Urteil des BVerwG vom 13.09.2006

BVerwG: afghanistan, religion, bundesamt, dolmetscher, vergleich, gesellschaft, anerkennung, begriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 113.06
VGH 8 UE 811/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. September 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 27. April 2006 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungs-
gründe nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genü-
genden Weise dar.
1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
„ob die Situation der Hindus in Afghanistan, so wie sie D.
in dem in das Verfahren eingeführten Gutachten sowie im
weiteren in seiner Stellungnahme gegenüber dem Verwal-
tungsgerichtshof im Rahmen der mündlichen Verhandlung
geschildert hat, eine Verfolgungssituation der Hindu im
Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG in der Auslegung nach
Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates
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vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerken-
nung und den Status von Drittstaatsangehörigen“
darstellt (Beschwerdebegründung S. 4).
Sie verweist darauf, dass nach Art. 10 Nr. 1 b der Richtlinie der Begriff der Re-
ligion auch die Religionsausübung im privaten und öffentlichen Bereich umfas-
se und eine solche Religionsausübung für Hindus in Afghanistan nicht mehr
möglich sei. Hindus seien nach dem Gutachten von Dr. D. vielmehr „von der
Gesellschaft abgeschnitten, gemieden und könnten sich lediglich in zerstörten
Hindutempeln ghettoisiert“ aufhalten. Darin liege eine religiöse Verfolgung nach
Art. 10 der Richtlinie vor. Wann religiöse Verfolgung vorliege, sei auch schon
vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie am 10. Oktober 2006 bei der
Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.
Mit diesem Vorbringen wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Die Beschwerde wirft
schon keine der Klärung in einem Revisionsverfahren zugängliche Rechtsfrage
auf. Die erwähnte Frage zielt nämlich nicht auf die rechtlichen Voraussetzun-
gen einer Verfolgung wegen der Religion im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG,
sondern betrifft nach ihrem Wortlaut wie nach den weiteren Ausführungen der
Beschwerde in erster Linie die konkrete Verfolgungssituation für Hindus in
Afghanistan. Diese lässt sich aber nur aufgrund der dem Tatrichter vorbehalte-
nen Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan
beantworten und ist damit in Wahrheit letztlich eine Tatsachenfrage, die sich
einer verbindlichen Klärung im Revisionsverfahren entzieht. Aber selbst wenn
man davon ausginge, dass mit der Tatsachenfrage zugleich einer revisons-
rechtlichen Klärung zugängliche Rechtsfragen aufgeworfen würden, legt die
Beschwerde deren Entscheidungserheblichkeit nicht dar. In dem angefochte-
nen Urteil wird ausdrücklich offen gelassen, ob die derzeitige Situation der Hin-
dus in Afghanistan den Tatbestand einer asylerheblichen Verfolgung erfüllt. Da
das Berufungsgericht über einen Folgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG zu entscheiden hatte, stützt es seine klageabweisende Entscheidung
unter anderem darauf, dass hinsichtlich der Verfolgung von Hindus in Afghanis-
tan keine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ge-
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genüber derjenigen, die dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts
vom 10. März 1999 über den Erstantrag zugrunde gelegen hat, eingetreten sei.
Die Verfolgungssituation habe sich für die Kläger im Vergleich zur Regierungs-
zeit der Taliban nicht verschlechtert oder verschärft, sondern eher verbessert
(UA S. 10 f.). Die Beschwerde geht auf die besonderen Voraussetzungen eines
Folgeverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und die diesbezüglichen
Ausführungen des Berufungsgerichts im Rahmen der erhobenen Grundsatzrü-
ge überhaupt nicht ein und zeigt auch nicht auf, warum es unter Zugrundele-
gung der für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 137 Abs. 2
VwGO) zur fehlenden Verschärfung der Verfolgungssituation noch darauf an-
kommen soll, ob der Tatbestand der religiösen Verfolgung im Sinne der EG-
Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Nach dem legt die Beschwerde auch
nicht in der erforderlichen Weise die rechtsgrundsätzliche Klärungsbedürftigkeit
der ebenfalls aufgeworfenen Fragen dar, ob sich die Kläger bereits vor Inkraft-
treten der genannten Richtlinie auf diese berufen können und insoweit nach der
Qualifikationsrichtlinie „die Religionsausübung im Heimatland auf den privaten
und nachbarschaftlich kommunikativen Bereich“ beschränkt werden kann.
2. Die Beschwerde rügt weiter, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Ver-
fahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil das Berufungsgericht das recht-
liche Gehör der Kläger verletzt habe. Eine Verletzung des Gebots zur Gewäh-
rung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) liege darin,
dass das Gericht den asylrechtlichen Folgeantrag der Kläger unter Hinweis auf
unzureichendes Vorbringen innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zurück-
gewiesen habe, obwohl den der deutschen Sprache nicht mächtigen Klägern
bei Aufnahme ihres Antrags durch das Bundesamt kein Dolmetscher gestellt
worden sei. Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen legt die Beschwerde nicht
wie erforderlich dar, dass das Berufungsurteil auf dem geltend gemachten Ge-
hörsverstoß beruhen kann. Die Beschwerde, die eine Verschlechterung der
Lage für Hindus in Afghanistan behauptet, setzt sich nicht damit auseinander,
dass das Berufungsgericht das Urteil auch - insoweit selbstständig tragend -
darauf gestützt hat, dass - unabhängig von den Angaben der Kläger im Folge-
antrag vom 31. Oktober 2001 - keine Änderung der Sachlage im Sinne von
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegt (UA S. 10 f.). Einen weiteren Wiederaufgrei-
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fensgrund macht die Beschwerde nicht geltend. Die im Rahmen der zweiten
Begründung getroffenen Feststellungen hat die Beschwerde nicht mit Verfah-
rensrügen angegriffen. Ist ein Berufungsurteil - wie hier - auf mehrere selbst-
ständig tragende Gründe gestützt, kann der Beschwerde gegen die Nichtzulas-
sung der Revision nur entsprochen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser
Gründe ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl.
z.B. Beschluss vom 15. Juni 1990 - BVerwG 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art. 116
GG Nr. 20). Daran fehlt es hier.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich
aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig
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