Urteil des BVerwG vom 30.06.2009

BVerwG: wiedereinsetzung in den vorigen stand, eigenes verschulden, abend, anweisung, verfahrensmangel, fax, versicherung, versendung, fristversäumnis, sachurteilsvoraussetzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 18.09
OVG 7 D 13/08.NE
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Beschluss des Oberverwal-
tungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
2. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
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Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag des Antragstellers
wegen Versäumung der Antragsfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzu-
lässig verworfen. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60
Abs. 1 VwGO) hat es zum einen unter Hinweis darauf abgelehnt, dass die An-
tragsfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO eine Ausschlussfrist sei, hinsichtlich
derer eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht komme. Zum anderen hat es
- „unabhängig davon“ - auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60
Abs. 1 VwGO verneint. Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf
mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur
zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisi-
onszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Beschluss vom 9. De-
zember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 4; stRspr). Hieran fehlt es.
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1. Hinsichtlich des zweiten Begründungselements beruft sich der Antragsteller
auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Einen Verfahrens-
mangel macht er aber nicht substantiiert geltend. Eine verfahrensfehlerhafte
Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags ist auch sonst nicht ersichtlich.
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Hat die Vorinstanz das Vorliegen einer Sachurteilsvoraussetzung in fehlerhafter
Weise verneint, so begründet dies einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem das Urteil beruht (vgl. Beschlüsse vom 4. Juli 1968
- BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 <113> und vom 30. Dezember 1997
- BVerwG 8 B 240.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 18; stRspr). Den Inhalt
und die rechtliche Bedeutung einer Prozesshandlung hat das Revisionsgericht
dabei ohne Bindung an tatrichterliche Auslegung selbständig festzustellen (Be-
schluss vom 30. Dezember 1997 a.a.O.). Das entbindet die Beschwerde freilich
nicht davon, das Vorliegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers entspre-
chend den Begründungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darzu-
legen (Beschluss vom 31. August 1999 - BVerwG 3 B 57.99 - NVwZ-RR 2000,
259 ). Diesen Begründungsanforderungen genügt die
Beschwerde des Antragstellers nicht.
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Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, das Oberverwaltungsgericht habe
die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags damit begründet, dass der An-
tragsteller nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist des
§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO einzuhalten. Demgegenüber sei das Wiedereinset-
zungsgesuch in „zutreffender Weise“ (gemeint ist wohl: in einer den Anforde-
rungen des § 60 Abs. 1 VwGO genügenden Weise) damit begründet worden,
dass eine langjährige, als zuverlässig bekannte Mitarbeiterin den Normenkon-
trollantrag entgegen seiner ausdrücklichen Anweisung nicht an das Gericht ge-
faxt habe. Diese Mitarbeiterin sei über die Bedeutung von Fristsachen unterrich-
tet, führe den Fristenkalender, notiere die Fristen und bearbeite die Eingangs-
post. Eine Fehlhandlung dieser Mitarbeiterin sei ihm - dem Antragsteller - auch
nicht erinnerlich. Er habe sich deshalb auf diese Mitarbeiterin verlassen dürfen.
Diese Begründung geht am Kern der Argumentation vorbei, mit der das Ober-
verwaltungsgericht eine unverschuldete Fristversäumnis verneint hat.
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Das Oberverwaltungsgericht hat nämlich darauf abgestellt, dass der Vortrag
des Antragstellers sein eigenes Verschulden nicht ausschließe. Zwar dürfe ein
Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Angestell-
te eine konkrete Einzelanweisung befolge. Dieser Grundsatz gelte jedoch nicht
ausnahmslos. Insbesondere bei einem so wichtigen Vorgang wie die Wahrung
einer Rechtsmittelfrist müssten in der Kanzlei ausreichende organisatorische
Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass eine solche Anordnung in Ver-
gessenheit gerate und dadurch die Frist versäumt werde, zumal dann, wenn
- wie hier - ein Frist wahrender Schriftsatz erst am letzten Tag der Frist einge-
reicht werde. Hierzu gehöre eine wirksame Ausgangskontrolle. Dabei sei vor
Anbringen des Ausgangsvermerks zu überprüfen, welche fristgebundenen
Schriftsätze hergestellt, versandt oder zumindest versandfertig gemacht worden
sind und ob diese mit dem im Postausgangsbuch oder im Fristenkalender ver-
merkten Streitsachen übereinstimmen. Darüber hinaus sei der Versand des
Frist gebundenen Schriftsatzes nicht nur durch Streichung der eingetragenen
Streitsache, sondern zusätzlich durch Eintragung des Datums der Versendung
zu dokumentieren. Schließlich gehöre zu einer wirksamen Ausgangskontrolle
auch, dass die Erledigung der Frist gebundenen Sachen am Abend eines jeden
Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Büro-
kraft überprüft werde. Dass eine solche Ausgangskontrolle in der Kanzlei des
Antragstellers gewährleistet sei, lasse sich weder dessen Vorbringen noch der
eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten entnehmen. Im Gegenteil
bestätige der Vortrag des Antragstellers, durch eine Recherche habe nicht ein-
mal festgestellt werden können, ob das betreffende Schreiben überhaupt per
Fax herausgegangen sei, dass eine wirksame Ausgangskontrolle nicht stattge-
funden habe.
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Hierzu enthält die Beschwerde keine substantiierten Rügen. Zum einen trägt
der Antragsteller vor, die vom Oberverwaltungsgericht postulierten Kontroller-
fordernisse seien zu streng, weil sie dazu führten, dass der Rechtsanwalt in
jedem Fall den Ausgang sämtlicher Schreiben an jedem Tag (selbst) kontrollie-
ren müsse und überhaupt nichts mehr delegieren dürfe. Dieser Vortrag geht
von vornherein an den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts vorbei, das
- wie dargestellt - lediglich verlangt hat, dass die Erledigung der Frist gebunde-
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nen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten
Bürokraft anhand des Fristenkalenders überprüft werde. Zum anderen bemerkt
der Antragsteller, die Führung eines Postausgangsbuches würde, wenn - wie
hier - die Anweisung gegeben werde, ein Schreiben per Telefax zu übersenden,
ohnehin nicht helfen. Damit bestätigt er abermals die Feststellung des Ober-
verwaltungsgerichts, dass eine wirksame Ausgangskontrolle insoweit nicht
stattgefunden habe.
Ein Verfahrensfehler ist aber auch unabhängig von den Begründungsanforde-
rungen nicht erkennbar. Das Oberverwaltungsgericht stützt sich bei der Formu-
lierung der Anforderungen an eine wirksame Ausgangskontrolle ausnahmslos
auf höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung.
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2. Da somit jedenfalls hinsichtlich des zweiten Begründungselements ein Revi-
sionszulassungsgrund schon nicht aufgezeigt worden ist und im Übrigen auch
nicht vorliegt, bleibt die Beschwerde insgesamt ohne Erfolg, weil das erste Be-
gründungselement, hinsichtlich dessen der Antragsteller Grundsatzbedeutung
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hinweggedacht werden kann, ohne
dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung richtet sich nach § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Prof. Dr. Rubel
Dr. Philipp
Petz