Urteil des BVerwG vom 30.05.2013

BVerwG: recht des beamten, anhörung, bildende kunst, erlass, versetzung, verweigerung, verfügung, verwaltungsakt, weisung, altersgrenze

BVerwG 2 C 68.11
Rechtsquellen:
ZPO §§ 427, 444 und 446
LBG BW a.F. §§ 53, 55 und 58
LVwVfG BW §§ 45 und 46
Stichworte:
Lehrerin, Dienstunfähigkeit; Verweigerung der ärztlichen Begutachtung; formelle und inhaltliche
Anforderungen an eine Untersuchungsaufforderung; Zweifel über die Dienstunfähigkeit;
Anhörung vor Erlass der Zurruhesetzungsverfügung; Offensichtlichkeit; Pflicht zur Suche nach
einer anderweitigen Verwendung eines dienstunfähigen Beamten.
Leitsatz:
Die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen der Weigerung, sich
amtsärztlich untersuchen zu lassen setzt die Rechtmäßigkeit der Aufforderung voraus. Die
Aufforderung unterliegt im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Zurruhesetzungsverfügung
der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
Die Untersuchungsaufforderung muss sich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger,
lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei
dienstunfähig (im Anschluss an das Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 -).
Die Pflicht zur Suche nach der Möglichkeit für eine anderweitige Verwendung eines
dienstunfähigen Beamten gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Dienstunfähigkeit aus der
Verweigerung einer ärztlichen Begutachtung geschlossen wird.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 68.11
VG Stuttgart - 20.02.2009 - AZ: VG 9 K 4079/08
VGH Baden-Württemberg - 11.10.2011 - AZ: VGH 4 S 2663/09
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. von der Weiden,
Dr. Hartung und Dr. Kenntner
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2011
wird aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Gründe
I
1 Die Klägerin wendet sich gegen ihre vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.
2 Die 1946 geborene Klägerin stand seit 1973 als beamtete Realschullehrerin im Dienst des
Beklagten. Zuletzt war sie an einer Realschule in Teilzeitbeschäftigung in den Fächern Englisch,
Französisch und Bildende Kunst tätig.
3 Seit März 2008 bemängelten der Schulleiter und Elternvertreter den Englischunterricht der
Klägerin. Beratungsgespräche und Unterrichtsbesuche führten nicht zu einer Verbesserung. Da
sich die Beschwerden häuften und wegen der Fehlzeiten der Klägerin von 21 Arbeitstagen
innerhalb eines Schuljahres forderte das Regierungspräsidium das Gesundheitsamt des
Landkreises auf, die Klägerin amtsärztlich zu untersuchen sowie festzustellen, welche
gesundheitlichen Probleme die Klägerin habe und gegebenenfalls Behandlungsmöglichkeiten
aufzuzeigen. Diese Aufforderung wurde der Klägerin nachrichtlich übersandt. Sie leistete weder
dieser noch einer zweiten Untersuchungsaufforderung Folge.
4 Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage gegen die Untersuchungsaufforderung
erklärte die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht aufgrund eines gerichtlichen Hinweises für
erledigt; der Beklagte stimmte zu.
5 Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die
Zurruhesetzungsverfügung aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
6 Der Verstoß gegen die besondere Pflicht zur Anhörung vor Erlass der
Zurruhesetzungsverfügung sei unbeachtlich. Der Beklagte habe von der Dienstunfähigkeit der
Klägerin ausgehen können, weil diese zweimal die angeordnete Untersuchung verweigert habe.
Die Untersuchungsaufforderung könne nicht mehr inhaltlich untersucht werden, weil sie
bestandskräftig geworden sei.
7 Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2011 aufzuheben
und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20.
Februar 2009 zurückzuweisen.
8 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
9 Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles
Landesbeamtenrecht (§ 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG; § 127 Nr. 2 BRRG). Die Versetzung der
Klägerin in den Ruhestand verstößt gegen §§ 53 und 55 des Landesbeamtengesetzes Baden-
Württemberg - LBG BW - in der hier anwendbaren Fassung der Bekanntmachung der
Neufassung des Landesbeamtengesetzes vom 19. März 1996 (GBl S. 285), geändert durch das
Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes, des Landespersonalvertretungsgesetzes
und anderer Vorschriften vom 3. Mai 2005 (GBl S. 321).
10 Die angegriffene Verfügung hat sich nicht dadurch erledigt, dass die Klägerin inzwischen die
gesetzliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat. Denn die vorzeitige
Zurruhesetzung entfaltet weiterhin Rechtswirkungen. Zum einen bleibt der Zeitraum bis zum
Erreichen der Altersgrenze für die Bemessung des Ruhegehalts außer Betracht. Auch ist sie
Grundlage für die Einbehaltung eines Teils ihrer Bezüge (§ 55 Satz 3 LBG BW).
11 Für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand kommt es auf die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (Urteile vom 16. Oktober 1997
- BVerwG 2 C 7.97 - BVerwGE 105, 267 <269 ff.> = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 22 S. 4 f.; vom
26. März 2009 - BVerwG 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25
jeweils Rn. 12, vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 7.11 - Buchholz 237.95 § 208 SHLBG Nr. 1
Rn. 11 und vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 - Buchholz 237.6 § 226 NdsLBG Nr. 1 Rn. 9).
12 Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG BW ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu
versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen
zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Nach Satz 3 ist der
Beamte, sofern Zweifel über seine Dienstunfähigkeit bestehen, verpflichtet, sich nach Weisung
der Behörde ärztlich untersuchen und, falls ein Amtsarzt dies für erforderlich hält, auch
beobachten zu lassen. Entzieht sich der Beamte trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung,
ohne hierfür einen hinreichenden Grund nachzuweisen, der Verpflichtung, sich nach Weisung
der Behörde untersuchen oder beobachten zu lassen, so kann er nach Satz 4, wenn er die
Versetzung in den Ruhestand nicht beantragt hat, so behandelt werden, als ob seine
Dienstunfähigkeit amtsärztlich festgestellt worden wäre. Satz 5 verpflichtet den Dienstherrn, den
Beamten auf die Rechtsfolge des Satzes 4 hinzuweisen.
13 Die Zurruhesetzung der Klägerin ist rechtswidrig, weil die Annahme der Dienstunfähigkeit der
Klägerin entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs nicht auf § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG
BW gestützt werden kann. Denn die zugrundeliegende Untersuchungsaufforderung vom März
2008 ist ihrerseits rechtswidrig (1). Zudem hat das Regierungspräsidium die Klägerin entgegen §
55 Satz 2 LBG BW vor Erlass der Verfügung nicht angehört (2) sowie der Suchpflicht des § 53
Abs. 3 LBG BW nicht genügt (3).
14 1. Der Behörde ist durch § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW kein Ermessen eröffnet, dessen
Ausübung an den Anforderungen des § 40 LVwVfG BW zu messen oder nach § 39 Abs. 1 Satz 3
LVwVfG BW zu begründen wäre. Das Wort „kann“ in § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW bringt die
Berechtigung der Behörde zum Ausdruck, von der Verweigerung der geforderten Begutachtung
auf die - amtsärztlich festgestellte - Dienstunfähigkeit des Beamten zu schließen. Die Regelung
des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW stellt vergleichbar mit dem allgemeinen Rechtsgedanken der §§
427, 444 und 446 ZPO eine Beweisregel dar. Sie gestattet, im Rahmen der Beweiswürdigung
Schlüsse aus dem Verhalten des Beamten zu ziehen, der die rechtmäßig abverlangte
Mitwirkung an der Klärung des Sachverhalts verweigert hat. Auch wenn die Voraussetzungen
des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW erfüllt sind, darf die Behörde den Beamten nicht schematisch in
den Ruhestand versetzen. Vielmehr muss sie die Gründe, die der Beamte für sein Verhalten
angegeben hat, berücksichtigen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen (vgl. Urteile vom
26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 7.11 - a.a.O. Rn. 14 und vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 -
a.a.O. Rn. 12). Dies wird durch die Begründung des Entwurfs des Gesetzes, durch das § 53 Abs.
