Urteil des BVerwG vom 18.11.2004

BVerwG (baurecht, betrieb, genehmigung, errichtung, berg, bundesverwaltungsgericht, windenergieanlage, sicherheit, flugplatz, luftverkehr)

Rechtsquellen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3
LuftVG §§ 12, 17, 19 Abs. 1 und 5
Stichworte:
Gebot der Rücksichtnahme; Windenergieanlage; Segelfluggelände; luftverkehrs-
rechtliche Genehmigung; Bauschutzbereich; Entschädigung; Priorität.
Leitsatz:
Die allgemeinen baurechtlichen Vorschriften, zu denen auch das Gebot gehört, mit
Vorhaben im Außenbereich auf den luftverkehrsrechtlich genehmigten Betrieb eines
Segelfluggeländes Rücksicht zu nehmen, werden nicht durch vorrangige Regelungen
des Luftverkehrsgesetzes verdrängt.
Urteil des 4. Senats vom 18. November 2004 - BVerwG 4 C 1.04
I. VG Neustadt vom 13.11.2002 - Az.: VG 4 K 682/02.NW -
II. OVG Koblenz vom 26.11.2003 - Az.: OVG 8 A 10814/03 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 1.04
Verkündet
OVG 8 A 10814/03
am 18. November 2004
Oertel
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a , Prof. Dr. R o j a h n ,
Dr. J a n n a s c h und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts Rheinland-Pfalz vom 26. November 2003 wird zurück-
gewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens ein-
schließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen
zu 2. Die anderen Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen
Kosten selbst.
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G r ü n d e :
I.
Die Kläger begehren jeweils die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung
einer Windenergieanlage.
Mit Schreiben vom 23. November 2000 stellte die Klägerin zu 1 Bauvoranfragen für
die Errichtung von drei Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von 65 m und ei-
nem Rotordurchmesser von 70 m auf den Flurstücken Nrn. 1735, 1768 und 1794 der
Gemarkung A.; die Gesamthöhe der jeweiligen Anlage sollte 100 m nicht überschrei-
ten. Die Baugrundstücke liegen ca. 300 m östlich der Start- und Landebahn des Se-
gelflugplatzes Q. Berg, den der Beigeladene zu 2 seit 1963 aufgrund luftverkehrs-
rechtlicher Genehmigung betreibt.
Die Beklagte lehnte die Bauvoranfragen ab, unter anderem weil der Beigeladene
zu 3 geltend gemacht hatte, dass die Windkraftanlagen den Flugbetrieb am Segel-
fluggelände gefährden würden. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Im Berufungsverfahren teilte die Klägerin zu 1 mit, dass die Bauvoranfrage für das
Flurstück Nr. 1794 nun vom Kläger zu 2 als neuem Bauherrn beantragt und die Bau-
voranfrage für das Flurstück Nr. 1735 nicht weiter verfolgt werde.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Be-
gründung hat es ausgeführt:
Die Errichtung der Windenergieanlagen sei unzulässig. Das Vorhaben verletze im
Hinblick auf den Segelflugplatz Q. Berg das in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB verankerte
Gebot der Rücksichtnahme. Dieses Gebot werde nicht durch vorrangige Regelungen
des Luftverkehrsgesetzes verdrängt. Das LuftVG sehe in seinen §§ 12 ff. für ver-
schiedene Fallgestaltungen, die hier nicht vorlägen, Zustimmungsvorbehalte vor.
Diese Vorschriften stellten zusätzliche, über das allgemeine Baurecht hinausgehen-
de Regeln auf. Zum allgemeinen, gewissermaßen vor die Klammer des Luftver-
kehrsgesetzes gezogenen Baurecht gehöre auch das Gebot der Rücksichtnahme.
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Dieses Gebot sei hier verletzt. An den vorgesehenen Standorten gerieten die Wind-
kraftanlagen in Konflikt mit der Nutzung des Segelflugplatzes. Bei dem Flugplatz
handele es sich um ein nach § 6 LuftVG genehmigtes Vorhaben, das dem Fachpla-
nungsprivileg des § 38 BauGB unterfalle. Die Windkraftanlagen würden den Flug-
platzbetrieb erheblich und nachhaltig beeinträchtigen. Sie sollten im Bereich der öst-
lichen Platzrunde errichtet werden und würden für im Sinkflug befindliche Flugzeuge
sowie bei Startabbrüchen ein besonders gefährliches Hindernis darstellen. Der Be-
trieb des Segelfluggeländes könne nicht in einer Weise geändert werden, die unter
Aufrechterhaltung der wesentlichen Nutzungsmöglichkeiten die Sicherheitsrisiken
vermeide. Bleibe nur die Alternative, dass entweder die eine oder die andere Nut-
zung weiche, so gebe der Gesichtspunkt der Priorität letztlich den Ausschlag dafür,
dass nicht die Belange des seit immerhin 40 Jahren bestehenden Flugplatzes, son-
dern die der Windenergienutzung hier zurückzustehen hätten.
Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision tragen
die Kläger vor: Das allgemeine Baurecht in der Gestalt des Rücksichtnahmegebots
werde durch die §§ 12 ff. LuftVG verdrängt. Das LuftVG enthalte - jedenfalls für das
Baurecht in der unmittelbaren Umgebung von Landeplätzen - eine abschließende
fachgesetzliche Sonderregelung in Bezug auf die Belange des Luftverkehrs. Im Übri-
gen sei das Gebot der Rücksichtnahme hier nicht verletzt. Dass der Betrieb des Se-
gelflugplatzes nach Errichtung der Windenergieanlagen insgesamt eingestellt werden
müsse, ergebe sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.
Die Beklagte und die Beigeladenen verteidigen das Urteil des Oberverwaltungsge-
richts.
II.
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht
entschieden, dass die Errichtung der Windenergieanlagen an den vorgesehenen
Standorten unzulässig ist, weil sie nicht die gebotene Rücksicht auf den luftverkehrs-
rechtlich genehmigten Betrieb des Segelflugplatzes Q. Berg nimmt.
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1. Gemäß § 35 Abs. 1 BauGB sind im Außenbereich auch privilegierte Vorhaben
nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Vorhaben im Außen-
bereich können auch deshalb genehmigungsunfähig sein, weil sie auf die Interessen
anderer nicht genügend Rücksicht nehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar
1977 - BVerwG 4 C 22.75 - BVerwGE 52, 122 <125>; stRspr). Das Gebot, auf
schutzwürdige Individualinteressen Rücksicht zu nehmen, wird zwar in § 35 Abs. 3
Satz 1 BauGB nicht ausdrücklich aufgeführt; seine Qualität als öffentlicher Belang ist
aber in der Rechtsprechung des Senats schon früh erkannt worden (vgl. BVerwG,
Urteile vom 6. Dezember 1967 - BVerwG 4 C 94.66 - BVerwGE 28, 268 <274 f.>,
vom 25. Februar 1977, a.a.O. <125> und vom 28. Oktober 1993 - BVerwG 4 C 5.93 -
Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 120 ). Eine besondere gesetzliche
Ausformung hat das Rücksichtnahmegebot in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ge-
funden. Es betrifft jedoch auch Fälle, in denen nicht schädliche Umwelteinwirkungen,
sondern sonstige nachteilige Wirkungen in Rede stehen (vgl. BVerwG, Urteile vom
13. März 1981 - BVerwG 4 C 1.78 - BRS 38 Nr. 186 und vom 21. Januar 1983
- BVerwG 4 C 59.79 - BRS 40 Nr. 199). Rücksicht zu nehmen ist nur auf solche
Individualinteressen, die wehrfähig sind, weil sie nach der gesetzgeberischen Wer-
tung, die im materiellen Recht ihren Niederschlag gefunden hat, schützenswert sind.
Fehlt es hieran, ist für Rücksichtnahmeerwägungen von vornherein kein Raum (vgl.
BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993, a.a.O. ; Beschluss vom 3. April 1995
- BVerwG 4 B 47.95 - BRS 57 Nr. 224).
Das Interesse des Beigeladenen zu 2, den luftverkehrsrechtlich genehmigten Betrieb
des Segelflugplatzes Q. Berg ungehindert fortsetzen zu können, ist ein schutzwürdi-
ges Individualinteresse. Segelfluggelände dürfen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 LuftVG
nur mit Genehmigung angelegt oder betrieben werden. Der Beigeladene zu 2 hat
aufgrund der ihm erteilten luftverkehrsrechtlichen Genehmigung das Recht, auf dem
Gelände "Q. Berg" einen Segelflugplatz unter den in der Genehmigung genannten
Bedingungen zu betreiben.
2. Das baurechtliche Gebot, mit Vorhaben im Außenbereich auf den luftverkehrs-
rechtlich genehmigten Betrieb eines Segelflugplatzes Rücksicht zu nehmen, wird
nicht durch vorrangige Regelungen des Luftverkehrsgesetzes verdrängt.
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2.1 Das Luftverkehrsgesetz stellt in seinen §§ 12 ff. die Umgebung von Flughäfen
und - in beschränktem Umfang - auch die von Landeplätzen und Segelfluggeländen
aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Luftverkehrs unter ein besonderes
Baurecht (vgl. Giemulla, in: Giemulla/Schmid, Luftverkehrsgesetz, § 12 Rn. 1). Ge-
mäß § 12 Abs. 1 LuftVG muss bei der Genehmigung eines Flughafens ein Plan fest-
gelegt werden, aus dem sich der so genannte Bauschutzbereich ergibt; gemäß § 12
Abs. 2 Satz 1 LuftVG darf die Baugenehmigungsbehörde die Errichtung von Bauwer-
ken innerhalb des Bauschutzbereichs nur mit Zustimmung der Luftfahrtbehörden ge-
nehmigen. § 12 Abs. 2 LuftVG enthält materielles Baurecht (vgl. BVerwG, Urteil
vom 16. Juli 1965 - BVerwG 4 C 30.65 - BVerwGE 21, 354 <356>). Die Vorschrift
schränkt die Befugnisse des Bauherrn von Grundstücken, die in der Sicherheitsflä-
che von Flughäfen belegen sind, über die sich aus dem allgemeinen Baurecht erge-
benden Beschränkungen hinaus weiter ein, soweit die Interessen des Luftverkehrs
dies erfordern. Einziges Anliegen der gesetzlichen Regelung in § 12 LuftVG ist, den
Luftverkehr zu fördern und dabei zu sichern. Dieses Interesse gilt insbesondere der
Anlage flächenmäßig genügender und im Betrieb - auch im An- und Abflug - gesi-
cherter Flugplätze (vgl. Urteil vom 16. Juli 1965, a.a.O. <357>).
Bei der Genehmigung von Landeplätzen und Segelfluggeländen kann ein Bau-
schutzbereich nicht festgelegt werden; § 12 LuftVG gilt nur für Flughäfen (vgl. Hof-
mann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz, § 12 Rn. 3). Gemäß § 17 Satz 1 LuftVG können
die Luftfahrtbehörden bei der Genehmigung von Landeplätzen und Segelfluggelän-
den allerdings bestimmen, dass die zur Erteilung einer Baugenehmigung zuständige
Behörde die Errichtung von Bauwerken im Umkreis von 1,5 km Halbmesser um den
dem Flughafenbezugspunkt entsprechenden Punkt nur mit Zustimmung der Luft-
fahrtbehörden genehmigen darf (beschränkter Bauschutzbereich).
