Urteil des BVerwG vom 31.05.2012

BVerwG: auslegung nach dem wortlaut, berechtigte person, versorgung, anpassung, rechtskraft, tod, analogie, öffentlich, diskriminierung, versicherungsprinzip

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 6.12
VGH 21 BV 11.151
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
Dr. Held-Daab
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 15. November 2011 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 7 412,76 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der 1960 geborene Kläger ist Bezirksschornsteinfegermeister und Mitglied der
Beklagten. Er begehrt die Rückübertragung von Rentenanwartschaften, die im
Wege des Versorgungsausgleichs zugunsten der Rentenversicherung seiner
geschiedenen Ehefrau begründet wurden. Seinen Antrag, die von ihm abgetre-
tenen Rentenanteile nach dem Tod seiner geschiedenen Ehefrau am
19. Februar 2010 wieder seinem Rentenkonto gutzuschreiben, lehnte die Be-
klagte mit Bescheid vom 26. März 2010 ab. Durch das zum 1. September 2009
in Kraft getretene Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs sei
das Verfahren über den Versorgungsausgleich grundlegend neu geregelt wor-
den. Einen Wegfall der Kürzung des Anrechts der ausgleichspflichtigen Person,
wenn die berechtigte Person vor ihrem Tod keine Leistungen erworben habe,
sehe die nun geltende Rechtslage für die Beklagte nicht mehr vor. Die Berufung
des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts
wurde zurückgewiesen.
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Auch die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
bleibt ohne Erfolg. Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergibt sich aus der Beschwerdebe-
gründung nicht.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine
Rechtssache nur dann, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche
Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht oder
nicht hinlänglich geklärt ist und die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung
des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse
vom 17. August 2009 - BVerwG 6 B 9.09 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht
Nr. 166 = NVwZ 2009, 1569 und vom 9. September 2011 - BVerwG 8 B 15.11 -
ZOV 2011, 226). Daran fehlt es hier.
1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
ob Beschäftigte oder selbstständig Tätige, die versiche-
rungspflichtig und hiervon nicht befreit sind, aber aufgrund
einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beru-
henden Verpflichtung Zwangsmitglied einer öffentlich-
rechtlichen Versorgungseinrichtung oder Versorgungsein-
richtung ihrer Berufsgruppe sind, zumindest analog unter
§ 37 VersAusglG fallen,
bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sich ihre Beant-
wortung ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach dem am
1. September 2009 in Kraft getretenen Versorgungsausgleichsgesetz
(VersAusglG) vom 3. April 2009 (BGBl I S. 700). Die Übergangsregelung des
§ 49 VersAusglG, nach der die §§ 4 bis 10 des Gesetzes zur Regelung von
Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) weiterhin anzuwenden sind, findet
hier keine Anwendung, weil der Antrag auf Rückübertragung der abgetretenen
Rentenanteile nicht vor dem 1. September 2009 beim Versorgungsträger ein-
gegangen ist. Eine Anpassung nach Rechtskraft des Versorgungsausgleichs,
zu der auch die Regelung des § 37 VersAusglG gehört, ist nunmehr nur noch
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für die in § 32 VersAusglG aufgeführten Anrechte möglich. Dazu gehören die
Versorgungsanrechte des Klägers bei der Beklagten nicht. Das ergibt sich aus
dem Wortlaut der Regelung, aus der Gesetzeshistorie und der Systematik.
Ersichtlich handelt es sich bei den hier streitigen Anrechten nicht um solche aus
der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung oder einer
anderen Versorgung, die zur Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 SGB VI
führt (§ 32 Nr. 1 und 2 VersAusglG). Ebenso scheidet eine Anwendung auf-
grund § 32 Nr. 4 und 5 VersAusglG aus, da es sich weder um die Alterssiche-
rung der Landwirte noch um ein Versorgungssystem der Abgeordneten und
Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern handelt. Aber auch die Re-
gelung des § 32 Nr. 3 VersAusglG ist, wie das Berufungsgericht zu Recht fest-
gestellt hat, auf den Kläger nicht anwendbar. Denn die Anrechte, die der Kläger
bei der Beklagten erworben hat, führen nicht zu einer Befreiung von der Sozial-
versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 SGB VI. Der Kläger ist viel-
mehr gemäß § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI versicherungspflichtig. Die für den Kläger
obligatorische Versorgung gemäß §§ 29 ff. Schornsteinfegergesetz (SchfG)
ersetzt nicht die gesetzliche Rentenversicherung, sondern tritt als Zusatzver-
sorgung ergänzend hinzu. Damit fällt sie nicht unter § 32 Nr. 3 VersAusglG, so-
dass § 37 VersAusglG nicht zur Anwendung kommen kann.
