Urteil des BVerwG vom 09.03.2010

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BVerwG 7 B 3.10
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 3.10
OVG der Freien Hansestadt Bremen - 04.06.2009 - AZ: OVG 1 A 9/09
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 4. Juni 2009 wird
zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 €
festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Kläger, zwei als Naturschutzverbände anerkannte Fischereiverbände, wenden sich gegen
einen wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss für den Neubau eines Wasserkraftwerks an
einer bestehenden Staustufe der Weser. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen und
ausgeführt, die Klage des Klägers zu 1 sei unzulässig, die des Klägers zu 2 sei zulässig, aber
unbegründet.
2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde der Kläger.
II
3 Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Eine Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) der Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts wird nicht
prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 VwGO, vgl. 2.). Schließlich liegt kein geltend
gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO, vgl. 3.).
4 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur
dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich
ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall
hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO)
zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss daher dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz
3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des
Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem
beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist.
5 a) Die Beschwerde sieht eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit zunächst im Hinblick
darauf, dass das Oberverwaltungsgericht eine Klagebefugnis des Klägers zu 1 unter
Heranziehung von § 3 Abs. 1 Satz 1 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) abgelehnt hat. Eine
Frage zur Auslegung und Anwendung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes wird insoweit von der
Beschwerde aber weder ausdrücklich noch sinngemäß gestellt. Vielmehr hält sie nur die
Anwendung des Gesetzes im Einzelfall für fehlerhaft und meint insbesondere, das
Berufungsgericht habe die Aufgaben des Klägers zu 1, die sich aus dessen Satzung ergeben,
verkannt. Damit wird keine Frage von grundsätzlicher Klärung prozessordnungsgemäß
dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
6 Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht auch ausgeführt, die Klage des Klägers zu 1 wäre
- ebenso wie die des Klägers zu 2 - unbegründet, wenn man sie entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts als zulässig betrachten würde.
7 b) Weiter hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, ob für das Vorhaben eine
bundeswasserstraßenrechtliche Planfeststellung notwendig gewesen wäre. Auch insoweit stellt
sie überwiegend - im Stile einer Berufungsbegründung - ihre Rechtsauffassung derjenigen des
Oberverwaltungsgerichts gegenüber.
8 Die Rechtssache hat aber auch dann keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn man zu ihren Gunsten annimmt, sie halte für grundsätzlich
klärungsbedürftig die Frage,
ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die wasserstraßenrechtliche Planfeststellung
sei auf die Verkehrsfunktion der Bundeswasserstraße bezogen, wobei der schifffahrtsfunktionale
Zusammenhang kennzeichnend sei.
9 Diese Frage lässt sich ohne Weiteres bejahen.
10 Bauarbeiten an einer Bundeswasserstraße müssen unabhängig davon, ob sie als
Unterhaltung oder Ausbau zu qualifizieren sind, die Wasserstraße als Verkehrsweg betreffen,
wenn sie auf der Grundlage des Bundeswasserstraßengesetzes durchgeführt werden sollen.
Das Bundeswasserstraßengesetz regelt Unterhaltung und Ausbau lediglich im Hinblick auf die
Verkehrsfunktion der Bundeswasserstraßen. Die dem Bund in Art. 74 Nr. 21 GG zugewiesene
Gesetzgebungskompetenz für die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen
rechtfertigt nämlich keine wasserrechtlichen, also die Angelegenheiten der allgemeinen
Wasserwirtschaft ordnenden Vorschriften, sondern nur Regelungen, die sich auf die
Wasserstraßen als Verkehrswege beziehen. Bauarbeiten an einer Bundeswasserstraße müssen
deshalb stets, seien es Unterhaltungs- oder Ausbauarbeiten, einen schifffahrtsfunktionalen
Zusammenhang aufweisen (vgl. Urteil vom 5. Dezember 2001 - BVerwG 9 A 13.01 - BVerwGE
115, 294 <298> m.w.N.).
