006 auf den 1. Oktober 2008
datiert hat, ändert nichts daran, dass sie anlässlich der Abgabe der Sperrerklä-
rung erkannt hat, dass ihr ein auf die spezifische Prozessrechtssituation ausge-
richtetes Ermessen zusteht und dass sie dieses Ermessen auch ausgeübt hat.
Dass dieser Termin zwischenzeitlich verstrichen ist und daher die Daten ge-
sperrt wurden, ist für das Zwischenverfahren mangels vollzogener Löschung
und damit Abschluss des Hauptsacheverfahrens ohne Belang.
4.3 Die Erwägungen in der Sperrerklärung vom 26. September 2007 hat der
Beklagte mit Schreiben vom 7. Februar 2008, das als Anschreiben an den
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Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts den vorzulegenden Akten beigefügt
war, erläutert und vertieft. Dieses Schreiben hat der Beklagte als geheimhal-
tungsbedürftig eingestuft und der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat
das Schreiben daher nicht als Bestandteil der Gerichtsakte behandelt, sondern
als amtlich geheim zu haltende Verschlusssache der vertraulichen Beiakte zu-
geordnet, so dass der Kläger - wie er auch rügt (Beschwerdebegründung S. 3) -
das Schreiben weder als Prozesspartei zur Kenntnis erhalten hat noch im We-
ge der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO Kenntnis davon hätte erlan-
gen können. Gleichwohl hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts den
Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.
Allerdings hat der Kläger als Beteiligter unter dem Gesichtspunkt des rechtli-
chen Gehörs auch im Zwischenverfahren einen Anspruch darauf, sich zu jeder
dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme der
Gegenseite zu äußern. Davon sieht § 99 Abs. 2 VwGO keine Ausnahme vor.
Einer Behörde steht es nicht zu, durch Erklärung, dass ein an das Gericht ge-
richteter Schriftsatz als Verschlusssache einzustufen sei, die dem Gericht in
Ausübung seiner Rechtsprechungsgewalt zustehende Verfügungsbefugnis
über den Schriftsatz zu verkürzen. Denn das Recht und die Pflicht des Ge-
richts, den Beteiligten nach dem auch im „in-camera“-Verfahren geltenden
Grundsatz des rechtlichen Gehörs alle prozessrelevanten Äußerungen im
Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zur Kenntnis zu geben, steht nicht zur
Disposition der Behörde. Eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs bei der
Ausgestaltung des „in-camera“-Verfahrens ist auch nicht erforderlich, um den
Geheimnisschutz zu sichern. Ebenso wie die Entscheidungsgründe des Fach-
senats Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden oder Akten nicht erken-
nen lassen dürfen, kann die über die Aktenvorlage entscheidende Behörde ihre
Äußerungen gegenüber dem Gericht so abfassen, dass der von ihr begehrte
Geheimnisschutz auch dann gewahrt bleibt, wenn der Schriftsatz prozessord-
nungsgemäß dem Gegner zugestellt wird. Das Schreiben des Beklagten vom
7. Februar 2008 hätte daher vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts an
den Beklagten zurückgegeben werden müssen (vgl. Beschluss vom
17. November 2003 - BVerwG 20 F 16.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 35).
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Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat jedoch das Schreiben vom
7. Februar 2008 nicht unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtli-
ches Gehör verwertet. Denn er hat bei der Überprüfung der Ermessensaus-
übung nur auf die Sperrerklärung vom 26. September 2007 abgestellt und das
Schreiben des Beklagten vom 7. Februar 2008 insoweit als unbeachtlich ange-
sehen. Soweit der Fachsenat den Inhalt des Schreibens vom 7. Februar 2008
- bei der Prüfung der Geheimhaltungsgründe - wiedergibt und daran anschlie-
ßend feststellt, er habe sich von der Richtigkeit dieser Einschätzungen auf-
grund eigener Durchsicht der vorgelegten Akten überzeugt (BA S. 3), ist ihm
ebenfalls keine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör
unterlaufen. Denn der von ihm in diesem Zusammenhang hervorgehobene
Umstand, dass die zurückgehaltenen Akten Veranstaltungen der linksextremis-
tischen Szene beschreiben, an denen der Kläger teilgenommen hat, war dem
Kläger schon aufgrund des Vortrags des Beklagten im Hauptsacheverfahren
und des Inhalts der Sperrerklärung bekannt, so dass er zur Bedeutung dieses
Umstands für die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten Stellung nehmen
konnte. Zu der vom Fachsenat an derselben Stelle angesprochenen Frage
nach der Möglichkeit einer teilweisen Offenbarung des Akteninhalts hatte der
Kläger bereits von sich aus Stellung genommen.
Da das Schreiben vom 7. Februar 2008 im Zwischenverfahren nicht verwertbar
ist, war auch dem in der Beschwerdebegründung vom 17. Oktober 2008 enthal-
tenen Antrag des Klägers auf Mitteilung des Schreibens und Einräumung der
Gelegenheit der Stellungnahme nicht zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Bardenhewer Prof. Dr. Kugele Dr. Bumke
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