Urteil des BVerwG vom 14.12.2012

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BVerwG 5 B 12.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 12.12
VG Stuttgart - 19.01.2011 - AZ: VG 8 K 2529/10
VGH Baden-Württemberg - 24.11.2011 - AZ: VGH 2 S 2240/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Dezember 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. November
2011 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den
Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
1 Die Beschwerde hat mit der Verfahrensrüge (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Das
angefochtene Urteil verletzt die Beklagte in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs
gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung
verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
2 Das Gebot, gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO rechtliches Gehör zu gewähren,
verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen
und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli
1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216>). Das Gericht ist zwar nicht gehalten, das
gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen
Gesichtspunkt Stellung zu nehmen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber jedenfalls dann
verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht nach
seinem Rechtsstandpunkt zentrale Argumente eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen
oder sich mit ihnen nicht auseinandergesetzt hat (Urteil vom 13. Mai 1976 - BVerwG 2 C 26.74 -
Buchholz 237.4 § 35 HmbBG Nr. 1 S. 15).
3 Diesem Maßstab genügt das Berufungsurteil nicht. Die Beklagte hat ihren Vortrag im Klage-
und Berufungsverfahren maßgeblich darauf gestützt, dass es ihr mit verhältnismäßigem Aufwand
nicht möglich sei, dem Kläger ohne Angabe von Antragsdatum und
Leistungsabrechnungsnummer allein anhand des Namens des Versicherten, dessen
Versicherungsnummer und der Daten der ihm durch den behandelten Arzt erstellten Rechnung
Auskunft zu den Versicherten betreffenden Erstattungsvorgängen zu gewähren. Sie führe ihre
Akten nicht mitglieder-, sondern antragsbezogen, weshalb sich die von dem Kläger aufgeführten
Rechnungsdaten Erstattungsanträgen des Versicherten allenfalls dadurch zuordnen ließen,
dass beginnend mit dem Datum der Rechnungserstellung sämtliche Aktenbestände und das
gesamte EDV-System durchsucht würden. Diesem Einwand ist das Berufungsgericht nicht
gefolgt. Zur Begründung seiner Rechtsauffassung, die Beklagte sei in der Lage, die verlangten
Auskünfte ohne einen ihr unzumutbaren Verwaltungsaufwand zu erteilen, hat es sich auf den
Hinweis beschränkt, die Beklagte brauche dazu die bei ihr befindlichen Akten über die von dem
verstorbenen Versicherten gestellten Erstattungsanträge nicht selbst daraufhin durchzusehen, ob
diese die von dem Kläger genannten Rechnungen zum Gegenstand hätten, sie könne die
begehrte Auskunft auch dadurch erteilen, dass sie dem Kläger Einsicht in die genannten Akten
gewähre und es so ihm überlassen, die Akten auf die genannten Rechnungen zu „durchforsten“,
der hiermit verbundene Verwaltungsaufwand sei gering und könne nicht als unzumutbar
angesehen werden (UA S. 12 f.). Diese Ausführungen sind bei verständiger Würdigung nur so zu
verstehen, dass es der Beklagten zuzumuten sei, dem Kläger die betreffenden
Leistungsvorgänge zugänglich zu machen und es ihm zu überlassen zu prüfen, auf welche der
von ihm gestellten und von dem Versicherten eingereichten Rechnungen bereits eine Erstattung
geleistet worden sei. Sie lassen nicht erkennen, dass sich das Gericht mit dem zentralen Vortrag
der Beklagten auseinandergesetzt hätte, schon das Auffinden und das Zur-Verfügung-Stellen
der die bezeichneten Rechnungen betreffenden Leistungsakten würden die Durchsicht des
gesamten Aktenbestandes ab dem jeweiligen Rechnungsdatum erfordern.
4 Das Berufungsurteil kann auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2
VwGO beruhen. Nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts hängt ein
Auskunftsanspruch des Klägers aus § 242 BGB unter anderem davon ab, dass der
Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines
Rechts im Ungewissen und der Anspruchsgegner unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung
dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (UA S. 12). Es ist deshalb nicht
auszuschließen, dass das Berufungsgericht, sofern es sich mit dem Kern des Vorbringens der
Beklagten auseinandergesetzt hätte, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
5 Auf die des Weiteren erhobenen Zulassungsrügen kommt es nicht an. Insoweit wird von einer
weiteren Begründung abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Fleuß