Urteil des BVerwG vom 13.03.2017

BVerwG (bundesverwaltungsgericht, verhandlung, verwaltungsgericht, versehen, sache, unterschrift, einverständnis, verfahrensmangel, begründung, bundesrecht)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 6.08
VG 12 K 778/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
ohne mündliche Verhandlung
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
am 6. Januar 2009
für Recht erkannt:
Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 8. Mai 2007
ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden wird
aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Rücknahme der Restitution des Grundstücks
S.straße … in Dresden. Dieses Grundstück war aufgrund des Bescheids vom
21. Mai 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Sächsischen Lan-
desamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 11. November 1998 be-
züglich nicht bebauter Teilflächen an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des
Geschädigten zurück zu übertragen. Bezüglich der nicht rückübertragbaren
Flächen wurde ihr ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-
Verfolgtenentschädigungsgesetz zuerkannt.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 hob das Bundesamt zur Regelung offener
Vermögensfragen den Rückübertragungsbescheid vom 21. Mai 1996 und den
Widerspruchsbescheid vom 17. November 1998 gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG
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auf, weil er rechtswidrig sei. Wegen einer Namensverwechslung zu Gunsten
der Klägerin sei zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 6
VermG ausgegangen worden.
Das Verwaltungsgericht Dresden hat auf die Klage der Klägerin mit Urteil auf-
grund mündlicher Verhandlung vom 8. Mai 2007 den Bescheid des Bundes-
amts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. Februar 2005 aufgeho-
ben, weil der angefochtene Bescheid nicht innerhalb der Jahresfrist ab Kennt-
nis der Behörde von Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Ver-
waltungsakts rechtfertigten, ergangen sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der
Klägerin die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 8. Mai 2007 beschloss das Verwal-
tungsgericht, dass die Entscheidung den Beteiligten zugestellt wird. Der Urteils-
tenor wurde schriftlich niedergelegt und von allen an der Sitzung teilnehmenden
Richtern unterschrieben. Er ging bei der Geschäftsstelle am 8. Mai 2007 ein.
Das in den Gerichtsakten mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehe-
ne Urteil trägt nur die Unterschrift des Berichterstatters. Auf Nachfrage des Se-
nats beim Verwaltungsgericht Dresden wurde mitgeteilt, dass sich auch dort
kein von allen Berufsrichtern unterschriebenes Urteil befindet.
Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne münd-
liche Verhandlung.
II
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann der Senat ohne mündliche Verhandlung ent-
scheiden, weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis gegeben haben.
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet an dem
Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe, weil es im Sinne von § 138
Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist. Das Urteil mit Gründen ist lediglich
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von dem Berichterstatter, nicht aber von den anderen Berufsrichtern unter-
schrieben worden, die an der Entscheidung mitgewirkt haben (§ 117 Abs. 1
Satz 2 und 4 VwGO). Im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen ver-
sehen ist ein Urteil auch dann, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe
nicht von allen beteiligten Berufsrichtern besonders unterschrieben worden sind
(Beschluss vom 15. September 1995 - BVerwG 4 B 173.95 - Buchholz 310
§ 117 VwGO Nr. 42). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist daher aufzuheben
und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das
Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Der Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe ist im Revisionsverfah-
ren von Amts wegen zu beachten. Gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das
Revisionsgericht zwar auf die Überprüfung von geltend gemachten Verfah-
rensmängeln beschränkt. Das gilt nicht für Verfahrensmängel, die auf das Ver-
fahren in der Revisionsinstanz derart fortwirken, das ein auf die Sache einge-
hendes Revisionsurteil nicht möglich ist. Solche Mängel sind von Amts wegen
zu berücksichtigen (Urteil vom 6. Dezember 1996 - BVerwG 8 C 33.95 - Buch-
holz 310 § 126 VwGO Nr. 3; Urteil vom 27. März 1963 - BVerwG 5 C 96.62 -
BVerwGE 16, 23 = Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 1). So liegt der Fall hier.
Mangels einer Begründung der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ist
eine Prüfung, ob ein Verstoß gegen Bundesrecht vorliegt, nicht möglich.
Nach § 138 Nr. 6 VwGO ist ein Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht
beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die
für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Diese Verpflich-
tung trifft innerhalb des Kollegialgerichts sämtliche Richter, die an der Ent-
scheidung mitgewirkt haben. Sinn der Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 2
VwGO, wonach das Urteil von den Richtern, die an der Entscheidung mitge-
wirkt haben, unterschrieben werden muss, ist es, die Verantwortung aller Rich-
ter für die schriftlichen Entscheidungsgründe zu dokumentieren. Dies ist vorlie-
gend nicht geschehen. Das mit Tatbestand und Entscheidungsgründen verse-
hene Urteil trägt nur die Unterschrift des Berichterstatters. Es ist daher davon
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auszugehen, dass die übrigen Mitglieder des Spruchkörpers die vom Berichter-
statter abgefasste Begründung nicht gesehen haben.
Das nicht mit Gründen versehene Urteil schließt eine revisionsgerichtliche
Überprüfung aus. Das Verfahren ist daher an das Verwaltungsgericht zurück-
zuverweisen.
Gödel
Dr. Pagenkopf
Dr. von Heimburg
Postier
Dr. Hauser
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird auf
290 000 € festgesetzt.
Gödel
Dr. Pagenkopf
Dr. von Heimburg
Postier
Dr. Hauser
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