Urteil des BVerwG vom 24.10.2002

BVerwG (gesetzliche grundlage, formelles gesetz, gesetz, bundesverwaltungsgericht, gkv, ermittlung, zulassung, beschwerde, erhöhung, umsetzung)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 75.05
VGH 9 S 943/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 1. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 470 679,24 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzli-
che Bedeutung.
Die Klägerin sieht die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an, ob § 71 SGB V
zu einer zusätzlichen Kappung des über § 6 BPflV ermittelten Gesamtbetrages der
Erlöse - einschließlich der Sondertatbestände in § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV - führen
kann, wenn der Steigerungsbetrag des § 71 Abs. 2 SGB V überschritten wird. Die
Klägerin meint, die Ausdeckelungstatbestände des §
6 Abs. 1 Satz 4 BPflV wie etwa
die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für medizinische Leistungen dürften nur dann
zu einer Erhöhung der durch den Gesamtbetrag des Vorjahres und die maßgebliche
Veränderungsrate bestimmten Erlösobergrenze führen, wenn die Kappungsregeln
des § 71 Abs. 2 SGB V eingehalten seien. Die damit aufgeworfene Frage rechtfertigt
jedoch nicht die Zulassung der Revision, weil die Antwort sich unmittelbar und ein-
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deutig aus dem Gesetz ergibt, ein in einem Revisionsverfahren zu deckender Klä-
rungsbedarf also nicht besteht.
Gesetzliche Grundlage für die Festlegung der Pflegesätze ist § 17 KHG. In diesem
Rahmen bestimmt § 17 Abs. 1 Satz 3 KHG, dass bei der Ermittlung der Pflegesätze
der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialge-
setzbuch) zu beachten ist. Mit ihrem Klammerzusatz nimmt diese Norm ausschließ-
lich Bezug auf § 71 Abs. 1 SGB V, nicht aber auf den von der Klägerin angezogenen
§ 71 Abs. 2 SGB V. Da für ein gesetzgeberisches Versehen insoweit keinerlei An-
haltspunkte erkennbar sind, steht schon dies der Heranziehung des § 71 Abs. 2
SGB V bei der Festlegung von Krankenhauspflegesätzen entgegen.
Es kommt hinzu, dass das Krankenhausfinanzierungsrecht präzise Vorgaben für die
Einhaltung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität im Krankenhausbereich ent-
hält. § 3 Abs. 1 Satz 5 BPflV bestimmt, dass der Grundsatz der Beitragssatzstabilität
"nach den Vorgaben des § 6" zu beachten ist. Im § 6 Abs. 1 Satz 3 BPflV heißt es,
Maßstab für die Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität sei die Verän-
derungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen je
Mitglied nach § 71 Abs. 3 Satz 1 und 4 i.V.m. Abs. 2 SGB V. Daran schließt sich die
Regelung der Ausdeckelungstatbestände in Satz 4 an. Dieses Regelungssystem hat
der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Oktober 2002 - BVerwG 3 C 38.01 –
NVwZ-RR 2003 S. 510 dahin bewertet, dass § 6 Abs. 1 BPflV 1997 den für die Be-
achtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität geltenden Maßstab konkretisiere.
Daran hat sich durch die Neufassung des § 71 SGB V im Rahmen des GKV-Gesund-
heitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2626) nichts geändert.
Zu Unrecht hebt die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den unterschiedlichen
Rang der in Rede stehenden Rechtsquellen ab. Sie meint, da § 71 SGB V ein formel-
les Gesetz und § 6 BPflV nur Teil einer Rechtsverordnung sei, gehe die erstere Be-
stimmung in jedem Fall vor und könne durch die Bundespflegesatzverordnung weder
eingeschränkt noch außer Kraft gesetzt werden. Die Klägerin übersieht hierbei, dass
sowohl § 71 SGB V als auch § 17 Abs. 1 Satz 4 KHG und § 6 BPflV in ihrer hier je-
weils maßgeblichen Fassung vom parlamentarischen Gesetzgeber in einem einzigen
Gesetzgebungsakt geschaffen worden sind. Es bedarf keiner Erörterung der Frage,
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welche Bedeutung diese Tatsache für den Rechtscharakter der in Rede stehenden
Vorschriften der Bundespflegesatzverordnung hat (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom
13. September 2005 - 2 BvF 2/03 - juris Rn. 193 ff.). Darauf kommt es hier nicht an.
Jedenfalls muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber die einzelnen Teile
eines solchen Gesetzespaketes aufeinander abgestimmt hat. Die in der Verordnung
enthaltenen Regelungen können daher nicht mit dem Argument ausgehebelt werden,
sie durchbrächen den im Gesetz allgemein niedergelegten Grundsatz. Vielmehr
muss bei einer solchen Gestaltung angenommen werden, dass der Gesetzgeber den
Grundsatz von vornherein nur mit entsprechenden Einschränkungen hat in Kraft set-
zen wollen. Dies wird durch das spätere Verhalten des Gesetzgebers bestätigt. Im
GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 hatte § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V noch die Ver-
einbarungen über die Vergütungen nach diesem Buch und dem Krankenhausfinan-
zierungsgesetz sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen er-
wähnt. Die Bezugnahme auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz sowie die nach
diesen Vorschriften getroffenen Regelungen ist durch Art. 1 Nr. 2 des Fallpauscha-
lengesetzes vom 23. April 2002 (BGBl I S. 1412) gestrichen worden. Dies geschah
ausdrücklich um klarzustellen, dass für die Geltung des Grundsatzes der Beitrags-
stabilität im Krankenhausbereich die Vorgaben des Krankenhausfinanzierungsgeset-
zes und der auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie des Kran-
kenhausentgeltgesetzes maßgeblich sind (BTDrucks 14/6893 S. 29). Damit hat der
Gesetzgeber selbst deutlich gemacht, dass zur Umsetzung des Grundsatzes der Bei-
tragssatzstabilität im Krankenhausbereich § 71 SGB V - mit Ausnahme der Bestim-
mungen über die maßgebliche Veränderungsrate - keine Grundlage bietet (ebenso
Hess in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 71 Rn. 6).
Das Beschwerdevorbringen der Klägerin lässt erkennen, dass sie über die formulier-
te Rechtsfrage hinaus Klärungsbedarf bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV
im Hinblick auf das Merkmal der Erforderlichkeit der Erhöhung der Erlösobergrenze
sieht. Sie meint, das Berufungsgericht habe im Rahmen dieses Merkmals die Mög-
lichkeit der Nutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven unrichtig eingeordnet. Auch die-
se Überlegungen rechtfertigen jedoch nicht die Zulassung der Revision, weil der Se-
nat die sich insoweit stellenden Fragen bereits in seinem Urteil vom 8. September
2005 - BVerwG 3 C 41.04 - beantwortet hat. Dort ist ausgesprochen, dass die Anhe-
bung der Erlösobergrenze wegen Erfüllung eines Ausdeckelungstatbestandes nach
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§ 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV nicht dadurch ausgeschlossen oder reduziert wird, dass das
Krankenhaus an anderer Stelle etwa durch Verkürzung der Verweildauern Einspa-
rungen erzielt, solange das medizinisch-leistungsgerechte Budget die Erlösobergren-
ze übersteigt. Etwaige Einsparpotenziale des Krankenhauses sind daher bei der Er-
mittlung des medizinisch-leistungsgerechten Budgets nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BPflV
zu berücksichtigen. Dieses ist sodann in einem zweiten Schritt an der nach § 6
Abs. 1 Satz 3 und 4 BPflV ermittelten Erlösobergrenze zu messen. Für die von der
Klägerin für richtig gehaltene unmittelbare Verrechnung von Einsparpotenzialen ei-
nerseits und Kostensteigerungen infolge der Verwirklichung von Ausdeckelungstat-
beständen andererseits ist daher kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung be-
ruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Kley van Schewick Dr. Dette
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