Urteil des BVerwG vom 13.03.2017

BVerwG (zulage, bundesverwaltungsgericht, anlage, bundespolizei, besatzung, gesetz, entwurf, verwendung, verhandlung, sache)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 29.09
VGH 14 BV 07.1263
Verkündet
am 28. Oktober 2010
Rüger
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
für Recht erkannt:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
6. April 2009 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwie-
sen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger steht als Polizeihauptmeister im Dienst der Beklagten. Er ist Ange-
höriger der Bundespolizei Fliegerstaffel Süd und wird in verschiedenen Hub-
schraubertypen der Bundespolizei auf dem Dienstposten eines Wärmebild- und
Peilsystemoperators eingesetzt.
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Im Januar 2005 beantragte der Kläger mit der Begründung, er sei sonstiger
ständiger Luftfahrzeugbesatzungsangehöriger, die Gewährung der Stellenzula-
ge für fliegendes Personal. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, bewilligte
dem Kläger aber zugleich eine Erschwerniszulage als nicht ständiger Luftfahr-
zeugbesatzungsangehöriger. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat
das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Die Tätigkeit als Wärmebild- und Peilsystem-
operator stelle keine herausgehobene Funktion dar. Sonstige ständige Luft-
fahrzeugbesatzungsangehörige seien nur solche Personen, die eine ähnliche
oder zumindest vergleichbar aufwändige Ausbildung wie ein Luftfahrzeugführer
oder Waffensystemoffizier durchlaufen hätten. Der Kläger habe die Befähigung
für seinen Dienstposten in einem nur zwei Wochen dauernden Lehrgang er-
worben. Auf die besonderen physischen und psychischen Belastungen des
Einsatzes in einem Hubschrauber könne nicht abgestellt werden, weil es sich
nicht um eine Erschwernis-, sondern um eine Stellenzulage handele. Dem An-
spruch des Klägers stehe ferner entgegen, dass seine Tätigkeit im Hubschrau-
ber als Wärmebild- und Peilsystemoperator keine ausschließliche sei, sondern
er in geringerem Umfang noch andere Tätigkeiten wahrnehme. Selbst wenn der
Kläger wegen seines Einsatzes in Hubschraubern der Bundespolizei als sonsti-
ger ständiger Luftfahrzeugbesatzungsangehöriger anzusehen sein sollte, hätte
er keinen Anspruch auf die Stellenzulage, weil diese Tätigkeit seinen Dienst-
posten nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht präge. Nach seinen eigenen
Angaben seien im Jahr 2006 über 20 % seiner Jahresarbeitszeit auf sonstige,
nicht zur Zulage berechtigende Tätigkeiten entfallen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger die Ver-
letzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
6. April 2009 aufzuheben und die Berufung des Beklagten
gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts
München vom 27. Februar 2007 zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses verteidigt das angefochtene Urteil. Die
Landesanwaltschaft Bayern hat nicht Stellung genommen.
II
Die Revision ist mit der Maßgabe begründet, dass das Berufungsurteil aufzu-
heben und die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist
(§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht
(§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Ob es sich aus anderen Gründen als richtig dar-
stellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), kann der Senat mangels entsprechender Tatsa-
chenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilen. Die Sache wird
deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen.
1. Das Berufungsurteil verletzt Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Vorbemerkun-
gen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B (Anlage I zum Bundesbe-
soldungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. August 2002
(BGBl I S. 3020) - im Folgenden: Vorbemerkungen -. Danach erhalten Soldaten
und Beamte der Besoldungsgruppen A 5 bis A 16 als sonstige ständige Luft-
fahrzeugbesatzungsangehörige eine Stellenzulage nach Anlage IX, wenn sie
entsprechend verwendet werden.
Mit Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Vorbemerkungen unvereinbar ist die Auf-
fassung des Berufungsgerichts, sonstige ständige Luftfahrzeugbesatzungsan-
gehörige seien nur solche Personen, die eine ähnliche oder zumindest ver-
gleichbar aufwändige Ausbildung wie ein Luftfahrzeugführer oder Waffensys-
temoffizier durchlaufen hätten. Durch die Stellenzulage nach Nr. 6 der Vorbe-
merkungen sollen vielmehr die hohen Anforderungen, die besonderen physi-
schen und psychischen Belastungen sowie die erhöhten Gefahren abgegolten
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werden, denen Soldaten oder Beamte als fliegendes Personal bei der Verrich-
tung ihres Dienstes ausgesetzt sind (Urteil vom 12. Juni 1984 - BVerwG 6 C
94.83 - Buchholz 235 § 42 BBesG Nr. 6 S. 17). Nach der Systematik des Be-
soldungsrechts können solche Dauererschwernisse gleichbleibender Art durch
eine Stellenzulage abgegolten werden (Urteile vom 3. Januar 1990 - BVerwG
6 C 11.87 - Buchholz 240 § 47 BBesG Nr. 6 S. 8 f., vom 23. April 1998
- BVerwG 2 C 1.97 - Buchholz 240.1 Nr. 20 S. 32 und vom 8. Juni 2000
- BVerwG 2 C 24.99 - Buchholz 240.1 Nr. 25 S. 7).
Dieser Zweck der Stellenzulage Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 der Vorbemerkungen ergibt
sich auch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Vorläufer der jetzigen Nr. 6 war die
durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes vom
26. August 1966 (BGBl I S. 526) eingefügte Nr. 4 der Vorbemerkungen. Da-
nach erhielten Soldaten und Beamte als Flugzeugführer mit der Erlaubnis zum
Führen von Strahlflugzeugen und bei entsprechender Verwendung eine Stel-
lenzulage. Beweggrund für die Einführung dieser Zulage war die Einschätzung,
dass die von den Führern von Strahlflugzeugen auch im Vergleich zu Führern
von Propellerflugzeugen geforderten besonderen physischen und psychischen
Leistungen die aller übrigen Soldaten gleicher Dienstgrade und die entspre-
chenden Beamten wesentlich überstiegen und durch die Besoldung nicht aus-
reichend berücksichtigt seien (Entwurf für ein Zweites Gesetz zur Änderung des
Bundesbesoldungsgesetzes, BTDrucks V/688, S. 3, sowie Schriftlicher Bericht
des Innenausschusses, BTDrucks V/765, S. 1 f.).
Durch das Erste Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz vom
18. März 1971 (BGBl I S. 208) wurde die Stellenzulage auf Führer von sonsti-
gen Luftfahrzeugen sowie auf ständige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige er-
streckt. Hintergrund war der Vorschlag Nr. 116 im „Weißbuch 1970 zur Lage
der Bundeswehr“, im Hinblick auf die mit der Verwendung verbundenen physi-
schen und psychischen Belastungen den Kreis der Bezugsberechtigten der
Fliegerzulage zu erweitern und eine ruhegehaltfähige Stellenzulage für Hub-
schrauberpiloten, entsprechend belastete sonstige Flugzeugführer und Besat-
zungsangehörige zu schaffen (Schriftlicher Bericht des Innenausschusses über
den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes
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zur Vereinheitlichung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern, zu
BTDrucks VI/1885, S. 9). Durch das Gesetz zur Änderung des Bundesbesol-
dungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 (BGBl I S. 3103) wurde die Stellenzu-
lage für Luftfahrzeugführer und Kampfbeobachter von ein- und zweisitzigen
strahlgetriebenen Kampf- und Schulflugzeugen erhöht. Dies wurde ebenfalls
damit begründet, dass die technische Entwicklung und das Fliegen solcher
Flugzeuge sowie der Kampfauftrag im Laufe der letzten Jahre zu höheren Leis-
tungsanforderungen und damit zu Funktionssteigerungen bei den Kampfbesat-
zungen geführt hätten (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbe-
soldungsgesetzes, BTDrucks 8/1027, S. 4).
Bundesrecht verletzt das Berufungsurteil ferner durch die Annahme, dem Klä-
ger stehe die Zulage Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Vorbemerkungen selbst
dann nicht zu, wenn er dem Grunde nach als sonstiger ständiger Luftfahrzeug-
besatzungsangehöriger anzusehen sein sollte. Die Tätigkeit des Klägers als
Wärmebild- und Peilsystemoperator präge nicht seinen Dienstposten, weil
mehr als 20 % seiner Jahresarbeitszeit auf nichtzulageberechtigende Tätigkei-
ten entfielen.
Diese Vorgehensweise ist mit der Bestimmung der zulageberechtigenden Funk-
tionen durch den Gesetzgeber in der Anlage I zum Bundesbesoldungsgesetz
unvereinbar. Die Zulage für Soldaten und Beamte als fliegendes Personal ist
eine Stellenzulage, deren Zahlung gemäß § 42 BBesG auf herausgehobene
Funktionen (Absatz 1) und auf die Dauer ihrer Wahrnehmung beschränkt ist
(Absatz 3 Satz 1). Herausgehoben im Sinne dieser Vorschrift sind diese Funk-
tionen wegen der für ihre Wahrnehmung zusätzlich zu erfüllenden Anforderun-
gen, die von der allgemeinen Ämterbewertung nicht erfasst werden (Urteil
27. November 2003 - BVerwG 2 C 55.02 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 28). Wel-
che Funktionen im Sinne des § 42 Abs. 1 BBesG herausgehoben sind, hat der
Gesetzgeber in den einzelnen Zulagevorschriften normativ entschieden (Urteil
vom 26. März 2009 - BVerwG 2 C 1.08 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 32 Rn. 11).
