Urteil des BVerwG vom 19.12.2012

BVerwG: nachrichten, aufrechterhaltung der ordnung, entlassung aus der haft, demokratie, emrk, überwachung des briefverkehrs, vereinigungsfreiheit, politischer gefangener, öffentliche sicherheit

BVerwG 6 A 6.11
Rechtsquellen:
GG Art. 9 Abs. 2
VereinsG § 3 Abs. 1
EMRK Art. 11
Stichworte:
Vereinsverbot; Verbotsgrund; gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet;
verfassungsmäßige Ordnung; aggressiv-kämpferische Haltung; Wesensverwandtschaft mit dem
Nationalsozialismus; den Strafgesetzen zuwiderlaufen; Verhältnismäßigkeit; Befristung;
Menschenrechtskonvention; Vereinigungsfreiheit.
Leitsatz:
1. Im Sinne der Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG laufen Zwecke und Tätigkeiten
einer Vereinigung nicht nur dann den Strafgesetzen zuwider, wenn unmittelbar gegen
Strafgesetze verstoßen wird, sondern auch dann, wenn Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder
erleichtert werden.
2. Mit der Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit in Art. 11 EMRK ist das Verbot einer
Vereinigung vereinbar, die nach Programmatik, Vorstellungswelt und Gesamtstil eine
Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist und deshalb den
Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 A 6.11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Dr. Graulich, Hahn und
Prof. Dr. Hecker
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I
1 Der Kläger wendet sich gegen ein Vereinsverbot des Bundesministeriums des Innern.
2 Der Kläger, die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige
(HNG), wurde 1979 gegründet. Die Organisation verfolgt nach ihrer Satzung „ausschließlich
karitative Zwecke, indem sie nationale politische Gefangene und deren Angehörige im Rahmen
der ihr zur Verfügung stehenden Mittel unterstützt“. Sitz des Klägers ist Frankfurt am Main. Der
Kläger ist bundesweit tätig. Er hat im gesamten Bundesgebiet etwa 600 Mitglieder. Er gibt eine
Zeitschrift heraus, die „Nachrichten der HNG“. Sie erscheint einmal monatlich in einer Auflage
von rund 700 Exemplaren. Der Kläger pflegt durch seine Vorstandsmitglieder den Briefwechsel
mit inhaftierten Straftätern, die er dem Kreis der nationalen politischen Gefangenen zurechnet.
Briefe an inhaftierte Straftäter und Briefe von ihnen, insbesondere an Vorstandsmitglieder des
Klägers, werden in den „Nachrichten der HNG“ abgedruckt. Der Kläger vermittelt zudem den
Briefwechsel mit inhaftierten Straftätern. Die „Nachrichten der HNG“ veröffentlichen dazu in einer
festen Rubrik eine Liste von Inhaftierten, die um Briefkontakt bitten.
3 Durch Verfügung vom 30. August 2011 stellte das Bundesministerium des Innern fest: Der
Kläger richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und laufe nach Zweck und Tätigkeiten
den Strafgesetzen zuwider. Er sei deshalb verboten und werde aufgelöst. Das
Bundesministerium des Innern gab zur Begründung an: Unter dem Motto „Drinnen wie draußen
eine Front“ rufe der Kläger zum aktiven Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung auf.
Hierzu vereine er unter dem Deckmantel einer vermeintlich karitativen Betreuung von
strafgefangenen Rechtsextremisten nationalistischer Prägung mit dem Ziel, die
rechtsextremistische Szene in Deutschland organisationsübergreifend zu stärken und auf deren
Radikalisierung hinzuwirken. In diesem Sinne befürworte, propagiere und befördere der Kläger
strafrechtswidriges Verhalten bis hin zum Einsatz von Gewalt als legitimem Mittel im Kampf
gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Der Kläger lehne die bestehende staatliche Ordnung
der Bundesrepublik Deutschland grundlegend ab. Er stelle ihr ein nationalistisches Weltbild
rassistischer und antisemitischer Prägung gegenüber. Zugleich verherrliche er den nationalen
Kampf sowie das Soldatentum und glorifiziere Elemente nationalsozialistischer Vergangenheit.
Er trete mit einer aktiv-kämpferischen, aggressiven Grundhaltung auf. Er eine nicht nur die
rechtsextremistische Szene im Kampf gegen das bestehende System, sondern binde
systematisch und gezielt rechtsextremistische Straftäter während und nach der Haft an diese
Szene. Dabei bestärke er sie nicht nur in ihren nationalistischen Überzeugungen, sondern
rechtfertige und glorifiziere das von ihnen begangene Unrecht. So untergrabe er gezielt
staatliche Bemühungen um eine Resozialisierung der Täter und begünstige und befördere eine
zukünftige Begehung von Straftaten, die auf dieser ideologischen Basis beruhten.
4 Der Kläger hat gegen die Verfügung des Bundesministeriums des Innern Klage erhoben:
Seine Zwecke und Tätigkeit liefen nicht den Strafgesetzen zuwider. Dass er oder seine
Mitglieder im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für den Verein Straftaten begangen oder ihnen
Vorschub geleistet hätten, habe das Bundesinnenministerium nicht dargelegt. Die Straftaten der
von ihm betreuten Gefangenen könnten ihm nicht zugerechnet werden. Sie seien überwiegend
wegen Meinungsdelikten verurteilt worden. Er bestärke sie darin, dass ihnen aus moralischer
und politischer Sicht nichts vorzuwerfen sei. Damit ziele er nicht darauf ab, dass die von ihm
Betreuten weitere Straftaten begingen. Die Kritik an den politischen Sonderdelikten,
insbesondere den sogenannten Propagandadelikten, sei nicht strafbar, zumal derartige Delikte
den liberalen Demokratien des Westens weithin unbekannt seien. Durch diese Kritik werde nicht
die Legalität der konkreten Verurteilung, sondern nur die moralische Legitimität der zugrunde
gelegten Straftatbestände bestritten. Er - der Kläger - richte sich nicht gegen die
verfassungsmäßige Ordnung. Dieses Tatbestandsmerkmal verlange die Anwendung von Gewalt
oder die Bereitschaft hierzu. Nach Art. 87a Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG
könnten zur Abwehr einer Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung Streitkräfte zur
Unterstützung eingesetzt werden, wenn die Polizeikräfte der Länder und des Bundes nicht
ausreichten. Die strafrechtlichen Bestimmungen gegen den Hochverrat und Art. 143 GG in seiner
ursprünglichen Fassung schützten den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und die
verfassungsmäßige Ordnung vor Angriffen unter Anwendung von Gewalt oder durch Drohung
mit Gewalt. Verfassungsmäßige Ordnung sei danach etwas, das durch Anwendung von Gewalt
gefährdet werde. Verfassungsrechtlich legitimer Verfassungsschutz könne sich nur gegen diese
Gewaltanwendung und eine ihr vorausgehende zumindest polizeirechtlich relevante
Vorbereitungshandlung wenden. An einer Gewaltbereitschaft in diesem Sinne fehle es bei ihm.
