Urteil des BVerwG vom 18.12.1990

BVerwG (grundsatz der freien beweiswürdigung, planung, rechtliches gehör, begründung, tiefe, gefahr, vorinstanz, beurteilung, verletzung, beschwerde)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 7.03
OVG 10a D 144/00.NE
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen
die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2002
werden zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen von den Kosten des
Beschwerdeverfahrens die Gerichtskosten je zur Hälfte und jeweils
ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 40 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Beschwerden ge-
gen die Nichtzulassung der Revision bleiben erfolglos.
1. Die von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu dem durch die geplante Tiefgara-
genzufahrt ausgelösten Immissionskonflikt erhobenen Rügen greifen nicht durch.
1.1 Beide Beschwerden rügen, das Normenkontrollurteil weiche von den Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1990 - BVerwG 4 N 6.88 - (Buchholz
406.11 § 1 BauGB = DVBl 1991, 442) und vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 -
(Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 190 = NVwZ 1999, 523) ab und beruhe auf dieser Abwei-
chung. Die Rügen bleiben erfolglos, weil das Normenkontrollgericht keinen seine Entschei-
dung tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der mit einem in den vorgenannten
Entscheidungen aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch steht. Das Normen-
kontrollgericht führt vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des beschließen-
den Senats aus, dass die Zumutbarkeit von Verkehrsgeräuschen, die nicht nach der Ver-
kehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) zu beurteilen sind, stets anhand einer umfas-
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senden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere der speziellen Schutz-
würdigkeit des jeweiligen Baugebiets zu bestimmen sind. Im Rahmen dieser tatrichterlichen
Bewertung können nach den vorgenannten Entscheidungen des beschließenden Senats
auch die DIN 18005, die TA-Lärm und die VDI-Richtlinie 2058 als Orientierungshilfe bei der
Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze von Verkehrsgeräuschen herangezogen werden, so-
weit der zu beurteilende Verkehrslärm seiner Art nach den Geräuschimmissionen vergleich-
bar ist, deren Beurteilung die genannten technischen Regelwerke dienen. Diese Regelwerke
stellen jedoch lediglich eine Orientierungshilfe für die Bauleitplanung dar. Sie müssen nicht
herangezogen werden, wenn sich aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalls Besonder-
heiten ergeben, die eine stärker situationsbezogene Beurteilung der Lärmbelastung nahe
legen (in diesem Sinne bereits BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1990 a.a.O.). Eine
derartige auf den Einzelfall zugeschnittene "Beurteilung der konkreten Situation" hat das
Normenkontrollgericht vorgenommen. Dieser rechtliche Ansatz steht in Einklang mit der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Antragsgegnerin entnimmt dem Normenkontrollurteil im Wege der Auslegung die "all-
gemein gültige Aussage", bei Stellplatz- und Garagenzufahrten in Wohngebieten seien
strengere Anforderungen an den Lärmschutz zu stellen als "bei sonstigen Lärmquellen". Die
Antragsgegnerin sieht in dieser "Aussage" eine Abweichung von der Entscheidung des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 2000 - BVerwG 4 C 3.00 - (NVwZ 2001, 813). Die
Rüge geht ebenso wie die darauf bezogene "vorsorgliche" Grundsatzrüge ins Leere, da das
Normenkontrollgericht die von der Antragsgegnerin bezeichnete "Aussage" zum Lärmschutz
in Wohngebieten weder ausdrücklich noch sinngemäß getroffen hat.
1.2 Der Rechtsstreit hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihm die Antragsgegne-
rin und die Beigeladene beimessen.
1.2.1 Die Antragsgegnerin problematisiert das Verhältnis des vorhabenbezogenen Bebau-
ungsplans zum Durchführungsvertrag (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB) und möchte rechts-
grundsätzlich geklärt wissen, "ob auch im Rahmen eines Durchführungsvertrages nachträg-
liche Ergänzungen möglich sind und vorgenommen werden müssen, wenn sich im Bauge-
nehmigungsverfahren herausstellt, dass in Ergänzung der Baugenehmigung Auflagen erfor-
derlich werden, um die Grundstücksnachbarn vor einer nicht zumutbaren Lärmbeeinträchti-
gung zu schützen". Diese Frage führt nicht zu einem revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf.
Es bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, sondern liegt auf der Hand, dass der
Vorhabenträger im Durchführungsvertrag zusätzliche Verpflichtungen, die die Ausführungen
des Vorhabens konkretisieren und Detailfestlegungen enthalten, übernehmen kann, soweit
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diese Verpflichtungen den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widersprechen. Je
nach den tatsächlichen Umständen im Einzelfall können hierunter auch Lärmschutzmaß-
nahmen zugunsten der Nachbarschaft fallen. Ebenso selbstverständlich ist, dass nachträgli-
che Ergänzungen des Durchführungsvertrages nicht die Grundzüge der Planung in Frage
stellen dürfen. Leidet der vorhabenbezogene Bebauungsplan an Mängeln der Abwägung,
die die Planung als Ganzes, d.h. die Grundzüge der Planung, betreffen, scheidet eine
"Nachsteuerung" im Baugenehmigungsverfahren oder durch eine nachträgliche Ergänzung
des Durchführungsvertrages zur Heilung des Abwägungsfehlers aus. Nach den tatrichterli-
chen Feststellungen und der Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz wäre in einem Revi-
sionsverfahren davon auszugehen, dass der von der Vorinstanz festgestellte Abwägungs-
fehler, der die auf die Nachbarschaft einwirkenden Lärmimmissionen der Tiefgaragenzufahrt
betrifft, die Grundzüge der Planung berührt und die Planung als Ganzes in Frage stellt (vgl.
UA S. 40). Bei dieser Fallkonstellation kommt eine Verlagerung der Konfliktlösung in das
Baugenehmigungsverfahren oder in die Ergänzung des Durchführungsvertrages nicht in
Betracht. Auch die von der Antragsgegnerin angesprochene Erteilung einer Befreiung nach
§ 31 Abs. 2 BauGB entfällt, wenn die Abweichung vom Bebauungsplan die Grundzüge der
Planung berührt. Zutreffend verweist das Normenkontrollgericht darauf, dass bei Erlass ei-
nes vorhabenbezogenen Bebauungsplans der Durchführungspflicht des Vorhabenträgers
die Pflicht der Gemeinde korrespondiert, die wesentlichen Konflikte auf der Planungsebene
zu entscheiden.
Die von der Antragsgegnerin zur Konfliktbewältigung in einem ergänzenden Verfahren nach
§ 215 a Satz 1 BauGB aufgeworfene Frage würde sich in einem Revisionsverfahren eben-
falls nicht stellen, weil in einem ergänzenden Verfahren nur solche Mängel behebbar sind,
die nicht den Kern der Abwägungsentscheidung betreffen. Eine Nachbesserung im ergän-
zenden Verfahren scheidet von vornherein aus, wenn der Abwägungsmangel von solcher
Art und Schwere ist, dass er die Planung als Ganzes in Frage stellt. Einen derartigen Fehler
hat das Normenkontrollgericht hier festgestellt.
1.2.2 Die Beigeladene wirft als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage auf: "Ist bei vorha-
benbezogenen Bebauungsplänen für die Verlagerung eines vom Rat der Gemeinde erkann-
ten Nutzungskonfliktes in ein nachfolgendes Verfahren wegen der Verpflichtung des Vorha-
benträgers, das Vorhaben innerhalb bestimmter Zeit und nach bestimmten Maßgaben
durchzuführen, regelmäßig kein Raum?" Diese Frage würde sich in der Allgemeinheit, in der
die Beigeladene sie formuliert, in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Nutzungskonflikte,
die die Grundzüge der Planung betreffen, sind im (vorhabenbezogenen) Bebauungsplan und
nicht in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren zu lösen. Im Übrigen hängt es
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von der Festsetzungsdichte eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ab, ob für ergän-
zende Regelungen in einem Baugenehmigungsverfahren noch Raum ist. Für einen "Konflikt-
transfer" ist um so weniger Raum, je weitgehender das geplante Vorhaben durch die Fest-
setzungen in der Planurkunde und die sie ergänzenden Regelungen in dem Durchführungs-
vertrag bereits konkretisiert wird. Davon geht auch das Normenkontrollgericht aus. Da der
Vorhabenträger auf der Grundlage des von ihm vorgelegten Plans bereit und in der Lage
sein muss, die Maßnahme innerhalb einer bestimmten Frist durchzuführen, werden die
Festsetzungen des Vorhaben- und Erschließungsplans (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB) in
der Regel bereits einen hohen Konkretisierungsgrad besitzen. Im Hinblick auf die Besonder-
heiten eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans sind einem "Konflikttransfer" in ein Bau-
genehmigungsverfahren daher auch zeitliche Grenzen gesetzt.
Die Beschwerde der Beigeladenen legt nicht dar, dass der vorliegende Streitfall in einem
Revisionsverfahren Gelegenheit bieten würde, darüber hinausreichende (und entschei-
dungserhebliche) Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zum Instrument des vorha-
benbezogenen Bebauungsplans zu klären. Die auf Seite 21 der Beschwerdebegründung
formulierten Rechtsfragen zu § 15 BauNVO und § 31 Abs. 2 BauGB wären auf der Grundla-
ge der Ausführungen im Normenkontrollurteil in einem Revisionsverfahren nicht entschei-
dungserheblich. Ebenso wenig würden sich die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechts-
fragen zur Abänderung des Durchführungsvertrages nach Rechtskraft des (vorhabenbezo-
genen) Bebauungsplans stellen. Ergänzend ist auf die Ausführungen oben unter 1.2.1 zu
verweisen.
1.3 Die Verfahrensrügen der Beschwerden, die sich auf die Lärmimmissionen der Tiefgara-
genzufahrt beziehen, bleiben ebenfalls ohne Erfolg.
1.3.1 Die Antragsgegnerin rügt, das Normenkontrollgericht habe seine Aufklärungspflicht
(§ 86 Abs. 1 VwGO) und den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO)
verletzt, weil es den Verfasser des Schallgutachtens Nr. 1003 vom 26. März 1999 und der
gutachterlichen Stellungnahmen vom 8. Januar 2002 und vom 13. September 2002 zur Be-
urteilung der Zumutbarkeit der hier in Rede stehenden Verkehrsgeräusche und zur "Berück-
sichtigung der Gesamtumstände" nicht gehört habe. Die Rüge genügt nicht den Darle-
gungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Es wird nicht dargelegt, aus welchem
Grund sich dem Normenkontrollgericht zu der nach seiner Rechtsauffassung erforderlichen
Beurteilung der konkreten Situation an der geplanten Tiefgaragenzufahrt die Anhörung eines
Lärmsachverständigen hätte aufdrängen müssen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf den
Rechtsstandpunkt des Normenkontrollgerichts, dass sich die schriftlichen Äußerungen des
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Sachverständigen auf eine Ermittlung der zu erwartenden Beurteilungspegel nach
DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau) bezögen, dieses technische Regelwerk jedoch für
die Bewertung der Zumutbarkeit der Lärmimmissionen im vorliegenden Fall nicht ausschlag-
gebend sei. Der Vorwurf einer Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung
bleibt daher unsubstantiiert.
1.3.2 Die von der Beigeladenen erhobenen Rügen der mangelnden Aufklärung (§ 86 Abs. 1
VwGO), der fehlerhaften freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) und der Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die sämtlich ebenfalls die unterlassene Anhörung des
Lärmsachverständigen zur Frage der Erheblichkeit der zu erwartenden Lärmimmissionen an
der Tiefgaragenzufahrt betreffen, sind aus den vorstehend unter 1.3.1 genannten Gründen
zurückzuweisen.
