Urteil des BVerwG vom 22.09.2005

BVerwG: ergänzung, subjektiv, behörde, revisionsgrund, erlass, kassation, rechtssicherheit, umweltrecht

Rechtsquellen:
FStrG
§ 17 Abs. 1, Abs. 6 c
VwVfG
§ 76
Stichworte:
Änderungsplanfeststellungsbeschluss; Bestandskraft; Rechtsmittel; Belange privater
Dritter; Abwägung; ergänzendes Verfahren.
Leitsatz:
Einen Änderungsplanfeststellungsbeschluss kann ein Betroffener nur insoweit an-
greifen, als er durch dessen Festsetzungen erstmals oder weitergehend als durch
den abgeänderten Planfeststellungsbeschluss betroffen wird. Das gilt auch, wenn der
Änderungsplanfeststellungsbeschluss in einem durch ein Gericht aufgrund der Klage
eines Dritten angeordneten ergänzenden Verfahren (hier gemäß § 17 Abs. 6 c Satz 2
FStrG) ergeht.
Beschluss des 9. Senats vom 22. September 2005 - BVerwG 9 B 13.05
I. VGH Mannheim vom 26.01.2005 - Az.: VGH 8 S 1674/03 -
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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 13.05
VGH 8 S 1674/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. September 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r ,
Prof. Dr. R u b e l und Dr. N o l t e
beschlossen:
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Die Beschwerde der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Januar 2005 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je-
weils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Hinsichtlich des Klägers zu 1 wirft die Beschwerde die Frage auf,
"ob sich Betroffene bei ganz oder teilweise unwirksamen und damit nicht voll-
ziehbaren Planfeststellungsbeschlüssen gegen deren Ergänzung auch dann
wehren können, wenn sie gegen den Ausgangsplanfeststellungsbeschluss nicht
geklagt haben, aber ihre Rechtsposition erneut Gegenstand der abwägenden
Entscheidung im Zuge der Ergänzung und somit ihr subjektiv öffentlich-
rechtlicher Anspruch auf gerechte Abwägung betroffen ist."
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Denn soweit sie nicht
schon in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist, lässt sie
sich jedenfalls auf dieser Grundlage beantworten, ohne dass es hierzu der Durchfüh-
rung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Der Senat hat in seiner vom Verwaltungsgerichtshof zutreffend in Bezug genomme-
nen Rechtsprechung (BVerwG, Beschluss vom 17. September 2004 - BVerwG 9 VR
3.04 - Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 13 S. 4) ausgeführt, dass ein Änderungsplan-
feststellungsbeschluss nur in dem Umfang angreifbar ist, in dem er eine eigene Re-
gelung enthält. Soweit eine bereits erfolgte wirksame Anlagenzulassung durch Plan-
feststellung reicht, bedarf es keiner neuen Zulassungsentscheidung. Ist der ursprüng-
liche Planfeststellungsbeschluss gegenüber einem Betroffenen bestandskräftig ge-
worden, so kann dieser den Änderungsplanfeststellungsbeschluss nur angreifen,
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wenn er durch dessen Festsetzungen erstmals oder weitergehend als bisher betrof-
fen wird.
Die Beschwerde meint, diese zu einer Planänderung nach § 76 VwVfG ergangene
Rechtsprechung könne auf einen Planfeststellungsbeschluss, der aufgrund eines von
einem Gericht angeordneten ergänzenden Verfahrens (hier gemäß § 17 Abs. 6 c
Satz 2 FStrG) ergeht, nicht übertragen werden. Das trifft jedoch nicht zu. Zwar han-
delt es sich bei solchen ergänzenden Verfahren nicht um Planänderungsverfahren im
Sinne von § 76 VwVfG (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C
19.95 - BVerwGE 102, 358 <361>). Entscheidend für die zitierte Rechtsprechung des
Senats ist aber nicht die Anwendbarkeit dieser Vorschrift, sondern das Institut der
Bestandskraft im Hinblick auf den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss
(BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - a.a.O.). Ebenso wenig wie § 76 VwVfG
enthält die Vorschrift des § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG Anhaltspunkte dafür, dass die
durch die Bestandskraft des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses eingetre-
tene Rechtssicherheit durch den aufgrund des ergänzenden Verfahrens erlassenen
Planfeststellungsbeschluss aufgegeben werden sollte. Denn die Vorschrift dient der
Planerhaltung und soll eine Kassation des Planfeststellungsbeschlusses möglichst
verhindern (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 4 C 2.03 -
Buchholz 451.91 Europäisches Umweltrecht Nr. 16 S. 82). Dem widerspräche es,
wenn die gerichtliche Anordnung eines ergänzenden Verfahrens dem Eintritt der Be-
standskraft des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses in weitergehendem
Umfang entgegenstünde als zur Beseitigung der festgestellten Fehler erforderlich.
