Urteil des BVerwG vom 16.05.2013

BVerwG: ausgleichsabgabe, berufliche tätigkeit, kurzarbeit, begriff, organisation, unternehmen, arbeitnehmereigenschaft, sonderabgabe, arbeitsrecht, unterliegen

BVerwG 5 C 20.12
Rechtsquellen:
BGB § 293, § 613a
GG Art. 12 Abs. 1 GG
SGB III (2006) § 216b
SGB IV (2006) § 7
SGB IX (2006) § 71 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 und Abs. 3, § 77 Abs. 1
Stichworte:
Arbeitsplatzbegriff, schwerbehindertenrechtlicher -; Arbeitsverhältnis; Ausgleichsabgabe,
schwerbehindertenrechtliche -; Beschäftigungsbegriff, sozialversicherungsrechtlicher -;
Beschäftigungsbegriff, schwerbehindertenrechtlicher -; Beschäftigungspflicht,
schwerbehindertenrechtliche -; Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft;
Beschäftigungsverhältnis, geringfügiges -; Kurzarbeit; Sonderabgabe,
schwerbehindertenrechtliche -; Transfergesellschaft; Transferkurzarbeit.
Leitsatz:
Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften unterliegen hinsichtlich der von ihnen
übernommenen Transferkurzarbeiter der Pflicht des § 77 Abs. 1 SGB IX, eine
schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe zu entrichten.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 20.12
Bayer. VG Ansbach - 20.05.2010 - AZ: VG AN 14 K 08.00335
Bayerischer VGH München - 02.05.2012 - AZ: VGH 12 BV 10.2058
In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht
erhoben.
Gründe
I
1 Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Beschäftigungsgesellschaften eine
schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe entrichten müssen.
2 Die Klägerin ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Sie übernimmt von
Unternehmen, die Werke oder Betriebe schließen müssen, meist aufgrund eines Sozialplans
das von Entlassung bedrohte Personal. Ihre Aufgabe ist es, die Arbeitnehmer in neue
Arbeitsverhältnisse zu vermitteln und für eine andere berufliche Tätigkeit zu qualifizieren. Dazu
werden in „dreiseitigen Verträgen“ die Arbeitsverhältnisse mit dem früheren Arbeitgeber
aufgehoben und neue, auf maximal 12 Monate befristete Arbeitsverträge mit der Klägerin
geschlossen. Die auf diese Weise „transferierten“ Arbeitnehmer erhalten
Transferkurzarbeitergeld. Die Kosten der Beschäftigungsgesellschaft (Transfergesellschaft) und
alle übrigen Leistungen (insbesondere die Sozialversicherungsbeiträge) werden vom früheren
Arbeitgeber übernommen.
3 Im Jahr 2006 übernahm die Klägerin aufgrund solcher „dreiseitiger Verträge“ einen großen Teil
der Belegschaft des stillgelegten N. Werks der A. GmbH. Mit Feststellungsbescheid vom 4. Juli
2007 wurde die Klägerin für das Jahr 2006 zu einer schwerbehindertenrechtlichen
Ausgleichsabgabe in Höhe von 31 200 € herangezogen. Dies wurde damit begründet, dass die
Klägerin nach den Berechnungen des Integrationsamts der Beklagten im Jahr 2006
durchschnittlich 267 Personen beschäftigte. Im Jahresdurchschnitt war nur 1,24 % des Personals
schwerbehindert, so dass die gesetzlich vorgeschriebene Quote von 5 % nicht erreicht wurde.
Der gegen die Ausgleichsabgabe gerichtete Widerspruch wurde mit Bescheid vom 6. Februar
2008 zurückgewiesen.
4 Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat der
Verwaltungsgerichtshof das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe im
Jahr 2006 nicht die erforderliche Zahl schwerbehinderter Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der
Berechnung der Ausgleichsabgabe seien auch die Stellen der Transferkurzarbeiter zu
berücksichtigen. Eine anzurechnende Stelle liege nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitsplatz im
räumlich-gegenständlichen Sinne bereitgestellt werde. Vielmehr genüge es, wenn dem
Arbeitnehmer in einem Betrieb ein bestimmter Tätigkeitsbereich zugewiesen werde. Hinsichtlich
des Verwaltungs- und Schulungspersonals der Klägerin könne dies nicht erfolgreich bestritten
werden. Hinsichtlich der übernommenen Transferkurzarbeiter finde zwar keine Beschäftigung im
üblichen Sinne statt. Die vertraglich vereinbarte Qualifizierung dieser Arbeitnehmer erfülle
jedoch ebenfalls den sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriff. Für das Bestehen
eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei im Übrigen die Erbringung
einer Arbeitsleistung nicht zwingend erforderlich. Etwas Anderes gelte auch nicht bei Bezug von
Transferkurzarbeitergeld. Insbesondere sei die Transferkurzarbeit nicht den einigungsbedingten
„Kurzarbeit-Null-Fällen“ vergleichbar. Die Ausnahmevorschrift für geringfügig beschäftigte
Teilzeitkräfte greife nicht ein. Die Transferkurzarbeiter würden nicht weniger als 18
Wochenstunden beschäftigt.