Die Beigeladene macht ferner geltend, das Normenkontrollgericht habe unter Verletzung von
§ 86 Abs. 1 und § 108 Abs. 1 VwGO verfahrensfehlerhaft nicht geprüft, ob Maßnahmen zur
Konfliktbewältigung (Lärmschutzwand oder Einhausung der Zufahrt) nach den Festsetzun-
gen des Bebauungsplans und den Regelungen des Durchführungsvertrages oder jedenfalls
aufgrund einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zulässig seien. Entsprechendes gelte für
eine Verlegung der Zufahrt zur Tiefgarage. Diese Verfahrensrügen bleiben erfolglos, weil sie
nicht die Ermittlung und Würdigung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen, sondern
Rechtsfragen der gerichtlichen Abwägungskontrolle betreffen, die einer Beweisaufnahme
oder anderer Formen der Sachverhaltsermittlung nicht zugänglich sind. Der Sache nach
zielen diese Verfahrensrügen der Beigeladenen auf eine inhaltliche Kritik der vor-
instanzlichen Rechtsanwendung; sie greifen nicht den Verfahrensablauf, sondern die inhalt-
liche Richtigkeit der Normenkontrollentscheidung an.
2. Die Rügen der Beschwerden, die den vom Normenkontrollgericht festgestellten Abwä-
gungsfehler hinsichtlich der Beseitigung des im Plangebiet anfallenden Niederschlagswas-
sers betreffen, bleiben ebenfalls erfolglos.
Die Vorinstanz hat das Vorliegen eines Abwägungsfehlers wie folgt begründet: Nach dem
hydrogeologischen Gutachten und seiner 1. Ergänzung (11. Februar 1999/21. September
1999) von Prof. S. bestehe die Gefahr, dass das anfallende Niederschlagswasser zumindest
zweier Häuser und der zugeordneten Tiefgaragenanteile von dem Mulden-Rigolensystem
nicht in der erforderlichen Weise aufgenommen und abgeführt werden könne. Diese Gefahr
sei umso größer, als das Mulden-Rigolensystem nur eine Tiefe von 2,50 m aufweisen solle.
Für eine solch geringe Tiefe sei die Versickerungsfähigkeit des Bodens für keine der Schür-
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fen ausdrücklich von dem Gutachter festgestellt worden. Selbst wenn das Niederschlags-
wasser aber innerhalb des Planbereichs versickert werden könne, hätte angesichts der Be-
sonderheiten der topographischen Verhältnisse (Hanglage) und des Untergrundes (in der
Tiefe anstehender Fels) Veranlassung bestanden zu prüfen, welche Folgen sich hieraus für
die Grundstücke der Unterlieger ergäben. Es sei gutachterlich zu klären gewesen, inwieweit
die Gefahr bestehe, dass das in den Untergrund versickerte Niederschlagswasser an tiefer
gelegenen Grundstücken oberflächennah wieder austrete. Das Normenkontrollgericht hat
damit seine Rechtsauffassung, die Antragsgegnerin habe die Problematik der Nieder-
schlagswasserbeseitigung abwägungsfehlerhaft gelöst, auf zwei selbständig tragende Grün-
de gestützt: Die mangelnde Abführung des Niederschlagswassers von zumindest zwei Häu-
sern und der zugeordneten Tiefgaragenanteile und die mangelnde Berücksichtigung der
Folgen des Mulden-Rigolensystems für die Grundstücke der Unterlieger.
Die Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 VwGO) zielen auf die erste Begründung,
auf die das Normenkontrollgericht den Abwägungsfehler stützt. Die Antragsgegnerin macht
hierzu geltend, nach den Unterlagen zum hydrogeologischen Gutachten sei die Versicke-
rungsfähigkeit des felsigen Untergrundes (bei Schürfe 3) "sehr wahrscheinlich"; überdies
habe das Normenkontrollgericht die Einzelheiten der Versickerungsanlage in der "Systemlö-
sung Haus- und Grundstücksentwässerung" der L.'er Ingenieure fehlerhaft gewürdigt. Die
hierzu gestellten Beweisanträge habe das Normenkontrollgericht zu Unrecht abgelehnt. Die
Beigeladene rügt, das Normenkontrollgericht habe die Ausführungen in der "Systemlösung"
nicht richtig verstanden und es versäumt, sich entsprechend den Beweisanträgen der Beige-
ladenen sachkundig zu machen. Die "Systemlösung" sei widerspruchsfrei und plausibel. Das
Normenkontrollgericht gehe zu Unrecht "von einer Mulden-Rigolenversickerung in oberflä-
chennahen Bodenschichten" aus.
Diese Rügen müssen schon deshalb erfolglos bleiben, weil die Beschwerden nicht berück-
sichtigen, dass das Normenkontrollgericht das Vorliegen eines Abwägungsfehlers hinsicht-
lich der Beseitigung des Niederschlagswassers selbständig tragend doppelt begründet hat.
Ist eine Entscheidung wie hier auf mehrere, jeweils für sich selbständig tragfähige Gründe
gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur Erfolg haben, wenn
gegen jede dieser Begründungen ein durchgreifender Beschwerdegrund geltend gemacht
wird. Liegt nämlich nur im Hinblick auf die eine der Begründungen ein Zulassungsgrund vor,
so muss die Zulassung der Revision daran scheitern, dass wegen der anderen Begründung
die erste Begründung hinweggedacht werden kann, ohne dass sich am Ausgang des Zulas-
sungsverfahrens etwas änderte. In diesem Fall beruht die angefochtene Entscheidung nicht
auf dem hinwegdenkbaren Begründungsteil; dieser Begründungsteil kann wegen der ande-
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ren tragenden Begründung entfallen, ohne dass sich das Ergebnis ändern würde (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1973 - BVerwG 4 B 92.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO
Nr. 109, stRspr).
Im vorliegenden Fall greifen die Beschwerden die zweite Begründung für das Vorliegen ei-
nes Abwägungsfehlers (mangelhafte Überprüfung der Folgen des geplanten Entwässe-
rungssystems für die Grundstücke der Unterlieger ) nicht mit
zulässigen und begründeten Verfahrensrügen an. Das Vorbringen der Beigeladenen, aus
der von Prof. S. vorgelegten Stellungnahme vom 17. September 1999, die der "Systemlö-
sung" als Anlage beigefügt sei, ergebe sich, dass Vernässungen planexterner Grundstücke
nicht zu befürchten seien, trifft nicht zu. In dem vorgenannten Schreiben heißt es lediglich,
das in die Sickeranlagen einfließende Wasser sickere sogleich in die Tiefe, so dass keine
"Abschwemmungen" von Böden zu befürchten seien. Zu der vom Normenkontrollgericht
bejahten Gefahr des Austritts des versickerten Niederschlagswassers an tiefer gelegenen
Grundstücken ist diesem Schreiben nichts zu entnehmen.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund könnten allein die Aufklärungsrügen beider Beschwer-
den, die die Versickerungsfähigkeit der Bodenschichten im Plangebiet sowie die Plausibilität
des Mulden-Rigolensystems betreffen, die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Aus-
führungen zur Begründetheit dieser Rügen erübrigen sich daher. Ergänzend sei ausgeführt:
Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Normenkontrollgericht unter Ver-
letzung seiner Aufklärungspflicht und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung zu dem
Ergebnis gelangt ist, das Mulden-Rigolensystem berge die Gefahr, dass das anfallende Nie-
derschlagswasser zumindest zweier Häuser und der zugeordneten Tiefgaragenanteile nicht
in der erforderlichen Weise aufgenommen und abgeführt werden könne. Diese Feststellung
des Normenkontrollgerichts hätte auch dann Bestand und wäre zur Begründung des ange-
nommenen Abwägungsfehlers ausreichend, wenn die Vorinstanz - wie von der Antragsgeg-
nerin und der Beigeladenen gerügt - bei der Erfassung der Einzelheiten in der Systemzeich-
nung zur Rigolen- und Rohrversickerung ein Fehler unterlaufen sein sollte. Das Normenkon-
trollgericht entnimmt der Systemzeichnung eine Tiefe des Mulden-Rigolensystems von
2,50 m (bzw. 2 m) und führt aus, für eine solch geringe Tiefe habe der Gutachter die Versi-
ckerungsfähigkeit des Bodens für keine der Schürfen festgestellt. Dieses Ergebnis bestärkt
das Normenkontrollgericht nur in seiner Annahme, dass die Versickerungsfähigkeit des Un-
tergrundes im Plangebiet auf ungesicherten Annahmen beruht. Seine Annahme, es sei nicht
sichergestellt, dass die zur Beseitigung des Niederschlagswassers geplanten Anlagen aus-
reichend leistungsfähig sind, steht und fällt jedoch nicht mit der Würdigung der System-
zeichnung. Die Vorinstanz stützt sich insoweit maßgeblich und in erster Linie auf die Ergeb-
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nisse des hydrogeologischen Gutachtens von Prof. S. und seiner 1. Ergänzung (vgl. UA
S. 36 f.).
4. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene erheben Rügen, die die Voraussetzungen einer
Fehlerheilung in einem ergänzenden Verfahren nach § 215 a BauGB betreffen.
Die Antragsgegnerin wirft die Frage auf, ob § 215 a BauGB auf vorhabenbezogene Bebau-
ungspläne anwendbar ist. Die Frage ist ohne weiteres zu bejahen und deshalb nicht in ei-
nem Revisionsverfahren klärungsbedürftig. Die Beigeladene möchte rechtsgrundsätzlich
geklärt wissen, ob die Möglichkeit der Fehlerbehebung in einem ergänzenden Verfahren
voraussetzt, dass der Mangel nicht die Grundzüge der Planung berührt, oder ob die Durch-
führung eines ergänzenden Verfahrens davon abhängt, dass "mögliche den Mangel ausglei-
chende Änderungen oder Ergänzungen die Grundzüge der Planung unberührt lassen". Die
Beigeladene formuliert damit keine klärungsbedürftige Grundsatzfrage. Sie umschreibt viel-
mehr in zwei Varianten ein und dieselbe Grundvoraussetzung für ein ergänzendes Verfah-
ren, nämlich die Frage danach, ob die festgestellten Abwägungsmängel den Kern der Ab-
wägungsentscheidung betreffen oder in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden kön-
nen, ohne die Planung als Ganzes in Frage zu stellen. Der Sache nach zielt die Grundsatz-
rüge der Beigeladenen auf eine Kritik der vorinstanzlichen Rechtsauffassung, dass die fest-
gestellten Abwägungsmängel von solcher Art und Schwere sind, dass sie die Planung als
Ganzes in Frage stellen. Diese Kritik führt jedoch nicht zu Rechtsfragen, die über den vorlie-
genden Streitfall hinaus einer verallgemeinerungsfähigen grundsätzlichen Klärung zugäng-
lich sind.
Die von der Beigeladenen gerügte Divergenz zwischen dem angegriffenen Normenkontroll-
urteil und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 1998 - BVerwG 4 CN
7.97 - (Buchholz 406.11 § 215 a BauGB Nr. 1 = BRS 60 Nr. 52) besteht nicht. Das Normen-
kontrollgericht knüpft ausdrücklich an die in der vorgenannten Entscheidung des Bundes-
verwaltungsgerichts aufgestellten Grundsätze zur Fehlerbehebung in einem ergänzenden
Verfahren an und überträgt sie auf den vorliegenden Fall. Einen diesen Grundsätzen wider-
sprechenden Rechtssatz stellt das Normenkontrollgericht nicht auf.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO,
die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Rojahn Gatz