Urteil des BVerwG vom 07.05.2013

BVerwG: qualifikation, werbung, irreführung, zahnarzt, form, berufsfreiheit, patient, begriff, kunst, gebärdensprache

BVerwG 3 B 61.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 61.12
VG Arnsberg - 28.05.2010 - AZ: VG 3 K 3194/08
OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 25.05.2012 - AZ: OVG 13 A 1384/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Mai 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 2012
wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die Kläger betreiben eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis. Die Beklagte untersagte ihnen
mit Bescheid vom 16. September 2008, ihre Praxis in der Außendarstellung als
„Kinderzahnarztpraxis“ und sich oder ihre Beschäftigten als „Kinderzahnarzt“ zu bezeichnen; des
Weiteren verbot sie den Klägern, die Internetadresse „www.kinder...de“ für ihre Praxishomepage
zu verwenden. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Bezeichnung „Kinderzahnarzt“
oder „Kinderzahnarztpraxis“ irreführend sei, weil bei Patienten der falsche Eindruck entstehen
könne, im Bereich der Zahnmedizin existiere eine entsprechende fachzahnärztliche
Qualifikation. Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Das
Oberverwaltungsgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den angefochtenen
Bescheid aufgehoben, soweit den Klägern für sämtliche Formen der Außendarstellung untersagt
worden ist, in ihrer Praxis Beschäftige als „Kinderzahnarzt“ zu bezeichnen; im Übrigen hat es die
Berufung der Kläger zurückgewiesen.
2 Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat
keinen Erfolg. Weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die gerügte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) rechtfertigen die
Zulassung der Revision.
3 1. a) Soweit sich die Begründung der einschränkungslos erhobenen Beschwerde auf den
klageabweisenden Teil des Berufungsurteils bezieht, ergibt sich die Erfolglosigkeit des
Rechtsbehelfs schon daraus, dass die Beklagte durch diesen Teil des Urteils nicht beschwert ist.
4 Die für ein Rechtsmittel des Klägers oder des Beklagten erforderliche Beschwer kann
grundsätzlich nicht schon in den Gründen der angefochtenen Entscheidung liegen, sondern nur
gegeben sein, wenn die Entscheidung im Ergebnis von dem Antrag des Verfahrensbeteiligten zu
dessen Lasten abweicht (vgl. Beschluss vom 18. Februar 2002 - BVerwG 3 B 149.01 - NJW
2002, 2122 = juris Rn. 1 m.w.N.; zur - hier nicht einschlägigen - Ausnahme im Fall der
Abweisung einer unzulässigen Klage als unbegründet: Beschluss vom 2. November 2011 -
BVerwG 3 B 54.11 - Buchholz 310 § 133 [nF] VwGO Nr. 96 Rn. 4, 6). Diese Voraussetzung ist
nicht erfüllt. Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, mit der
Angabe „Kinderzahnarzt“ oder „Kinderzahnarztpraxis“ würden die Patienten nicht über das
Führen einer - nach der zahnärztlichen Berufsordnung nicht vorgesehenen -
Fachzahnarztbezeichnung getäuscht. Damit ist das Gericht zwar den Gründen des
angefochtenen Bescheids nicht gefolgt. Gleichwohl ergibt sich hieraus für die Beklagte keine
Beschwer; denn das Oberverwaltungsgericht ist unabhängig davon aus anderen Erwägungen zu
dem Ergebnis gelangt, dass die Bezeichnung der Kläger als „Kinderzahnarzt“/„Kinderzahnärzte“
und ihrer Praxis als „Kinderzahnarztpraxis“ irreführend sei, und hat insoweit die
Untersagungsverfügung der Beklagten als rechtmäßig und die Klage als unbegründet erachtet
(vgl. Urteilsabdruck S. 14, S. 19 ff.).
5 b) Soweit sich die Beschwerde gegen den Teil des Urteils richtet, mit dem der Klage
stattgegeben worden ist, ist die Beklagte als Unterlegene zwar beschwert; dennoch kann ihr
Rechtsbehelf auch hier keinen Erfolg haben, weil er an den tragenden Gründen der
Entscheidung vorbeigeht. Die Stattgabe der Klage beruht nicht auf der von der Beklagten
beanstandeten Auffassung des Berufungsgerichts, die Bezeichnung als „Kinderzahnarzt“ sei
zulässig, sofern der Betroffene eine Qualifikation in Form des Tätigkeitsschwerpunktes
„Kinderzahnheilkunde“ aufweise. Das Oberverwaltungsgericht hat die angenommene teilweise
Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung vielmehr ausschließlich darauf gestützt, dass die
in Rede stehende Regelung inhaltlich zu unbestimmt sei, weil nicht deutlich werde, welche
Beschäftigten konkret-individuell von der Untersagung betroffen seien (Urteilsabdruck S. 25 f.).
Dagegen hat die Beklagte keine Zulassungsgründe geltend gemacht.
6 2. Aber auch ungeachtet dessen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass der Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt. Die von der
Beklagten aufgeworfene Frage, ob die als Werbung genutzte Bezeichnung „Kinderzahnarzt“
irreführend ist, weil damit beim Patienten eine fehlerhafte Vorstellung über die Existenz einer
entsprechenden fachzahnärztlichen Qualifikation hervorgerufen wird, würde sich in dem
angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Beschwerdevorbringen geht daran vorbei,
dass das Oberverwaltungsgericht eine Irreführung der Patientenschaft aus anderen Gründen
bejaht hat. Es hat darauf abgestellt, dass das Publikum mit der Bezeichnung „Kinderzahnarzt“
zwar nicht zwingend eine Fachzahnarztqualifikation nach dem zahnärztlichen
Weiterbildungsrecht verbinde, jedenfalls aber eine nachhaltige Tätigkeit im Bereich der
Kinderzahnheilkunde erwarte. Ausgehend davon liege hier eine Irreführung vor, weil die
Bezeichnung suggeriere, dass die Kläger jeweils über eine personenbezogene Qualifikation in
Form des Tätigkeitsschwerpunktes „Kinderzahnheilkunde“ verfügten, was nicht der Fall sei.
Dementsprechend sei auch die Angabe „Kinderzahnarztpraxis“ irreführend, weil nicht sämtliche
in der Praxis tätigen Zahnärzte eine solche Berufsqualifikation aufwiesen (vgl. Urteilsabdruck S.
14, S. 19 ff.). Die der berufungsgerichtlichen Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen
Feststellungen binden den Senat; die Beschwerde hat sie nicht mit einer Verfahrensrüge
angegriffen (§ 137 Abs. 2 VwGO).
7 Auch die als klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
„in welcher Weise eine Einschränkung der über Artikel 12 GG geschützten Berufsfreiheit in
Bezug auf die konkrete Rechtsfrage der Zulässigkeit einer Selbstbezeichnung als
„Kinderzahnarzt“ möglicherweise aus Patientensicht und mit Blick auf die Patientengesundheit
schützenswerten Gemeinwohlinteressen und damit dem Schutzzweck des Artikel 2 Absatz 2
Satz 1 GG dient“,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen zum Werberecht der ärztlichen Berufe, insbesondere zu den
durch die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen für Werbeverbote und zu
den Voraussetzungen einer berufswidrigen Werbung, sind in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung hinlänglich geklärt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1992 - 1 BvR
1531/90 - BVerfGE 85, 248 <257, 260 f.>; Kammerbeschluss vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 407/11 -
NJW 2011, 3147 = juris Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 - BVerwG 3 C 4.09 -
Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 110 Rn. 14 ff.) und lassen sich aus Anlass des Streitfalls nicht weiter
fallübergreifend klären. Ob sich gemessen an diesen Rechtsprechungsvorgaben - von denen
auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist - eine Werbemaßnahme als irreführend und
daher berufswidrig darstellt, ist eine Frage der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall.
8 3. Auch die Divergenzrüge greift nicht durch. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO liegt vor, wenn sich die Vorinstanz mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in der
Rechtsprechung eines Divergenzgerichts in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt
worden ist, und wenn das angefochtene Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, vgl. z.B.
Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO
Nr. 19 m.w.N.). Den sich daraus ergebenden Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde
nicht gerecht.
9 Die Beklagte trägt vor, das angefochtene Urteil weiche von dem Kammerbeschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juni 2011 - 1 BvR 233/10 u.a. - (NJW 2011, 2636) ab. Dort
habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Auffassung eines Gerichts, die
Bezeichnung „Zahnarzt für Implantologie“ suggeriere eine Nähe und Vergleichbarkeit mit einer
Fachzahnarztbezeichnung und sei deshalb irreführend, ebenso vertretbar sei wie die dieser
Auffassung zugrunde liegende Prämisse, ein verständiger Patient wisse nicht, dass die
Weiterbildungsordnung den Begriff „Zahnarzt für Implantologie“ nicht verwende. In Widerspruch
dazu habe das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass Patienten hinter der Bezeichnung
„Kinderzahnarzt“ keine entsprechende Fachzahnarztqualifikation vermuteten. Damit arbeitet die
Beschwerde keine einander widersprechenden abstrakten Rechtssätze der Entscheidungen
heraus. Die in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts a.a.O. S.
2638 = juris Rn. 68) betreffen keine rechtlichen Obersätze, sondern verhalten sich zu der im
dortigen Verfahren zur Überprüfung gestellten tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung. Dasselbe
gilt für die von der Beschwerde beanstandeten Erwägungen in dem Berufungsurteil; auch diese
sind Teil der Subsumtion. Mit der behaupteten Abweichung könnte die Beklagte daher allenfalls
einen Subsumtionsfehler aufzeigen, der keine die Revision eröffnende Divergenz begründet.
Abgesehen davon würde das Berufungsurteil auf der geltend gemachten Divergenz auch nicht
beruhen, weil das Oberverwaltungsgericht - wie gezeigt - im Ergebnis ebenfalls von einer
irreführenden, berufswidrigen Werbung ausgegangen ist.
10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Liebler
Dr. Kuhlmann