Urteil des BVerwG vom 24.05.2005

BVerwG (beschwerde, organisation, annahme, bundesverwaltungsgericht, gewicht, gutachten, vorinstanz, zulassung, erfordernis, bezogener)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 67.05
OVG 7 A 10953/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 24. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberver-
waltungsgerichts hat keinen Erfolg; das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die
Zulassung der Revision nach §§ 133, 132 Abs. 2 VwGO.
Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bedeutend (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) aufgeworfenen Fragen,
"ob die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme
rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unter-
stützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtet sind (§ 11 Satz 1 Ziff. 2
StAG, vormals § 86 Ziff. 2 AuslG 1990), allein durch die Mitglied-
schaft bzw. Funktionärstätigkeit eines Einbürgerungsbewerbers in
einer Organisation, die von den Ämtern für Verfassungsschutz von
Bund und Ländern beobachtet und als verfassungsfeindlich einge-
stuft wird, gerechtfertigt wird oder ob für diese Annahme darüber
hinaus zusätzliche Anhaltspunkte für eine auf den individuellen Ein-
bürgerungsbewerber bezogene Feststellung zu fordern sind, dass
über dessen bloße Einbindung in einer derartigen Organisation hi-
nausgehend besondere individuelle Eigenschaften, Verhaltenswei-
sen oder sonstige Umstände die Annahme rechtfertigen, dass er ver-
fassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder ver-
folgt oder unterstützt hat",
und
"ob bei der Anwendung des § 11 Satz 1 Ziff. 2 StAG in Ansehung der
Zugehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers zu einer Organisation,
deren Einstufung als verfassungsfeindlich umstritten ist bzw. die sich
im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Beurteilung in einem Über-
gangsprozess befindet, bei der individuellen Zurechnung der Organi-
sationszugehörigkeit maßgeblich das Gewicht des Beitrages, den der
Einbürgerungsbewerber zur Überwindung verfassungsfeindlicher
Tendenzen in der Organisation leistet, zu seinen Gunsten zu berück-
sichtigen ist",
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rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Soweit die Beschwerde sich gegen die vom Berufungsgericht auf der Grundlage der
in dem angefochtenen Urteil im Einzelnen aufgeführten Verfassungsschutzberichte
und unter Berücksichtigung der beigezogenen Untersuchungen bzw. Gutachten des
Sachverständigen Prof. S. getroffene rechtliche Wertung wendet, die IGMG verfolge
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet
seien, lässt sie auch unter Berücksichtigung der vom Prozessbevollmächtigten ange-
führten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte einschließlich des "religiösen Neutra-
litätsgrundsatzes" keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher
Bedeutung erkennen.
Soweit sie insoweit als Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) rügt, dass die Beru-
fungsbegründung des Klägers und die Feststellungen aus dem dort genannten Gut-
achten, wonach in der IGMG eine weit reichende Lösung von der Gründergeneration
erfolgt sei und diese sich in einem tief greifenden Umbruchprozess befinde, nicht be-
rücksichtigt worden seien, ist nicht dargelegt, warum es sich der Vorinstanz hätte
aufdrängen müssen, zu dieser Frage weitere Erkenntnisquellen heranzuziehen. Es
begründet keinen Aufklärungsmangel, dass das Berufungsgericht die ihm vorliegen-
den Quellen nicht in der vom Beschwerdeführer gewünschten Weise bewertet hat;
das Gericht war auch nicht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs – etwa
zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung - verpflichtet, den Beteiligten sei-
ne Einschätzung der Beweislage vorab mitzuteilen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom
16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132). Die Aufklärungsrüge stellt
kein Mittel dar, um das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen in der Tatsa-
cheninstanz zu kompensieren (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001
- BVerwG 9 BN 2.01 - NVwZ-RR 2002, 140).
Die den Kläger persönlich betreffende Wertung der Vorinstanz, seine langjährige ak-
tive Vereinstätigkeit und seine Funktionen bildeten eine hinreichende Tatsachen-
grundlage für die Annahme, er unterstütze die gegen die freiheitlich-demokratische
Grundordnung gerichteten Bestrebungen der IGMG, denn ihm könne auf Grund sei-
ner Stellung, die er nur in Übereinstimmung mit dem Vorstand des Dachverbandes
der IGMG ausüben dürfe, nicht abgenommen werden, dass er zu den Reformern
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gehöre, geht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass
eine langjährige Mitwirkung in einer Organisation in hervorgehobener Stellung als
Sekretär eines Ortsvereins grundsätzlich einer Bewertung im Sinne individueller, auf
die Person des Einbürgerungsbewerbers bezogener Umstände unterliegt. Soweit die
Beschwerde insoweit als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig die Frage nach dem
Erfordernis darüber hinausgehender (weiterer) individueller Umstände aufwirft, be-
darf es nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass erkenntnisrelevante indi-
viduelle Umstände auch von außerhalb der engeren Vereins- und Funktionssphäre
eines Ortsvereinsvorsitzenden zu berücksichtigen sind, soweit sie Rückschlüsse auf
die persönliche politische Haltung des Einbürgerungsbewerbers zulassen. Es wird
jedoch nicht erkennbar, welche über die von der Tatsacheninstanz berücksichtigten
Umstände hinausgehenden weiteren individuellen Eigenschaften und Umstände da-
mit im konkreten Falle des Klägers gemeint sein könnten, so dass die Entschei-
dungserheblichkeit der insoweit aufgeworfenen Grundsatzrüge nicht zu erkennen ist.
Soweit die Beschwerde der Auffassung sein sollte, die in der Tätigkeit als Funktionär
auf Ortsvereinsebene liegende Unterstützung einer Organisation reiche grundsätzlich
als Unterstützungshandlung im Rechtssinne nicht aus, träfe dies ersichtlich nicht zu.
Soweit die Beschwerde schließlich als rechtsgrundsätzlich bedeutsame Frage gel-
tend macht, in Anbetracht des Übergangsprozesses, in dem die IGMG sich befinde,
sei maßgeblich das Gewicht des Beitrages des Einbürgerungsbewerbers zur Über-
windung verfassungsfeindlicher Tendenzen zu berücksichtigen, legt sie nicht dar,
wodurch der Kläger einen Beitrag zur Überwindung verfassungsfeindlicher Tenden-
zen in der IGMG leiste bzw. geleistet habe, so dass die Entscheidungserheblichkeit
dieser Frage nicht zuerkennen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisie-
rungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke