Urteil des BVerwG vom 04.06.2013

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BVerwG 6 B 22.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 22.13
Bayer. VG Regensburg - 25.07.2012 - AZ: VG RN 1 K 12.593
Bayerischer VGH München - 19.02.2013 - AZ: VGH 7 B 12.2441
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Februar 2013 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 746,05 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn
für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang
höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren
Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (vgl. Beschluss vom 20.
Februar 2012 - BVerwG 6 B 37.11 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 177 Rn. 11; stRspr). Aus
den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt
sind.
3 Die Klägerin sieht als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage an, „inwieweit die Ablehnung
der kostenfreien Beförderung zur D.-Realschule, die im Vergleich zur C.-Realschule nur mit
höherem Kostenaufwand erreichbar ist, in Grundrechte der Klägerin (insbesondere Art. 5 Abs. 1
GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) faktisch oder mittelbar
eingreift“. Die Frage stellt sich vor dem Hintergrund, dass der Beklagte - gestützt auf die
Regelungen des Bayerischen Gesetzes über die Kostenfreiheit des Schulwegs (SchKfrG) und
die hierzu erlassene Verordnung über die Schülerbeförderung (SchBefV) - entschieden hat, die
Übernahme der kostenlosen Beförderung zur von ihr besuchten D.-Realschule mit Blick darauf,
dass die C.-Realschule nähergelegen sei, einzustellen, sollte die Klägerin sich zukünftig für die
auch an der letztgenannten Schule angebotenen Ausbildungsrichtungen „Wirtschaft“ oder
„Fremdsprachen“ entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete
Verpflichtungsklage der Klägerin ungeachtet dessen für unbegründet erachtet, dass die Klägerin
Vorbehalte gegen den Besuch der C.-Realschule wegen der dort vorgeschriebenen
Schulkleidung hat und hierauf gestützt eine Abweichung vom Grundsatz der Nächstgelegenheit
(§ 2 Abs. 1 SchBefV) für geboten ansieht. Ausweislich der Beschwerdebegründung (S. 4) tritt die
Klägerin der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs entgegen, wonach selbst bei Einbezug
dieser Vorbehalte die Ablehnung der Übernahme der kostenfreien Beförderung zur ferner
gelegenen D.-Realschule nicht - und zwar auch nicht in einem faktischen bzw. mittelbaren Sinne
- Grundrechte der Klägerin beschränke (UA S. 8 ff.).
4 Die von der Klägerin bezeichnete Frage ist nicht klärungsbedürftig, da sie in ihrem abstrakten,
vom hier in Rede stehenden Fallbezug freigelegten Kern bereits höchstrichterlich geklärt ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Grundrechtsschutz nicht auf
Eingriffe im herkömmlichen Sinne beschränkt. Vielmehr kann der Abwehrgehalt der Grundrechte
auch bei faktischen oder mittelbaren Beeinträchtigungen betroffen sein, wenn diese in der
Zielrichtung und in ihren Wirkungen Eingriffen gleichkommen. An der für die
Grundrechtsbindung maßgebenden eingriffsgleichen Wirkung einer staatlichen Maßnahme fehlt
es jedoch, wenn mittelbare Folgen ein bloßer Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten
gesetzlichen Regelung sind (BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00 - BVerfGE 116,
202 <222> m.w.N.). Von der Klägerin ist nicht dargelegt - und für den Senat auch nicht erkennbar
-, inwiefern die revisionsgerichtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils Gelegenheit
ergeben könnte, diese Grundsätze auf einer fallübergreifenden Ebene weiter
auszudifferenzieren und hiermit zur Rechtsfortbildung beizutragen.
5 Unabhängig hiervon ist eine grundsätzliche, die Durchführung eines Revisionsverfahrens
rechtfertigende Bedeutung der Rechtssache auch deshalb zu verneinen, weil sich die von der
Klägerin bezeichnete Frage auf Grundlage der erwähnten Verfassungsrechtsprechung mithilfe
der üblichen Regeln juristischer Methodik ohne weiteres im Sinne des Verwaltungsgerichtshofs
beantworten lässt (vgl. zu diesem revisionsprozessualen Ansatz: Beschluss vom 24. August
1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13;
stRspr). Der - ohne dahingehende grundrechtliche Verpflichtung - geschaffene Anspruch auf
kostenlose Schülerbeförderung nach Maßgabe der oben zitierten Rechtsvorschriften setzt die
Klägerin keinem Zwang aus, eine Schule zu besuchen, mit deren Prägemerkmalen sie nicht
einverstanden ist. Soweit sich die Klägerin vor dem Hintergrund ihrer eigenen finanziellen
Kalkulationen auf der einen und ihren Vorbehalten gegen das Tragen von Schulkleidung auf der
anderen Seite persönlich einem Zielkonflikt ausgesetzt sieht, steht dieser nicht in einem normativ
beachtlichen Zurechnungszusammenhang mit den genannten Rechtsvorschriften, die weder auf
eine mittelbare Lenkung von Schulwahlentscheidungen ausgerichtet sind, noch gar darauf, die
Anspruchsberechtigten insoweit zur Inkaufnahme ungewünschter schulischer Prägemerkmale
anzuhalten oder auch nur anzureizen. Sofern Anspruchsberechtigte entsprechende Anreize
verspüren sollten, handelte es sich um eine rein faktische Reflexwirkung dieser Vorschriften. Auf
die weitere Frage, inwiefern das Tragen von Schulkleidung für sich genommen den
Schutzbereich von Grundrechten der Klägerin berühren könnte, kommt es demnach von
vornherein nicht an.
6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des
Streitgegenstands auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Neumann
Büge
Prof. Dr. Hecker