Entstehen dem Eigentümer oder einem anderen Berechtigten durch Maßnahmen
aufgrund der §§ 12 und 17 LuftVG Vermögensnachteile, so ist ihm hierfür gemäß
§ 19 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 LuftVG eine angemessene, vom Flugplatzunter-
nehmer zu zahlende Entschädigung zu leisten.
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2.2 Die Anwendung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme zugunsten
eines Segelfluggeländes ohne beschränkten Bauschutzbereich widerspricht den
§§ 12 ff. LuftVG und den diesen Vorschriften zugrunde liegenden Wertungen nicht.
2.2.1 Das Luftverkehrsgesetz soll den Luftverkehr fördern (vgl. Urteil vom 16. Juli
1965, a.a.O. <357>). Zu diesem Zweck verstärkt es in den Bauschutzbereichen die
Rechtsstellung der Flugplatzunternehmer. Flugplätze ohne beschränkten Bauschutz-
bereich genießen zwar keinen über das allgemeine Baurecht hinausgehenden
Schutz; sie sollen durch das Luftverkehrsgesetz jedoch nicht schlechter stehen, als
sie stünden, wenn es das Gesetz nicht gäbe. Eine solche Schlechterstellung würde
die vom Gesetz bezweckte Förderung des Luftverkehrs in ihr Gegenteil verkehren.
Segelfluggeländen ohne beschränkten Bauschutzbereich wird durch die Anwendung
des Gebots der Rücksichtnahme auch kein "höherer materieller Schutzstatus" als
Flughäfen zugewiesen. Zur baurechtlichen Rücksichtnahme sind Bauherren auch
gegenüber Flughäfen verpflichtet. Von Vorhaben im Bauschutzbereich eines Flug-
hafens verlangt das baurechtliche Rücksichtnahmegebot allerdings nicht mehr an
Rücksichtnahme auf den Luftverkehr, als es das Luftverkehrsgesetz gebietet (vgl.
BVerwG, Urteil vom 30. September 1983 - BVerwG 4 C 74.78 - BVerwGE 68, 58
<60> zum Verhältnis Rücksichtnahmegebot - BImSchG). Welche Anforderungen zur
Wahrung der Sicherheit der Luftfahrt und zum Schutz der Allgemeinheit (vgl. § 12
Abs. 4 LuftVG) einzuhalten sind, bestimmen die Luftfahrtbehörden für Vorhaben im
Bauschutzbereich mit Wirkung auch für das allgemeine Baurecht. Wenn ein Vorha-
ben den Betrieb eines Flughafens gefährdet, obwohl es keinem luftverkehrsrechtli-
chen Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalt unterliegt, kann das baurechtliche
Gebot der Rücksichtnahme jedoch auch zugunsten von Flughäfen eine eigenständi-
ge Bedeutung entfalten.
2.2.2 Durch die Anwendung der allgemeinen baurechtlichen Vorschriften und hier
speziell des Gebots zur Rücksichtnahme zugunsten eines Segelfluggeländes ohne
beschränkten Bauschutzbereich wird nicht die im Luftverkehrsgesetz vorgesehene
Entschädigungspflicht umgangen. Im Gegenteil bestätigt die Entschädigungsrege-
lung die Erkenntnis, dass das allgemeine Baurecht nicht verdrängt wird. Nach § 19
Abs. 1 Satz 1 LuftVG ist nur für Vermögensnachteile zu entschädigen, die der Betrof-
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fene erleidet, weil zur Sicherung der Luftfahrt in seine verfassungsrechtlich geschütz-
te Eigentümerstellung eingegriffen wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 1973 - III ZR
122/71 - BRS 26 Nr. 130). Erst wenn und soweit der Eigentümer aus Gründen der
Sicherheit der Luftfahrt daran gehindert wird, sein Grundstück in einer bestimmten,
den Vorschriften des allgemeinen materiellen Baurechts nicht widersprechenden
Weise zu nutzen oder sonst zu verwerten, aktualisieren sich für ihn die im Schutz-
bereich bestehenden Beschränkungsmöglichkeiten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Sep-
tember 1971 - III ZR 18/70 - BGHZ 57, 278, 282; Giemulla, a.a.O., § 19 Rn. 1). Die
Versagung einer Baugenehmigung für eine Windenergieanlage im Außenbereich
wegen fehlender Rücksichtnahme auf einen Flugplatz greift nicht in eine durch
Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition des Bauherrn ein. § 35 Abs. 1 BauGB
gewährt dem Bauherrn nicht das Recht, im Außenbereich eine Windenergieanlage
zu errichten, ohne auf den luftverkehrsrechtlich genehmigten Betrieb eines in der
Nähe befindlichen Flugplatzes Rücksicht zu nehmen. Windenergieanlagen sind im
Außenbereich zwar gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB privilegiert zulässig. Trotz der
ihnen damit bescheinigten grundsätzlichen Außenbereichsadäquanz sind sie jedoch
nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig. Sie dürfen nur dort
zugelassen werden, wo ihnen das Ergebnis einer Bilanzierung öffentlicher Belange
nicht entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Januar 1984 - BVerwG 4 C
43.81 - BVerwGE 68, 311 <315> und vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 -
BVerwGE 117, 287 <304>). Wird die Baugenehmigung versagt, weil das Vorhaben
nicht die gebotene Rücksicht auf den Flugplatz nimmt, wird lediglich eine der Eigen-
tumsposition des Bauherrn von vornherein innewohnende Beschränkung aktualisiert.
Zu entschädigen wäre der Bauherr hierfür auch dann nicht, wenn das Baugrundstück
im Bauschutzbereich eines Flughafens belegen wäre.
3. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erweisen
sich die Windenergieanlagen an den vorgesehenen Standorten als rücksichtslos.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der
Rechtsprechung des Senats wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je emp-
findlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme
im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann er an Rücksicht-
nahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben ver-
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folgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirk-
lichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte
Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was
einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnah-
meverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteile vom
25. Februar 1977, a.a.O. <126>, vom 28. Oktober 1993, a.a.O. und vom
23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318>, stRspr).
Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts würden die Windenergieanla-
gen 300 m östlich der Start- und Landebahn des Segelflugplatzes ein besonders ge-
fährliches Hindernis für den Flugbetrieb darstellen. Der Betrieb des Segelflugplatzes
könnte auch nicht in einer Weise geändert werden, die unter Aufrechterhaltung der
wesentlichen Nutzungsmöglichkeiten die Sicherheitsrisiken vermeidet. An diese tat-
sächlichen Feststellungen ist der erkennende Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Kann mithin der Segelflugplatz nur weiter betrieben werden, wenn die Windenergie-
anlagen nicht errichtet werden, so ist es den Klägern zuzumuten, zugunsten des luft-
verkehrsrechtlich genehmigten und seit mehr als 40 Jahren ausgeübten Betriebs des
Segelfluggeländes auf ihr im Außenbereich zwar privilegiert zulässiges, an den vor-
gesehenen Standorten mit dem vorhandenen Segelflugplatz jedoch unvereinbares
Vorhaben zu verzichten. Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht diesem Ge-
sichtspunkt der Priorität maßgebende Bedeutung beigemessen. Aus diesem Grund
kommt es für die Abwägung nicht mehr entscheidend darauf an, ob das in erster Li-
nie privaten Freizeitinteressen dienende Segelfluggelände, wenn über seine Zulas-
sung neu zu entscheiden wäre, gemäß § 38 Satz 1 BauGB von der strikten Anwen-
dung der §§ 29 bis 37 BauGB freigestellt oder jedenfalls gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4
BauGB seinerseits privilegiert zulässig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO.
Dr. Paetow
Halama
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 74 800 € fest-
gesetzt.
Dr. Paetow
Halama
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Jannasch
Dr. Philipp