5 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin im Kern eine Verkennung des
ausgleichsabgabenrechtlichen Arbeitsplatzbegriffs. Dieser setze eine tatsächliche
Beschäftigung voraus. Daran fehle es aber gerade, weil Transferkurzarbeitergeld begrifflich
einen dauerhaften und unvermeidlichen Arbeitsausfall erfordere. Das Arbeitsverhältnis
beschränke sich daher auf Meldepflichten und ähnliche Nebenpflichten. Eine Arbeitsleistung im
eigentlichen Sinne werde nicht erbracht. Zwar könne ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis nach der Rechtsprechung auch bei kurzfristigem Entfallen der
Arbeitsleistung bestehen (z.B. Freistellungsphase in der Altersteilzeit, Urlaub, Krankheit etc.).
Diese Fälle seien aber mit der Transferkurzarbeit nicht zu vergleichen, bei der generell keine
Arbeitspflicht bestehe. Die durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen könnten ebenfalls nicht
als Beschäftigung im Betrieb angesehen werden, da keine arbeitsrechtliche oder auch nur
sozialrechtliche Verpflichtung zur Teilnahme bestehe und auch kein Anspruch auf Durchführung
gegeben sei. Auch könne der Zweck der Ausgleichsabgabe, den Arbeitgeber zur Beschäftigung
von Schwerbehinderten anzuhalten, bei Transfergesellschaften nicht erreicht werden. Die
Transfergesellschaft habe keinen Einfluss auf die zu übernehmende Belegschaft. Es sei
sinnwidrig, allein auf die Ausgleichsfunktion der Abgabe abzustellen. Ferner müssten die
Grundsätze der einigungsbedingten „Kurzarbeit-Null-Rechtsprechung“ Anwendung finden.
Historisch betrachtet seien die Transfergesellschaften auf die im Rahmen der Wiedervereinigung
entwickelten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zurückzuführen. Jedenfalls
müsse die Ausnahmevorschrift für geringfügig Beschäftigte verfassungskonform dahingehend
ausgelegt werden, dass bei Transfergesellschaften Beschäftigte weniger als 18 Stunden
arbeiteten. Das Fehlen einer Arbeitspflicht und das bloße Vorhandensein von Nebenpflichten
müsse wie eine Teilzeitbeschäftigung gewertet werden.
6 Der Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses verteidigen das angegriffene
Berufungsurteil.
II
7 Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen, weil das angegriffene Urteil
nicht gegen Bundesrecht verstößt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat zu
Recht entschieden, dass die Klägerin zur Entrichtung der festgesetzten
schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1, 2 und Abs. 4 Satz 2 i.V.m. §
73 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch in der für das Erhebungsjahr 2006 maßgeblichen
Fassung vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. April 2004
(BGBl I S. 606) - im Folgenden: SGB IX -, verpflichtet ist.
8 1. Private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20
Arbeitsplätzen haben gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB IX auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze
schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Solange sie die vorgeschriebene Zahl
Schwerbehinderter nicht beschäftigen, haben sie nach § 77 Abs. 1 SGB IX für jeden unbesetzten
Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht
unstreitig, dass die Klägerin als Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft im Jahr 2006
im Jahresdurchschnitt mehr als 20 Personen pro Monat angestellt hatte, dass bei Anrechnung
des übernommenen Personals 120 Pflichtplätze unbesetzt geblieben sind und dass dafür
rechnerisch eine Ausgleichsabgabe von 31 200 € anzusetzen ist.
9 2. Der Verwaltungsgerichtshof ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass bei
Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften auch die Stellen der übernommenen
Transferkurzarbeiter in die Berechnung der Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1 SGB IX
einfließen. Zum einen haben die Transferkurzarbeiter Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1
SGB IX (a) und zum anderen ist die Anrechnung ihrer Stellen bei der Erhebung der
Ausgleichsabgabe nicht wegen geringfügiger Beschäftigung analog § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX
ausgeschlossen (b). Die Berücksichtigung der Transferkurzarbeiter bei der Erhebung der
Ausgleichsabgabe ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig (c).
10 a) Unter den Begriff des Arbeitsplatzes fallen nach der Definition des § 73 Abs. 1 SGB IX alle
Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und
Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte
beschäftigt werden. Diese Begriffsbestimmung ist erkennbar durch drei Elemente geprägt. Es
bedarf - erstens - eines privat- oder öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisses
(Arbeitnehmer-, Beamten- oder Richtereigenschaft), der Arbeitgeber oder Dienstherr muss -
zweitens - „Stellen“ eingerichtet haben und auf diesen muss - drittens - Personal „beschäftigt“
werden (dreigliedriger Arbeitsplatzbegriff).
11 aa) Die von der Klägerin übernommenen Transferkurzarbeiter stehen zu dieser in einem
privatrechtlichen Anstellungsverhältnis und sind deshalb Arbeitnehmer (vgl. BAG, Beschluss
vom 23. August 2001 - 5 AZB 11/01 - BAGE 99, 1 <3 f.> und Urteil vom 30. März 2004 - 1 AZR
85/03 - AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 170; BSG, Urteile vom 10. Mai 2012 - B 1 KR 26/11 R - juris
Rn. 15 und vom 4. Juli 2012 - B 11 AL 9/11 R - juris Rn. 17; BFH, Urteil vom 20. Juli 2010 - IX R
23/09 - BFHE 230, 373 Rn. 16; Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013,
§§ 112, 112a BetrVG 210 Rn. 37c).
12 Für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX ist auf die im Arbeitsrecht
entwickelten Maßstäbe abzustellen (vgl. Urteile vom 8. März 1999 - BVerwG 5 C 5.98 - Buchholz
436.61 § 7 SchwbG Nr. 4 S. 2 und vom 26. September 2002 - BVerwG 5 C 53.01 - Buchholz
436.61 § 7 SchwbG Nr. 5 S. 7). Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund Vertrages in persönlicher
Abhängigkeit Dienste erbringt (vgl. Urteile vom 16. Dezember 1959 - BVerwG 5 C 138.57 -
BVerwGE 10, 70 <71> = Buchholz 436.6 § 2 SchwBeschG Nr. 1 S. 2, vom 8. März 1999 a.a.O. S.
2 und vom 26. September 2002 a.a.O. S. 7). Für den Arbeitnehmerbegriff ist es dabei wesentlich,
dass der Arbeitnehmer weisungsabhängig und in die Organisation des Arbeitgebers
eingegliedert ist (BAG, Urteil vom 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - NJW 1998, 3796 <3797>).
13 Nach diesen Grundsätzen stehen die von der Klägerin übernommenen Transferkurzarbeiter
in einem Arbeitsverhältnis. Bei dem „dreiseitigen Vertrag“ zwischen dem früheren Arbeitgeber,
der Transfergesellschaft und dem Arbeitnehmer handelt es sich nach der arbeitsgerichtlichen
Rechtsprechung um einen Aufhebungs- und Arbeitsvertrag, mit dem der Arbeitsvertrag mit dem
früheren Arbeitgeber aufgelöst und ein neuer Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft
begründet wird. Dieser „dreiseitige Vertrag“ stellt grundsätzlich keine Umgehung von § 613a
BGB dar und kann daher rechtswirksam geschlossen werden (BAG, Urteile vom 11. Dezember
1997 - 8 AZR 654/95 - NZA 1999, 262 <263> und vom 23. November 2006 - 8 AZR 349/06 -
NZA 2007, 866 <868>). Den den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen
Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist zu entnehmen, dass die Transferkurzarbeiter in
den Schulungs-, Vermittlungs- und Personalbetreuungsbetrieb der Klägerin eingegliedert sind.
Dies entspricht auch dem zwischen ihnen und der früheren Arbeitgeberin abgeschlossenen
„dreiseitigen Vertrag“, wie er als Muster im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt wurde.