1 Satz 4 und 5 LBG BW angefügt worden sind (LTDrucks 11/6585, S. 28 zu Nr. 11 a), bestätigt.
Danach soll die Regelung des Satzes 4 die Grundlage bieten, die Dienstunfähigkeit des
betreffenden Beamten vermuten zu können. Daraus folgt, dass die Vermutung widerlegt werden
kann.
15 Die Dienstunfähigkeit der Klägerin kann hier nicht auf § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW gestützt
werden. Da die erste Untersuchungsaufforderung rechtswidrig ist, musste die Klägerin ihr nicht
Folge leisten (Urteile vom 26. Januar 2012 a.a.O. Rn. 15 und vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 13).
16 Der Senat ist an der Prüfung der Rechtmäßigkeit der ersten Untersuchungsaufforderung nicht
gehindert. Diese konnte nicht in Bestandskraft erwachsen, weil es sich nicht um einen
Verwaltungsakt handelt. Die Anordnung ist nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen
gerichtet, wie dies die Begriffsbestimmung gemäß § 35 Satz 1 LVwVfG BW als Merkmal eines
Verwaltungsaktes verlangt. Dieses Merkmal fehlt Maßnahmen gegenüber Beamten, die nach
ihrem objektiven Sinngehalt auf organisationsinterne Wirkung abzielen, weil sie dazu bestimmt
sind, den Beamten nicht als Träger subjektiver Rechte, sondern als Amtswalter und Glied der
Verwaltung anzusprechen (Urteil vom 2. März 2006 - BVerwG 2 C 3.05 - BVerwGE 125, 85 =
Buchholz 237.8 § 84 RhPLBG Nr. 1 jeweils Rn. 10). Die Aufforderung zur Untersuchung regelt
lediglich einen einzelnen Schritt in einem gestuften Verfahren, das bei Feststellung der
Dienstunfähigkeit mit der Zurruhesetzung endet (Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 14 f.). Eine
Maßnahme, die kein Verwaltungsakt ist, wird auch nicht dadurch zu einem solchen, dass über
sie durch Widerspruchsbescheid entschieden oder sie von der Widerspruchsbehörde als solcher
bezeichnet wurde (Urteil vom 2. März 2006 a.a.O. Rn. 11) oder die Behörde ihren Sofortvollzug
angeordnet hat.
17 Die erste Untersuchungsaufforderung vom März 2008 konnte den Schluss auf die
Dienstunfähigkeit der Klägerin nach § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW aus mehreren Gründen nicht
rechtfertigen. Sie war nicht an die Klägerin, sondern an das Gesundheitsamt des Landratsamts
adressiert. Dieser wurde lediglich eine Mehrfertigung übersandt. Wegen ihrer weitgehenden
Wirkungen muss die vollständig begründete Untersuchungsaufforderung an den Beamten
gerichtet sein. Denn Adressat ist der Betroffene; dieser muss in die Lage versetzt werden, an
Hand ihrer konkreten Begründung ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
18 Die Aufforderung genügt auch nicht den inhaltlichen und formellen Anforderungen (Urteil vom
26. April 2012 a.a.O. Rn. 17 f.).
19 Nach § 53 Abs. 1 Satz 3 LBG BW ist die Behörde zu einer Untersuchungsaufforderung
berechtigt, wenn Zweifel über die Dienstunfähigkeit des Beamten bestehen. Aufgrund
hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände muss zweifelhaft sein, ob der Beamte wegen
seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist,
die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen (vgl. Urteile vom 28. Juni
1990 - BVerwG 2 C 18.89 - Buchholz 237.6 § 56 NdsLBG Nr. 1, vom 23 September 2004 -
BVerwG 2 C 27.03 - BVerwGE 122, 53 <55> = Buchholz 239.1 § 36 BeamtVG Nr. 2 und vom 3.
