Urteil des BVerwG vom 02.10.2007

BVerwG: verordnung, beendigung, reserve, europäische kommission, europäisches gemeinschaftsrecht, übertragung, kauf, eugh, verwertung, bekanntmachung

BVerwG 3 C 12.07
Rechtsquellen:
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 Art. 7
ZAV § 12 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 1
Stichworte:
Marktorganisationen; Marktordnung; Milch; Zusatzabgabenverordnung; Erzeuger; Milchquote;
Milchreferenzmenge; Referenzmenge für Milch; Anlieferungsreferenzmenge; landwirtschaftliches
Pachtverhältnis; flächengebundene Übertragung von Milchquoten; flächenlose Übertragung von
Milchquoten; Milchbörse; staatliche Verkaufsstelle; kürzeste Frist; Vorabentscheidung.
Leitsatz:
Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr.
1256/1999 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, derzufolge eine Milchreferenzmenge
bei Beendigung des Pachtverhältnisses auch dann auf den Verpächter übergeht, wenn dieser
nicht selbst Erzeuger ist oder zu werden beabsichtigt, sofern er sie seinerseits in kürzester Frist
an einen Erzeuger überträgt. Das gilt sowohl für den Fall einer flächengebundenen
Weiterverpachtung an einen Erzeuger als auch für den Fall eines flächenlosen Verkaufs über
eine staatliche Verkaufsstelle.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 12.07
VGH München - 16.03.2005 - AZ: VGH 9 B 04.703 -
Bayerischer VGH München - 16.03.2005 - AZ: VGH 9 B 04.703
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Oktober 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 16. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine
außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe
I
1 Die Klägerin führt einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Ackerbau, Mastvieh-haltung und
Milchwirtschaft. Ihr Vater hatte von der Rechtsvorgängerin des Beigeladenen im Jahr 1979 eine
Fläche von 3,6960 ha hinzugepachtet. Das Pachtverhältnis war zuletzt bis zum 30. September
2002 befristet worden. Zusätzlich kündigte der Beigeladene zum 1. Oktober 2002. Auf seinen
Antrag hin bescheinigte das Landwirtschaftsamt Wertingen dem Beigeladenen mit Bescheid
vom 21. Januar 2003 den Übergang einer Referenzmenge von 3 563 kg auf ihn; zugleich
verfügte es, dass eine weitere Referenzmenge von 1 755 kg zugunsten der Landesreserve
eingezogen werde, weil der Beigeladene selbst keine Milch erzeuge. Der Beigeladene wurde
aufgefordert, die auf ihn übergegangene Referenzmenge zum nächsten Termin zum Verkauf
anzubieten, andernfalls sie ebenfalls zur staatlichen Reserve eingezogen werde.
2 Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Beigeladene sei kein Milcherzeuger,
weshalb er keine Referenzmenge erworben haben könne. Zudem habe er das Eigentum an der
Pachtfläche nur aufgrund eines Kaufvertrages und erst im März 2001 erworben, weshalb die
Referenzmenge keinesfalls an ihn habe zurückfallen können. Die Regierung von Schwaben
wies den Widerspruch mit Bescheid vom 8. Juli 2003, berichtigt am 22. August 2003, zurück. Der
Beigeladene sei bereits zum 11. Januar 2000 und damit vor Inkraft-treten der neuen
Zusatzabgabenverordnung am 1. April 2000 in die Rechtsstellung des Verpächters eingerückt.
Unter diesem neuen Recht könne auch ein Verpächter, der nicht selbst Milch erzeuge, mit
Rückgabe der Pachtfläche die entsprechende Referenzmenge erhalten, wenn er sie
unverzüglich über die staatliche Verkaufsstelle verkaufe.
3 Mit ihrer Klage hat die Klägerin bestritten, dass die Pachtfläche der Milcherzeugung gedient
habe; dort seien vielmehr stets Marktfrüchte bzw. Mastviehfutter angebaut worden. Ferner hat sie
ihren Vortrag wiederholt und vertieft, demzufolge mit der Rückgabe der Pachtfläche nur dann
eine entsprechende Referenzmenge auf den Verpächter übergehe, wenn dieser entweder selbst
Milch erzeuge oder die Fläche sofort an einen Erzeuger weitergebe. Beide Voraussetzungen
lägen hier nicht vor; der Beigeladene sei zwar Landwirt, erzeuge aber keine Milch, und er habe
die Pachtfläche auch nicht weiterverpachtet. Schließlich sei die hier einschlägige
Übergangsregelung der Zusatzabgabenverordnung nichtig, weil ihre Differenzierungen mit dem
Gleichbehandlungs-gebot unvereinbar seien.
4 Mit Urteil vom 20. Januar 2004 hat das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Klage
abgewiesen. Die Pachtfläche habe jedenfalls mittelbar der Milcherzeugung gedient, weshalb auf
sie ein entsprechender Anteil der Referenzmenge des Betriebs der Klägerin entfalle. Bei
Beendigung des Pachtverhältnisses habe sich die Referenzmenge des Betriebes daher
verringert, allerdings nicht um diesen gesamten Anteil, sondern aus Gründen des
Pächterschutzes lediglich um die Hälfte davon. Hiervon seien 33 vom Hundert in die staatliche
Reserve gefallen und 67 vom Hundert auf den Beigeladenen übergegangen. Unschädlich sei,
dass dieser selbst keine Milch erzeuge. Dem werde schon durch den Einzug zugunsten der
staatlichen Reserve Rechnung getragen. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom
20. Juni 2002 in der Sache Thomsen ergebe sich nichts anderes. Diese Entscheidung hebe den
Zweck des Übertragungsrechts hervor, Referenzmengen möglichst nur aktiven Milcherzeugern
zuzuordnen. Sie betreffe die alte Rechtslage, nach der dieser Zweck in Fällen, in denen ein
Flächenpachtverhältnis ende und der Verpächter nicht selbst Milch erzeuge, nur erreichbar
gewesen sei, wenn der Verpächter die Fläche sogleich an einen Milcherzeuger weiterverpachtet
oder verkauft habe. Das lasse sich auf die neue Rechtslage nicht übertragen, nach der der
erwähnte Zweck nur durch einen flächenlosen Verkauf der Referenzmenge erreicht werden
könne. Das neue Recht sei gültig; Gründe für eine Verletzung des Gleichheitssatzes lägen nicht
vor.
5 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. März
2005 zurückgewiesen. Nach europäischem Gemeinschaftsrecht könnten Referenzmengen nur
an solche Verpächter übergehen, die Erzeuger seien. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs werde hierdurch nicht ausgeschlossen, dass ein Verpächter, der
nicht selbst Erzeuger sei, bei Auslaufen eines Pachtverhältnisses den an ihn zurückfallenden
Betrieb oder die Fläche mit den daran gebundenen Referenzmengen auf einen Dritten
übertrage, der seinerseits Erzeuger sei. In diesem Falle werde dem Zweck des
Gemeinschaftsrechts, Referenzmengen nur aktiven Milcherzeugern zuzuordnen, ebenfalls
genügt; ein Durchgangserwerb des Nichterzeugers von kurzer Dauer schade nicht. Dieses Urteil
sei zur alten Rechtslage ergangen. Seit Inkrafttreten der neuen Zusatzabgabenverordnung am 1.
April 2000 sei die Weitergabe von Referenzmengen im Wege der Weiterverpachtung oder des
Verkaufs von Milcherzeugungsflächen ausgeschlossen. An ihre Stelle sei die Weitergabe im
Wege des flächenungebundenen Verkaufs über die staatliche Verkaufsstelle getreten. Auch auf
diesem Wege werde aber der erwähnte Zweck des Gemeinschaftsrechts erreicht. Darum sei
auch nach dem neuen Recht ein Durchgangserwerb des Nichterzeugers möglich, sofern dieser
die Referenzmenge alsbald über die Verkaufsstelle zum Kauf anbiete; hiervon sei auch für den
Beigeladenen auszugehen, da ihm keine andere sinnvolle Möglichkeit einer wirtschaftlichen
Verwertung der Referenzmenge offen stehe. Für diese Gesetzesauslegung spreche auch, dass
das europäische Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten erlaube, bei Beendigung
landwirtschaftlicher Pachtverträge die Bedingungen festzulegen, nach denen die
Referenzmengen ganz oder teilweise auf die Erzeuger übertragen würden. Deutschland habe
diesen Spielraum dahin genutzt, dass bei Altpachtverträgen die Hälfte der Referenzmenge beim
Pächter verbleibe (Pächterschutz) und die andere Hälfte an den Verpächter übergehe. Sei dieser
kein Erzeuger, so würden 33 vom Hundert der ihm zurückzugewährenden Referenzmenge zur
Landesreserve eingezogen. Diese Regelung zeige, dass der Verpächter auch Referenzmengen
erhalte, wenn er nicht Erzeuger sei, sofern er sie sogleich Erzeugern zum Kauf anbiete. Diese
Regelung sei mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
6 Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision
eingelegt. Sie rügt als verfahrensfehlerhaft, dass das Berufungsgericht die Absicht des
Beklagten, die Referenzmenge baldmöglichst zum Kauf anzubieten, ohne dahingehende
Feststellung unterstellt habe. In der Sache macht sie geltend, das Berufungsurteil sei mit
europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht unvereinbar. Es sei davon
auszugehen, dass der Pächter die Referenzmenge erwirtschaftet habe. Durch den Entzug werde
in seine Rechte eingegriffen. Das setze eine hinreichend bestimmte und zudem
verhältnismäßige Regelung voraus. An beidem fehle es. Das Gemeinschaftsrecht erlaube einen
Referenzmengenübergang auf einen Nichterzeuger nur als kurzzeitigen Durchgangserwerb.
Davon könne allenfalls bei einer Zeitdauer von einer Woche gesprochen werden, nicht mehr
aber im vorliegenden Fall. Zudem komme ein solcher Durchgangserwerb dann nicht in Betracht,
wenn der Verpächter die Referenzmenge über die Verkaufsstelle veräußern wolle. Denn dann
ziehe er aus ihr einen rein finanziellen Vorteil, was das Gemeinschaftsrecht gerade verhindern
wolle. Zudem stehe dieser finanzielle Vorteil dem Pächter zu, der die Referenzmenge
erwirtschaftet habe.
7 Der beklagte Freistaat verteidigt das angefochtene Urteil.
8 Der Beigeladene äußert sich nicht.
9 Der Vertreter des Bundesinteresses hält die Revision für unbegründet.
10 Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II
11 Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundes- und europäischem
Gemeinschaftsrecht im Einklang und beruht auch nicht auf einem Verfahrensfehler.
12 1. Zur Entscheidung des Rechtsstreits sind diejenigen Rechtsvorschriften heranzuziehen, die
sich für den Zeitpunkt des umstrittenen Referenzmengenübergangs, also für den 24. Oktober
2002 Geltung beilegten; denn der Übergang wird nicht durch die angefochtene Bescheinigung
bewirkt, sondern erfolgt unabhängig von ihr (stRspr; vgl. Urteile vom 18. Dezember 2003 -
BVerwG 3 C 48.02 - und vom 16. März 2005 - BVerwG 3 C 18.04 - Buchholz 451.512 Nr. 138
22> und 140 , jeweils m.w.N.). Anzuwenden sind damit die Verordnung (EWG) Nr.
3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im
Milchsektor (ABl EG Nr. L 405 S. 1) in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr.
1256/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 (ABl EG Nr. L 160 S. 73) und die Verordnung zur
Durchführung der Zusatzabgabenregelung (Zusatzabgabenverordnung) vom 12. Januar 2000
(BGBl I S. 27) in der Fassung der Ersten Änderungsverordnung vom 6. Februar 2002 (BGBl I S.
586) - ZAV -.
13 2. Die angefochtenen Bescheide haben einen zweifachen Gegenstand. Sie bescheinigen
zum einen dem Beigeladenen, welche Referenzmenge auf ihn übergegangen ist; das stützt sich
auf § 17 Abs. 1 Nr. 1 ZAV. Der bescheinigte Rechtserwerb des Beigeladenen beruht seinerseits
teils auf Gesetz, teils auf Verwaltungsakt: Der Übergang der Referenzmenge von der Klägerin
(Pächterin) auf den Beigeladenen (Verpächter) erfolgt unmittelbar kraft Gesetzes, während der
Drittelabzug zugunsten der staatlichen Reserve durch Verwaltungsakt verfügt werden muss.
