Urteil des BVerwG vom 15.01.2009

BVerwG (treu und glauben, rechtssatz, rechtliches gehör, beschwerde, auslegung, umfang, höhe, bundesverwaltungsgericht, zweifel, festsetzung)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 48.09 und 2 B 49.09
VGH 1 A 287/08 und 1 A 288/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Burmeister
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Hessischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 15. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerde-
verfahren auf 300 488,67 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger wendet sich mit zwei Klagen gegen Bescheide über die Festsetzung
eines Nutzungsentgeltes für seine als Nebentätigkeit genehmigte rechtsmedizi-
nische Tätigkeit, soweit dieses Nutzungsentgelt den Betrag von 7,5% seiner in
den Jahren 1997 bis 2002 erzielten Bruttovergütung überstieg. Das Verwal-
tungsgericht hat den Klagen stattgegeben; das Berufungsgericht hat über die
Berufung des beklagten Landes in einem gemeinsamen Urteil entschieden und
die Klagen abgewiesen, soweit sie das Nutzungsentgelt für das Jahr 2002
betreffen, weil der Kläger nach materiellem Recht zur Zahlung eines Nutzungs-
entgelts in Höhe von 20% verpflichtet sei; Abweichendes sei vertraglich nicht
gültig vereinbart oder zugesichert worden. Im Übrigen hat es die Berufung zu-
rückgewiesen, weil der Kläger insoweit Vertrauensschutz genieße.
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Die auf sämtliche Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO gestütz-
te Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne
Erfolg.
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1. Der Kläger macht in erster Linie geltend, das angegriffene Urteil weiche von
den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1989
- BVerwG 7 C 6.88 - (BVerwGE 84, 236 <244>) und vom 16. Mai 2000
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- BVerwG 4 C 4.99 - (BVerwGE 111, 162 <168>) ab, in denen dieses den
Rechtssatz aufgestellt habe, dem Schriftformerfordernis des § 57 VwVfG sei
auch dann genügt, wenn bezüglich der Gegenleistung eines Austauschvertra-
ges zwar im Sinne des § 56 VwVfG eine präzise Bestimmung im Vertragstext
unterbleibe, die sich hieraus ergebenden Zweifel aber im Wege der Auslegung,
zu der auch außerhalb der Vertragsurkunde liegende Umstände herangezogen
werden dürften, behoben werden könnten, sofern sich aus dem Inhalt der Ver-
tragsurkunde selbst ein zureichender Anhaltspunkt für diese Auslegung ergebe.
Demgegenüber habe das Berufungsgericht den Rechtssatz aufgestellt, das
Schriftformerfordernis sei nur erfüllt, wenn sich die wesentlichen Vertragsinhalte
unmittelbar aus dem schriftlichen Vertragstext ergäben. Es reiche nicht aus,
wenn wesentliche Punkte nur anhand von Umständen ermittelt werden könnten,
die außerhalb des Vertragstextes lägen. Unklare oder mehrdeutige Formulie-
rungen des Vertragstextes seien dann unschädlich, wenn bestehende Zweifel
im Wege der Auslegung, zu der auch außerhalb der Vertragsurkunde liegende
Umstände herangezogen werden dürften, behoben werden könnten.
Die Divergenzrüge scheitert bereits daran, dass das angegriffene Urteil nicht
alleintragend auf dem von der Beschwerde angegebenen Rechtssatz des Beru-
fungsgerichts beruht. Das Berufungsgericht hat nämlich den Standpunkt vertre-
ten, ein Vertrag sei schon deshalb nicht zustande gekommen, weil auf Seiten
der Verwaltung nicht die sachlich zuständige Behörde tätig geworden sei. Be-
ruht ein Urteil auf zwei oder mehr selbständig tragenden Erwägungen, so kann
die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zum Erfolg führen, wenn jede der
Erwägungen mit einem durchgreifenden Zulassungsgrund angegriffen wird
(stRsp, vgl. etwa Beschlüsse vom 24. September 2009 - BVerwG 4 BN 26.09 -
VwGO Nr. 26, vom 9. April 1981 - BVerwG 8 B 44.81 - Buchholz 310 § 132
VwGO Nr. 197 und vom 20. August 1993 - BVerwG 9 B 512.93 - Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 320). Hinsichtlich des sog. Protokolls des ersten Berufungsge-
sprächs hat das Berufungsgericht zu dieser Frage zwar nur Zweifel angemeldet
(UA S. 13 f.) und insoweit an dieser Stelle von einer abschließenden Klärung
abgesehen. Hinsichtlich des Protokolls der Dienstbesprechung vom
12. Dezember 1995 ist es auf diesen Gesichtspunkt jedoch zurückgekommen
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und hat ihn nunmehr als tragend bezeichnet (UA S. 16: "so fehlt es jedenfalls
auch in diesem Zeitpunkt aus den oben dargelegten Gründen an der sachlichen
Zuständigkeit des Klinikumsvorstands"). Der Kläger ist dieser Auffassung zwar
nach Art einer Revision mit Rechtsausführungen entgegengetreten, hat aber
insoweit einen Zulassungsgrund weder geltend gemacht noch dargelegt.