März 2005 - BVerwG 2 C 4.04 - Buchholz 237.7 § 194 NWLBG Nr. 2 Rn. 10). Dies ist
anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die
ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung
müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als
nahe liegend erscheinen lassen (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 -
BVerfGE 89, 69 <85 f.>; Beschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378;
BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 19). Die Feststellung, die für die Anordnung
sprechenden Gründe „seien nicht aus der Luft gegriffen“, reicht für die Rechtmäßigkeit der
Aufforderung nicht aus.
20 Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit
stützt, in der Aufforderung angeben. Der Beamte muss anhand dieser Begründung die
Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe
tragfähig sind (Urteil vom 23. Oktober 1980 - BVerwG 2 A 4.78 - Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 14
S. 6). Er muss erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der
Aufforderung herangezogen wird. Die Behörde darf insbesondere nicht nach der Überlegung
vorgehen, der Adressat werde schon wissen, „worum es geht“.
21 Eine unzureichende Begründung kann nicht durch das Nachschieben weiterer Gründe
geheilt werden. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt der Anordnung tatsächliche
Umstände vorlagen, die den Schluss auf Zweifel eine Dienstfähigkeit gerechtfertigt hätten. Für
eine Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG BW ist wegen des Zwecks der
Untersuchungsaufforderung kein Raum. Erkennt die Behörde die Begründungsmängel der
ersten Aufforderung zur Untersuchung, kann sie eine neue Aufforderung mit verbesserter
Begründung erlassen.
22 Ferner muss die Anordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung
enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Arzt überlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich
der Beamte einer fachpsychiatrischen Untersuchung unterziehen soll. Erhebungen des
Psychiaters zum Lebenslauf des Beamten, wie etwa Kindheit, Ausbildung, besondere
Krankheiten, und zum konkreten Verhalten auf dem Dienstposten stehen dem Bereich privater
Lebensgestaltung noch näher als die rein medizinischen Feststellungen, die bei der
angeordneten Untersuchung zu erheben sind. Deshalb sind die mit einer solchen Untersuchung
verbundenen Eingriffe in das Recht des Beamten aus Art. 2 Abs. 2 GG wie auch in sein
allgemeines Persönlichkeitsrecht regelmäßig weitgehend (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993
a.a.O. S. 82 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 17).
23 Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung
nachvollziehbar sind, kann der Betroffene auch nach Maßgabe des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Dementsprechend muss sich der
Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher
Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am
körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen
Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind.
24 Danach ist die Untersuchungsaufforderung vom März 2008 bereits deshalb rechtswidrig, weil
das Regierungspräsidium Art und Umfang der Untersuchung nicht einmal in den Grundzügen
bestimmt, sondern diese vollständig dem Gesundheitsamt überlassen und damit der Klägerin die
inhaltliche Prüfung der Anordnung unmöglich gemacht hat.
25 Zur Begründung der Aufforderung hat das Regierungspräsidium auf Klagen von
Elternvertretern und Schülern über die nachlassende Qualität des Unterrichts der Klägerin sowie
auf deren wiederholte Krankmeldungen und die damit verbundenen unterrichtlichen Defizite
verwiesen. Zudem sei das Verhältnis zum Schulleiter durch die Beratungsgespräche belastet
worden, weil die Klägerin Vereinbarungen und Ratschläge nicht annehme. Durch die ständigen
dienstlichen Auseinandersetzungen seien das Schulklima außerordentlich belastet und der
Schulfrieden gefährdet.
26 Diese Umstände sind in der Aufforderung vom März 2008 nicht in einer Weise dargestellt und
belegt, dass der Klägerin die Prüfung ihrer inhaltlichen Richtigkeit möglich gewesen wäre.