11 Dass bei dem Ausbau eines Gewässers in dem hierfür erforderlichen wasserrechtlichen
Planfeststellungsverfahren auch die Rückwirkungen des Vorhabens auf die Funktionsfähigkeit
bereits vorhandener Anlagen berücksichtigt werden müssen, die auf der Grundlage einer
wasserstraßenrechtlichen Planfeststellung errichtet worden sind, folgt aus dem
Abwägungsgebot, begründet aber nicht das Erfordernis einer (auch) wasserstraßenrechtlichen
Planfeststellung für das Vorhaben.
12 c) Anschließend hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
ob das Koordinierungsgebot in § 1b WHG gebietet, dass Maßnahmen und
Einzelentscheidungen im Vollzug des Wasserhaushaltsgesetzes bzw. des entsprechenden
Landesrechts, die von der zuständigen Behörde eines Bundeslandes getroffen werden, einem
Zustimmungsvorbehalt der Wasserbehörden der übrigen Bundesländer, die zur
Flussgebietseinheit gehören, unterliegen.
13 Diese Frage ist entscheidungserheblich nur für Einzelentscheidungen. Jedenfalls insoweit
lässt sie sich - mit dem Oberverwaltungsgericht - ohne Weiteres verneinen.
14 Die Gewässer sind nach Flussgebietseinheiten zu bewirtschaften (§ 1b Abs. 1 Satz 1 WHG).
Flussgebietseinheit ist u.a. die Weser (§ 1b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 WHG). Zur Erreichung der im
Wasserhaushaltsgesetz festgelegten Bewirtschaftungsziele wird durch Landesrecht die
Koordinierung der Bewirtschaftung der Flussgebietseinheiten geregelt, insbesondere die - von
der Beschwerde in den Vordergrund gestellte - Koordinierung mit den anderen Ländern (§ 1b
Abs. 2 Nr. 1 WHG). Die Koordinierung im Einzelnen wird durch irrevisibles Landesrecht (vgl. §
137 Abs. 1 VwGO) geregelt. Das bundesrechtliche Koordinierungsgebot in § 1b WHG fordert
nicht, dass das Landesrecht einen derartigen Zustimmungsvorbehalt normiert. Dass der
verfassungsrechtliche Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung der Länder
hier nicht gelten soll, lässt sich unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob eine derartige
Regelung im Wasserhaushaltsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, dem
Wasserhaushaltsgesetz nicht entnehmen.
15 Auch der Wasserrahmenrichtlinie lässt sich zweifelsfrei nichts dafür entnehmen, dass der
Bundesgesetzgeber verpflichtet sein könnte, einen derartigen Zustimmungsvorbehalt
vorzusehen. Gemäß Art. 3 Abs. 4 Satz 1 der Wasserrahmenrichtlinie sorgen die Mitgliedstaaten
dafür, dass die Anforderungen der Richtlinie zur Erreichung der Umweltziele nach Artikel 4 der
Richtlinie und insbesondere alle Maßnahmeprogramme für die gesamte Flussgebietseinheit
koordiniert werden. Die Richtlinie schreibt damit eine Koordinierung vor, lässt aber für
Flussgebietseinheiten, die sich über das Gebiet mehrerer Bundesländer erstrecken, die
jeweiligen Verwaltungskompetenzen - jedenfalls soweit es wie hier um Einzelentscheidungen
im Vollzug des Wasserrechts geht - unberührt (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 9. Aufl., § 1b
Rn. 7).
16 Soweit die Kläger bezweifeln, dass das Vorhaben mit den Vorstellungen der Behörden
anderer Bundesländer auf der Grundlage der vorhandenen landesrechtlichen Regelungen,
namentlich der auch vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Verwaltungsvereinbarung
über die Bildung einer Flussgebietsgemeinschaft Weser, hinreichend koordiniert ist, greifen sie
nur die tatsächliche Würdigung des Sachverhalts und die Anwendung irrevisiblen Landesrechts
an, ohne herauszuarbeiten, dass das Oberverwaltungsgericht dabei eine weiter
klärungsbedürftige Vorgabe des Bundesrechts für diese Koordinierung missachtet hat.
