Urteil des BVerwG vom 18.07.2007

BVerwG: rechtliches gehör, persönliche anhörung, vertagung, hund, vertrauensschutz, ausreise, verwaltung, gewährleistung, aufklärungspflicht, vorschlag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 95.06
OVG 14 A 375/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juli 2007
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2006 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 8 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts hat keinen Erfolg; die geltend gemachten Gründe
rechtfertigen eine Revisionszulassung nicht.
1. Die Aufklärungs- und Gehörsrüge (Nr. 2 der Beschwerdebegründung), mit
der die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht hätte nicht ohne An-
hörung und Inaugenscheinnahme der Kläger zu 2 bis 5 davon ausgehen dür-
fen, dass diese die deutsche Sprache nicht auf dem Niveau der Stufe A 1 des
Europäischen Referenzrahmens für Sprache beherrschten, und zumindest hät-
te das Gericht die Sache vertagen müssen, um den Klägern Gelegenheit zu
geben, das insoweit für erforderlich gehaltene Zertifikat zu erwerben, greift nicht
durch.
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Soweit die Beschwerde die unterbliebene persönliche Anhörung der Kläger zu
2 bis 5 zu ihren Sprachkenntnissen rügt und in diesem Zusammenhang geltend
macht, auch wenn die Kläger nicht behauptet hätten, die nach dem vom Ge-
richt angelegten Prüfungsmaßstab für die erforderlichen „Grundkenntnisse“ er-
forderlichen Sprachkenntnisse zu besitzen, hätte es die bei den Klägern nach
ihrem Vortrag vorhandenen Sprachkenntnisse überprüfen müssen, trägt sie
dem Umstand nicht Rechnung, dass der Umfang der Aufklärungspflicht sich
vom Rechtsstandpunkt des Gerichts her bestimmt. Mit dem Vorbringen, auch
ohne Zertifikatkenntnisse verfügten die Kläger aufgrund ihres aktenkundigen
Sprachkursbesuches über die vom Gesetzgeber vorgesehenen Sprachkennt-
nisse, greifen sie den gerichtlichen Prüfungsmaßstab selbst an; damit lässt eine
Aufklärungsrüge sich nicht begründen.
Soweit die Beschwerde eine Vertagung zum Zwecke der Ermöglichung des
Zertifikaterwerbs für geboten hält, verkennt sie, dass die Vertagung grundsätz-
lich nicht den Zweck hat, den Parteien Gelegenheit zu geben, einzelne An-
spruchsvoraussetzungen für den Erfolg der Klage zu schaffen oder herzustel-
len. „Erhebliche Gründe“ im Sinne des gemäß § 173 Satz 1 VwGO geltenden
§ 227 Abs. 1 ZPO sind vielmehr nur solche Umstände, die zur Gewährleistung
des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Kon-
zentrationsgebots erfordern, weil die Beteiligten sich trotz aller zumutbaren ei-
genen Bemühungen nicht in hinreichender Weise rechtliches Gehör verschaf-
fen können (vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 29. April 2004 - BVerwG 3 B
118.03 - juris Rn. 3). Ein solcher Fall lag hier offensichtlich nicht vor.
Davon abgesehen müssten die Kläger sich auch entgegenhalten lassen, dass
sie einen Vertagungsantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt ha-
ben. Sie haben vielmehr den Vorschlag der Beklagten, die bisherigen Kläger
zu 2 bis 5 nach Zurücknahme der Berufung und nachträglicher Vorlage des
erforderlichen Zertifikats in den Aufnahmebescheid des Klägers zu 1 einzube-
ziehen, ohne sich insoweit auf die Bestandskraft der ablehnenden Bescheide
zu berufen, mit der Begründung abgelehnt, dass die Sprachanforderungen für
Einbeziehungsberechtigte verfassungswidrig seien (vgl. GA S. 55, 57).
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2. Die Grundsatzrüge, mit welcher der Kläger zu 1 das erforderliche Niveau der
„Grundkenntnisse der deutschen Sprache“ geklärt haben möchte (Nr. 3 der Be-
schwerdebegründung), hat aus den vom Senat bereits in seinem dem Prozess-
bevollmächtigten bekannten Beschluss vom 30. Oktober 2006 - BVerwG 5 B
55.06 - dargelegten Gründen, auf die Bezug genommen wird (Beschlussaus-
druck S. 3 - 4 unter 3.), keinen Erfolg. Soweit die von dem Kläger zu 1 hierge-
gen nach Ablauf der Begründungsfrist mit Schriftsätzen vom 18. April 2007 und
5. Juli 2007 erhobenen weiteren Einwände insbesondere verfassungsrechtli-
cher Art als zulässige nachträgliche Erläuterung des rechtzeitigen Beschwerde-
vorbringens angesehen werden können, führt dies nicht auf einen weitergehen-
den Klärungsbedarf; auch in Ansehung dieses Vorbringens bestehen keine die
Revisionszulassung rechtfertigenden ernsthaften Zweifel an der Verfassungs-
mäßigkeit des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG (F. 2005) und seiner Anwendbarkeit
auf das Begehren des Klägers zu 1 (zum Prüfungsmaßstab s. BVerwG, Be-
schluss vom 17. Januar 2003 - BVerwG 5 B 261.02 - Buchholz 436.61 § 62
SchwbG Nr. 1 = NVwZ 2003, 866).
3. Mit der gegen die Ablehnung des Hilfsantrages (auf Einbeziehung der Kläger
zu 2 bis 5 als miteinreisende Verwandte in den dem Kläger zu 1 erteilten Auf-
nahmebescheid) gerichteten Grundsatzrüge machen die Kläger geltend, mit
Blick auf § 8 Abs. 2 BVFG bedürfe es einer höchstrichterlichen Klärung des
Rechtsgehalts dieser Vorschrift, die dem Grundsatz der Familieneinheit Rech-
nung trage, und die Einstellung der insoweit bis zum 1. Januar 2005 bestehen-
den Verwaltungspraxis verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip und die Geset-
zesbindung der Verwaltung. Insoweit kann offenbleiben, ob die Kläger 2 bis 5
entsprechend der Antragstellung in der Berufungsverhandlung nur im Hinblick
auf den (geänderten) Hilfsantrag als Kläger beteiligt bleiben konnten, denn je-
denfalls ist nicht zu erkennen, dass nach der von der Vorinstanz angeführten
Verwaltungspraxis ein Rechtsanspruch auf Einbeziehung der Kläger zu 2 bis 5
als miteinreisende Verwandte in das Verteilungsverfahren besteht bzw. die
Bundesländer, die früher entsprechende Vorabzustimmungen abgegeben ha-
ben, gehindert gewesen wären, entsprechende Vorabzustimmungen nach In-
krafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht mehr zu erteilen. Überdies ver-
kennt die Beschwerde den Regelungsgehalt des § 8 Abs. 2 BVFG, wenn sie
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ihn als Norm wertet, die ein gemeinsames „Eintreffen“ mit dem Spätaussiedler
erst ermöglichen und einen Anspruch auf Aufnahme begründen könnte.
4. Auch die weiter als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage nach
dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes mit Blick auf die Möglichkeit der
Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen ohne die durch das Zuwande-
rungsgesetz eingeführten Sprachanforderungen rechtfertigt nicht die Zulassung
der Revision. Der beschließende Senat sieht keine verfassungsrechtliche
Grundlage für einen Vertrauensschutz von Ehegatten und Abkömmlingen, vom
Erfordernis eines Erwerbs von Grundkenntnissen der deutschen Sprache be-
reits vor der Ausreise dauerhaft freigestellt zu bleiben.
5. Von einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 VwGO).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. § 5 ZPO (4 x 2 000 €; vgl. Beschluss
vom 18. Januar 2007 - BVerwG 5 C 9.06 -).
Hund Schmidt Prof. Dr. Berlit
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