Urteil des BVerwG vom 21.12.2004

BVerwG (anhörung, beschwerde, rechtliches gehör, bewertung, teil, gespräch, rechtssatz, zpo, bundesverwaltungsgericht, sprache)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 24.05
OVG 2 A 3952/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. April 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 2004 wird zurückge-
wiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen,
der diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.
1. Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"ob die von einem Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung am Oberver-
waltungsgericht durchgeführte Befragung eines Klägers unter Einschaltung
eines Dolmetschers ein 'einfaches Gespräch' überhaupt simulieren kann"
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und die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen zusätzlichen Fragen,
"ob überhaupt und bejahendenfalls wie [eine Gesprächssituation] vor einem
(Ober-)Verwaltungsgericht hergestellt werden kann",
"ob […] ein Gedankenaustausch i.S.e. Gesprächs darin bestehen kann, dass
der Kläger aufgefordert wird, bestimmte Alltagsthemen, hier die konkreten
Umstände seiner beruflichen Tätigkeit, seinen Tagesablauf, die konkreten
Umstände seiner Anreise nach Deutschland, 'dem Senat in Form eines Ge-
sprächs darzulegen"',
"in welcher Weise und in welchem Umfang der in der Gerichtsverhandlung
anwesende Dolmetscher von dem Kläger in Anspruch genommen [werden]
darf und soll, ohne dass sich diese vermeintliche Hilfestellung nachteilig auf
das Ergebnis der Überprüfung der Sprachkompetenz auswirkt",
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Durch die auch vom Berufungsgericht
zu Grunde gelegte Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 4. September 2003
- BVerwG 5 C 33.02 - BVerwGE 119, 6; s.a. Urteil vom selben Tag - BVerwG 5 C
11.03 - NVwZ 2004, 753) ist geklärt, dass bei der Bewertung einer "informatorischen
Anhörung" vor einem Oberverwaltungsgericht zu berücksichtigen ist, dass diese der
Gesprächssituation nach nicht als "einfaches Gespräch" angesehen werden kann.
Die danach grundsätzlich zulässige Berücksichtigung der Gesprächssituation bei der
Bewertung einer informatorischen Anhörung eines Aussiedlungsbewerbers setzt er-
sichtlich, ohne dass dies der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfte, voraus,
dass eine informatorische Anhörung durch das erkennende Gericht eine nach § 86
Abs. 1 VwGO jedenfalls zulässige Maßnahme der Sachaufklärung in dem verwal-
tungsgerichtlichen Verfahren bilde. Es steht auch sonst außer Zweifel, dass die Er-
gebnisse einer informatorischen Anhörung zu den Sprachkenntnissen nicht von
vornherein ungeeignet sind, zur Klärung der Frage beizutragen, ob ein Aussied-
lungsbewerber in der Lage ist, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, und
dass ein deutsches Gericht in aller Regel auch ohne die Hinzuziehung eines Sach-
verständigen in der Lage ist, zu beurteilen, ob eine Person die deutsche Sprache so
beherrscht, wie dies nach § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG erforderlich ist (s.a. BVerwG, Be-
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schluss vom 19. November 1999 - BVerwG 5 B 75.99 -). Den von dem Kläger zu 1
benannten Besonderheiten der Gesprächssituation kann, soweit die "Prüfungssitua-
tion" nicht schon durch die Gesprächsführung selbst abgemildert wird, bei der Be-
wertung der Ergebnisse der Anhörung Rechnung getragen werden.
Die von der Beschwerde weiterhin aufgeworfenen Fragen betreffend die Bewertung
der Aufforderung, Alltagsthemen zu schildern, und der Inanspruchnahme eines
Sprachmittlers beziehen sich auf die fallübergreifender rechtsgrundsätzlicher Klärung
nicht zugängliche Durchführung der informatorischen Anhörung und die Schaffung
einer Gesprächssituation, in welcher Erkenntnisse zur Beurteilung der Fähigkeit ei-
nes Aussiedlungsbewerbers gewonnen werden können, ein einfaches Gespräch auf
Deutsch zu führen. Unabhängig davon ist die Bereitstellung eines Sprachmittlers,
welche der Kläger zu 1 während seiner informatorischen Anhörung offenbar nicht
entgegengetreten ist, schon deswegen nicht zu beanstanden, weil das Berufungsge-
richt für eine hinreichende Kommunikation mit dem Kläger zu 1 unabhängig von der
informatorischen Anhörung zu den Sprachkenntnissen auch für den Fall Vorsorge zu
treffen hatte, dass dieser der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ob
seiner Sprachkenntnisse nicht ohne einen Sprachmittler werde folgen können. So-
weit sich der Kläger zu 1 während der Anhörung der Hilfe des Sprachmittlers bedient
hat, hindert der Umstand, dass das Berufungsgericht dem nicht entgegengetreten
ist, nicht die Bewertung dieses Teils der Anhörung.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Zulassungsgrund der
Divergenz) zuzulassen.
Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht
in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abs-
trakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht; eine
fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall rechtfer-
tigt eine Divergenzzulassung nicht (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2001
- BVerwG 4 B 57.00 - ).
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Mit der von den Klägern beanstandeten Berücksichtigung des zweiten Teiles der in-
formatorischen Anhörung des Klägers zu 1 ungeachtet dessen, dass aus Sicht des
Berufungsgerichts nicht auszuschließen war, dass sich der Kläger zu 1 auf diesen
Teil der Anhörung besonders vorbereitet habe, hat das Berufungsgericht weder aus-
drücklich noch sinngemäß einen von der herangezogenen Entscheidung des Bun-
desverwaltungsgerichts abweichenden, divergenzfähigen Rechtssatz aufgestellt; die
Rüge betrifft die einzelfallbezogene Würdigung des Sachverhalts. Überdies hat das
Bundesverwaltungsgericht in dem herangezogenen Urteil vom 4. September 2003
(- BVerwG 5 C 11.03 - NVwZ 2004, 753) keinen divergenzfähigen Rechtssatz aufge-
stellt bzw. hat die Beschwerde keinen divergenzfähigen Rechtssatz bezeichnet, bei
dessen Anwendung der von der Beschwerde gezogene Schluss gerechtfertigt wäre.
3. Die Revision ist auch nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Ver-
fahrensfehlers zuzulassen.
3.1 Zu Unrecht rügen die Beschwerdeführer als Verletzung ihres Anspruchs auf
rechtliches Gehör, dass das Berufungsgericht nicht zu erkennen gegeben habe,
"dass es von einer 'präparierten' Einlassung des Klägers ausging". Eine Verletzung
rechtlichen Gehörs liegt weder darin, dass das Gericht die Beteiligten nicht vor seiner
Entscheidung auf das von ihm gewonnene Ergebnis einer Beweisaufnahme hin-
weist, noch darin, dass aus der Beweisaufnahme im Rahmen der Beweiswürdigung
andere Schlüsse gezogen werden, als ein Beteiligter sie für geboten hält (stRspr
BVerwG, Beschluss vom 13. März 2003 - BVerwG 5 B 267.02 -). Unabhängig davon
hat das Berufungsgericht selbständig tragend ("Im Übrigen …", vgl. S. 10 des Urteils)
darauf abgestellt, dass unabhängig von der Frage, ob sich der Kläger zu 1 auf den
im zweiten Teil der Anhörung, bei dem die von dem Kläger zu 1 gezeigten Sprach-
kenntnisse besser als im ersten Teil gewesen seien, im Wesentlichen angesproche-
nen eingegrenzten Themenkreis des familiären Bereichs besonders vorbereitet ha-
be, "auch die dabei gezeigten Kenntnisse der deutschen Sprache nicht den Anforde-
rungen (genügen), die an ein einfaches Gespräch im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3
BVFG zu stellen sind".
3.2 Auch die von der Beschwerde erhobene Rüge zur Protokollierung (§ 105 VwGO
i.V.m. § 160 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Nr. 4 ZPO) kann nicht zur Zulassung der Revision
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führen. Offen bleiben kann, ob das Berufungsgericht gehalten gewesen wäre, auch
für den ersten Teil der informatorischen Anhörung die Fragen des Gerichts und die
Antworten des Klägers zu 1 in wörtlicher Wiedergabe in der Sitzungsniederschrift
festzuhalten, ob sich die Kläger entgegenhalten lassen müssten, nicht nach § 160
Abs. 4 Satz 1 ZPO hinreichend auf eine aus ihrer Sicht erforderliche umfassende
Protokollierung hingewirkt oder eine aus ihrer Sicht unzureichende Protokollierung
nicht ausdrücklich beanstandet zu haben, oder ob das Beschwerdevorbringen den
Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 105 VwGO, §§ 159 ff. ZPO
schon deswegen nicht ausfüllt, weil die Kläger dem in der Sache geltend gemachten
Mangel mit einem Antrag auf Protokollberichtigung (§ 105 VwGO i.V.m. § 164 ZPO)
hätten begegnen müssen (s. BVerwG, Beschluss vom 18. November 2004 - BVerwG
10 B 17.04 -). Da der geltend gemachte Verfahrensverstoß keinen absoluten Verfah-
rensmangel im Sinne des § 138 VwGO darstellt, hätte dargelegt werden müssen,
dass und inwiefern sich ein Vernehmungs- oder Protokollierungsfehler konkret auf
die getroffene Entscheidung ausgewirkt hat (BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 1985
- BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8). Dazu reicht das Vorbrin-
gen der Beschwerde, die Beurteilung, ob der Kläger zu 1 zur Führung eines einfa-
chen Gesprächs in der Lage gewesen sei, sei nur möglich, wenn sichergestellt ist,
dass die an ihn gerichteten Fragen von einfacher Art und zudem einfach formuliert
waren, schon deswegen nicht aus, weil nicht substantiiert dargelegt ist, was im
Einzelnen nicht protokolliert worden ist und inwiefern die vom Kläger zu 1 im ersten
Teil der informatorischen Anhörung gezeigten Sprachkenntnisse entgegen der Be-
wertung des Berufungsgerichts zum Nachweis geeignet gewesen sein könnten, der
Kläger zu 1 sei in der Lage gewesen, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache
zu führen. Dies ergibt sich auch nicht im Umkehrschluss aus den nachfolgenden
Ausführungen zum zweiten Teil der Anhörung oder aus den Erwägungen der Be-
schwerdebegründung zur Verwertbarkeit des ersten Teiles der Anhörung im Rahmen
der Grundsatzrüge.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht nicht der Billigkeit, die außer-
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gerichtlichen Kosten des Beigeladenen der unterliegenden Partei oder der Staats-
kasse aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2,
§ 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom
5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Dr. Franke Prof. Dr. Berlit