Urteil des BVerwG vom 17.01.2007

BVerwG: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, treu und glauben, gegen die guten sitten, rücknahme, gemeinschaftsrecht, gebühr, rechtswidrigkeit, materielles recht, eugh, verwaltungsakt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 6 C 33.06
am 17. Januar 2007
VG 11 K 2220/02
Jesert
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Hahn, Büge, Dr. Graulich und Vormeier
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Köln vom 11. Juli 2003 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin bietet Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit
an. Für die Erteilung einer Telekommunikationslizenz der Klasse 3 wurde sie
durch Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post der
Beklagten (Regulierungsbehörde) vom 14. Juni 2000 zu einer Gebühr in Höhe
von 10 600 000 DM (entspricht 5 419 693,94 €) herangezogen. Die Klägerin
focht den Gebührenbescheid nicht an und leistete die Gebühr. Mit Urteil vom
19. September 2001 - BVerwG 6 C 13.00 - (BVerwGE 115, 125 ff.) bestätigte
der Senat die Aufhebung eines fristgerecht angefochtenen Lizenzgebührenbe-
scheides mit der Begründung, die dem Bescheid zugrunde liegende Telekom-
munikations-Lizenzgebührenverordnung sei mit höherrangigem Recht unver-
einbar. Daraufhin verlangte die Klägerin die Erstattung der geleisteten Lizenz-
gebühren. Nach Ablehnung dieses Antrages durch die Regulierungsbehörde
hat die Klägerin Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht im Wesentlichen
mit folgender Begründung abgewiesen hat: Die Klägerin habe keinen Anspruch
auf Erstattung der Lizenzgebühren. Der bestandskräftige Gebührenbescheid sei
Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung. Ein Anspruch auf Wideraufgreifen
des bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG be-
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stehe nicht. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rücknahme des Be-
scheides nach § 48 Abs. 1 VwVfG.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision begehrt die
Klägerin im Kern die Erstattung der aufgrund des Bescheides vom 14. Juni
2000 geleisteten Gebühr. Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Das
Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Gebührenbescheid
sei nicht nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückzunehmen. Das Rücknahmeermessen
sei vielmehr aus einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen auf
Null reduziert. Eine Ermessensreduzierung ergebe sich auch aus Europäischem
Gemeinschaftsrecht. Die nach nationalem Recht eingetretene Bestandskraft
stehe dem nicht entgegen. Die geleistete Gebühr sei auch aus Billigkeitsgrün-
den zu erstatten.
Die Beklagte tritt der Revision unter Verteidigung des angefochtenen Urteils
entgegen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Juli 2004 (BVerwGE 21, 226 ff.) das Ver-
fahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ge-
mäß Art. 234 Abs. 1 Buchst. a und b und Abs. 3 EG zwei Fragen zur Auslegung
von Art. 10 EG und Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie gestellt. Auf die Begrün-
dung des Beschlusses wird Bezug genommen.
Mit Urteil vom 19. September 2006 (Rs. C-392/04 und C-422/04) hat der Ge-
richtshof der Europäischen Gemeinschaften die Vorlage wie folgt beschieden:
„1. Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997
über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Ein-
zelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste steht
der Erhebung einer Gebühr für Einzelgenehmigungen
entgegen, bei deren Berechnung die Kosten des allge-
meinen Verwaltungsaufwands berücksichtigt werden, die
der Regulierungsbehörde im Zusammenhang mit der Er-
teilung dieser Genehmigungen über einen Zeitraum von
30 Jahren entstehen.
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2. Artikel 10 EG in Verbindung mit Artikel 11 Absatz 1 der
Richtlinie 97/13 gebietet es, dass das nationale Gericht
beurteilt, ob eine mit dem Gemeinschaftsrecht klar unver-
einbare Regelung, wie jene, die den in den Ausgangsver-
fahren streitigen Gebührenbescheiden zugrunde liegt, of-
fensichtlich rechtswidrig im Sinne des betreffenden natio-
nalen Rechts ist. Ist dies der Fall, hat das nationale Ge-
richt daraus alle sich nach seinem nationalen Recht in Be-
zug auf die Rücknahme dieser Bescheide ergebenden
Konsequenzen zu ziehen.“
II
Der Rechtsstreit ist fortzusetzen, nachdem der Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften über die Vorlage des Senats entschieden hat. Die Revision ist
unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Ober-
verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat weder
einen Anspruch auf Erstattung der Gebühren (1.) noch auf erneute Beschei-
dung (2.).
1. Ein Anspruch auf Erstattung der mit Bescheid vom 14. Juni 2000 festgesetz-
ten und von der Klägerin geleisteten Gebühr folgt nicht aus § 21 Abs. 1 des
Verwaltungskostengesetzes (VwKostG) vom 23. Juni 1970 (BGBl I S. 821), zu-
letzt geändert durch Gesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
a) Die Klägerin kann die Erstattung der Gebühr nicht nach § 21 Abs. 1 Halbs. 1
VwKostG beanspruchen. Nach dieser Bestimmung sind u.a. zu Unrecht erho-
bene Kosten zu erstatten, soweit eine Kostenentscheidung noch nicht unan-
fechtbar ist. Sie findet auch dann Anwendung, wenn der Gebührenbescheid
nach Eintritt seiner Bestandskraft aufgehoben wird. Da der Gebührenbescheid
vom 14. Juni 2000 bestandskräftig ist, kann die Klägerin die Erstattung der von
ihr gezahlten Gebühr auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 Halbs. 1 VwKostG nur
unter der Voraussetzung erreichen, dass sie einen Anspruch auf Aufhebung
des unanfechtbaren Bescheides hat. Ein solcher Anspruch steht ihr auch bei
Berücksichtigung des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht zu.
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Die Klägerin, die aus den Gründen des Beschlusses vom 7. Juli 2004 (a.a.O.
S. 228 f.) keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51
Abs. 1 VwVfG hat, kann auch nicht die Rücknahme des Gebührenbescheides
nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beanspruchen. Nach § 48
Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, ganz oder zum Teil mit Wirkung für die Zukunft oder
für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Zwar erweist sich der Gebüh-
renbescheid als rechtswidrig. Gleichwohl hat die Klägerin keinen Anspruch auf
Rücknahme.
aa) Der Bescheid vom 14. Juni 2000 ist rechtswidrig, weil er zum hier maßgeb-
lichen Zeitpunkt seines Erlasses einer Rechtsgrundlage entbehrte. Dies beruht
zum einen darauf, dass die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende Tele-
kommunikations-Lizenzgebührenverordnung vom 28. Juli 1997 (BGBl I S. 1936)
nicht mit nationalem höherrangigem Recht vereinbar war (vgl. Urteil vom
19. September 2001 a.a.O. S. 128 ff.). Zum anderen ist der Gebührenbescheid
rechtswidrig, weil er nicht mit Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen
Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikations-
dienste - Lizenzierungsrichtlinie - (ABl EG Nr. L 117 S. 15) im Einklang steht,
wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in dem auf den Vorla-
gebeschluss des Senats vom 7. Juli 2004 ergangenen Urteil vom
19. September 2006 (a.a.O. Rn. 22 ff.) dargelegt hat.
bb) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Gebührenbeschei-
des, weil keine Umstände vorliegen, nach denen sich das der Regulierungsbe-
hörde von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen dahin verdichtet
hat, dass nur die Rücknahme des Bescheides ermessensfehlerfrei wäre.
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 229 ff. m.w.N.)
aufgezeigt, dass bei der Ausübung des Rücknahmeermessens in Rechnung zu
stellen ist, dass dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell kein
größeres Gewicht zukommt als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern
dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu
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entnehmen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts be-
steht mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit ausnahmsweise
dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts,
wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist, was von den Um-
ständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichts-
punkte abhängt. Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründet kei-
nen Anspruch auf Rücknahme, da der Rechtsverstoß lediglich die Vorausset-
zung einer Ermessensentscheidung der Behörde ist. Das Festhalten an dem
Verwaltungsakt ist insbesondere dann „schlechthin unerträglich“, wenn die Be-
hörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen
oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt
oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Un-
anfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben
erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts,
dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen,
seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich. Ferner kann in dem ein-
schlägigen Fachrecht eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung
in der Weise vorgegeben sein, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die
Entscheidung für die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtmäßig ausgeübt
werden kann, so dass sich das Ermessen in diesem Sinne als intendiert er-
weist. Nach diesen Grundsätzen gebietet das nationale Recht nicht die Rück-
nahme des Gebührenbescheides.
In seinem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 231 ff. und S. 237) hat der Se-
nat dargelegt, dass die Aufrechterhaltung des Bescheides nicht deshalb
„schlechthin unerträglich“ wäre, weil diese gegen die guten Sitten, Treu und
Glauben oder den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen würde, und dass das
einschlägige Fachrecht keine Rücknahme verlangt. Daran hält der Senat fest.
Der Verstoß gegen das nationale Recht erweist sich auch nicht als offensicht-
lich. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist anzunehmen,
wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materiel-
les Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechts-
widrigkeit aufdrängt. Anders als bei der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach
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§ 44 Abs.1 VwVfG ist es im vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich,
dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich der Verwaltungsakt als
offensichtlich rechtswidrig erweist, ist in der Regel - und so auch hier - der Zeit-
punkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Die die Rücknahme eines rechtswid-
rigen Verwaltungsakts möglicherweise gebietende Offensichtlichkeit fehlt, wenn
die Evidenz des Rechtsfehlers erst später ersichtlich wird. Daran gemessen
kann der Verstoß der dem Gebührenbescheid zugrunde liegenden Telekom-
munikations-Lizenzgebührenverordnung gegen höherrangiges nationales Recht
nicht als evident angesehen werden. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es
für die Frage der Offensichtlichkeit auf das Erkenntnisvermögen des mit den in
Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Durchschnittsbür-
gers ankommt oder ob insoweit auf einen rechtskundigen Betrachter abzustel-
len ist. Auch im zuletzt genannten Fall liegt eine Offensichtlichkeit des Rechts-
verstoßes aus den Gründen des Beschlusses des Senats vom 7. Juli 2004
(a.a.O. S. 236 f.) nicht vor.
Das Europäische Gemeinschaftsrecht verleiht ebenfalls keinen Anspruch auf
Rücknahme des Gebührenbescheides. Nach der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs der Europäischen Gemeinschaften verlangt das Gemeinschaftsrecht
mit Blick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht, dass eine Verwaltungs-
behörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine Verwaltungsentscheidung zurückzu-
nehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder durch Erschöpfung des
Rechtswegs bestandskräftig geworden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Sep-
tember 2006 a.a.O. Rn. 51; Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00, Kühne
& Heitz - Slg. 2004, I-837 Rn. 24). Sieht das nationale Recht - wie hier - vor,
dass ein nach innerstaatlichem Recht rechtswidriger Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar ist, zurückzunehmen ist, sofern seine Aufrechterhal-
tung „schlechterdings unerträglich“ wäre, muss die gleiche Verpflichtung zur
Rücknahme unter den gleichen Voraussetzungen im Fall eines Verwaltungsakts
gelten, der gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (vgl. EuGH, Urteil vom
19. September 2006 a.a.O. Rn. 63). Der Europäische Gerichtshof hat in seinem
Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 65 ff.) dargelegt, dass der Gebüh-
renbescheid mit Blick auf seine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht deshalb
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zurückgenommen werden muss, weil ansonsten die Grundsätze der Gleichbe-
handlung, der guten Sitten, von Treu und Glauben oder der Billigkeit beein-
trächtigt wären.
Ein Anspruch auf Rücknahme des Gebührenbescheides besteht auch nicht et-
wa deshalb, weil die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit offensichtlich wäre. Ist die
Behörde - wie hier - nach nationalem Recht verpflichtet, eine bestandskräftige
Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, wenn diese offensichtlich mit in-
nerstaatlichem Recht unvereinbar ist, so muss im Fall offensichtlicher Unver-
einbarkeit dieser Entscheidung mit Gemeinschaftsrecht die gleiche Verpflich-
tung bestehen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 69). Der
Europäische Gerichtshof hat hervorgehoben, dass es Sache des nationalen
Gerichts ist zu beurteilen, ob angesichts der aufgezeigten Grundsätze der an-
gefochtene Gebührenbescheid offensichtlich rechtswidrig im Sinne des betref-
fenden nationalen Rechts ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O.
Rn. 71). Das ist nicht der Fall. Es kann nicht angenommen werden, dass zum
hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Gebührenbescheides an seiner
Rechtswidrigkeit vernünftigerweise keine Zweifel bestanden haben und sich
deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängte. Der Senat hat in seinem Vorlagebe-
schluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 240 ff.) die Gründe dargestellt, die dafür
sprechen, dass die Vorauserhebung von Kosten des allgemeinen Verwaltungs-
aufwandes für einen Zeitraum von 30 Jahren mit dem Gemeinschaftsrecht nicht
im Einklang steht. In seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 22 ff.)
hat der Europäische Gerichtshof dargelegt, dass der Gebührenbescheid Ge-
meinschaftsrecht verletzt. Der Gerichtshof hat aufgezeigt, dass es Art. 11
Abs. 1 der Lizenzierungsrichtlinie zuwiderläuft, dass bei der Bemessung der
Gebühr Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwandes berücksichtigt wurden,
die sich nicht auf die in der Bestimmung genannten Tätigkeiten beziehen, und
dass Kosten berücksichtigt wurden, die über einen Zeitraum von 30 Jahren ent-
stehen. Diese Erwägungen entsprechen im Kern denjenigen, die aus Sicht des
Senats Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität begründeten. Sie beru-
hen auf einer näheren Auslegung des Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie, dem
der Europäische Gerichtshof die für die Gebührenbemessung maßgeblichen
Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz und der Nichtdiskriminie-
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rung entnommen hat. Diese Grundsätze hat der Gerichtshof erstmals in seinem
Urteil vom 18. September 2003 - Rs. C-292/01 und C-293/02, Albacom und In-
fostrada (Slg. 2003, I-9449 Rn. 25) entwickelt, wobei dort freilich anstelle des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in der Sache nicht wesentlich abwei-
chend - der Grundsatz der Objektivität genannt ist. In seinem auf den Vorlage-
beschluss des Senats im vorliegenden Rechtsstreit ergangenen Urteil vom
19. September 2006 hat der Gerichtshof den in Art. 11 Abs. 1 der Lizenzie-
rungsrichtlinie verwendeten Begriff der Verwaltungskosten dahin präzisiert,
dass er zwar „allgemeine“ Verwaltungskosten umfasse, diese Kosten sich je-
doch auf die vier in der Bestimmung ausdrücklich genannten Tätigkeiten der
Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der Einzelgenehmigun-
gen beziehen müssten, was auf die zu Lasten der Klägerin mitveranschlagten
Kosten der allgemeinen Überwachungstätigkeit der Regulierungsbehörde und
der Kontrolle von Missbräuchen nicht zutreffe; ferner hat er anhand der genann-
ten Gebührenbemessungsgrundsätze die Gemeinschaftsrechtskonformität ei-
ner Vorauserhebung von Kosten für einen Zeitraum von 30 Jahren überprüft
und für eine Gebührenregelung wie die hier in Rede stehende unter mehreren
Gesichtspunkten verneint. Die Komplexität dieser Erwägungen des Europäi-
schen Gerichtshofs verbietet die Annahme, dass die Gemeinschaftsrechtswid-
rigkeit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt offensichtlich im Sinne des nationalen
Rechts war. In diesem Zusammenhang ist auch in Rechnung zu stellen
- ähnlich wie der Senat es in seinem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O.) bei
der Prüfung der Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen das nationale Recht
getan hat -, dass das Oberverwaltungsgericht Münster in einem im Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 27. Oktober 1999
- 13 B 843/99 - (MMR 2000, 115) die Gebührenregelung in der Telekommunika-
tions-Lizenzgebührenverordnung aufgrund einer zwar nicht abschließenden,
aber ins Einzelne gehenden Rechtsprüfung als gemeinschaftsrechtskonform
beurteilt hat. Das bestätigt, dass Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie nicht ein sol-
ches Maß an Klarheit und Präzision aufweist, dass sich der Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht von vornherein aufdrängte, sondern dass er die für die
Rechtsanwendung erforderliche Klarheit erst aufgrund der Auslegung erlangt
hat, die ihm der Europäische Gerichtshof in seinen beiden Entscheidungen vom
18. September 2003 und vom 19. September 2006 gegeben hat.
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Auch im Zusammenhang mit der Frage der Offensichtlichkeit des Verstoßes
gegen Gemeinschaftsrecht ist nicht entscheidend, ob auf das Erkenntnisvermö-
gen eines verständigen Bürgers oder auf dasjenige eines juristisch kundigen
Betrachters abgestellt wird. Die Evidenz des Rechtsverstoßes kann bei beiden
Betrachtungsweisen nicht festgestellt werden.
Die Annahme eines offensichtlichen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht ist
nicht deshalb geboten, weil der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom
19. September 2006 (a.a.O. Rn. 71 f.) davon ausgegangen ist, die dem streiti-
gen Gebührenbescheid zugrunde liegende Regelung erweise sich als mit dem
Gemeinschaftsrecht „klar unvereinbar“. In jenem Urteil wird zwischen der offen-
sichtlichen Rechtswidrigkeit im Sinne des nationalen Rechts und der klaren
Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Telekommunikations-Lizenzgebühren-
verordnung unterschieden. Die unterschiedliche Wortwahl spiegelt die unter-
schiedliche Aufgabenstellung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundes-
verwaltungsgerichts im vorliegenden Rechtsstreit wider: Während der Europäi-
sche Gerichtshof auf die Vorlage des Senats über die Auslegung des entschei-
dungserheblichen Gemeinschaftsrechts abschließend zu entscheiden hatte und
darüber - soweit seine Entscheidung die Vereinbarkeit einer Gebührenregelung
wie derjenigen in der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung mit
Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie betrifft - mit einem „klaren“ Ergebnis ent-
schieden hat, obliegt dem Senat die Entscheidung, ob der gegen die Klägerin
ergangene Gebührenbescheid nach nationalem Recht zurückgenommen wer-
den muss, weil seine Aufrechterhaltung im Hinblick auf seine offensichtliche
Rechtswidrigkeit (oder aus einem anderen Grund) schlechthin unerträglich wä-
re. Für diese Entscheidung enthält das Gemeinschaftsrecht in der Auslegung
des Europäischen Gerichtshofs lediglich die Vorgabe, dass die Offensichtlich-
keit der Verletzung des Gemeinschaftsrechts nach demselben Maßstab zu be-
urteilen ist wie die Offensichtlichkeit des Verstoßes der Gebührenregelung ge-
gen das nationale Recht. Es achtet also nahezu vollständig die mitgliedstaatli-
che Verfahrensautonomie. Demgemäß hat der Europäische Gerichtshof zwar
einerseits die Klarheit der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit festgestellt, anderer-
seits aber die Prüfung der Offensichtlichkeit dieses Rechtsverstoßes im Sinne
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des nationalen Rechts ausdrücklich dem Senat vorbehalten. Bei dieser Prüfung
ist der Senat durch den Hinweis des Gerichtshofs auf die Klarheit der Gemein-
schaftsrechtswidrigkeit nicht präjudiziert.
Der Senat hat erwogen, ob sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit deshalb als
offensichtlich darstellt, weil die Lizenzierungsrichtlinie den Zweck verfolgt, im
Interesse der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes den Markteintritt
neuer Wettbewerber erheblich zu erleichtern, und weil die Erhebung der hier
streitigen Gebühr den Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigen kann (vgl. EuGH,
Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 70). Diese Gesichtspunkte streiten
- wie der Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 7. Juli 2004 dargelegt hat
(a.a.O. S. 244) - für die Aufhebung des Gebührenbescheides. Sie begründen
hingegen nicht die Annahme, die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erweise sich
als offensichtlich im Sinne des einschlägigen nationalen Rechts. Nichts anderes
ergibt sich, wenn die möglichen Auswirkungen der Gebührenregelung auf den
Wettbewerb bereits beim Erlass des Gebührenbescheides Anlass zu ernsthaf-
ten Zweifeln an dessen Gemeinschaftsrechtskonformität gegeben haben soll-
ten.
b) Die Klägerin kann die Erstattung der Gebühr auch nicht auf der Grundlage
des § 21 Abs. 1 Halbs. 2 VwKostG aus Billigkeitsgründen beanspruchen. Der
Senat hat in dem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 237 f.) dargelegt, dass
die in die Ermessensausübung einzustellenden wesentlichen Gesichtspunkte
sich mit denjenigen decken, die bei der Ermessensentscheidung über die Rück-
nahme des Gebührenbescheides zu berücksichtigen sind. Da das Rücknah-
meermessen nicht auf Null reduziert ist, scheidet ein Anspruch auf Erstattung
nach § 21 Abs. 1 Halbs. 2 VwKostG aus.
2. Aus den Gründen des Beschlusses des Senats vom 7. Juli 2004 (a.a.O.
S. 238) hat die Klägerin auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte im
Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erneut darüber entscheidet ob der streiti-
ge Gebührenbescheid zurückgenommen oder die Gebühr aus Billigkeitsgrün-
den erstattet wird.
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3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Büge
Dr. Graulich Vormeier
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
5 419 693,94 € festgesetzt.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Vormeier
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