Dieser Unterschied besteht, obwohl beide Mal § 12 Abs. 2 bis 4 ZAV einschlägig ist; diese
Vorschrift bewirkt zum einen den gesetzlichen Referenzmengenübergang und bietet zum
anderen und zugleich die Ermächtigungsgrundlage für den Drittelabzug zugunsten der
staatlichen Reserve. Damit verfügen die angefochtenen Bescheide zum anderen den
Dritteleinzug zugunsten der staatlichen Reserve nach § 12 Abs. 2 und 4 ZAV.
14 Die Klage richtet sich sowohl gegen den Drittelabzug als auch gegen die Bescheinigung. Sie
ist in beiden Punkten zulässig; denn die Klägerin ist durch beides beschwert. Allerdings bedarf
der Drittelabzug nur insoweit der Überprüfung, als die Beschwer der Klägerin reicht. Er hat nach
§ 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV den Übergang der Referenzmenge von der Klägerin auf den
Beigeladenen zur Voraussetzung. Hat der Übergang nicht stattgefunden, so ist die Klage nicht
nur hinsichtlich der Bescheinigung begründet, sondern führt auch zur Aufhebung des
Drittelabzugs. Hat der bescheinigte Übergang hingegen stattgefunden, so ist die Klage auch
insoweit abzuweisen, als sie sich gegen den Drittelabzug richtet; durch mögliche weitere Fehler
beim Drittelabzug (vgl. Urteil vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C 35.03 - BVerwGE 121, 382
ff.) wäre die Klägerin dann nicht beschwert.
15 3. Der bescheinigte Referenzmengenübergang findet seine Grundlage in § 12 Abs. 2 Satz 1
ZAV. Diese Vorschrift ist - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht einschränkend
dahin auszulegen, dass Anlieferungs-Referenz-mengen bei Auslaufen von Altpachtverträgen nur
dann an den Verpächter zurückfallen, wenn dieser selbst Milcherzeuger ist oder zu werden
beabsichtigt. Sie gilt vielmehr auch dann, wenn der Verpächter die Referenzmenge in kürzester
Frist über die staatliche Verkaufsstelle an einen Erzeuger überträgt.
16 a) Das nationale Recht macht den Übergang der Referenzmenge bei der Beendigung von
Altpachtverträgen nicht davon abhängig, dass der Verpächter selbst Milcherzeuger ist oder
alsbald wird.
17 Der Wortlaut der Vorschrift gibt für diese Einschränkung nichts her. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1
ZAV gehen, soweit Altpachtverträge mit Ablauf des 31. März 2000 oder später beendet werden,
die entsprechenden Anlieferungs-Referenz-mengen nach § 7 Abs. 1 bis 2a, 4 Satz 1 bis 3, Abs.
5 und 6 der Milch-Garantiemengen-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.
März 1994 (BGBl I S. 586), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 25. März 1996 (BGBl I S.
535), - MGV - auf den Verpächter mit der Maßgabe über, dass 33 vom Hundert der
zurückgewährten Anlieferungs-Referenzmen-gen zugunsten der Reserve des Landes, in dem
der Betriebssitz des Pächters liegt, eingezogen werden. Die Bestimmung sieht mithin den
Übergang „auf den Verpächter“ ohne jede Einschränkung vor. Auch die in Bezug genommenen
Vorschriften der Milch-Garantiemengen-Verordnung knüpfen den Übergang nicht an die
einschränkende Voraussetzung, dass der Verpächter selbst Milch erzeugt.
18 Dass § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV auch diejenigen Fälle erfassen will, in denen der Verpächter
nicht selbst Milch erzeugt, zeigt § 12 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZAV. Hiernach unterbleibt der in § 12
Abs. 2 Satz 1 ZAV vorgesehene Abzug zugunsten der staatlichen Reserve, wenn der Verpächter
die Anlieferungs-Referenzmenge für die eigene Milcherzeugung benötigt. Die
Zusatzabgabenverordnung geht also davon aus, dass der Verpächter die Referenzmenge in
jedem Falle erlangt; wenn er selbst Milch erzeugt, erlangt er sie ungeschmälert, wenn er selbst
aber keine Milch erzeugt, wird sie ihm um ein Drittel gekürzt.