Eine aggressiv-kämpferische Haltung reiche dagegen nicht aus. Selbst sie liege nicht vor. In
seiner Verbotsverfügung habe das Bundesinnenministerium kein einziges Prinzip der freiheitlich
demokratischen Grundordnung benannt, gegen das er - der Kläger - sich ausspreche und
dessen Abschaffung er anstrebe. Das Bundesinnenministerium habe ihm stattdessen aufgrund
einer ideologischen Gesamtschau solche Bestrebungen unterstellt. Es kennzeichne aus seiner
Sicht falsche Ansichten als rechtsextremistisch, um aus dieser Kennzeichnung wiederum eine
aggressiv-kämpferische Verwirklichung der falschen Ansichten herzuleiten. Rechtsextremismus
sei ein Begriff ohne rechtliche Qualität, vielmehr nur eine Kategorie des politischen
Meinungskampfes. Mit ihm könne ein Vereinsverbot rechtsstaatlich nicht begründet werden. In
den ihm vorgehaltenen Äußerungen trete im Übrigen lediglich ein Verbalradikalismus zutage. Er
sei als defensiv-kämpferisch zu bewerten. Mit ihm werde lediglich auf die - auch amtlich verfolgte
- Politik massiver Diskriminierung rechter, nationaler Einstellungen reagiert und auf eine
Verfassungswirklichkeit hingewiesen, in der Meinungsfreiheit und politischer Pluralismus nur
noch für bestimmte Auffassungen zugelassen würden. Mit dem Vereinsverbot sollten
rechtsstaatswidrig aus allein ideologischen Gründen politisch unerwünschte Meinungen und
Gesinnungen bekämpft werden. Das zeige sich auch daran, dass die „Rote Hilfe“, sein
Gegenstück im linksextremen politischen Spektrum, trotz ihrer Gewaltbereitschaft und
Gewaltförderung nicht verboten werde. Ein Vereinsverbot, das allein wegen als falsch beurteilter
politisch-weltanschaulicher Auffassungen ausgesprochen werde, richte sich gegen die
grundlegende Konzeption des Rechtsstaats. Er müsse sich als Heimstatt aller seiner Bürger
unter Einschluss von „Rechtsextremisten“ verstehen. Entsprechend ihrer im Grundgesetz
garantierten Menschenwürde komme auch ihnen das Recht zu, ihre weltanschaulich-politischen
Auffassungen unter Einschluss von Irrtum selbst zu bestimmen. Das Bundesinnenministerium
greife für die ihm - dem Kläger - vorgeworfenen Aussagen auf zahlreiche private Briefe zurück.
Deren Inhalt könne ihm nicht notwendig zugerechnet werden. Teilweise unterlägen die Briefe
einem Beweisverwertungsverbot, weil sie unter Verletzung des verfassungsrechtlich
geschützten Briefgeheimnisses beschafft worden seien. Das Vereinsverbot verstoße gegen die
Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es sei
nicht im Sinne ihrer einschlägigen Bestimmung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig.
Die mangelnde Notwendigkeit ergebe sich bereits daraus, dass er - der Kläger - bereits seit 30
Jahren bestehe, ohne dass das Bundesinnenministerium früher ein Verbot in Erwägung
gezogen oder jetzt dargelegt habe, was sich an seiner Tätigkeit geändert habe und nunmehr ein
Verbot rechtfertige. Das Verbot sei jedenfalls unverhältnismäßig. Das Bundesinnenministerium
habe es weder befristet noch die Voraussetzungen dargelegt, unter denen der Verein wieder
zugelassen werden könne. Sollte das Vereinsgesetz eine Befristung ausschließen, sei es
insoweit verfassungswidrig.
5 Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 30. August 2011 aufzuheben.
6 Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7 Sie verteidigt das Vereinsverbot unter Hinweis auf von ihr beigebrachte Unterlagen,
namentlich Briefe von Gefangenen und an Gefangene, die in den „Nachrichten der HNG“
abgedruckt waren, oder andere Briefe, die im Zuge der Durchsuchungen bei Vereinsmitgliedern
beschlagnahmt worden sind.
8 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
II
9 Die Klage ist unbegründet. Die Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 30. August
2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Das Bundesministerium des Innern hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger verboten
ist, und deshalb seine Auflösung angeordnet.
10 Rechtsgrundlage hierfür ist § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 GG.
Nach Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen verboten, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den
Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen
den Gedanken der Völkerverständigung richten. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG darf ein Verein
erst dann als verboten behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt
ist, dass der Verein einen der Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt; zugleich mit dieser
Feststellung ordnet die Verbotsbehörde die Auflösung des Vereins an.
11 Der Kläger ist nach Art. 9 Abs. 2 GG verboten. Er richtet sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung (1.). Seine Zwecke und seine Tätigkeit laufen den Strafgesetzen zuwider (2.). Die
hierauf gerichtete Feststellung und die an sie anknüpfende Auflösung des Klägers verstoßen
nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (3.). Die Verbotsverfügung ist mit der
Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit in Art. 11 der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vereinbar (4.).
12 1. Der Kläger richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.
13 a) Zur verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG gehören vor allem die
Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten sowie das demokratische
Prinzip mit der Verantwortlichkeit der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf
verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Gegen diese elementaren
Verfassungsgrundsätze richtet sich eine Vereinigung, die in Programm, Vorstellungswelt und
Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist. Das ist
namentlich bei einer Vereinigung der Fall, die sich zur ehemaligen Nationalsozialistischen
Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und zu deren maßgeblichen Funktionsträgern bekennt, die
demokratische Staatsform verächtlich macht, eine mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3
Abs. 3 GG unvereinbare Rassenlehre propagiert und eine entsprechende Überwindung der
verfassungsmäßigen Ordnung anstrebt (ständige Rechtsprechung des BVerwG, zuletzt Urteil
vom 1. September 2010 - BVerwG 6 A 4.09 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 55 Rn. 13).
14 Eine Vereinigung richtet sich im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG zwar nicht schon dann gegen die
so umschriebene verfassungsmäßige Ordnung, wenn sie diese lediglich ablehnt und ihr andere
Grundsätze entgegenstellt. Sie muss ihre verfassungsfeindlichen Ziele vielmehr kämpferisch-
aggressiv verwirklichen wollen. Dazu genügt aber, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung
fortlaufend untergraben will, wie dies für eine mit dem Nationalsozialismus wesensverwandte
Vereinigung kennzeichnend ist. Sie muss ihre Ziele hingegen nicht durch Gewaltanwendung
oder sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen suchen (Urteil vom 1. September 2010
a.a.O.).
15 Zu Unrecht meint der Kläger, der Verbotstatbestand sei nur dann erfüllt, wenn die
Vereinigung sich mit den Mitteln der Gewalt oder der Bereitschaft hierzu gegen die
verfassungsmäßige Ordnung wendet. Die von ihm angeführten Straftatbestände und die
Vorschriften der Notstandsverfassung geben für ein solches Verständnis der Verbotstatbestände
des Art. 9 Abs. 2 GG nichts her. Die verfassungsmäßige Ordnung kann verfassungsrechtlich und
einfachrechtlich mit unterschiedlichen Mitteln, denen des Strafrechts oder des vorbeugenden
Verfassungsschutzes, gegen die wiederum unterschiedliche Intensität ihrer Gefährdung
geschützt werden. Dass bestimmte qualifizierte Angriffe gegen die freiheitlich demokratische
Grundordnung, nämlich solche, die mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt unternommen
werden, unter Strafe gestellt sind, lässt nicht den Schluss zu, Art. 9 Abs. 2 GG wolle die
verfassungsmäßige Ordnung ebenfalls nur gegen solcherart qualifizierte Angriffe schützen. Dass
das Schutzobjekt in allen diesen Bestimmungen dasselbe ist, bedeutet nicht, es sei nur durch
dasselbe Mittel (Gewalt oder die Bereitschaft hierzu) verletzbar und dürfe deshalb auch nur
gegen Angriffe geschützt werden, die mit diesen Mitteln vorgetragen werden.