Durch die Stellenzulage Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 der Vorbemerkungen werden die
hohen Anforderungen, die besonderen physischen und psychischen Belastun-
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gen sowie die erhöhten Gefahren abgegolten, denen Soldaten oder Beamte als
fliegendes Personal bei der Verrichtung ihres Dienstes ausgesetzt sind. Dieser
Zweck ist auch für die Bestimmung des Begriffs „sonstige ständige Luftfahr-
zeugbesatzungsangehörige“ maßgeblich. Es muss sich um ein sonstiges Mit-
glied der Besatzung eines Luftfahrzeugs handeln, das infolge seiner Verwen-
dung den mit einem Einsatz in einem Luftfahrzeug verbundenen Dauerer-
schwernissen gleichbleibender Art grundsätzlich in demselben Maß ausgesetzt
ist wie es für die in Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a und b genannten Funktionen
typisch ist. Der Betreffende muss wie der Pilot des Luftfahrzeugs, der Waffen-
systemoffizier eines zweisitzigen stahlgetriebenen Kampf- oder Schulflugzeugs
oder der in einem Hubschrauber eingesetzte Luftfahrzeugoperationsoffizier zur
Standardbesatzung eines Luftfahrzeugtyps gehören und deshalb regelmäßig im
Luftfahrzeug zum Einsatz kommen. Es reicht nicht aus, wenn der Soldat oder
Beamte lediglich von Fall zu Fall bei bestimmten Einsatzkonstellationen heran-
gezogen wird. Erfüllt der Beamte die Voraussetzungen dieser gesetzlichen Re-
gelung, so steht ihm die Zulage zu.
Auf die mit der Revision geltend gemachten Verfahrensmängel kommt es nicht
an. Sie beziehen sich auf die Feststellungen im Berufungsurteil zur konkreten
Verteilung der Jahresarbeitszeit des Klägers, die aus Gründen des materiellen
Rechts nicht entscheidungserheblich ist.
2. Das Berufungsgericht, das aufgrund seiner Rechtsansicht dieser Frage nicht
nachgehen musste, wird nunmehr aufklären müssen, ob der Kläger auf seinem
Dienstposten zur Standardbesatzung eines Hubschraubers gehört. Insoweit
trifft die Beklagte zumindest eine Darlegungslast, weil es sich bei der generel-
len Festlegung der Besatzung der Hubschrauber um Umstände handelt, die
ausschließlich in ihrem Verantwortungs- und Verfügungsbereich liegen (vgl.
Urteile vom 29. Juni 1999 - BVerwG 9 C 36.98 - Buchholz 11 Art. 16a GG
Nr. 12 S. 20 und vom 20. Januar 2000 - BVerwG 2 C 13.99 - Buchholz 237.7
§ 15 NWLBG Nr. 4 S. 3 m.w.N.).
Das Berufungsgericht hat danach zu klären, welche Besatzungen die Beklagte
für die verschiedenen bei den Fliegerstaffeln der Bundespolizei eingesetzten
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Hubschraubertypen vorgesehen hat. Es ist davon auszugehen, dass die Be-
klagte die Regel- oder Standardbesatzung der Hubschrauber je nach Einsatz-
bereich (Fahndungs- und Überwachungseinsätze, Notfall- oder Katastrophen-
einsätze oder Schulungsflüge) in Anweisungen oder Erlassen generell geregelt
hat. Aufzuklären ist ferner, ob die Beklagte die Vorgaben für die Besatzung der
Hubschrauber infolge der Neufassung der „Stellen-/ Funktionsausschreibung
14/2008“ durch das Bundespolizeipräsidium im Juli 2008, die nach der Darstel-
lung des Klägers zur Ausweitung seiner Funktionen während des Hubschrau-
bereinsatzes geführt hat, geändert hat. Sollte es keine generellen Vorgaben
durch behördliche Erlasse geben, so ist zu klären, wie oft der auf einem der
Fliegerstaffel zugeordneten Dienstposten verwendete Kläger tatsächlich an
Hubschraubereinsätzen teilgenommen hat. Das Berufungsgericht wird im Hin-
blick auf Art. 3 Abs. 1 GG auch aufzuklären haben, unter welchen Vorausset-
zungen die Beklagte die Zulage Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Vorbemer-
kungen im Bereich der Bundeswehr z.B. sonstigen Besatzungsangehörigen von
Rettungshubschraubern der Luftwaffe und der Marineflieger gewährt.
Herbert
Dr. Heitz
Thomsen
Dr. Maidowski
Dr. Hartung
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BBesG
§ 42 Abs. 1 Satz 1
Vorbemerkungen zu den Besoldungsordnungen A und B (Anlage I zum Bun-
desbesoldungsgesetz) Nr. 6
Stichworte:
Stellenzulage für fliegendes Personal; sonstige ständige Luftfahrzeugbesat-
zungsangehörige; Dauererschwernisse gleichbleibender Art.
Leitsatz:
Sonstige ständige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige im Sinne der Nr. 6
Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Vorbemerkungen zu den Besoldungsordnungen A
und B sind Soldaten oder Beamte, die wie der Luftfahrzeugführer zur Stan-
dardbesatzung eines Luftfahrzeugs gehören.
Urteil des 2. Senats vom 28. Oktober 2010 - BVerwG 2 C 29.09
I. VG München vom 27.02.2007 - Az.: VG M 5 K 05.3132 -
II. VGH München vom 06.04.2009 - Az.: VGH 14 BV 07.1263 -