14 Die Transferkurzarbeiter sind gegenüber der Klägerin auch zur Erbringung einer Leistung
verpflichtet. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs sind
sie zum Zweck der Fortbildung bzw. Qualifikation eingestellt. Sie sind nach § 3 Abs. 7 Satz 1 des
„dreiseitigen Vertrages“ verpflichtet, u.a. an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Die
Teilnahme an solchen Maßnahmen ist - so die Feststellung der Vorinstanz - an die Stelle der
zuvor dem früheren Arbeitgeber geschuldeten Leistung getreten. Es handelt sich also um eine
Arbeitsleistung, die nunmehr gegenüber der Klägerin zu erbringen ist. Dem steht nicht entgegen,
dass sich die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen von den Tätigkeiten unterscheidet, wie
sie ein Arbeitnehmer üblicherweise seinem Arbeitgeber schuldet. Die Arbeitnehmereigenschaft
setzt nicht zwingend voraus, dass der Einzelne Arbeiten verrichtet, die Teil einer
Wertschöpfungskette sind. Dass auch andere Leistungen - wie hier die Teilnahme an
Qualifizierungsmaßnahmen - Gegenstand einer Verpflichtung im Rahmen eines
Arbeitsverhältnisses sein können, folgt aus der Vertragsautonomie. Nicht entscheidend ist im
vorliegenden Zusammenhang, in welchem Umfang die Klägerin die Transferkurzarbeiter
auffordert, an Qualifizierungsmaßnamen teilzunehmen. Für die hier allein maßgebliche
Verpflichtung zur Dienstleistung kommt es darauf nicht an.
15 Die Transferkurzarbeiter unterliegen auch dem Direktionsrecht der Klägerin. Dies ergibt sich
schon daraus, dass sie - wie aufgezeigt - verpflichtet sind, auf Verlangen der Klägerin an
Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.
16 bb) Die Transferkurzarbeiter werden auch auf „Stellen“ im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX
beschäftigt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Arbeitnehmer über einen Arbeitsplatz im
räumlich-technischen Sinne verfügen (Urteile vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 5 C 22.01 -
juris Rn. 18 und - BVerwG 5 C 26.01 - BVerwGE 115, 312 <316> = Buchholz 436.61 § 11
SchwbG Nr. 1 S. 4). Vielmehr ist die „Stelle“ im übertragenen betriebsorganisatorisch-
arbeitsrechtlichen Sinne als die Gesamtheit des dem Arbeitnehmer im Betrieb zugewiesenen
Tätigkeitsbereichs mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten zu verstehen (Urteile
vom 21. Oktober 1987 - BVerwG 5 C 42.84 - Buchholz 436.61 § 6 SchwbG Nr. 1 S. 2 und vom 8.
März 1999 a.a.O. S. 2). Die „Stelle“ hat allerdings für das Entstehen der Beschäftigungspflicht
nach § 71 SGB IX und für die Erhebung der Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX primär die
Funktion einer Bezugs- und Rechengröße (BSG, Urteil vom 6. Mai 1994 - 7 RAr 68/93 - BSGE
74, 176 <183>). Es ist daher nicht entscheidend, ob eine betriebswirtschaftlichen und
arbeitsrechtlichen Anforderungen genügende Stellenbeschreibung vorliegt. Nicht entscheidend
ist auch, ob der dem Arbeitnehmer zugewiesene Tätigkeitsbereich mittelbar oder unmittelbar
dem Zweck des Unternehmens dient und damit Teil der betrieblichen Wertschöpfungskette ist.
Denn nach § 73 Abs. 1 SGB IX sind auch Stellen von „zur beruflichen Bildung Eingestellten“
Arbeitsplätze, so dass für eine allein am Betriebszweck orientierte Betrachtungsweise kein
Raum ist. Dementsprechend verfügen auch die bei der Klägerin angestellten
Transferkurzarbeiter schon deshalb über einen ihnen zugewiesenen Tätigkeitsbereich, weil sie
verpflichtet sind, an den Qualifizierungsmaßnahmen der Klägerin teilzunehmen.
17 cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch davon auszugehen, dass die
Transferkurzarbeiter auf ihren Stellen im Sinne von § 73 Abs. 1 SGB IX „beschäftigt werden“. Für
die Auslegung dieses Beschäftigungserfordernisses ist allerdings nicht - wie der
Verwaltungsgerichtshof meint - auf § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch in der für den
Erhebungszeitraum maßgeblichen Bekanntmachung vom 23. Januar 2006 (BGBl I S. 86), zuletzt
geändert durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706 - im Folgenden: SGB
IV) zurückzugreifen. Die darin enthaltene Definition des Beschäftigungsbegriffs gilt unmittelbar
nur für den sozialversicherungsrechtlichen Bereich der Kranken-, Unfall- und
Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Ob sie auch auf andere Bereiche des
Sozialrechts übertragen werden kann, ist durch Auslegung zu ermitteln. Für den Bereich der
schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungs- und Ausgleichsabgabenpflicht kommt es jedoch
nicht darauf an, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder
nicht. Wie § 73 Abs. 1 SGB IX zeigt, lösen auch nichtsozialversicherungsrechtliche
Anstellungsverhältnisse von Beamten und Richtern die Pflichten der §§ 71, 77 SGB IX aus.