16 b) Dass der Kläger sich in dem dargelegten Sinne gegen die verfassungsmäßige Ordnung
richtet, ergibt sich aus den Unterlagen, die die Beklagte im Klageverfahren vorgelegt hat.
Namentlich sind dies Beiträge in den „Nachrichten der HNG“, insbesondere dort abgedruckte
Briefe von Gefangenen und Briefe an Gefangene, ferner andere Briefe, die im Zuge der
Durchsuchungen bei Vereinsmitgliedern beschlagnahmt worden sind. Diese Unterlagen sind
taugliche Beweismittel; ihr Inhalt ist dem Kläger zuzurechnen (aa). Ihrer Verwertung im Prozess
steht kein Verbot entgegen (bb).
17 aa) Die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Ziele einer Vereinigung lassen
sich in der Regel weniger ihrer Satzung und ihrem Programm, sondern eher ihrem Auftreten in
der Öffentlichkeit, ihren Publikationen sowie den Äußerungen und der Grundeinstellung ihrer
Funktionsträger entnehmen. Vereinigungen suchen etwaige verfassungsfeindliche
Bestrebungen erfahrungsgemäß zu verheimlichen. Der Verbotstatbestand wird sich deshalb in
der Regel nur aus dem Gesamtbild ergeben, das sich aus einzelnen Äußerungen und
Verhaltensweisen zusammenfügt. Dass diese Belege gegebenenfalls einer mehr oder weniger
großen Zahl unverfänglicher Sachverhalte scheinbar untergeordnet sind, besagt allein nichts
über ihre Aussagekraft (Urteil vom 1. September 2010 a.a.O. Rn. 14).
18 Soweit es um mündliche oder schriftliche Äußerungen von Funktionsträgern der Vereinigung
geht, kommt es nicht darauf an, ob diese Äußerungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der
Arbeit für die Vereinigung stehen. Dass eine Vereinigung sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung richtet, kann unter anderem aus einer entsprechenden Grundeinstellung ihrer
Funktionsträger geschlossen werden. Insoweit kann es eine trennscharfe Unterscheidung
zwischen einer rein privaten und einer der Vereinigung zuzurechnenden Sphäre nicht geben.
Stammen Texte und Äußerungen von leitenden Mitgliedern einer Vereinigung oder wird ihr
Inhalt von ihnen erkennbar befürwortet, sind diese Äußerungen und Texte der Vereinigung auch
dann zuzurechnen, wenn sie als solche nicht für die Vereinstätigkeit erstellt oder in ihr verwandt
worden sind, jedoch den ideologischen Hintergrund kennzeichnen, vor dem die
Verantwortlichen der Vereinigung handeln. Eine Zurechnung ist insbesondere dann
gerechtfertigt, wenn ein solcher Text inhaltlich auf einer Linie mit anderen Beiträgen liegt, die der
Vereinigung eindeutig zugeordnet werden können (Urteil vom 1. September 2010 a.a.O. Rn. 30).
19 Dem Kläger sind auch Äußerungen zuzurechnen, die in Briefen von Strafgefangenen
enthalten sind, die der Kläger in seiner Vereinszeitschrift abgedruckt hat, unabhängig davon, ob
ein Strafgefangener zugleich Mitglied des Klägers ist.
20 Wird eine Publikation, die keinen offenen Markt der Meinungen darstellt (vgl. dazu: BVerfG,
Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <83 f.>), im Auftrag einer
Vereinsleitung herausgegeben, sind die dort erschienenen Beiträge in aller Regel der jeweiligen
Vereinigung zuzuschreiben. Etwas anderes kommt in einer solchen Konstellation nur dann in
Betracht, wenn es sich - wie beispielsweise bei Leserbriefen - um ersichtlich individuelle
Meinungsäußerungen handelt und die Vereinigung derartige Äußerungen missbilligt oder sich
jedenfalls von ihnen distanziert (Urteil vom 1. September 2010 a.a.O. Rn. 14).
21 Der Kläger hat mit den „Nachrichten der HNG“ keinen offenen Markt der Meinungen eröffnet.
Die abgedruckten Briefe von Strafgefangenen sind keine Leserbriefe im herkömmlichen Sinne,
mit denen Leser auf einen Artikel in einer Zeitung reagieren und ihre eigene Meinung zu einem
dort angesprochenen Thema äußern. Die in der Satzung des Klägers hervorgehobene
Unterstützung „politischer Gefangener“ besteht zu einem wesentlichen Teil in Briefwechsel mit
ihnen. Er soll sie in der Richtigkeit ihrer politischen Auffassungen bestärken und ihnen das
Gefühl vermitteln, mit ihren politischen Auffassungen nicht allein zu stehen, sondern Teil einer
politischen Gemeinschaft zu sein. Demselben Zweck dient es, wenn derartige Briefe in den
„Nachrichten der HNG“ abgedruckt werden. Diese Vereinszeitschrift ist (auch) für Strafgefangene
bestimmt. Die dort abgedruckten Briefe sind so ausgewählt, dass sie die Funktion erfüllen
können, das Gefühl gemeinsamer politischer Überzeugungen zu stärken und diese politischen
Überzeugungen zu bekräftigen. Die Auswahl der veröffentlichten Briefe und die Äußerungen in
ihnen drücken deshalb aus, worum es dem Kläger selbst geht. Die „Nachrichten der HNG“
spiegeln in ihrer Gesamtheit die Ziele des Klägers wider.
22 bb) Ebenso verwertet werden dürfen Briefe von Strafgefangenen an Vorstandsmitglieder des
Klägers und namentlich Briefe von führenden Persönlichkeiten des Klägers, die zwar nicht
veröffentlicht, aber im Zuge von Durchsuchungen beschlagnahmt worden sind.
23 Ihre Beschlagnahme und Verwertung verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht
gegen das Postgeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG. Diese Verfassungsbestimmung schützt nur den
Kommunikationsvorgang von der Einlieferung eines Briefes bis zu seiner Auslieferung bei dem
Empfänger gegen staatliche Eingriffe. Bei dem Schreiber noch vorhandene Briefe oder deren
Abschriften und bei dem Empfänger aufbewahrte Briefe sind nicht durch das Postgeheimnis
gegen staatlichen Zugriff geschützt. Sie können nach § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG in Verbindung
mit den einschlägigen Vorschriften der Strafprozessordnung beschlagnahmt werden, wenn sie
als Beweismittel von Bedeutung sein können. Im Übrigen kann das Postgeheimnis durch Gesetz
beschränkt werden. Eine solche Beschränkung enthält beispielsweise § 29 StVollzG für die
Überwachung des Briefverkehrs von Gefangenen, ferner § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG in
Verbindung mit § 99 StPO.
24 Die Verwertung beschlagnahmter Briefe zu Beweiszwecken kann zwar durch das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG beschränkt sein. Das
Bundesverfassungsgericht hat dies unter bestimmten engen Voraussetzungen für Tagebücher
und ähnliche private Aufzeichnungen anerkannt, wenn sie einem letzten unantastbaren Bereich
privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Juni 2008 - 2
BvR 219/08 - BVerfGK 14, 20). Dazu mögen auch nicht abgesandte, sondern beim Schreiber
verbliebene Briefe gehören. Um derartige Sachverhalte geht es hier nicht. Die hier verwerteten
Briefe entstammen nicht einem letzten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung,
sondern dienen nach Inhalt und Adressatenkreis der Funktion, den Zusammenhalt
rechtsextremistisch motivierter Straftäter herzustellen und zu verfestigen.
25 c) Nach den zulässigerweise herangezogenen Unterlagen richtet sich der Kläger gegen die
verfassungsmäßige Ordnung, weil er nach seiner Programmatik, seiner Vorstellungswelt und
seinem Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist. Über
diese Feststellung hinaus bedarf es keiner einzelnen Belege, in denen der Kläger sich konkret
gegen ein bestimmtes, die Demokratie konstituierendes Grundprinzip ausgesprochen, gerade
seine Abschaffung verlangt oder seine Beseitigung zum Programm erhoben hat, denn
Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil einer mit dem Nationalsozialismus
wesensverwandten Vereinigung sind mit den Grundsätzen unvereinbar, die die Demokratie in
ihrem Kern ausmachen.
26 aa) Für die Feststellung einer Wesensverwandtschaft des Klägers mit dem
Nationalsozialismus hat das Bundesministerium des Innern zwar im Kläger verbreitetes
Gedankengut als rechtsextremistisch und nationalsozialistisch bezeichnet. Es hat damit aber
nicht unbestimmte, allenfalls politisch greifbare Kategorien herangezogen, auf die ein
Vereinsverbot nicht gestützt werden dürfte. Für diesen Einwand des Klägers gibt die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts her, die er in diesem Zusammenhang
anführt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1106/08 - EuGRZ 2011, 88).
Ihr lässt sich nicht entnehmen, es sei dem Staat schlechthin versagt, Äußerungen, Vorstellungen
oder Programme als rechtsextremistisch zu bewerten und an eine solche Bewertung rechtliche
Folgerungen zu knüpfen.
27 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befasst sich mit einer Weisung im
Rahmen strafrechtlicher Führungsaufsicht. Gegenstand der Weisung war ein Verbot,
rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten. Der
Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht ist nach § 145a StGB mit Strafe
bedroht. Mit Blick auf die Meinungsfreiheit, die grundsätzlich auch die Verbreitung
rechtsextremistischer Meinungen schütze, hat das Bundesverfassungsgericht das konkret
ausgesprochene strafbewehrte Publikationsverbot für zu unbestimmt gehalten und deshalb darin
einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit gesehen.
28 Das Verbot des Klägers gründet sich hingegen nicht auf einen nur pauschalen Vorwurf,
rechtsextremistisches Gedankengut zu pflegen, ohne dass dieses Schlagwort in einer rechtlich
fassbaren Weise konkretisiert wäre. Vielmehr hat das Bundesministerium des Innern konkrete
Publikationen und sonstige Äußerungen, die dem Kläger zuzurechnen sind, daraufhin bewertet,
ob sie die rechtlichen Kriterien ausfüllen können, die den Verbotsgrund ausmachen. Es hat
untersucht, ob sie ein Bekenntnis zur ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen
Arbeiterpartei (NSDAP) und zu deren maßgeblichen Funktionsträgern enthalten, ob in ihnen die
demokratische Staatsform verächtlich gemacht, eine mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3
Abs. 3 GG unvereinbare Rassenlehre propagiert und eine entsprechende Überwindung der
verfassungsmäßigen Ordnung angestrebt wird, ob sich also mit Publikationen und Äußerungen
des Klägers belegen lässt, er weise in Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil eine
Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Hierfür einschlägige Publikationen und
Äußerungen mögen ebenso wie der Kläger selbst als Ergebnis dieser Würdigung
schlagwortartig auch als rechtsextremistisch bezeichnet werden. In diesem Schlagwort sind
dann aber nur die konkreten Feststellungen zusammengefasst, die den Verbotstatbestand und
die für ihn maßgeblichen rechtlichen Kriterien ergeben haben.
29 Das gegen den Kläger verhängte Vereinsverbot sanktioniert zudem nicht das bloße Haben
und Äußern als rechtsextremistisch bewerteter Meinungen und Gesinnungen, sondern das
darüber hinausgehende aktiv kämpferische Untergraben der verfassungsmäßigen Ordnung.
30 bb) Der Kläger macht die demokratische Staatsform verächtlich. Er bekennt sich zur
ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und zu maßgeblichen
ihrer Funktionsträger. Er propagiert eine mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG
unvereinbare Rassenlehre und strebt eine entsprechende Überwindung der
verfassungsmäßigen Ordnung an.
31 (1) Der Kläger lehnt die demokratische Staatsform grundsätzlich und damit einschließlich der
sie prägenden Prinzipien ab. Er macht die demokratische Staatsform verächtlich. Sie wird als
System dargestellt, das die Besatzungsmächte Deutschland aufgezwungen haben, das von
ihnen nach wie vor dominiert wird und von dem Deutschland deshalb befreit werden muss.
Demokraten, demokratische Institutionen, aber auch gesellschaftliche Einrichtungen, die für die
Demokratie konstituierend sind, wie die freie Presse, gelten ihm als undeutsch und werden
deshalb herabgewürdigt. Sie bilden das Feindbild, dem nicht nur die Verachtung des Klägers,
sondern der von ihm propagierte, auf Überwindung dieser Verhältnisse gerichtete Widerstand
gilt.
32 Beispielhaft haben die Vorstandsmitglieder Ursula und Kurt M. in einem gemeinsam
unterzeichneten Brief an das seinerzeitige Vorstandsmitglied der der NPD Holger A. die
Bundesrepublik Deutschland als „korruptes und verkommenes democratisches Besatzerregime“,
als „von den Alliierten uns aufgezwungenen Schandsystem“ geschmäht (Anlage B15 zur
Klageerwiderung). In einem vom Kläger abgedruckten Brief äußert der Schreiber den Wunsch,
dieses „Scheiß-System“ solle untergehen und „ein neues freies Deutschland aus der Asche
unserer Ahnen“ auferstehen (Nachrichten der HNG Nr. 301 S. 6, Anlage B10 zur
Klageerwiderung). Repräsentanten der Demokratie sind aus der Sicht des Klägers
„Deutschsprechende Besatzerlakaien und schon immer Analspaltenlecker alles Fremden“, wie
in dem Bericht über eine seiner Jahreshauptversammlungen nachzulesen ist, der in den
„Nachrichten der HNG“ abgedruckt war (Nachrichten der HNG Nr. 301 S. 12, Anlage B10 zur
Klageerwiderung). Die „anglo-usraelische Besatzerdemocratie“ (oder - an anderer Stelle
desselben Schreibens - das „Volks-Raum und rassefremde System der anglousraelischen
Bestialdemocratie“) wurde „dem ehrlichen und gutgläubigen Deutschen Volk aufvergewaltigt“,
wie das Vorstandsmitglied Kurt M. in einem Brief an einen Strafgefangenen schreibt (Anlage B20
zur Klageerwiderung). Das Grundgesetz gilt dem Kläger als „uns aufgezwungene Verfassung“,
die „jüdischen Hirnen“ entsprungen ist (so in dem bereits erwähnten Brief an Holger A.), die
Bundesrepublik Deutschland demnach als „Judenrepublik“ (so in einem Brief des
Vorstandsmitglieds Kurt M., Anlage B22 zur Klageerwiderung).
33 Der demokratischen Staatsgewalt wird jede Legitimation abgesprochen. So hat sich die
langjährige Vorsitzende des Klägers und jetzige 1. stellvertretende Vorsitzende Ursula M. in
einem Interview mit dem Skinhead-Magazin „Der Nordmann“ dahin eingelassen: Die
Besatzungsmacht habe Geist und Körper vergiftet; um wieder gesund zu werden, müssten wir
auf direkten Gegenkurs wider dieses „multikriminelle System der Hölle“ gehen (Anlage B14 zur
Klageerwiderung). Das Vorstandmitglied Kurt M. spricht von der „Satansdemocratie“, der seine
„absolute Verfluchung“ gilt (Anlage B19 zur Klageerwiderung). In einem Brief an einen
Strafgefangenen hat die frühere Vorsitzende Ursula M. „das ganze politische System bei uns als
zutiefst antideutsch und korrupt“ bezeichnet sowie die Demokratie als „Democrötie“ und deren
Vertreter als „Democröten“ verunglimpft (Anlage B17 zur Klageerwiderung). Diese
herabsetzende Bezeichnung für die Demokratie und ihre Repräsentanten, auch in Anspielung
auf Ratten zu Democratten verballhornt (so beispielsweise in einem Brief des
Vorstandsmitglieds Kurt M., Anlage B20 zur Klageerwiderung), findet sich auch sonst vielfach in
Äußerungen, die dem Kläger zuzurechnen sind, wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung
belegt hat.
34 Die Presse gilt als „gleichgeschaltete Besatzungsjournaille“, als „judaeo-democratische
Verhetzungsjournaille“, die ARD als „Alliierter Rundfunk in Deutschland“ und das ZDF als
„Zionistische Denk Fabrik“, so die Vorstandsmitglieder Ursula und Kurt M. in dem bereits
erwähnten Brief an Holger A. (Anlage B15 zur Klageerwiderung).
35 Zu Unrecht wendet der Kläger ein, bei diesen und den weiteren ihm vorgehaltenen
Äußerungen handele es sich um bloßen Verbalradikalismus, der durch die auch staatlich
betriebene Diskriminierung als rechts oder rechtsextremistisch geltender Auffassungen
hervorgerufen sei. Der Kläger verwechselt zum einen Ursache und Wirkung. Zum anderen
verlässt er in der Aggressivität der ihm zurechenbaren Äußerungen die Auseinandersetzung mit
anderen Auffassungen. Er lässt eine grundsätzliche Ablehnung der Demokratie und ihrer
Grundlagen erkennen, die es nach seiner Auffassung zu untergraben gilt.
36 (2) Der Kläger bekennt sich zur ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei
(NSDAP) und zu maßgeblichen ihrer Funktionsträger.
37 Das Vorstandsmitglied des Klägers Kurt M. rühmt in einem Brief „unsere großartige
nationalsozialistische Weltanschauung“ und seine „NS-Gesinnung“ (Anlage B20 zur
Klageerwiderung). In einem anderen Brief an einen Strafgefangenen, der wegen der
Vorbereitung eines Anschlags auf das jüdische Kulturzentrum in München verurteilt worden war,
lobt er ihn dafür, dass dieser bei seiner „Weltanschauung des Nationalsozialismus ... unbeirrt
geblieben“ ist (Anlage B35 zur Klageerwiderung).
38 Ein Bekenntnis zu maßgeblichen Repräsentanten des Nationalsozialismus belegt eine
Würdigung von Rudolf Heß als „Märtyrer des Friedens“ und „Träger der geschändeten Wahrheit“,
die regelmäßig in den „Nachrichten der HNG“ erschienen ist (vgl. hierzu: Urteil vom 1.
September 2010 a.a.O. Rn. 32). In einer Grußadresse an den verurteilten Kriegsverbrecher Erich
Priebke wird mit der SS eine wesentliche Stütze des NS-Regimes glorifiziert (Nachrichten der
HNG Nr. 339, Anlage B12 zur Klageerwiderung; vgl. auch insoweit Urteil vom 1. September
2010 a.a.O. Rn. 23).
39 Der Kläger bringt seine Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus ferner dadurch zum
Ausdruck, dass er nationalsozialistisch geprägte Grußformeln übernimmt (vgl. hierzu Urteil vom
1. September 2010 a.a.O. Rn. 35). Er lehnt sich an die zentrale Grußformel („Heil Hitler“) an, wie
die Beklagte mit zahlreichen Beispielen belegt hat.
40 Ebenfalls auf eine Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus läuft es hinaus, wenn der
Kläger die Verbrechen des Dritten Reiches leugnet oder verharmlost, indem er etwa einen Brief
abdruckt, in dem das Strafverfahren gegen John Demjanjuk aus dem Grund kritisiert wird, er
habe nur seine Pflicht erfüllt (Nachrichten der HNG Nr. 335, Anlage B12 zur Klageerwiderung),
oder die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als „antideutsche, anglo-usraelische
Völkermordjustiz“ bezeichnet (Nachrichten der HNG Nr. 342, Anlage B30 zur Klageerwiderung).
41 Der Kläger propagiert die Volksgemeinschaft als Gegenbild zu der von ihm abgelehnten
Demokratie, wie sich teils aus den bereits zitierten Belegen ergibt, teils aus weiteren von der
Beklagten angeführten Texten, beispielsweise in den „Nachrichten der HNG“ abgedruckten
Berichten über Jahreshauptversammlungen des Klägers und abgedruckten Briefen von
Gefangenen (Nachrichten der HNG Nr. 301, Anlage B10 zur Klageerwiderung; Nachrichten der
HNG Nr. 335 S. 7, Anlage B34 zur Klageerwiderung; Nachrichten der HNG Nr. 356 S. 10,
Anlage B45 zur Klageerwiderung). Die Volksgemeinschaft stellt einen Kernbegriff der
nationalsozialistischen Ideologie dar, der nicht nur die Ablehnung einer pluralistischen
Gesellschaft und die bedingungslose Unterordnung des Einzelnen, sondern insbesondere auch
die Ausgrenzung als „volksschädlich“ und „volksfremd“ definierter Personen zum Ausdruck bringt
(Urteil vom 1. September 2010 a.a.O. Rn. 21).
42 (3) Mit der nationalsozialistischen Vorstellung der Volksgemeinschaft eng verbunden ist eine
mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG unvereinbare Rassenlehre, die der Kläger
ebenfalls propagiert. Die rassistische und fremdenfeindliche Grundhaltung durchzieht die Texte,
die in den „Nachrichten der HNG“ veröffentlicht sind, und andere von führenden Personen des
Klägers herrührende Briefe, wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung eindrucksvoll
dokumentiert hat. In einer typisch nationalsozialistischen Diktion wird als zu bekämpfendes
Feindbild eine „Rassenmischung“ aufgebaut, die auf „Völkermord“ und auf eine „systematische
Ausrottung des deutschen Volkes“ ziele, wie beispielhaft in einem Beitrag in den „Nachrichten
der HNG“ mit der Aussage: „Zum Rassenmischmasch zu verleiten, ist Völkermord in großem Stil“
(Nachrichten der HNG Nr. 345 S. 20, Anlage B46 zur Klageerwiderung).
43 Nach einem Bericht über eine Jahreshauptversammlung des Klägers standen im
Vordergrund des Rechenschaftsberichts der Führung des Klägers die „talmudischen
Schandtaten des BRD-Regimes gegen gesund denkende und fühlende Deutsche“ sowie die
„unzähligen Mißhandlungen unserer Inhaftierten“, die „der bestialisch-talmudischen Schächtung
unserer Reichsregierung gleichkamen“ (Anlage B44 zur Klageerwiderung). In dem bereits
erwähnten Brief der Vorstandsmitglieder Ursula und Kurt M. an den NPD-Vorsitzenden Holger A.
heißt es in einer auch für den Nationalsozialismus typischen Diktion, mit seinen „satanisch-
genial-zerstörerischen Umerziehungsbestialitäten“ habe „der Jude das bis 1945 ethisch-ethnisch
höchststehende Volk der Erde sich selbst dermaßen angenähert, dass die Deutschen heute zu
etwa 90% Kunstjuden“ seien, „also nur noch Deutschsprachige“, es also lediglich „10% wirklich
Deutsche“ noch gebe, die „sich der Verjudung entzogen“ hätten (Anlage B15 zur
Klageerwiderung). Einher geht dies mit der Beschimpfung demokratischer Kräfte als „Judaeo-
Democraten“, die eine „politpornographische Gesinnungsdiktatur“ errichtet hätten. In einem Brief,
den die „Nachrichten der HNG“ veröffentlicht haben, heißt es bezogen auf Juden: „Solange mein
Herz noch schlägt, werde ich diese Parasiten bekämpfen.“ (Nachrichten der HNG Nr. 340 S. 9,
Anlage B29 zur Klageerwiderung).
44 Die rassistische Grundeinstellung des Klägers wird noch dadurch gesteigert, dass nicht nur
vereinzelt der Holocaust und seine Opfer durch die verunstaltenden Wendungen „Holokotz“ oder
„holokotzen“ verspottet werden. So äußert sich das Vorstandsmitglied Kurt M. in einem Brief
dahin, „die Heucheldemocratten mit ihren pharisäischen Duckmäusertiraden verursachen stets
auf´s neue einen Holokotzartigen Auswurf“ (Anlage B20 zur Klageerwiderung).
45 (4) Der Kläger lehnt die verfassungsmäßige Ordnung nicht lediglich ab, sondern nimmt ihr
gegenüber eine kämpferisch-aggressive Haltung ein, wie sie einer dem Nationalsozialismus
wesensverwandten Vereinigung eigen ist und wie sie namentlich auch hier ihren Ausdruck in
der Art findet, in der der Kläger die Demokratie verächtlich macht und seine auf Ausgrenzung
zielenden rassistischen Auffassungen propagiert.
46 Wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung zutreffend dargelegt hat, ist für den Kläger ein
Weltbild bestimmend, das von der Vorstellung beherrscht wird, von Feinden, nämlich den als
„Democröten“ verunglimpften demokratischen Kräften, besetzt und unterdrückt zu sein, gegen
die ein beständiger Kampf geführt werden muss. Der Kampf gegen diese Feinde und das von
ihnen getragene demokratische System wird als Akt des Widerstandes gesehen. Krieg und
Kampf sind die prägenden Begriffe, mit denen die Adressaten der Verlautbarungen des Klägers
bewusst radikalisiert und hierdurch in ihrer aggressiv ablehnenden Haltung gegen die freiheitlich
demokratische Grundordnung bestärkt werden sollen, die in vielen Fällen sich bereits in
einschlägigen Straftaten niedergeschlagen hat.
47 Aus den zahllosen Belegstellen, die die Beklagte angeführt hat, können als exemplarisch
einige Briefe herausgegriffen werden, die in den „Nachrichten der HNG“ veröffentlicht sind und in
denen etwa das „Schaffen von nationalen Freiräumen“ gefordert und die Hoffnung geäußert wird,
dass „mehr Menschen aus ihrem brD-Traum aufwachen und Seit an Seit mit uns gegen dieses
System kämpfen“ (Nachrichten der HNG Nr. 349 S. 8, Anlage B58 zur Klageerwiderung), oder
der Schreiber zwar „keine Hoffnung mehr auf eine politische Wende“ hat, aber trotzdem „den
Kampf gegen das Rattensystem“ fortführen will, weil es „eine Kapitulation ... niemals geben“ wird
(Nachrichten der HNG Nr. 351 S. 6, Anlage B32 zur Klageerwiderung), oder der Schreiber darauf
hinweist, „ohne Gewalt“ sei „selbst die Weimarer Republik nicht zu überwinden“ gewesen, um
dann zu fragen, wie solle „man eine ’demokratische’-Diktatur mit demokratischen Mitteln
überwinden“, und am Ende die Antwort gibt, „was wir brauchen ist einen Knall, der alles lahm
legt. Opfer müssen gemacht werden“ (Nachrichten der HNG Nr. 361 S. 7, Anlage B13 der
Klageerwiderung).
48 Die aggressiv-kämpferische Haltung des Klägers kommt ferner in einem Aufruf zum
Ausdruck, der lange Zeit in jeder Ausgabe der „Nachrichten der HNG" enthalten war. Danach
war der Kläger „bemüht, die Eingriffe des BRD-Regimes in die politischen Grundfreiheiten
nationaldenkender Menschen möglichst lückenlos zu dokumentieren“. „Um die Verantwortlichen
später einmal zur Rechenschaft ziehen zu können“, bat er um Informationen, insbesondere um
„die Namen von Staatsanwälten, Einsatzleitern der Polizei oder Richtern“. Darin liegt eine kaum
verhüllte Drohung gegenüber den Amtsträgern des demokratischen Staates. In die gleiche
Richtung geht ein in den „Nachrichten der HNG“ abgedruckter Brief, in dem der Schreiber seiner
Erwartung Ausdruck verleiht, er werde den „Machtwechsel der Nationalen“ noch miterleben,
dann werde „einigen das lachen noch vergehen“ und sie würden „alle ihre gerechte Strafe
bekommen“ (Nachrichten der HNG Nr. 301 S. 6, Anlage B10 zur Klageerwiderung). In den
„Nachrichten der HNG“ sind weitere Briefe abgedruckt, die in dieselbe Richtung zielen, wie die
Beklagte in ihrer Klageerwiderung belegt hat.
49 2. Die Zwecke und die Tätigkeit des Klägers laufen den Strafgesetzen zuwider.
50 a) Eine Vereinigung erfüllt diesen Verbotstatbestand grundsätzlich dann, wenn ihre Mitglieder
oder Funktionsträger Straftaten begehen, die der Vereinigung zurechenbar sind und ihren
Charakter prägen (hierzu Urteil vom 18. Oktober 1988 - BVerwG 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299
<306 ff.>). Darin erschöpft sich dieser Verbotstatbestand aber nicht. Er verlangt nach seinem
Wortlaut nicht, dass Mitglieder oder Funktionsträger der Vereinigung gegen Strafgesetze
verstoßen oder ihnen zuwiderhandeln. Er setzt vielmehr in einem darüber hinausweisenden
Sinne Zwecke oder Tätigkeiten voraus, die den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Den Strafgesetzen
zuwiderlaufen Zwecke und Tätigkeiten nicht nur dann, wenn unmittelbar gegen Strafgesetze
verstoßen wird, sondern auch dann, wenn Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder erleichtert
werden.
51 Mit diesem Verbotsgrund soll nicht die Verletzung der Strafgesetze durch einzelne Personen
zusätzlich vereinsrechtlich sanktioniert werden. Vielmehr soll einer besonderen Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung begegnet werden, die sich daraus ergibt, dass Straftaten in
einem vereinsmäßig organisierten Zusammenhang begangen werden. Diese Gefährdung geht
von der Vereinigung als solcher aus. Nach dem Sinn und Zweck des Verbotsgrundes laufen ihre
Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwider, wenn sie die Gefahr einer Begehung von
Straftaten bewusst hervorruft oder verstärkt oder diese Gefahr tatsächlich von ihr ausgeht.
Werden durch die Vereinigung Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder erleichtert, ist
unerheblich, ob diese Straftaten durch Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger der
Vereinigung oder durch Dritte begangen werden.
52 b) In diesem Sinne werden durch den Kläger Straftaten hervorgerufen, ermöglicht oder
erleichtert und laufen seine Zwecke und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider.
53 Der Kläger unterstützt nach seiner Satzung einen Kreis von Straftätern, die ihre Straftaten
aufgrund einer bestimmten politischen Einstellung begangen haben. Diese Einstellung teilt der
Kläger mit den verurteilten Straftätern nicht nur, sein Zweck und seine Tätigkeit sind darauf
gerichtet, diese politische Einstellung bei den von ihm unterstützten Straftätern
aufrechtzuerhalten und zu festigen. Die Unterstützung besteht nicht darin, durch allgemeine
mitmenschliche Zuwendung den Strafgefangenen das Gefängnisleben erträglich zu machen und
ihnen nach Verbüßung ihrer Strafe die Wiedereingliederung in das Leben außerhalb der
Strafanstalt zu erleichtern. Sein Zweck und seine Tätigkeit sind vielmehr darauf gerichtet, die
bereits einschlägig aktiv gewordenen Täter als Kämpfer für den von ihm propagierten Kampf
gegen das demokratische System zu erhalten, wie die seinerzeitige Vorsitzende des Klägers in
einem Beitrag für die „Nachrichten der HNG“ schreibt: „Die Aufgabenstellung für die
Kameradschaft lautet demnach: der Kampf geht weiter.“ (Nachrichten der HNG Nr. 264 S. 17,
Anlage B37 zur Klageerwiderung). Deshalb glorifiziert er diese Straftäter als
Widerstandskämpfer und ihre Straftaten als Akte des Widerstandes, wie es beispielhaft das
Vorstandsmitglied Kurt M. in einem Brief an einen Strafgefangenen zum Ausdruck bringt, in dem
er die Strafverbüßung als „nationale Ehrenhaft“ bezeichnet (Anlage B25 zur Klageerwiderung).
Der Kläger bewirkt dadurch geradezu eine Verkehrung von Recht und Unrecht, wie die Beklagte
mit Recht bemerkt. Dabei geht es nicht nur um vom Kläger so bezeichnete Propagandadelikte,
wie § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen), § 86a
StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und § 130 StGB
(Volksverhetzung), sondern ebenso um Gewaltdelikte, wie Körperverletzung, Brandstiftung und
Mordversuch, die aus politischer „nationaler“ Gesinnung heraus begangen werden.
54 Die Briefe von Strafgefangenen, die von dem Verein unterstützt werden, belegen, dass die
Aktivitäten des Vereins bei diesen Personen zur Verfestigung einer fanatisch-aggressiven
Grundhaltung führen, die weitere einschlägige Straftaten erwarten lassen. So haben die
„Nachrichten der HNG“ einen Brief veröffentlicht, in dem ein Straftäter sich rühmt: „Mich können
sie einkerkern, meine Gesinnung und meine Ideologie nicht, selbst hier im Knast, steht an erster
Stelle der Kampf, für das Blut und die Ehre und unser Vaterland. ... werde ich diesen Polizei- und
Überwachungsstaat, dieses Anti-Deutsche-System und die Pro usraelische Regierung
bekämpfen, und am Ende wird der Sieg unser sein.“ (Nachrichten der HNG Nr. 332 S. 7, Anlage
B26 zur Klageerwiderung). In einem weiteren Brief wird angekündigt, nach der Entlassung aus
der Haft wieder „aktiv am Kampf gegen das antideutsche System“ teilzunehmen und „unser Volk
von dem antideutschen System und den Blutsaugern der Nation“ zu befreien (Nachrichten der
HNG Nr. 340 S. 9, Anlage B29 zur Klageerwiderung). Die begangenen Straftaten gehören zum
Kampf gegen das abgelehnte System, den der Verein propagiert. Mit den begangenen Straftaten
identifiziert er sich. Er bestärkt die Täter darin, dass sie nur legitimen Widerstand gegen ein
illegitimes Regime, nämlich die von ihm geschmähte und verächtlich gemachte Demokratie,
geleistet haben. Das Bundesverfassungsgericht hat demgemäß zu den „Nachrichten der HNG“
festgestellt, sie seien nach Ziel und Inhalt auf die Herstellung und Verfestigung des
Zusammenhalts rechtsradikal eingestellter Straftäter ausgerichtet, wie sich unter anderem aus
der Verbreitung neonazistischer Hetzpropaganda gegen Ausländer sowie den Aufrufen zur
Unterstützung verbotener rechtsextremistischer Organisationen und zum bewaffneten Kampf
ergebe (BVerfG, Kammerentscheidung vom 29. Juni 1995 - 2 BvR 2631/94 - NStZ 1995, 613).
55 3. Das an die Feststellung des Verbotsgrundes anknüpfende Verbot des Klägers verletzt nicht
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
56 a) Richtet sich eine Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder laufen ihre
Zwecke oder ihre Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und ist sie deswegen gemäß Art. 9 Abs. 2
GG verboten, ergibt sich unmittelbar aus der Verfassung, dass die dahin gehende Feststellung
der Verbotsbehörde und die mit dieser nach § 3 VereinsG verknüpften weiteren Entscheidungen
nicht unverhältnismäßig sind. Das Bundesministerium des Innern brauchte auf der
Rechtsfolgenseite keine Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Verbots anzustellen. Die
Verbotsverfügung hat nicht die Funktion zu erfüllen, der Verbotsbehörde auf der
Rechtsfolgenseite der Norm die Ausübung von Ermessen unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen. Sie dient vielmehr - jedenfalls in der
Regel - allein dazu, aus Gründen der Rechtssicherheit klarzustellen, dass eine Vereinigung
einen oder mehrere Verbotsgründe erfüllt, und durch die entsprechende Feststellung die
gesetzlich vorgesehene Sperre für ein Vorgehen gegen den Verein aufzuheben. Den
Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist deshalb bereits
auf der Tatbestandsseite der Norm bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob die
Voraussetzungen eines Verbotsgrundes vorliegen (Urteile vom 5. August 2009 - BVerwG 6 A
3.08 - BVerwGE 134, 275 = Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 50 und vom 18. April 2012 -
BVerwG 6 A 2.10 - NVwZ-RR 2012, 648 ).
57 b) Der Ausspruch des Verbots gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG unterliegt demnach
gerichtlicher Kontrolle allein im Hinblick darauf, ob die Voraussetzungen des Vereinsverbots
erfüllt sind. Demgemäß ist unerheblich, dass der Kläger seit dem Jahr 1979 besteht, das
Bundesministerium des Innern aber erst jetzt und, wie er Kläger meint, aus allein politischen
Gründen das Verbot durch eine Verfügung konkretisiert hat (vgl. Urteil vom 13. April 1999 -
BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30 S. 15).
58 c) Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, im Hinblick auf die Bedeutung
der Vereinigungsfreiheit besondere Vorkehrungen für ein Wiederaufleben des verbotenen
Vereins - etwa durch eine Befristung des Verbots - zu treffen (Urteil vom 27. November 2002 -
BVerwG 6 A 4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 35 S. 38). Mit dem Vereinsverbot wird der
Verein aufgelöst; er erlischt mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verbots und der Anordnung
über die Einziehung seines Vermögens (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 2 Satz 1 und 3 VereinsG).
Eine Befristung des Vereinsverbots aus Gründen der Verhältnismäßigkeit war nicht erforderlich.
Die betroffenen Vereinsmitglieder können sich jederzeit zu einer neuen Vereinigung
zusammenschließen, sofern diese die verfassungswidrigen Bestrebungen des verbotenen
Vereins nicht weiterverfolgt (§ 8 Abs. 1 VereinsG).
59 4. Art. 11 EMRK und die dort gewährleistete Vereinigungsfreiheit gebieten keine
abweichende Auslegung oder Anwendung des § 3 Abs. 1 VereinsG in Verbindung mit Art. 9
Abs. 2 GG. Das Verbot des Klägers ist vielmehr mit der Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 EMRK
vereinbar, und zwar auch, soweit das Bundesministerium des Innern das Verbot darauf gestützt
hat, der Kläger richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.
60 Nach Art. 11 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht, sich frei mit anderen
zusammenzuschließen. Die Ausübung dieses Rechts darf nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK nur
Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen
Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung
der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutze der Gesundheit oder der Moral
oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
61 Das Verbot des Klägers ist zwar ein Eingriff in die Ausübung seines Rechts auf
Vereinigungsfreiheit. Dieser Eingriff ist jedoch im Sinne des Art. 11 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.
62 Die in der angefochtenen Verfügung konkretisierte Beschränkung der Vereinigungsfreiheit ist
vom Gesetz, nämlich in § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 GG
vorgesehen.
63 Sie war in einer demokratischen Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Ordnung, nämlich der
verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Grundgesetzes, notwendig (vgl. Urteil vom 13. April
1999 a.a.O. S. 16).
64 Diese Notwendigkeit kann nicht mit der Begründung in Abrede gestellt werden, ein Umsturz
der demokratischen Ordnung gerade durch die Aktivitäten des Klägers habe nicht unmittelbar
bevorgestanden. Sind die Bestrebungen einer Vereinigung gegen die Grundlagen der
demokratischen Ordnung sowie die durch diese Ordnung garantierten Rechte anderer gerichtet
und verfolgt sie diese Bestrebungen, wie dies für ein Vereinsverbot erforderlich ist, in einer
aggressiv-kämpferischen Weise, ist der Staat nicht gehalten, erst dann gegen die Vereinigung
vorzugehen, wenn sich Erfolge dieser Bestrebungen einstellen oder solche Erfolge unmittelbar
bevorstehen. Vielmehr muss der Staat vernünftigerweise in der Lage sein, solchen
Bestrebungen entgegenzutreten, bevor der Frieden in der Gemeinschaft und die Demokratie im
Land konkret gestört sind. Der Kläger ist nicht mit einer politischen Partei vergleichbar, die sich
nach den Regeln des demokratischen Prozesses an politischen Wahlen beteiligt und auf diese
Weise an die Macht strebt, um erst mit der so gewonnenen Macht ihr politisches Programm
umzusetzen und dann wesentliche Grundlagen der Demokratie zu beseitigen (vgl. hierzu EGMR
(GK), Urteil vom 13. Februar 2003 - Nr. 41 340/98; Nr. 41 342/98; Nr. 41 343/98; Nr. 41 344/98,
Refah Partisi u.a./Türkei - NVwZ 2003, 1489 Rn. 102). Für den Kläger stellt sich deshalb nicht
die Frage, ob eine Übernahme der Macht durch ihn bevorsteht. Anders als eine politische Partei
hat er nicht nur ein Programm, das er erst nach Gewinnung der politischen Macht verwirklichen
will. Er untergräbt vielmehr durch seine Aktivitäten bereits jetzt ständig die Grundlagen der
demokratischen Ordnung und stellt dadurch schon gegenwärtig eine unmittelbare Gefahr für
diese Ordnung dar. Haben derartige Bestrebungen Erfolg, kann es für eine wirksame
Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu spät sein, zumal der Erfolg von
Aktivitäten, mit denen die demokratische Ordnung untergraben werden soll, nicht in einer Weise
messbar ist, aus der sich eine Schwelle für ein Einschreiten konkret bestimmen lässt. Dies
haben die Erfahrungen mit dem Dritten Reich gezeigt. Sie haben den Verfassungsgeber deshalb
bewogen, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland auf den Grundsatz der wehrhaften
Demokratie zu gründen (zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts vgl. EGMR, Entscheidung vom
13. Februar 2007 - Nr. 30067/04, E./Deutschland - juris Rn. 33). Ihr Ausdruck ist auch Art. 9 Abs.
2 GG. Mit den Mitteln des vorbeugenden Verfassungsschutzes soll danach Bestrebungen gegen
die freiheitlich demokratische Grundordnung rechtzeitig entgegengetreten werden können.
65 Zudem dürfte der Kläger durch Art. 17 EMRK gehindert sein, sich auf den Schutz der
Konvention zu berufen. Zweck des Art. 17 EMRK ist es, soweit er sich auf Individuen und
Gruppen bezieht, zu verhindern, dass diese aus der Konvention ein Recht herleiten, eine
Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention
festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen (EGMR, Entscheidung vom 12. Juni 2012 - Nr.
31098/08, H. u.a./Deutschland - Rn. 72). Eine Vereinigung kann sich nicht auf den Schutz der
Konvention berufen, wenn ihre Führung ein politisches Konzept vertritt, das die Demokratie nicht
achtet oder deren Abschaffung sowie die Missachtung der in ihr anerkannten Rechte und
Freiheiten zum Ziel hat (EGMR, Urteil vom 13. Februar 2003 a.a.O. Rn. 98). Propagiert eine
Vereinigung - wie dies auf den Kläger zutrifft - unter anderem eine Rassenlehre, die mit dem
Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK unvereinbar ist, weist sie insbesondere eine mit dem
Nationalsozialismus wesensverwandte antisemitische Grundhaltung auf, hindert Art. 17 EMRK
die Vereinigung daran, sich auf das Recht der Vereinigungsfreiheit aus Art. 11 EMRK zu
berufen, um das Verbot der Vereinigung anzufechten, das wegen eben dieser Bestrebungen
ausgesprochen worden ist (EGMR, Entscheidung vom 12. Juni 2012 a.a.O. Rn. 72).
66 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Neumann
Büge
Dr. Graulich
Hahn
Prof. Dr. Hecker