Hiervon abgesehen besteht zwischen den beiden einander gegenübergestellten
Rechtssätzen keine zur Zulassung der Revision führende Divergenz. Hiergegen
spricht bereits, dass sich das Berufungsgericht bei der Formulierung seines
Rechtssatzes ausdrücklich auf die von der Beschwerde als Divergenzentschei-
dung herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom
15. Dezember 1989 (a.a.O.) bezogen und sie teilweise wörtlich wiederholt hat.
Demgegenüber liegt eine Divergenz nur dann vor, wenn das Berufungsgericht
einen Rechtssatz aufstellt, der einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsge-
richts widerspricht. Keine Divergenz liegt vor, wenn es einem Rechtssatz des
Bundesverwaltungsgerichts folgt, ihn aber unrichtig anwendet (vgl. Beschluss
vom 19. August 1997 a.a.O.).
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Im Übrigen liegt der behauptete Widerspruch auch nicht vor. In der angeführten
Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht seine Auffassung auf die nä-
heren Umstände einer vertraglich unzweifelhaft vereinbarten Gegenleistung
beschränkt, bei der sich lediglich ihr Gegenstand, Umfang und Zweck nicht ein-
deutig und zweifelsfrei aus dem Wortlaut der Vertragsurkunde ergaben. Dem-
gegenüber hat das Berufungsgericht in dem sogenannten Protokoll des ersten
Berufungsgesprächs, das es unter dem Gesichtspunkt eines Vertragsangebots
geprüft hat, überhaupt jeglichen Hinweis auf die angeblich vereinbarte Begren-
zung der Abgabepflicht des Klägers auf 7,5% seiner Bruttobezüge vermisst und
nicht nur deren Eindeutigkeit bezweifelt. Fehlten wesentliche Punkte ganz, so
reiche es nicht aus, wenn sie sich aus außervertraglichen Umständen - hier aus
den gegenüber dem Vorgänger des Klägers ergangenen Bescheiden - ergäben.
Im Übrigen hat das Berufungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass auch
diese Bescheide lediglich auf die jeweils geltenden Vorschriften verweisen, oh-
ne die 7,5%-Klausel zu erwähnen. Das Berufungsgericht hat mit diesen Ausfüh-
rungen in Auslegung der schriftlichen Unterlagen der Begrenzungsklausel ein
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anderes Gewicht beigemessen als dem in der Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts nur unscharf umrissenen Vertragszweck.
Als Divergenzfall bezeichnet die Beschwerde ferner die Erwägungen in dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2000 (a.a.O. S. 173 f.), mit
denen es den Rechtssatz aufgestellt habe, auch an einem nichtigen öffentlich-
rechtlichen Vertrag sei dann festzuhalten, wenn die Berufung auf die Nichtigkeit
einen schweren Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Demge-
genüber habe das Berufungsgericht in dem angegriffenen Urteil den Rechtssatz
aufgestellt, bei der geänderten Festsetzung des Nutzungsentgelts habe es sich
um eine schlichte Verwaltungspraxis bei der Auslegung und Anwendung der
einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften im Sinne einer ständigen Übung
gehandelt.
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Mit dieser Gegenüberstellung ist eine Divergenz nicht dargelegt. Es ist bereits
zweifelhaft, ob der der angegriffenen Entscheidung entnommene Satz über-
haupt ein Rechtssatz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist oder ob es sich
hier nicht vielmehr um eine Würdigung des vom Berufungsgericht festgestellten
Sachverhalts handelt. Jedenfalls schließen die beiden Sätze einander nicht aus.
Der Sache nach hat auch das Berufungsgericht den Gesichtspunkt von Treu
und Glauben zugunsten des Klägers angewandt und deshalb der Klage für die
Zeiträume 1997 bis 2001 stattgegeben; es hat dabei ausgeführt, der Kläger ha-
be auf den Forbestand der (rechtswidrigen) Ermessenspraxis vertraut; sein Ver-
trauen sei schutzwürdig, weil er Vermögensdispositionen getroffen habe, die
nur mit unzumutbaren Nachteilen rückgängig zu machen seien. Diesen Ge-
sichtspunkt hat das Berufungsgericht allerdings für den Zeitraum 2002 nicht
mehr durchgreifen lassen, weil der Kläger bereits 2001 Bescheide erhalten ha-
be, aus denen er habe entnehmen können, dass künftig ein Nutzungsentgelt in
Höhe von 20% der Bruttoeinnahmen erhoben werde.
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2. Der Kläger macht ferner den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeu-
tung geltend (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und hält in diesem Zusammenhang
"die Frage der Anwendbarkeit der §§ 54 ff. HessVwVfG auf Berufungsvereinba-
rungen der vorliegenden Art" für klärungsbedürftig. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 6
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HessVwVfG gelte das Hessische Verwaltungsverfahrensgesetz nicht für die
Berufung von Hochschullehrern. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei dies
so zu deuten, dass an dessen Stelle § 72 des Hessischen Hochschulgesetzes
das Berufungsverfahren normiere. Dann aber unterliege eine vertragliche Ver-
einbarung weniger strengen Formerfordernissen, was die Feststellung ermögli-
che, dass sich die Parteien vertraglich auf ein Nutzungsentgelt in Höhe von
7,5% geeinigt hätten.
Die Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht zu klären, weil sie die Ausle-
gung der genannten Vorschriften des Hessischen Verwaltungsverfahrensgeset-
zes und des Hessischen Hochschulgesetzes voraussetzt. Beide Bestimmungen
gehören dem nicht revisiblen Landesrecht an. Bestimmungen des Verwaltungs-
verfahrensgesetzes eines Landes unterliegen nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO
der Revision nur insoweit, als sie ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsver-
fahrensgesetz des Bundes übereinstimmen. Das ist bei der von der Beschwer-
de angeführten Bestimmung nicht der Fall.
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3. Ohne Erfolg macht die Beschwerde schließlich geltend, das angegriffene Ur-
teil beruhe auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht des Gerichts und des
Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das
Berufungsgericht habe den Vortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen
und auf dessen Grundlage nicht ordnungsgemäß ermittelt, dass und in wel-
chem Umfang er Personal des Dienstherrn in Anspruch genommen habe. Hätte
das Berufungsgericht dies ermittelt, so hätte es zu dem Ergebnis gelangen
müssen, dass das Nutzungsentgelt auf weniger als 20% der Bruttobezüge hätte
festgesetzt werden müssen.
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Zunächst ist festzustellen, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers
durchaus zur Kenntnis genommen hat. Auf den Seiten 19 bis 21 des Urteilsab-
drucks hat es sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Satz von
20% angemessen sei, und dabei auch erwogen, dass der Kläger vor allem von
ihm selbst bezahltes Personal beschäftigt hatte. Von daher scheidet ein Ge-
hörsverstoß aus.
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Bei der Prüfung einer Aufklärungsrüge ist von der materiell-rechtlichen Betrach-
tung des Berufungsgerichts auszugehen. Das Berufungsgericht teilt zwar die
Auffassung des Klägers, dass bei der Anwendung der Korrekturmöglichkeit des
§ 81 Abs. 1 Satz 3 HBG insbesondere zu berücksichtigen sei, ob der Beamte
überhaupt Material und Personal des Dienstherrn in Anspruch nehme und ob
dies gegebenenfalls nur in geringfügigem oder in weit überdurchschnittlichem
Maße der Fall sei (UA S. 20). Das Berufungsgericht hält selbst unter diesen
Umständen die Festsetzung eines Nutzungsentgelts in Höhe von (nur) 20% für
angemessen. Das Berufungsurteil lässt sich nur so verstehen, dass bei diesem
- als vergleichsweise niedrig eingeschätzten - Satz für eine Korrektur von vorn-
herein kein Bedürfnis besteht. Vielmehr hält es das Verhältnis zwischen Nut-
zungsentgelt (20%) und verbleibenden Bruttobezügen (80%) für ausgewogen.
Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung bestand kein Anlass, der Frage
weiter nachzugehen, in welchem tatsächlichen Umfang der Kläger Personal des
Dienstherrn in Anspruch genommen hatte. Es konnte sich auf die Feststellung
beschränken, dass dies überhaupt in nennenswertem Umfang geschehen war,
was auch der Kläger nicht in Abrede stellt.
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4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 47 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
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Herbert Groepper
Dr.
Burmeister