27 Zwar können Fehlzeiten grundsätzlich Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten im Sinne
von § 53 Abs. 1 Satz 3 LBG BW begründen. Dies muss aber schlüssig dargelegt werden. Denn
Fehlzeiten können auch auf Erkrankungen zurückzuführen sein, die die Dienstfähigkeit eines
Beamten tatsächlich nicht dauerhaft berühren. Zur Klärung hätte das Regierungspräsidium den
Schulleiter beauftragen können, die Klägerin nach den Ursachen ihrer Fehlzeiten zu befragen.
Sollte das Regierungspräsidium Zweifel an der Belastbarkeit der privatärztlichen
Bescheinigungen über die Dienstunfähigkeit der Klägerin gehabt haben, so wäre es in Betracht
gekommen, dieser aufzuerlegen, künftig zum Nachweis ihrer Dienstunfähigkeit ein
amtsärztliches Attest ab dem ersten Werktag vorzulegen (Beschluss vom 23. Februar 2006 -
BVerwG 2 A 12.04 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 29).
28 2. Die Zurruhesetzungsverfügung ist auch deshalb rechtswidrig, weil das
Regierungspräsidium die Klägerin vor ihrem Erlass entgegen § 55 Satz 2 LBG BW nicht
angehört hat.
29 § 55 Satz 2 LBG BW schreibt vor, dass der Beamte Gelegenheit erhält, sich zu den für die
Zurruhesetzung erheblichen Tatsachen innerhalb eines Monats schriftlich zu äußern. Nach den
nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb bindenden tatsächlichen Feststellungen
des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat das Regierungspräsidium die Klägerin
vor der Bekanntgabe der Verfügung nicht nach § 55 Satz 2 LBG BW angehört. Die besondere
Anhörung nach § 55 Satz 2 LBG BW ist auch den Fällen des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW
geboten. Ist der Beamte der zweimaligen Aufforderung zu einer ärztlichen Untersuchung nicht
nachgekommen, so kann er im Rahmen der Anhörung geltend machen, die
Untersuchungsanordnung als solche genüge nicht den formellen oder inhaltlichen
Anforderungen mit der Folge, dass aus der Verweigerung der Untersuchung nicht auf seine
Dienstunfähigkeit geschlossen werden dürfe.
30 Die Anhörung nach § 55 Satz 2 LBG BW konnte nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2
LVwVfG BW im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden. Der Gesetzgeber hat durch mehrere
gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht spezielle Regelungen, wie das
zwingende Erfordernis einer Anhörung, die Schriftform und die Anhörungsfrist, deutlich gemacht,
dass der Beamte vor der Entscheidung über seine Zurruhesetzung anzuhören ist (LTDrucks
13/3783, S. 20).
31 § 46 LVwVfG BW ist aber auf den festgestellten Verstoß gegen § 55 Satz 2 LBG BW nicht
anwendbar. Nach § 46 LVwVfG BW kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach
§ 44 LVwVfG BW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung
von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande
gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht
beeinflusst hat. Die Annahme der „Offensichtlichkeit“ im Sinne von § 46 LVwVfG BW ist aber
bereits dann ausgeschlossen, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit
besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre
(Urteile vom 8. Juni 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <361 f.>, vom 25. Januar 1996 -
BVerwG 4 C 5.95 - BVerwGE 100, 238 <250>, vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.06 -
BVerwGE 130, 83 Rn. 38 und vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 C 7.11 - a.a.O. Rn. 20 und 23).
