Urteil des BVerwG vom 01.07.2013

BVerwG: änderung der rechtsprechung, eng, enteignung, beschlagnahme, kunst, gebärdensprache, erkenntnis, rechtsnorm, download, link

BVerwG 8 B 7.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 7.13
VG Dresden - - AZ: VG 6 K 1954/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juli 2013
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2012 ergangenen Urteil des
Verwaltungsgerichts Dresden wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 200 000 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die Kläger begehren das Wiederaufgreifen des rechtskräftig abgeschlossenen
vermögensrechtlichen Verfahrens betreffend das Grundstück B. Straße ... in D.. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen und die Revision gegen sein
Urteil nicht zugelassen.
2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
3 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr
die Beschwerde beimisst.
4 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur,
wenn sie eine für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit
oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Diese Voraussetzungen
liegen hier nicht vor.
5 Die Kläger halten den Rechtsstreit mit Blick auf die Frage für grundsätzlich bedeutsam:
„ob ein Wandel der allgemeinen Rechtsauffassungen der für Verfahren nach dem
Vermögensgesetz (VermG) zuständigen deutschen Vermögensämter und Gerichte verknüpft mit
einem allgemeinen Wandel der Rechtspraxis dieser Entscheidungsorgane (wie vorliegend etwa
ausgelöst durch ein neues Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts) einen
Wiederaufnahmegrund nach § 51 Abs. 1 Ziffer 1 VwVfG darstellt,
und ob, falls man das bejahte,
sich in Folge des Grundsatzurteils des BVerwG vom 13.12.2006 - 8 C 25.05 - die allgemeinen
Rechtsauffassungen und die allgemeine Rechtspraxis der deutschen Vermögensämter und
Verwaltungsgerichte in diesem Sinne derart grundsätzlich geändert hat, dass dies - bei
Vorliegen der übrigen Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen - einen
Rechtsanspruch auf Wiederaufgreifen von vor der Rechtsauffassungsänderung rechtskräftig
abgeschlossenen Restitutionsverfahren begründet.“
6 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Änderung auch
höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht
herbeiführt (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 1 C 15.08 - BVerwGE 135, 121 Rn. 21 =
Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 55; Beschlüsse vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 B 60.95 - NVwZ
1995, 1097 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 32; vom 9. August 2011 - BVerwG 5 B 15.11 - ZOV
2011, 221 und vom 7. Dezember 2011 - BVerwG 8 B 70.11 - juris). Eine Änderung der
Rechtslage ist nur dann anzunehmen, wenn das maßgebliche Recht geändert wird, dem eine
allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt. Die Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich
der Auslegung einer Rechtsnorm - gleich in welchem Rechtszug - führt eine Änderung der
Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht herbei. Gerichtliche
Entscheidungsfindung bleibt rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der
vorgegebenen Rechtsordnung (Beschluss vom 3. Mai 1996 - BVerwG 6 B 82.95 - Buchholz
421.0 Prüfungswesen Nr. 366 m.w.N.; vgl. in diesem Sinne auch: Sachs, in:
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 51 Rn. 105; Meyer, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9.
Aufl. 2010, § 51 Rn. 37; Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 51 Rn. 11). Die Änderung einer
höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeutet lediglich eine geläuterte Erkenntnis über den
bestehenden Rechtszustand und nicht eine Veränderung der Rechtslage. Dies gilt auch - wie
das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat (Beschluss vom 7. Dezember 2011
a.a.O. Rn. 4) - für das Gebiet des Vermögensrechts. Entgegen der Auffassung der Kläger hat ein
Wandel der Rechtsauffassung aufgrund rechtsfortbildender höchstrichterlicher Rechtsprechung
keine Änderung der Rechtslage zur Folge. Da die Bejahung der Voraussetzungen des § 51
VwVfG zu einer Durchbrechung der Bestandskraft des Verwaltungsakts führt, sind die
Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm im Interesse des Rechtsfriedens eng auszulegen, wie
das Verwaltungsgericht (UA S. 11) zutreffend ausgeführt hat.
7 Darüber hinaus sind die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen
Rechtsfragen auch nicht entscheidungserheblich und somit nicht klärungsfähig.
8 Die Kläger berufen sich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember
2006 (BVerwG 8 C 25.05 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34). Hiernach stellt sich eine
Enteignung dann nicht als besatzungshoheitlich im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG dar,
wenn es an einer Sequestrierung vor dem Inkrafttreten des SMAD-Befehls Nr. 64 am 18. April
1948 fehlt. Im vorliegenden Fall lässt sich bereits dem rechtskräftigen Urteil des
Verwaltungsgerichts Dresden vom 18. Juli 2001 (Az.: 7 K 3055/98, UA S. 13) entnehmen, dass
das Verwaltungsgericht von einer Beschlagnahme des streitgegenständlichen Grundstücks vor
dem 18. April 1948 ausgegangen ist. Bezüglich der Frage des Zeitpunktes der Sequestrierung
haben die Kläger auch keine Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 VwVfG vorgetragen.
Dann aber stellt sich die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage nicht, denn bei einer
Sequestrierung vor dem 18. April 1948 folgt aus Nr. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 kein
Enteignungsverbot.
9 2. Die Verfahrensrügen der Kläger richten sich allein gegen die Hilfsbegründung des
Verwaltungsgerichts. Sie können nicht zur Zulassung der Revision führen.
10 Ist ein Urteil nebeneinander auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so
kann die Revision nur zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein
Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 15. Juni 1990
- BVerwG 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 20 und vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11
PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Das angefochtene Urteil beruht -
selbstständig tragend - auf der Begründung, dass eine Änderung der Rechtsprechung nicht
vorliegt, jedenfalls aber keinen Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellt.
Hiergegen haben die Kläger zwar den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht, der indes, wie gezeigt, nicht vorliegt.
Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob die Hilfsbegründung des Verwaltungsgerichts auf
Verfahrensmängeln beruht.
11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich
aus den § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Rudolph