Außerdem entspricht der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff des § 7 Abs. 1
SGB IV weitgehend der Definition des Arbeitsverhältnisses. Die Anwendung des
sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriffs hätte bei privaten Arbeitnehmern zur
Folge, dass die schon beim Arbeitnehmerbegriff untersuchten Punkte bei der Frage der
Beschäftigung nochmals geprüft würden. Bei Beamten und Richtern käme es zu Friktionen, weil
systemfremde Gesichtspunkte zu untersuchen wären.
18 Wortlaut, Systematik und Zweck des § 73 Abs. 1 SGB IX legen es nahe, das „Beschäftigt-
Werden“ als Einschränkung des weiten Begriffs der anzurechnenden Stelle zu verstehen. Eine
nur in unternehmerischen Stellenplänen oder staatlichen Haushaltsplänen ausgewiesene „leere
Planstelle“ genügt nicht, wenn nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 SGB IX gefordert wird, dass
auf den Stellen Arbeitnehmer, Beamte oder Richter beschäftigt werden. In diese Richtung weist
bereits der Begriff „beschäftigt“, dem ein tatsächliches Element innewohnt. Es muss auch
tatsächlich in gewissem Umfang einer Beschäftigung nachgegangen, d.h. Arbeits- und
Entgeltleistung erbracht werden. Das Beschäftigungserfordernis verlangt - wie aus dem
systematischen Bezug zur Regelung des § 73 Abs. 3 SGB IX hervorgeht - dass die Stelle
gleichsam „besetzt“ ist. In dieser Regelung wird ein mehrmonatiges Besetztsein der Stelle mit
einem längeren „Beschäftigt-Werden“ gleichgesetzt. Auch der Zweck der §§ 71, 77 SGB IX,
Schwerbehinderte in das Erwerbsleben einzugliedern und ihre Teilhabemöglichkeiten zu
verbessern, spricht dafür, nur auf die besetzten Stellen, d.h. die tatsächlich zur Verfügung
stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten eines Betriebes, abzustellen.
19 Gemessen daran werden die Transferkurzarbeiter auf bei der Klägerin eingerichteten Stellen
„beschäftigt“. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie - wie dargelegt - verpflichtet sind, an
Qualifizierungsmaßnahmen tatsächlich teilzunehmen. Auch im vorliegenden Zusammenhang ist
es ohne Bedeutung, in welchem Umfang die Klägerin eine solche Aufforderung ausspricht. Das
Beschäftigungserfordernis ist hier schon dann erfüllt, wenn der Transferkurzarbeiter seine
Teilnahme an etwa angebotenen Qualifizierungsmaßnahmen anbietet. Wird dieses Angebot von
der Klägerin nicht angenommen, liegt gleichwohl eine Beschäftigung im Sinne von § 73 Abs. 1
SGB IX vor.
20 b) Die Stellen der bei der Klägerin angestellten Transferkurzarbeiter können auch nicht nach
§ 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX unberücksichtigt bleiben, weil die Transferkurzarbeiter weniger als 18
Stunden wöchentlich beschäftigt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat im angegriffenen
Urteil im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Im
Rahmen des nach § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX ist ebenso wie bei § 73 Abs. 3 Alt. 1 SGB IX für die
Frage, ob eine geringfügige Beschäftigung vorliegt, grundsätzlich von der vertraglich
vereinbarten Arbeitszeit auszugehen. Die von der Klägerin übernommenen Transferkurzarbeiter
waren aber ursprünglich an ihrem alten Arbeitsplatz mehr als 18 Stunden wöchentlich
beschäftigt. Ihre Bezahlung während der Transferzeit (Kurzarbeitergeld) orientierte sich unstreitig
am früheren Gehalt für die Vollzeitbeschäftigung (§ 178 i.V.m. § 216b Abs. 10 SGB III).
Schließlich war auch in den neuen Transferarbeitsverhältnissen - ausweislich des vorgelegten
Mustervertrages - keine geringere Arbeitszeit vereinbart, so dass nicht von einer vertraglich
vereinbarten geringfügigen Beschäftigung im Sinne von § 73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX auszugehen
ist.
21 Im Ergebnis zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof auch eine analoge Anwendung des §
73 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX abgelehnt. Es fehlt bereits an der für eine Analogie erforderlichen
Regelungslücke. Das Gesetz nimmt nur geringfügige Beschäftigungen mit weniger als 18
Stunden Wochenpensum von der Anrechnung aus, um die wünschenswerte Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen auf Teilzeitarbeitsplätzen (vgl. § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB IX) zu
fördern (Großmann, in: GK-SGB IX, Stand 2013, § 73 Rn. 160). Hingegen sieht es für die
ebenfalls angestrebte Beschäftigung von Schwerbehinderten auf Vollzeitstellen keine
Anrechnungsfreiheit vor. Dies schließt die Annahme einer Regelungslücke bei grundsätzlich
vollzeitbeschäftigten Personen in Qualifikationsmaßnahmen aus.
22 Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zwingt nicht zu einer analogen Anwendung des § 73
Abs. 3 Alt. 2 SGB IX. Wird jemand arbeitsvertraglich mit mehr als 18 Stunden wöchentlich
beschäftigt und dauert die vom Arbeitgeber organisierte Berufsbildungsmaßnahme (ohne oder
mit individueller häuslicher Nacharbeit) tatsächlich weniger als 18 Stunden pro Woche, dann
nimmt der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer angebotenen Dienste nicht an und befindet sich im
Annahmeverzug (§ 293 BGB). Dies berechtigt ihn nicht zu einer Entgeltkürzung und ändert auch
schwerbehindertenrechtlich nichts an der grundsätzlich bestehenden Betriebsgröße (vgl.
Großmann, a.a.O. § 73 Rn. 31). Auch erscheint es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht geboten,
Transferunternehmen, die ihre Arbeitnehmer tatsächlich weniger als 18 Stunden wöchentlich
qualifizieren, abgabenrechtlich gegenüber Transferunternehmen besser zu stellen, die ihre
Arbeitnehmer in vollem Umfang beschäftigen.
23 c) Gegen die Anrechnung der Stellen von Transferkurzarbeitern als Arbeitsplätze im Sinne
von § 73 Abs. 1 SGB IX bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das
Bundesverfassungsgericht hat die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter und deren
Sanktionierung durch Ausgleichsabgaben als verhältnismäßige Berufsausübungsregelung im
Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG angesehen (Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. - BVerfGE
57, 139 <158 ff.>). Die Ausgleichsabgabe ist eine zulässige nichtsteuerliche Sonderabgabe, die
die Arbeitgeber anhalten soll, schwerbehinderte Menschen einzustellen (Antriebsfunktion).
Ferner soll sie die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung
genügen, und denjenigen, die diese Verpflichtung - aus welchen Gründen auch immer - nicht
erfüllen, ausgleichen (Ausgleichsfunktion). Demgegenüber tritt die Funktion der
Ausgleichsabgabe, zweckgebundene Maßnahmen für Schwerbehinderte - insbesondere
Behindertenwerkstätten - zu finanzieren (Finanzierungsfunktion), zurück (BVerfG a.a.O. S. 166
ff.).
24 In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass sich die Erhebung der
Ausgleichsabgabe in allen Fällen, in denen die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen -
wie hier - zwar nicht ausgeschlossen, aber nur eingeschränkt möglich ist und mit der Erhebung
der Ausgleichsabgabe ein Antriebseffekt nicht oder kaum einhergeht, allein aus der Erfüllung der
Ausgleichsfunktion rechtfertigt (BVerfG, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. - BVerfGE 57,
139 <167> und Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 1 BvR 2221/03 - BVerfGK 4, 78 <81>; BVerwG,
Urteil vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 5 C 26.01 - BVerwGE 115, 312 <318 f.> und Beschluss
vom 17. April 2003 - BVerwG 5 B 7.03 - Buchholz 436.61 § 5 SchwbG Nr. 2 S. 4). Dass der
Gesetzgeber im Recht der Ausgleichsabgabe von der Schaffung von Sonderregelungen
zugunsten von Unternehmen, die ihrem Gegenstand oder ihrer Organisation nach keine
schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen können, bewusst abgesehen hat (BTDrucks
15/2318 S. 15 und BTDrucks 15/2357 S. 7 und 25), ist Ausdruck seiner Befugnis,
unterschiedliche Sachverhalte typisierend und pauschalierend gleich zu regeln.
25 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt
aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
Dr. Fleuß