Urteil des BVerwG vom 02.02.2004

BVerwG: politische verfolgung, ddr, ausbildung, unterbrechung, hochschule, gleichwertigkeit, hochschulstudium, theologie, anerkennung, offenkundig

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 103.03
VG 2 A 234/01 DE
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dessau vom
26. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Zwischen den Parteien besteht Streit über die Dauer der dem Kläger nach dem Be-
ruflichen Rehabilitierungsgesetz anzuerkennenden Verfolgungszeit. Der 1958 gebo-
rene Kläger wurde nach den Erkenntnissen des Beklagten durch das Ministerium für
Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) überwacht und als Person eingestuft,
die eine negative Einstellung zum Wehrdienst und zur DDR habe. Da er deswegen
1979 rechtsstaatswidrig nicht zu einem Medizinstudium zugelassen worden sei, re-
habilitierte der Beklagte ihn als verfolgten Schüler i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 4
BerRehaG. Er nahm dabei jedoch an, die verfolgungsbedingte Unterbrechung der
Ausbildung des Klägers habe mit der Aufnahme eines Theologiestudiums am Katho-
lischen Priesterseminar Erfurt geendet. Auf die dagegen insoweit erhobene Klage ist
das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die politische Verfolgung des
Klägers durch Nichtzulassung zu einem Studium durch dessen Ausweichen in den
nicht staatlichen Bereich nicht endete.
Die behauptete Grundsatzbedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt
nicht vor. Zwar hält die Beschwerde im Wesentlichen folgende Fragen für grundsätz-
lich klärungsbedürftig:
"Ist ein Studium der katholischen Theologie in Erfurt als 'ein Fach- oder Hoch-
schulstudium' im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG anzusehen, wenn die-
ses Studium nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10. und
11. Oktober 1991 in der Fassung vom 26. und 27. März 1992, einem Abschluss
gleichwertig ist, der an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule in
dem Teil der Bundesrepublik erworben wurde, in dem das Grundgesetz bereits
vor dem 3. Oktober 1990 galt und dem Abschluss eines Diplom-Theologen ent-
spricht?
Beendet das Ausweichen in ein Studium, eine Ausbildung (oder einen Beruf) in
einem nicht staatlich beeinflussten/organisierten Bereich die Verfolgteneigen-
schaft, oder muss für die Annahme des Weiterbestehens der politischen Ver-
folgung in jedem Fall die staatliche Einflussnahme weiter bestehen?"
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn zu erwarten ist,
dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem
Bestand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Einer Rechts-
frage kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil zu ihr noch kei-
ne ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt; auch in ei-
nem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Rechtsfrage
durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand der anerkannten
Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige
Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (Beschluss vom 31. Juli 1987
- BVerwG 5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14). Letzteres trifft auch dann
zu, wenn die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichende Anhalts-
punkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten
Rechtsfrage gibt (Beschluss vom 28. September 1995 - BVerwG 10 B 6.94 - juris).
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die vom Beklagten sinngemäß aufgeworfene Fra-
ge, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme eines anderen Studiums die ver-
folgungsbedingte Unterbrechung der an sich angestrebten Ausbildung an einer
Fach- oder Hochschule gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG beendet hat und welche
Rolle ein Ausweichen in einen nicht staatlichen Bereich dabei spielt, bedarf - soweit
sie überhaupt über die einzelfallbezogenen Sachumstände hinaus einer grundsätzli-
chen Beantwortung zugänglich ist - insoweit keiner Überprüfung in einem Revisions-
verfahren mehr. Hinsichtlich der Frage, wann bei der Unterbrechung einer Ausbil-
dung die nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz anerkennungsfähige Verfol-
gungszeit endet, kann nämlich an die hinreichende Rechtsprechung zur Berufsaus-
übung angeknüpft werden. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats en-
det die nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz anerkennungsfähige Verfol-
gungszeit mit der Möglichkeit des Verfolgten, einen sozial gleichwertigen Beruf aus-
zuüben (Urteil vom 6. April 2000 - BVerwG 3 C 34.99 - ZOV 2000, 405). Damit ist die
Ausgrenzung des Einzelnen, die durch eine politische Verfolgung hervorgerufen
wird, welche das Rechtsgut der ungehinderten beruflichen Betätigung schwerwie-
gend beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 54, 341, 357), beendet. Wann ein sozial gleich-
wertiger Beruf vorliegt, ist letztlich eine Tatfrage, wenn auch für die Auslegung des
Begriffs "sozial gleichwertiger Beruf" auf die Rechtsprechung zu § 30 Abs. 2 Satz 2
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Buchst. a Bundesversorgungsgesetz, an den sich § 1 Abs. 1 letzter Halbsatz
BerRehaG anlehnt, zurückgegriffen werden kann. Hiernach ist in der Regel bei einer
Einkommenseinbuße von ca. 20 v.H. davon auszugehen, dass ein sozialer Abstieg
vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 1975 - 10 RV 189/74 - SOZR 3100 § 30
Nr. 6; Lehmann/
Wimmer, NJ 1994, 350, 354; Wimmer, Kommentar zum Verwaltungsrechtlichen Re-
habilitierungsgesetz, S. 361 Rn. 7 zu § 8).
Ausreichende Anhaltspunkte für einen weiter gehenden Klärungsbedarf in dem be-
gehrten Revisionsverfahren enthält der Beschwerdevortrag nicht. Dies gilt insbeson-
dere im Hinblick auf den Vortrag, das Studium der Katholischen Theologie habe mit
einem diplomähnlichen Abschluss geendet und sei somit einem Hochschulabschluss
als gleichwertig anzusehen. Zum Beleg für diese Gleichwertigkeit beruft sich der Be-
klagte auf Beschlüsse der Kultusministerkonferenz aus den Jahren 1991 und 1992.
Diese Argumentation geht fehl. Die im Zentrum des Rechtsstreits stehende Frage,
wann die politische Verfolgung des Klägers in der DDR endete, kann nicht von der
Bewertung eines Ausbildungsabschlusses im wiedervereinigten Deutschland abhän-
gen. Maßgeblich ist vielmehr die soziale Stellung, die die betreffende Ausbildung in
der DDR vermittelte. Die Antwort auf die so gestellte Frage liegt auf der Hand: In der
DDR war das Studium am Priesterseminar nicht als Hochschulstudium anerkannt.
Der erfolgreiche Abschluss eröffnete daher Berufsmöglichkeiten nur im innerkirchli-
chen Bereich mit sehr engen wirtschaftlichen Perspektiven und starken Einschrän-
kungen der Lebensführung (Verpflichtung zum Zölibat). Die mangelnde staatliche
Anerkennung kam schon während des Studiums darin zum Ausdruck, dass Studen-
ten am Priesterseminar - anders als Studenten einer staatlichen Hochschule - vom
Staat kein Stipendium erhielten. Unter diesen Umständen kann von einer sozialen
Gleichwertigkeit des Theologiestudiums mit dem vom Kläger vergeblich angestreb-
ten Studium der Medizin offenkundig keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2; die Festsetzung des Streitwertes
folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette