Urteil des BVerwG vom 09.12.2005
BVerwG (beschwerde, landesrecht, bundesverwaltungsgericht, ddr, berlin, republik, bundesrecht, zeitpunkt, auslegung, befreiung)
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 16.06
OVG 2 B 1.03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. April 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Dezember 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 18 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst. Die Beschwerde möchte in dem Revisionsverfahren rechts-
grundsätzlich geklärt wissen,
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ob es einen Rechtsfehler darstellt, wenn der Umfang der
Bestandskraft von Baugenehmigungen, die auf der Grund-
lage von DDR-Normen ergangen sind, bestimmt wird, oh-
ne dass geprüft wird, ob das seinerzeit geltende Baurecht
der DDR eine Verknüpfung der Befreiung von bauord-
nungsrechtlichen Vorschriften mit einer bestimmten Nut-
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zung vorsah bzw. zuließ, obwohl dieses für die Entschei-
dung des Rechtsstreits von maßgeblicher Bedeutung ge-
wesen wäre.
Damit ist eine Frage des revisiblen Rechts nicht aufgezeigt. Nach den Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts sind die in Streit stehenden Baugenehmi-
gungen vom 30. September 1953 und vom 5. Januar 1960 für die Brandwand-
durchbrüche auf Grund der Bauordnung für Berlin vom 9. November 1929 und
der Deutschen Bauordnung vom 2. Oktober 1958 ergangen (UA S. 11). Die
Bauordnung für Berlin vom 9. November 1929 ist als Landesrecht nicht revisi-
bel. Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik - wie hier die
Deutsche Bauordnung - sind vorkonstitutionelles Recht. Sie sind revisibles
Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO nur dann und soweit, wie dies
Art. 9 des Einigungsvertrages bestimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai
1996 - BVerwG 4 B 46.96 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 296). Gemäß Art. 9
Abs. 1 EV bleibt das im Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrags geltende
Recht der Deutschen Demokratischen Republik, das nach der Kompetenzord-
nung des Grundgesetzes Landesrecht ist, in Kraft, soweit es mit dem Grundge-
setz ohne Berücksichtigung des Art. 143, mit in dem in Art. 3 genannten Gebiet
in Kraft gesetztem Bundesrecht sowie mit dem unmittelbar geltenden Recht der
Europäischen Gemeinschaften vereinbar ist und soweit in diesem Vertrag
nichts anderes bestimmt wird. Das hiernach in Kraft bleibende Recht gilt als
Landesrecht fort. Das Bauordnungsrecht einschließlich der Regelung der Be-
freiung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften ist nach der Kompetenzord-
nung des Grundgesetzes Landesrecht. Es wird nicht von der konkurrierenden
Gesetzgebung des Bundes für das Bodenrecht umfasst (vgl. BVerfGE 3, 407
<432 f.>). Von welchen klärungsbedürftigen Grundsätzen des revisiblen Bun-
desrechts der Umfang der Bestandskraft einer von den Behörden der DDR er-
lassenen Baugenehmigung, die Fragen des Bauordnungsrechts regelt, abhän-
gen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat den
Baugenehmigungsunterlagen entnommen, dass die genehmigten Brandwand-
durchbrüche im zweiten, dritten und vierten Obergeschoss nur der Schaffung
von Verbindungswegen zwischen den Quergebäuden R.straße 17 und 18, nicht
aber der Sicherstellung eines zweiten Rettungsweges für das Grundstück
R.straße 17 dienten. Der Sache nach möchte die Beschwerde diese Auslegung
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der Baugenehmigungen einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuführen. Der
Auslegung des Inhalts eines konkreten Verwaltungsakts kommt eine fallüber-
greifende, grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht zu (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 30. Mai 2000 - BVerwG 11 B 18.00 - juris).
2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
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2.1 Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das Oberverwal-
tungsgericht die Aussage des Zeugen P. unter Verstoß gegen Denkgesetze
dahingehend gewürdigt habe, dass ein ursprünglich im ersten Obergeschoss
als Rettungsweg errichteter Brandwanddurchbruch in der Zeit von 1975 bis
1990 verschlossen gewesen sei. Die Grundsätze der Beweiswürdigung werden
jedenfalls in der Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zugerechnet;
eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung, die
ausnahmsweise als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden könnte (vgl.
BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271
<272 f.>), liegt hier nicht vor. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen
die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers
unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen
objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen;
es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmögli-
chen Schluss handeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2003 - BVerwG
5 B 24.03 - juris). Dass - wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat -
der 1962 hergestellte Brandwanddurchbruch von einem späteren Zeitpunkt an
jedenfalls bis zur Wende verschlossen war (vgl. UA S. 16), im Zuge der Eigen-
tümerwechsel und der damit verbundenen baulichen Änderungen unmittelbar
nach der Wende wieder geöffnet wurde, um im Jahr 1991 von der Klägerin er-
neut verschlossen zu werden (vgl. UA S. 17), ist logisch möglich.
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2.2 Die Beschwerde meint schließlich, das Gericht habe die Beigeladene ge-
mäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hinweisen müssen, dass es seine Beurteilung
der Tatsachenlage gegenüber dem Beschluss vom 19. Oktober 2005, in dem
es den Beteiligten nach Durchführung des Ortstermins vorgeschlagen hatte,
einen gerichtlichen Vergleich zu schließen, geändert habe. Ein solcher Hinweis
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war schon deshalb nicht erforderlich, weil sich das Oberverwaltungsgericht in
dem Vergleichsvorschlag hinsichtlich der Frage, ob der Durchbruch im ersten
Obergeschoss vor der Wende verschlossen worden war, nicht festgelegt hatte.
Es hat in dem Beschluss seine auch dem Urteil zu Grunde liegende Auffassung
dargelegt, dass sich die Tatbestands- und Feststellungswirkung der bestands-
kräftigen Baugenehmigung für die Brandwanddurchbrüche im Erdgeschoss und
im ersten Obergeschoss auf die Herstellung eines zweiten Rettungsweges er-
streckt. Die Frage, ob der Tatbestands- und Feststellungswirkung der Bauge-
nehmigung eine abweichende tatsächliche Bauausführung oder spätere Ände-
rung der Bauwerksdurchbrüche entgegensteht, hatte es hingegen nicht ab-
schließend geprüft („dürfte“ - vgl. S. 4 des Beschlusses vom 19. Oktober 2005).
Dass das Oberverwaltungsgericht im Urteil auf der Grundlage der Aussage des
Zeugen P. die Überzeugung gewinnen würde, dass der Brandwanddurchbruch
im ersten Obergeschoss jedenfalls über mehrere Jahre hinweg verschlossen
war, lag nicht fern. Hiermit musste die Beigeladene auch ohne Hinweis rech-
nen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
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Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp