Urteil des BVerwG vom 06.02.2007

BVerwG (rechtliches gehör, bundesverwaltungsgericht, kenntnis, gutachten, antrag, anordnung, verletzung, erwägung, bezug, vorläufig)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 VR 13.08 (9 VR 9.07)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juni 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:
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Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März
2008 - BVerwG 9 VR 9.07 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens trägt die An-
tragstellerin.
G r ü n d e :
Durch Beschluss vom 13. März 2008 hat das Bundesverwaltungsgericht den
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antrag-
stellerin gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom
6. Februar 2007 in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 13. April
2007 für den Ausbau und die Verlegung der Bundesautobahn 4 zwischen den
Anschlussstellen Magdala und Jena-Göschwitz abgelehnt.
1. Die gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet.
Die Antragstellerin hat nicht aufgezeigt, dass der Senat bei der Entscheidung
über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ent-
scheidungserheblichen Vortrag in ihrem Antrag und seiner umfangreichen Be-
gründung nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat.
Aus ihrer Anhörungsrüge ergibt sich im Wesentlichen, dass sie den Beschluss
des Senats in der Sache für unrichtig hält. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
ist nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Er-
wägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiel-
len Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der
Beteiligte es für richtig hält (Beschluss vom 3. Januar 2006 - BVerwG 7 B
103.05 - ZOV 2006, 40). Dies gilt auch, soweit sich die Antragstellerin auf Stel-
lungnahmen von aus ihrer Sicht sachverständigen Personen stützt. Aus dem
Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt nach ständiger Rechtspre-
chung - namentlich bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht
mehr angreifbaren Entscheidungen - keine Pflicht der Gerichte, jedes Vorbrin-
gen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu beschei-
den. Dies gilt im Besonderen in einem Eilverfahren, in dem, wie hier, die Ent-
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scheidung wesentlich auf einer Abwägung der gegenläufigen privaten und öf-
fentlichen Interessen beruht und Zweifelsfragen in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht nicht abschließend geklärt werden.
Da es nicht Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO ist, den Senat zu einer
Ergänzung oder Erläuterung der Gründe seines Beschlusses vom 13. März
2008 zu veranlassen, beschränkt er sich auf die folgenden Hinweise:
Die Antragstellerin rügt, der Senat habe ihre Kritik am Schutzkonzept des
Vorhabenträgers zur Vermeidung von Schadstoffeinträgen auf den prioritären
Kalk-Trockenrasen mit Orchideen (Lebensraumtyp 6210*) am Tunnelwestportal
übergangen (Rügen Nr. 1 bis 4). Des Weiteren meint die Antragstellerin, der
Senat habe ihre Beanstandung zum „Pflegemanagement“, die sie auf die An-
gaben einer von Herrn Dr. A. verfassten Stellungnahme stützt, nicht zur Kennt-
nis genommen (Rügen Nr. 5 und 6). Der Senat hat zur Frage der Beeinträchti-
gung der prioritären Lebensraumtypen 6210* und 6110* auf die FFH-
Verträglichkeitsprüfung vom Mai 2003 und deren Ergänzung vom September
2005 abgestellt und hat seiner vorläufigen Abwägung zugrunde gelegt, dass
gerade bei den erhöhten Schadstoffeinträgen am Westportal, auf die sich der
Vortrag der Antragstellerin bezieht, eine Beeinträchtigung auftreten kann, aber
nicht feststeht. Insoweit ist der Vortrag der Antragstellerin nicht übergangen,
sondern nur teilweise abweichend gewürdigt worden. In der Gesamtbilanz der
infolge der Schadstoffeinträge am Westportal potentiell beeinträchtigten Le-
bensraumtypen und der durch die Rückbaumaßnahmen ausgelösten positiven
Standortveränderungen infolge der Reduzierung der Stickstoffeinträge hat der
Senat jedoch angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung von FFH-
relevanten Lebensräumen und damit Risiken für die Erhaltungsziele des Ge-
biets voraussichtlich verneint werden können. Das vorgesehene Monitoring mit
Pflegemanagement sowie die Immissionsschutzpflanzungen sind in diesem
Zusammenhang auch vom Antragsgegner „nur“ zur Verbesserung der Standort-
faktoren vorgesehen und vom Senat für das Ost- und das Westportal gemein-
sam behandelt worden.
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Zutreffend weist die Antragstellerin allerdings darauf hin, dass am Westportal
- im Gegensatz zum Ostportal - im Landschaftspflegerischen Begleitplan zur
Maßnahme V 2.7 keine Immissionsschutzpflanzungen vorgesehen sind, obwohl
die FFH-Verträglichkeitsprüfung als Zweck des 10-jährigen Monitoring auch die
Überprüfung der Wirksamkeit der Immissionsschutzpflanzung anführt. Insoweit
wird der Antragsgegner bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren erwägen
müssen, ob in einem ergänzenden Verfahren entsprechende Pflanzungen an-
zuordnen sind. Darin sieht der Senat aber kein Hindernis für die Vollziehung
des Planfeststellungsbeschlusses. Ein ergänzendes Verfahren nach § 17e
Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 FStrG n.F. kann auch bei Verstößen gegen zwingendes
Naturschutzrecht durchgeführt werden (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG
9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 19 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 26
m.w.N.). Die derzeit fehlende Anordnung von Immissionsschutzpflanzungen
stellt die Durchführung des Vorhabens nicht infrage und berührt deshalb die
Interessenabwägung des Senats im Ergebnis nicht.
Schließlich rügt die Antragstellerin, der Senat sei auf ihre ausführliche Bean-
standung zur „Bilanz“ der FFH-Verträglichkeitsprüfung und der Berechnung der
„Critical loads“ am Ostportal nicht eingegangen (Rügen Nr. 7 bis 9). Hier über-
sieht die Antragstellerin, dass der Senat die „Bilanz“ der Stickstoffeinträge ins-
gesamt behandelt hat. Auf jede einzelne Argumentation der Antragstellerin
musste er gerade im Eilverfahren nicht eingehen.
Soweit die Antragstellerin rügt, der Senat habe ihren Vortrag sowie die Ausfüh-
rungen in dem von ihr vorgelegten Gutachten in Bezug auf die Beeinträchtigung
von Frauenschuhvorkommen übergangen (Rügen Nr. 10 bis 12), wendet sie
sich gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung in dem angegriffenen Be-
schluss. Eine Verletzung des Anspruchs der Antragstellerin auf rechtliches Ge-
hör ist damit nicht dargelegt.
Die Antragstellerin bemängelt, der Senat habe ihren mit einem Gutachten be-
legten Vortrag zum Schutz von Fledermäusen im FFH-Gebiet sowie den im Ein-
führungserlass des TMLNU (i.d.F. vom 4. Juni 2004, Thüringer Staatsanzeiger
2005, S. 99 Abschnitt 7.3.4.) geforderten Umgebungsschutz übergangen (Rü-
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gen Nr. 13 und 38). Sie übersieht dabei, dass im Beschluss ausdrücklich auf die
Betroffenheit von Fledermäusen unter Auseinandersetzung mit dem von ihr vor-
gelegten Gutachten eingegangen wurde, so dass eine Verletzung rechtlichen
Gehörs nicht in Betracht kommt. In diese vorläufige Einschätzung des Senats
sind auch die Anforderungen des Einführungserlasses bezüglich des Umge-
bungsschutzes eingeflossen. Soweit die Antragstellerin darauf abstellt, dass die
aktuellen Untersuchungen nicht hinreichend gewürdigt worden seien, übersieht
sie des Weiteren, dass der Rechtmäßigkeitsprüfung die Sach- und Rechtslage
im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses zugrunde zu legen
ist.
Soweit die Antragstellerin Ausführungen zu einer aus ihrer Sicht erforderlichen
Abweichungsentscheidung vermisst (Rüge Nr. 14), beurteilt sie die Sach- und
Rechtslage anders, als sie der Senat vorläufig einschätzt, so dass eine Gehörs-
verletzung ausscheidet.
Mit Rüge Nr. 15 wiederholt die Antragstellerin lediglich bisherigen Vortrag, ohne
dass eine Gehörsverletzung dargelegt wird.
Darüber hinaus macht die Antragstellerin geltend, der Senat habe ihren Vortrag
zum Verlust von Brutrevieren und zum Verlust von Brutpaaren und dem damit
verbundenen Verstoß gegen den Artenschutz nach der Vogelschutzrichtlinie
nicht gewürdigt (Rügen Nr. 16 bis 18). Das Vorbringen wendet sich in der Art
einer Gegenvorstellung gegen die vorläufig abweichende rechtliche und tat-
sächliche Würdigung durch den Senat. Einen Gehörsverstoß legt die Antrag-
stellerin damit nicht dar.
Soweit sie darauf abstellt, eine Gehörsverletzung sei bereits deshalb erfolgt,
weil der Senat ihren Vortrag zur Spechthöhlenkartierung sowie zur Zerstörung
der Spechthöhlen und die daraus folgende Verletzung von Art. 5 Buchst. d VRL
nicht zur Kenntnis genommen habe (Rügen Nr. 19 und 20 ), ist darauf hinzu-
weisen, dass der Senat unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin
schon Zweifel gehegt hat, dass § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ungenutzte
Spechthöhlen bei der hier sich abzeichnenden Sachlage schützt. Darüber hin-
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aus hat er die Erteilung einer Befreiung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG a.F.
für rechtmäßig gehalten. Dabei hat der Senat ebenso wenig wie die Planfest-
stellungsbehörde auf die Anzahl der Spechthöhlen abgestellt. Nach den Unter-
suchungen der Behörde waren die Höhlen konkreten Spechtarten nicht zuzu-
ordnen. Sollte sich jetzt anhand der von der Antragstellerin im Sommer 2007,
also Monate nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, vorgelegten Gut-
achten, die auf neuen Untersuchungen beruhen, herausstellen, dass die
Spechthöhlen von weiteren Spechtarten als den Bunt- und Mittelspechten
stammen, wird die Behörde erwägen müssen, insoweit in einem ergänzenden
Verfahren eine weitergehende Befreiung zu erteilen. Angesichts der positiven
Wirkungen, die der Rückbau der Bestandstrasse im Leutratal und damit auch
im Vogelschutzgebiet haben wird, und des Umstandes, dass nur ein kleiner Teil
des Waldbestandes im Waldgebiet „Doberau“ in Anspruch genommen wird,
dürften auch insoweit die Abweichungsvoraussetzungen nach Art. 9 Abs. 1
Buchst. a letzter Spiegelstrich VRL vorliegen (vgl. Beschluss vom 13. März
2008 - BVerwG 9 VR 9.07 - Rn. 39 ff.). An der Einschätzung des Senats, dass
der Artenschutz sich voraussichtlich nicht als unüberwindbares Zulassungshin-
dernis erweisen wird, ändert sich somit nichts.
Soweit die Antragstellerin bemängelt, der Antragsgegner habe das Waldgebiet
„Doberau“ nicht hinreichend untersucht (Rügen Nr. 21 und 22), macht sie nicht
eine Gehörsverletzung geltend, sondern wendet sich gegen die vorläufige tat-
sächliche und rechtliche Würdigung durch den Senat.
Soweit die Antragstellerin rügt (Rügen Nr. 23 bis 34), dass ihr Vortrag zu den
fachlichen Kriterien der Abgrenzung des Vogelschutzgebiets Nr. 33, wonach die
Einbeziehung des Waldgebiets „Doberau“ erforderlich gewesen sei, in ent-
scheidungserheblicher Weise unberücksichtigt geblieben sei, wendet sie sich
ebenfalls gegen die vorläufige rechtliche und tatsächliche Würdigung des tat-
sächlichen Sachverhalts in dem angegriffenen Beschluss. Der Senat hat sich
ausführlich mit den Beanstandungen der Antragstellerin auseinander gesetzt
und zudem darauf hingewiesen, dass der Frage, ob das Waldgebiet „Doberau“
die Merkmale eines Vogelschutzgebiets aufweise und deshalb den Schutz ei-
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nes faktischen Vogelschutzgebiets genieße, noch im Hauptsacheverfahren
nachzugehen sein wird.
Soweit die Antragstellerin das Übergehen ihres Vortrags zu Haselmausvor-
kommen beanstandet (Rügen Nr. 35 bis 37), bewertet der Senat im Eilbe-
schluss ihren Vortrag insbesondere in Bezug auf angebliche Ermittlungsfehler
und sich daraus ergebende rechtliche Konsequenzen beim Auffinden weiterer
Haselmauspopulationen rechtlich anders als die Antragstellerin. Eine Gehörs-
verletzung liegt darin nicht.
2. Sollte die Antragstellerin darüber hinaus einen Antrag auf Abänderung des
Beschlusses stellen wollen, was aus der Überschrift ihres Schriftsatzes vom
3. April 2008 geschlossen werden könnte, wäre dieser abzulehnen. Die Antrag-
stellerin hat keine veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Ver-
schulden nicht geltend gemachten Umstände i.S.d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO
dargelegt. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, den angegriffenen Be-
schluss von Amts wegen zu ändern oder aufzuheben, § 80 Abs. 7 Satz 1
VwGO, weil auch unter Berücksichtigung der Anhörungsrüge keine Umstände
ersichtlich sind, die dies rechtfertigen könnten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfest-
setzung bedarf es nicht, weil sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400
der Anlage 1 zum GKG ergibt.
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