17 d) Weiter hält die Beschwerde für klärungsbedürftig die Frage,
ob das Verschlechterungsverbot des § 25b Abs. 1 Satz 1 WHG, wonach erheblich veränderte
oberirdische Gewässer so zu bewirtschaften sind, dass „eine nachteilige Veränderung ihres
ökologischen Potenzials ... vermieden wird“, hinsichtlich der Anforderungen an die
Durchgängigkeit der Gewässer ausschließlich von naturschutzfachlichen Beurteilungen abhängt
oder ob nicht über die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative hinaus auch der Stand der
Wasserbautechnik einzubeziehen ist.
18 Auch diese Frage lässt sich - soweit sie falllübergreifend ist - ohne Durchführung eines
Revisionsverfahrens beantworten: Ob nachteilige Veränderungen des ökologischen Potenzials
vermieden werden, ist eine naturschutzfachliche Frage. Im Einzelfall kann allerdings die
Beantwortung der Frage nur möglich sein, wenn zunächst technische Vorfragen beantwortet
werden. So kann die hier angesprochene Frage, welche Strömungsverhältnisse eines
Gewässers nach einer Ausbaumaßnahme vorhanden sein werden, selbstverständlich nicht von
einem Fachmann für Naturschutz, sondern nur von einem Fachmann für Wasserbautechnik
beantwortet werden. Davon geht auch das Oberverwaltungsgericht aus. Die Beschwerde legt
insoweit ausführlich dar, warum sie die vom Oberverwaltungsgericht gefundenen Ergebnisse für
unzutreffend hält. Damit wird aber keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage aufgezeigt.
19 2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nur dann unreichend
bezeichnet (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die
Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die
Beschwerde muss also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander
gegenüberstellen. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde benennt zwar zwei Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts. Sie rügt aber allein deren fehlerhafte Anwendung im Einzelfall.
20 Soweit die Beschwerde eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs rügt, wird zwar keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO dargelegt. Auch wenn man zu Gunsten der Beschwerde annimmt, sie wolle insoweit die
grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rügen, kann die Revision nicht
zugelassen werden. Die Beschwerde rügt nämlich auch insoweit allein die ihres Erachtens
unwichtige Anwendung der Rechtsprechung des EuGH im Einzelfall, ohne eine grundsätzliche
Bedeutung ausdrücklich oder sinngemäß darzulegen.
21 3. Auch ein geltend gemachter Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), liegt nicht vor. Die Beschwerde meint, das
Oberverwaltungsgericht habe die notwendige Beiladung (§ 65 Abs. 2 VwGO) der Wasser- und
Schifffahrtsdirektion Nordwest unterlassen und darauf könne dessen Urteil beruhen. Dies trifft
nicht zu.
22 Das Oberverwaltungsgericht hätte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion nicht beiladen
müssen. Für die Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist die materiellrechtliche Auffassung
des Berufungsgerichts maßgebend. Dieses hielt eine wasserstraßenrechtliche Planfeststellung
nicht für erforderlich, so dass kein Anlass zur Beiladung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion
bestand. Im Übrigen wäre deren Beiladung auch dann nicht notwendig gewesen, wenn hier eine
wasserstraßenrechtliche Planfeststellung geboten gewesen wäre. Denn dann könnte dies auch
ohne Beiladung zur Aufhebung der hier angefochtenen wasserrechtlichen Planfeststellung
führen.
23 Im Übrigen verkennt die Beschwerde den Zweck der Beiladung. Dieser ist es nicht, die
Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung zu erweitern, sondern die Rechtskraft des Urteils auch
auf einen an dem streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten zu erstrecken (vgl. Urteil vom 7. Februar
1986 - BVerwG 4 C 30.84 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 36 = BVerwGE 74, 19).
24 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da die
Beigeladene einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. § 154
Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, auch deren außergerichtlichen Kosten den Klägern
aufzuerlegen.
25 Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 4
GKG.
Sailer
Krauß
Neumann