Dieses Ergebnis der Auslegung nach dem Wortlaut des Gesetzes wird durch
die Entstehungsgeschichte bestätigt. Nach der amtlichen Begründung (vgl.
BTDrucks 16/10144 S. 71 f.) sind die Vorschriften zur Vermeidung verfas-
sungswidriger Härten obligatorisch nur für die Regelsicherungssysteme vorge-
sehen. Im Bereich der ergänzenden Altersvorsorge sollen die Anpassungsvor-
schriften demgegenüber grundsätzlich nicht zur Anwendung kommen. Dement-
sprechend zählen die Nr. 1 bis 5 des § 32 VersAusglG abschließend auf, für
welche Regelsicherungssysteme die Vorschriften der §§ 33 bis 38 VersAusglG
gelten (BTDrucks 16/10144 S. 72; vgl. auch Breuers, juris PK-BGB, 5. Aufl.
2010, § 32 VersAusglG Rn. 3; Ruland, Versorgungsausgleich, 3. Aufl. 2011,
Rn. 926).
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Da der Gesetzgeber Anpassungen des Versorgungsausgleichs nach dessen
Rechtskraft auf die Regelsicherungssysteme beschränkt hat, ist es auch nicht
systemwidrig, wenn diese Regelungen auf die Versorgungsanrechte des Klä-
gers gegenüber der Beklagten keine Anwendung finden. Denn hierbei handelt
es sich nicht um ein Regelsicherungssystem, sondern um eine berufsständi-
sche Zusatzversorgung. Auch wenn diese für den Kläger obligatorisch ist, tritt
sie nicht an die Stelle der Pflichtversicherung in den sozialen Rentenversiche-
rungen, sondern ergänzt diese (vgl. im Einzelnen § 29 Abs. 5 SchfG). Dass
dem Nachteil des Klägers wegen des Versterbens seiner geschiedenen Ehe-
frau vor Bezug einer Versorgung kein vergleichbarer Vorteil gegenübersteht,
entspricht dem Versicherungsprinzip.
Eine analoge Anwendung der Anpassungsregelungen und damit auch des § 37
VersAusglG scheidet schon deshalb aus, weil es an den Voraussetzungen ei-
ner Analogie, nämlich einer Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hat die An-
passungsregelungen ausdrücklich und bewusst auf die Regelsicherungssyste-
me beschränkt. Eine entsprechende Anwendung auf andere Anrechte bei öf-
fentlich-rechtlichen Versorgungsträgern würde dem gesetzgeberischen Willen
widersprechen (vgl. auch Breuers, a.a.O. Rn. 10 unter Hinweis auf BTDrucks
16/10144 S. 72).
2. Auch die weitere vom Kläger für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage, ob die
Regelungen der §§ 32 ff. VersAusglG verfassungswidrig sind und damit die al-
te, für den Kläger günstigere Rechtslage gemäß § 4 VAHRG anzuwenden ist,
kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Die Beschwerdebegründung be-
anstandet einen Verfassungsverstoß, ohne eine im Revisionsverfahren klä-
rungsbedürftige verfassungsrechtliche Rechtsfrage zu formulieren. Sie lässt
auch nicht erkennen, worin der Kläger die Verfassungswidrigkeit sieht. Der
Hinweis auf die Möglichkeit einer Ungleichbehandlung ohne jede Darlegung zu
den Voraussetzungen einer unzulässigen Diskriminierung genügt dazu ebenso
wenig wie der nicht belegte allgemeine Hinweis auf die einschlägige Literatur.
Mit der die Verfassungsmäßigkeit der Regelung bejahenden Rechtsprechung
(vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 16. Juni 2011 - 18 UF 107/11 - juris
Rn. 18 f.) setzt er sich nicht auseinander.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. von Heimburg
Dr. Held-Daab
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Kammerrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VersAusglG §§ 32, 37
Stichworte:
Altersvorsorge, ergänzende; Anpassung; Anrechte; Bezirksschornsteinfeger-
meister; Regelsicherungssystem; Sozialversicherungspflicht; Versorgung; Ver-
sorgung, berufsständische; Versorgungsansprüche; Zusatzversorgung.
Leitsatz:
§ 32 VersAusglG lässt die Anpassung von Anrechten nach Rechtskraft des Ver-
sorgungsausgleichs nur für Regelsicherungssysteme zu. Eine analoge Anwen-
dung auf - obligatorische - berufsständische Zusatzversorgungen (hier: Bezirks-
schornsteinfegermeister) kommt nicht in Betracht.
Beschluss des 8. Senats vom 31. Mai 2012 - BVerwG 8 B 6.12
I. VG München vom 04.11.2010 - Az.: VG M 12 K 10.3273 -
II. BayVGH vom 15.11.2011 - Az.: VGH 21 BV 11.151 -