32 Sind im Verfahren der Zurruhesetzung ärztliche Gutachten erstellt worden, so scheidet die
Anwendung von § 46 LVwVfG BW regelmäßig aus. Die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit
des Beamten anhand dieser Gutachten ist in der Regel tatsächlich und rechtlich schwierig. Die
Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung aufgrund einer Stellungnahme des Betroffenen
zu diesen ärztlichen Feststellungen ist nicht auszuschließen. Aber auch in den Fällen, in denen
der Beamte die Begutachtung verweigert hat, kann die Möglichkeit einer abweichenden
Entscheidung aufgrund der Angaben des Beamten im Rahmen seiner Anhörung nicht
ausgeschlossen werden. Die gesetzliche Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW ist
Ausdruck des allgemeinen, aus §§ 427, 444 und 446 ZPO abgeleiteten Rechtsgrundsatzes,
wonach das die Beweisführung vereitelnde Verhalten eines Beteiligten zu dessen Nachteil
berücksichtigt werden kann. Dieser Schluss ist aber auch bei einer gesetzlichen Regelung nicht
zwingend vorgegeben, so dass die Behörde auch hier sämtliche Umstände zu würdigen hat
(Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 23 m.w.N.).
33 Hier lässt es sich nicht ausschließen, dass die Klägerin im Falle ihrer Anhörung nach § 55
Satz 2 LBG BW vor Erlass der Verfügung geltend gemacht hätte, die konkrete
Untersuchungsanordnung genüge nicht den an sie zu stellenden formellen und inhaltlichen
Anforderungen und das Regierungspräsidium deshalb vom Erlass der
Zurruhesetzungsverfügung abgesehen hätte.
34 3. Die Zurruhesetzungsverfügung ist schließlich deshalb rechtswidrig, weil das
Regierungspräsidium nicht der Suchpflicht des § 53 Abs. 3 LBG BW genügt hat.
35 Nach § 53 Abs. 3 Satz 1 LBG BW soll von der Versetzung des Beamten in den Ruhestand
wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden, wenn ihm ein anderes Amt derselben oder einer
anderen Laufbahn übertragen werden kann. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass der
Vorrang der Weiterverwendung eines Beamten vor seiner Versorgung nicht gelten soll, wenn die
Annahme der Dienstunfähigkeit des Beamten auf der Verweigerung einer von der Behörde
angeordneten ärztlichen Begutachtung beruht.
36 § 53 Abs. 3 Satz 1 LBG BW begründet für den Dienstherrn die Pflicht, nach einer
anderweitigen Verwendung des Beamten zu suchen. Die Soll-Vorschrift gestattet eine
Abweichung von der gesetzlichen Regel nur in atypischen Ausnahmefällen, in denen das
Festhalten an diese Regel auch unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers nicht
gerechtfertigt ist. Wie sich aus § 53 Abs. 3 Satz 2 LBG BW ergibt, ist die Suche nach einer
anderweitigen Verwendung regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu
erstrecken. Da es um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn geht, die dem
Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind, ist es Sache des Dienstherrn,
schlüssig darzulegen, dass er entsprechend § 53 Abs. 3 LBG BW nach einer Möglichkeit einer
anderweitigen Verwendung des dienstunfähigen Beamten gesucht hat (Urteil vom 26. März 2009
- BVerwG 2 C 73.08 - BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25 jeweils Rn. 20 ff.).
37 Aus den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs und auch aus den
Verwaltungsakten, auf die der Verwaltungsgerichtshof nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO
verwiesen hat, ergibt sich nicht, dass der Beklagte als Dienstherr der ihm obliegenden
Suchpflicht Genüge getan hat.
38 4. Ist eine Verwaltungsentscheidung, wie hier nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG BW, gebunden
und trifft die von der Behörde gegebene Begründung nicht zu, so obliegt dem Gericht nach § 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO die Prüfung, ob der Verwaltungsakt aus anderen als den von der Behörde
genannten Gründen rechtmäßig ist (Urteil vom 19. August 1988 - BVerwG 8 C 29.87 - BVerwGE
80, 96).
39 Hier scheidet jedoch die Prüfung im gerichtlichen Verfahren aus, ob die Klägerin zum
Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids nach § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG
dienstunfähig war. Denn hierfür bestand kein tatsächlicher Anhaltspunkt.
40 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dr. von der Weiden
Dr. Hartung
Dr. Kenntner