19 b) Europäisches Gemeinschaftsrecht lässt eine derartige nationale Regelung zu, sofern der
Verpächter, wenn er nicht selbst Erzeuger ist oder zu werden beabsichtigt, die Referenzmenge
in kürzester Frist über die staatliche Verkaufsstelle an einen Dritten überträgt, der diese
Eigenschaft besitzt.
20 Nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 werden bei Beendigung
landwirtschaftlicher Pachtverhältnisse, abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen, die
verfügbaren Referenzmengen der betreffenden Betriebe nach den von den Mitgliedstaaten
festgelegten Bestimmungen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten
ganz oder teilweise „auf die Erzeuger übertragen, die sie übernehmen“. Die Vorschrift ist
anwendbar. Namentlich stand sie bis zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 zum 1.
Januar 2004 durch Art. 25 der Nachfolge-Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates vom 29.
September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (ABl L Nr. 270 S. 123) nicht zur
Disposition der Mitgliedstaaten. Zwar ermächtigte Art. 8a Buchstabe b der Verordnung (EWG)
Nr. 3950/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 die Mitgliedstaaten, die
Bestimmungen über die (flächengebundene) Übertragung von Referenzmengen nach Art. 7 Abs.
1 nicht anzuwenden; hiervon hat Deutschland mit der Zusatzabgabenverordnung Gebrauch
gemacht. Die Ermächtigung bezog sich jedoch nicht auf Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr.
3950/92, so dass sich die Rechtsfolgen der Beendigung eines noch unter der Geltung von Art. 7
Abs. 1 eingegangenen landwirtschaftlichen Pachtverhältnisses unverändert nach den bisherigen
Vorschriften richten.
21 Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 setzt nach Wortlaut, Sinn und Zweck voraus,
dass die Referenzmenge von einem Milcherzeuger übernommen wird (stRspr; vgl. EuGH, Urteil
vom 26. Oktober 2006 - Rs. C-275/05, Kibler - Slg. I-10569 m.w.N.). Das ist der Fall,
wenn der Verpächter selbst Erzeuger ist oder zu werden beabsichtigt. Das europäische
Gemeinschaftsrecht steht aber auch einer nationalen Regelung nicht entgegen, derzufolge die
Referenzmenge bei Beendigung des Pachtverhältnisses auch dann auf den Verpächter
übergeht, wenn dieser nicht selbst Erzeuger ist oder zu werden beabsichtigt, sofern er sie
seinerseits in kürzester Frist an einen Erzeuger überträgt. In derartigen Fällen erscheint der
Erwerb des Verpächters als Durchgangserwerb. Das gilt sowohl für den Fall einer
flächengebundenen Weiterverpachtung an einen Erzeuger, wie dies die alte Rechtslage der
Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) vom 25. Mai 1984 in der Fassung der
Bekanntmachung vom 21. März 1994 (BGBl I S. 586) als Regelfall vorsah (EuGH, Urteil vom 20.
Juni 2002 - Rs. C-401/99, Thomsen - Slg. I-5775, 5791), als auch für den Fall eines flächenlosen
Verkaufs über eine staatliche Verkaufsstelle, wie es nunmehr die Milchabgabenverordnung
vorsieht. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof entschieden, Art. 7 Abs. 2 der
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 sei dahin
auszulegen, dass bei Beendigung landwirtschaftlicher Pachtverhältnisse über einen
Milcherzeugungsbetrieb daran gebundene Referenzmengen an den Verpächter zurückfallen
können, auch wenn dieser nicht Erzeuger ist oder zu werden beabsichtigt, sofern er sie in
kürzester Frist über eine staatliche Verkaufsstelle an einen Dritten überträgt, der diese
Eigenschaft besitzt (Urteil vom 7. Juni 2007 - Rs. C-278/06, Otten -). Der Beendigung eines
Pachtverhältnisses über einen ganzen Milcherzeugungsbetrieb ist die Beendigung eines
Pachtverhältnisses über bestimmte Betriebsflächen gleichzuerachten (vgl. ebd. ).