Das schließt es aus, dass Betroffene, die keinen Rechtsbehelf gegen den ursprüngli-
chen Planfeststellungsbeschluss eingelegt haben, gegen den nach ergänzendem
Verfahren ergehenden weiteren Planfeststellungsbeschluss zulässigerweise vorge-
hen können, obwohl sie hierdurch weder erstmals noch weitergehend als bisher be-
troffen werden.
Eine derartige Betroffenheit kann auch nicht - wie die Beschwerde meint - im Wegfall
der gerichtlich angeordneten Nichtvollziehbarkeit des ursprünglichen Planfeststel-
lungsbeschlusses durch den Erlass des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses ge-
sehen werden. Denn für den Betroffenen, der - wie der Kläger zu 1 - kein Rechtsmit-
tel gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss eingelegt hat, erweist sich
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der auf Feststellung der Nichtvollziehbarkeit gerichtete Ausspruch des Gerichts als
bloßer Rechtsreflex, dessen späterer Wegfall rechtlich geschützte Interessen des
Betroffenen nicht zu beeinträchtigen vermag.
2. In Bezug auf den Kläger zu 2 will die Beschwerde geklärt wissen,
"ob der Kläger 2 sich hinsichtlich seines subjektiv öffentlichen Rechts auf ge-
rechte Abwägung auf die Betroffenheit des Klägers 1 nicht berufen kann, weil
dieser gegen den Ausgangsbeschluss keine Klage erhoben hat und dieser so-
mit gegen ihn bestandskräftig geworden ist."
Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Es kann offen blei-
ben, ob ihr jedenfalls dann, wenn man sie entgegen der Formulierung der Beschwer-
de nicht lediglich auf den vorliegenden Einzelfall bezieht, grundsätzliche Bedeutung
zukommt. Zwar mag eine solche Frage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
noch nicht abschließend geklärt sein. Auch lässt sich bezweifeln, ob sie in der vom
Verwaltungsgerichtshof vertretenen Allgemeinheit beantwortet werden könnte, wo-
nach zu den "fremden" Belangen, deren fehlerhafte Einstellung in die Abwägung
(hier nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG) ein grundstücksbetroffener Kläger geltend ma-
chen kann, grundsätzlich zwar auch private Belange anderer Enteignungsbetroffener
gehören, jedoch nicht dann, wenn der betroffene private Dritte selbst keinen zulässi-
gen Rechtsbehelf gegen den Planfeststellungsbeschluss eingelegt hat. Denn es wäre
insoweit zu berücksichtigen, dass die Eigentumsbetroffenheit - etwa im Hinblick auf
anfallende Enteignungsentschädigungen - nicht ausschließlich als privater Belang
behandelt werden kann; zumindest auf diesen Gesichtspunkt dürfte sich der unmit-
telbar von der Planung Betroffene z. B. im Rahmen der Prüfung von Trassenvarian-
ten unabhängig von etwaigen Rechtsmitteln des privaten Dritten berufen können.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des
angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letz-
ten Behördenentscheidung ankommt, für den zwar eine Präklusion eines Betroffenen
mangels Einwendungserhebung, nicht jedoch eine später unterlassene Klageerhe-
bung gegen den Planfeststellungsbeschluss von Bedeutung sein kann. Andererseits
wird rein privaten Belangen, in die die Behörde nicht gegen den Willen des Betroffe-
nen eingreift, im Rahmen der behördlichen Abwägung grundsätzlich kein nennens-
wertes Gewicht beizumessen sein.
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All dies bedarf jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit keiner weitergehenden
Klärung. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat die Berücksichtigung der Eigentumsin-
teressen des Klägers zu 1 im Rahmen der Klage des Klägers zu 2 nicht allein auf-
grund der Präklusion des Klägers zu 1, die ihm gegenüber durch die Bestandskraft
des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses eingetreten ist, sondern selbstän-
dig tragend auch deswegen abgelehnt, weil die Frage der konkreten Trassenführung
im Bereich des Wohngrundstücks des Klägers zu 1 keinen kausalen Zusammenhang
mit der Inanspruchnahme des Klägers zu 2 aufweist. Bei einer solchen alternativen
Begründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der
Begründungen ein Revisionsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl.
etwa BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 S. 15). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde kritisiert zwar
die weitere Begründung des Verwaltungsgerichtshofs, greift insoweit aber in der Art
einer Berufungsbegründung lediglich allgemein die Sachverhaltswürdigung durch die
Vorinstanz an und zeigt Revisionszulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2
VwGO - zumal in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspre-
chenden Weise (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - a.a.O.) -
nicht auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 3 GKG.
Vallendar Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
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