Urteil des BVerwG vom 19.12.2012

BVerwG: unterhaltung, erneuerung, zustand, erfahrung, vergleich, werk, anwendungsbereich, bauarbeiten, zufall, kunst

BVerwG 6 B 21.12
Rechtsquellen:
TKG § 71 Abs. 2, § 72 Abs. 1 und 3
Stichworte:
Telekommunikation; Wegerecht; Kostenerstattung; Verkehrswegeunterhaltungsberechtigter;
Nutzungsberechtigter, Telekommunikationslinie; Freilegung; vorübergehende Verlegung;
Unterhaltungsmaßnahme; Änderung des Verkehrsweges.
Leitsatz:
Dem Verkehrswegeunterhaltungsberechtigten steht gegen das nutzungsberechtigte
Telekommunikationsunternehmen kein Anspruch auf Erstattung solcher Kosten zu, die ihm
dadurch entstehen, dass er im Rahmen der grundhaften Erneuerung einer Straße Maßnahmen
zur vorübergehenden Verlegung einer Telekommunikationslinie sowie Vorarbeiten, die den
Zugriff auf die Telekommunikationslinie erst ermöglichen, selbst vornimmt.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 21.12
VG Frankfurt am Main - 10.09.2009 - AZ: VG 11 K 2116/07.F(V)
Hessischer VGH - 02.03.2012 - AZ: VGH 7 A 2037/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Dezember 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Hahn
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. März 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 64 448,47 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde, mit der sich die Kläger allein auf den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache stützen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte
Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der
Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsrechtlicher Klärung bedarf. Das
Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten
Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den
Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde
muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher
revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts
führen kann (vgl. Beschluss vom 29. Juni 2011 - BVerwG 6 B 7.11 - Buchholz 421.0
Prüfungswesen Nr. 410). Daran gemessen rechtfertigen die von den Klägern aufgeworfenen und
von ihnen als rechtsgrundsätzlich angesehenen Fragen nicht die Zulassung der Revision.
2 Die von den Klägern als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, „bei welchen
Straßenbaumaßnahmen und in welcher Höhe ein Straßenbaulastträger Erschwerniskosten
gegenüber einem Telekommunikationsunternehmen geltend machen kann“, rechtfertigt die
Zulassung der Revision schon deshalb nicht, weil sie sich in dieser Allgemeinheit in einem
Revisionsverfahren nicht stellen würde. Wird die Frage unter Berücksichtigung des
Gesamtinhalts der Beschwerdebegründung sinngemäß dahingehend konkretisiert, ob der
Verkehrswegeunterhaltungsberechtigte bei der grundhaften Erneuerung einer Straße von dem
nutzungsberechtigten Telekommunikationsunternehmen die Erstattung solcher Kosten
verlangen kann, die ihm durch die nur vorübergehende Verlegung der Telekommunikationslinie
sowie durch Vorarbeiten, die den Zugriff auf die Telekommunikationslinie erst ermöglichen,
entstanden sind, fehlt ihr die für eine Zulassung erforderliche Klärungsfähigkeit in einem
Revisionsverfahren. Insoweit erweist sich die Frage nicht als „grundsätzlich“, weil sie sich ohne
Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten lässt. Nach der Zielsetzung des
Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt einer Klärung
gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist dann nicht der Fall, wenn
sich die aufgeworfene Frage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe
der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 25. August 2011 - BVerwG 6 B 16.11 - juris
Rn. 5). So liegt es hier.
3 Entgegen der Auffassung der Kläger steht ihnen als Verkehrswegeunterhaltungsberechtigten
weder unmittelbar aus § 71 Abs. 2 TKG noch aus einer analogen Anwendung dieser Vorschrift
gegen die Beklagte als nutzungsberechtigtes Telekommunikationsunternehmen ein Anspruch
auf die Erstattung solcher Kosten zu, die ihnen dadurch entstanden sind, dass sie im Rahmen
der grundhaften Erneuerung einer Straße Maßnahmen zur vorübergehenden Verlegung einer
Telekommunikationslinie sowie Vorarbeiten, die den Zugriff auf die Telekommunikationslinie
erst ermöglichen, selbst durchgeführt haben. § 71 Abs. 2 TKG bestimmt, dass der
Nutzungsberechtigte dem Unterhaltungspflichtigen die aus der Erschwerung erwachsenden
Kosten zu ersetzen hat, wenn „die Unterhaltung erschwert“ wird. Soweit die Kläger geltend
machen, der Begriff der Unterhaltung sei unter Berücksichtigung der straßenrechtlichen
Vorschriften weit auszulegen und umfasse alle Maßnahmen, die durch Instandhaltung oder
Instandsetzung die Straße in ihrem Bestand erhalten sollen oder sie ohne wesentliche
Veränderungen gegenüber dem früheren Zustand wiederherstellen oder erneuern, übersehen
sie, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 71 Abs. 2 TKG unabhängig davon, ob eine
Unterhaltungsmaßnahme vorliegt, jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn es sich um
einen Fall handelt, der von § 72 TKG erfasst wird mit der Folge, dass der Unterhaltungspflichtige
an der Durchführung der betreffenden Maßnahmen aus Rechtsgründen gehindert ist. Hierzu
gehören die hier in Rede stehenden Maßnahmen einer Freilegung und vorübergehenden
Verlegung der Telekommunikationslinie im Rahmen der grundhaften Erneuerung einer Straße.