22 Wie die „kürzeste Frist“ zu bemessen ist, hängt von den jeweils gegebenen rechtlichen und
tatsächlichen Voraussetzungen ab (vgl. Senat, Urteil vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C
30.03 - Buchholz 421.512 MGVO Nr. 139). Unter der Geltung des neuen Rechts ist eine
Übertragung an einen Erzeuger nur durch Verkauf über die staatliche Verkaufsstelle zu
festgesetzten Terminen möglich. Die Weiterübertragung an einen Erzeuger erfolgt daher „in
kürzester Frist“, wenn der Verpächter die Referenzmenge zum nächsten hierfür vorgesehenen
Zeitpunkt der staatlichen Verkaufsstelle andient, damit diese sie binnen kürzester Frist an einen
Erzeuger verkaufen kann (EuGH, Urteil vom 7. Juni 2007 a.a.O. ; vgl. schon
Europäische Kommission, AUR 2003, S. 78). Dementsprechend hat der Verordnungsgeber § 12
Abs. 2 ZAV durch die Zweite Änderungsverordnung vom 14. Januar 2004 (BGBl I S. 89) dahin
ergänzt, dass eine unverzügliche Übertragung dann anzunehmen ist, wenn der Verpächter, der
nicht selbst Erzeuger ist oder wird, beim nächstfolgenden Übertragungstermin für die gesamte
Referenzmenge ein Angebot bei der Verkaufsstelle einreicht und bei diesem oder dem darauf
folgenden Übertragungstermin zum Zuge kommt.
23 4. Gegen den in § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV angeordneten Referenzmengenübergang bestehen
keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
24 a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C 35.03 - Bedenken
geäußert, ob die Zusatzabgabenverordnung von der durch Art. 8a Buchstaben b und e der
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 eröffneten
Möglichkeit, das bisherige flächengebundene Übertragungssystem durch ein völlig anders
geartetes System der nur flächenlosen Übertragung von Referenzmengen über eine Milchbörse
zu ersetzen, ohne eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers Gebrauch machen durfte
(BVerwGE 121, 382 <387 ff.>). Er hat diese Frage jedoch offen gelassen, da die beschriebenen
verfassungsrechtlichen Bedenken nur die Einführung des neuen Übertragungssystems, nicht
jedoch auch diejenigen Vorschriften - wie § 12 ZAV - betreffen, welche Regelungen im Gefolge
des bisherigen Übertragungssystems für eine Übergangszeit aufrechterhalten (ebd. <390>).
Auch der vorliegende Rechtsstreit nötigt nicht zu einer abschließenden Entscheidung der Frage.
Wiederum ist nur die Übergangsvorschrift des § 12 ZAV betroffen, die als zeitlich begrenzte
Fortführung des alten Übertragungssystems in § 8 Abs. 1 Satz 1 MOG noch eine zureichende
gesetzliche Grundlage findet.
25 b) Die Referenzmenge - und damit deren Verwertbarkeit im Verkaufswege - dem Verpächter
zuzuordnen, verletzt den Pächter nicht in seinen Grundrechten.
26 Der Gleichheitssatz ist nicht verletzt. Zwar ordnet § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV den
Referenzmengenübergang ohne Rücksicht auf den Umstand an, ob der Verpächter selbst Milch
erzeugt oder nicht. Diese Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte berührt den
abgebenden Pächter jedoch nicht in seiner Rechtssphäre. Der Pächter hat kein rechtlich
geschütztes Interesse daran, die Referenzmenge nur an einen Milcherzeuger zu verlieren. Ohne
Erfolg beruft sich die Revision insofern auf das Urteil des Senats vom 18. Dezember 2003 -
BVerwG 3 C 48.02 - (Buchholz 451.512 MGVO Nr. 138). Dort hatte der Senat für den Verbleib
der Referenzmenge beim bisherigen Pächter allein deshalb erkannt, weil das damalige Recht
den Übergang auf den Verpächter nicht erlaubte und für einen Einzug zur staatlichen Reserve
die Rechtsgrundlage fehlte. Die Aussage, dass die Referenzmenge dem bisherigen Pächter
auch gerechterweise gebühre, hat der Senat nicht getroffen.