4 Nach § 72 Abs. 1 TKG ist eine Telekommunikationslinie, soweit erforderlich, abzuändern oder
zu beseitigen, wenn sich nach ihrer Errichtung ergibt, dass sie den Widmungszweck eines
Verkehrsweges nicht nur vorübergehend beschränkt oder die Vornahme der zu seiner
Unterhaltung erforderlichen Arbeiten verhindert oder die Ausführung einer von dem
Unterhaltungspflichtigen beabsichtigten Änderung des Verkehrsweges entgegensteht. § 72 Abs.
3 TKG bestimmt, dass der Nutzungsberechtigte in allen diesen Fällen die gebotenen
Maßnahmen an der Telekommunikationslinie auf seine Kosten zu bewirken hat. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der mit § 72 Abs. 1 TKG wörtlich
übereinstimmenden Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes vom
25. Juli 1996 (BGBl I S. 1120), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl I S. 2010)
- TKG a.F. - liegt eine „Änderung des Verkehrsweges“, die eine Folgepflicht zu Lasten einer in
der Straße verlegten Telekommunikationslinie auslöst, immer dann vor, wenn in den Bestand
des Verkehrsweges baulich eingegriffen wird; darauf, ob der Verkehrsweg auf Dauer verlegt wird
oder sonst einen anderen Zustand erhält, kommt es nicht an (Urteil vom 1. Juli 1999 - BVerwG 4
A 27.98 - BVerwGE 109, 192 <197 f.>).
5 In der Rechtsprechung des Senats ist ferner geklärt, dass die mit § 72 Abs. 3 TKG wörtlich
übereinstimmende Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 3 TKG a.F., nach der der
Nutzungsberechtigte in den Fällen der Absätze 1 und 2 die gebotenen Maßnahmen an der
Telekommunikationslinie auf seine Kosten zu bewirken hat, es ausschließt, dass die Behörde,
die hinsichtlich des Verkehrsweges unterhaltungspflichtig ist, die gebotenen Arbeiten an der
Telekommunikationslinie selbst vornimmt (Beschluss vom 28. März 2003 - BVerwG 6 B 22.03 -
Buchholz 442.066 § 53 TKG Nr. 2, Rn. 5 ff.). Für den insoweit abschließenden Charakter des §
53 Abs. 3 TKG a.F. (§ 72 Abs. 3 TKG) sprechen neben Wortlaut, Gesetzessystematik und
Entstehungsgeschichte insbesondere Sinn und Zweck des § 53 Abs. 3 TKG a.F. (§ 72 Abs. 3
TKG). Diese Bestimmung ergänzt die Regelung des § 52 TKG a.F. (§ 71 TKG) über das Gebot
der Rücksichtnahme des Nutzungsberechtigten auf die Unterhaltung und den Widmungszweck
des von einer Telekommunikationslinie in Anspruch genommenen Verkehrsweges. Den
Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes über die Benutzung der Verkehrswege ist -
ebenso wie den Vorgängerbestimmungen des Telegraphenwegegesetzes - der Grundsatz zu
entnehmen, dass im Fall eines Konflikts zwischen den Interessen an der Nutzung des
Verkehrsweges durch eine Telekommunikationslinie und den von dem
Wegeunterhaltungspflichtigen repräsentierten Interessen an einer der Widmung entsprechenden
Nutzung des Verkehrsweges den zuletzt genannten Belangen der Vorrang einzuräumen ist (vgl.
Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 78.85 - BVerwGE 77, 276 <278 f.>). § 53 Abs. 3 TKG a.F.
(§ 72 Abs. 3 TKG) setzt diesen Grundsatz in seinem Anwendungsbereich in der Weise um, dass
er im Interesse der Allgemeinheit an dem Weg als Verkehrsvermittler eine Pflicht begründet, die
Telekommunikationslinie anzupassen. Damit geht das Interesse einher, dass die insoweit
gebotenen Arbeiten sachgerecht ausgeführt werden. Indem § 53 Abs. 3 TKG a.F. (§ 72 Abs. 3
TKG) ausschließlich den zur Nutzung des Verkehrsweges mit einer Telekommunikationslinie
Berechtigten verpflichtet und berechtigt, die gebotenen Maßnahmen ins Werk zu setzen, verfolgt
er auch den Zweck, dass die gebotenen Arbeiten sachgerecht durchgeführt werden. Für den
abschließenden Charakter der Regelung spricht daher auch, dass der Nutzungsberechtigte im
Vergleich zum Verkehrswegeunterhaltungspflichtigen über größere Erfahrung und Sachkunde
im Zusammenhang mit Arbeiten an Telekommunikationslinien verfügt.
6 Hiervon ausgehend hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht angenommen, dass die
Änderungs- und Beseitigungspflicht nach § 72 Abs. 1 TKG vor dem Hintergrund des öffentlichen
Interesses an einer sachgerechten Ausführung der Arbeiten und der Privilegierung des
Nutzungsberechtigten durch die unentgeltliche Einräumung des Nutzungsrechts weit zu
verstehen ist und auch die - notwendig mit einem Zugriff auf die Linie selbst verbundene -
vorübergehende Verlegung der Telekommunikationslinie sowie - den Zugriff auf die
Telekommunikationslinie erst ermöglichende - Vorarbeiten erfassen muss. Es wäre nicht
nachvollziehbar, diese Arbeiten trotz des damit verbundenen unmittelbaren Zugriffs auf die
Telekommunikationslinie insoweit anders zu behandeln als deren dauerhafte Verlegung oder
Entfernung.
7 Die Beschwerde zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine andere Beantwortung der
sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage rechtfertigen würden. Entgegen dem
Beschwerdevorbringen widerspricht es nicht der gesetzlichen Systematik, dass der
Nutzungsberechtigte „Erschwerniskosten“ nach § 71 Abs. 2 TKG bei „reinen
Unterhaltungsmaßnahmen“, nicht aber bei einer § 72 TKG unterfallenden Änderung des
Verkehrsweges tragen müsse. Auch nach § 72 Abs. 3 TKG besteht eine umfassende
Kostentragungspflicht des Nutzungsberechtigten, allerdings unter der Voraussetzung, dass der
Nutzungsberechtigte die Maßnahmen an der Telekommunikationslinie selbst bewirkt. Der
Hinweis der Beschwerde, dass sich wegen der ungenauen Lagebezeichnungen der
Telekommunikationslinien in aller Regel erst während der Bauarbeiten herausstelle, ob und in
welchem Umfang eine Verlegung von Kabeln erforderlich sei, und es letztlich vom Zufall
abhänge, ob die Mehrkosten, die dadurch entstünden, dass in unmittelbarer Nähe der
Telekommunikationslinie zur Vermeidung von Beschädigungen nicht mit schweren Maschinen
gearbeitet werden könne, vom Straßenbaulastträger oder vom Telekommunikationsunternehmen
zu tragen wären, kann der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen nicht entgegengehalten
werden. Bestehen Unsicherheiten darüber, ob eine Telekommunikationslinie im Rahmen der
beabsichtigten Straßenbaumaßnahmen zu verlegen sein wird, ist es nach der gesetzlichen
Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen Sache des Wegeunterhaltungspflichtigen, von dem
Nutzungsberechtigten die Freilegung und gegebenenfalls vorübergehende Verlegung der
Telekommunikationslinie auf dessen Kosten zu verlangen und gegebenenfalls durch
Verwaltungsakt oder im Wege gerichtlichen Rechtsschutzes durchzusetzen (vgl. Beschluss vom
28. März 2003, a.a.O., Rn. 9).
8 Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene weitere Frage, in welchem Umfang seitens
der Beklagten Erschwerniskosten bei grundhaften Erneuerungen einer Straße zu erstatten sind,
ist nicht entscheidungserheblich, da die Kostenerstattungspflicht nach dem rechtlichen Ansatz
des Verwaltungsgerichtshofs schon dem Grunde nach nicht besteht.
9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. Abs. 3 GKG.
Neumann
Dr. Graulich
Hahn