27 Auch das Eigentumsgrundrecht des bisherigen Pächters ist nicht verletzt. Zwar wird durch
den Verlust der Referenzmenge sein als Eigentum geschütztes Recht an seinem
Milcherzeugungsbetrieb beeinträchtigt (vgl. zuletzt Senat, Urteil vom 16. September 2004 -
BVerwG 3 C 35.03 - BVerwGE 121, 382 <391>); dabei ist gleichgültig, ob der Verlust zugunsten
der staatlichen Reserve oder zugunsten eines Dritten angeordnet wird. Die Anordnung ist aber
zulässig, weil sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Der Verordnungsgeber
musste - in dem vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Rahmen - die berechtigten Interessen des
Pächters und des Verpächters einer Milcherzeugungsfläche zu einem gerechten Ausgleich
bringen. Für Pachtverträge, die nach Einführung der Milchabgabenregelung im Jahre 1983
geschlossen wurden, durfte er in Rechnung stellen, dass die Referenzmenge dem Pächter
zusammen mit der Fläche nur auf Zeit überlassen war und nach dem Ende des
Pachtverhältnisses wieder dem Verpächter zustand. Dasselbe gilt im Grundsatz für
Pachtverträge, die bereits zuvor geschlossen worden waren. Allerdings gebot der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit insofern Vorkehrungen zum Schutz der berechtigten Belange des Pächters,
der die Referenzmenge durch eigene Investitionen erdient hat. Ob dem durch
Ausgleichszahlungen des Verpächters oder aber durch eine Aufteilung der Referenzmenge
zwischen Pächter und Verpächter Rechnung getragen wurde, oblag der Entscheidung des
Verordnungsgebers. Durch den sog. Pächterschutz nach § 7 Abs. 4 MGV, der auch im Rahmen
von § 12 Abs. 2 ZAV noch Anwendung findet - und im vorliegenden Falle zugunsten der
Klägerin angewendet wurde -, ist den Anforderungen von Art. 14 GG in jedem Falle genügt
(stRspr; vgl. Urteile vom 30. November 1989 - BVerwG 3 C 47.88 - BVerwGE 84, 140 <145 ff.>
und vom 15. November 1990 - BVerwG 3 C 42.88 - BVerwGE 87, 94 <99 ff.>).
28 5. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Die Revision beanstandet, dass das
Berufungsgericht nicht aufgeklärt habe, ob der Beigeladene tatsächlich den baldestmöglichen
Verkauf der Referenzmenge beabsichtige. Damit ist ein Verfahrensmangel nicht dargetan.
Liegen keine Beweisanträge vor, so bestimmt das Tatgericht den Umfang seiner Sachaufklärung
nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Eine Verletzung dieser Pflicht liegt nur vor,
wenn es eine Aufklärung unterlässt, die sich ihm aufdrängen musste. Hierfür ist nichts ersichtlich.
29 Das Berufungsgericht hat die Verkaufsabsicht des Beigeladenen unterstellt und hierzu
ausgeführt, dass für ihn - seit dem Wegfall der flächenlosen Verpachtung - der Verkauf die einzig
wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit zur Verwertung der Referenzmenge darstelle. Das ist
schlüssig; die Klägerin bringt dagegen nichts vor. Hinzu kommt, dass dem Beigeladenen der
alsbaldige Verkauf durch den angefochtenen Bescheid aufgegeben wurde. Das
Berufungsgericht war auch nicht gehalten aufzuklären, ob der Beigeladene die ihm bescheinigte
Referenzmenge bereits bei der Verkaufsstelle zum Kauf angeboten hat. Dabei muss nämlich in
Rechnung gestellt werden, dass die Referenzmenge für den Beigeladenen noch nicht
verkäuflich ist, da sein Rechtserwerb infolge der vorliegenden Klage noch nicht bestandskräftig
feststeht.
30 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert