Urteil des BVerwG vom 07.11.2006

BVerwG (arzneimittel, versandhandel, apotheke, aufschiebende wirkung, verkehr, ware, zustellung, verfügung, filiale, bekanntmachung)

Rechtsquellen:
AMG
§ 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 69 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1a, § 4 Abs. 17
ApoG
§ 11a
ApBetrO § 24
Stichworte:
Arzneimittel; Arzneimittelversand; Versandapotheke; Versandhandel mit Arz-
neimitteln; Apothekenpflicht; Rezeptsammelstellen.
Leitsatz:
Der in § 43 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG zugelassene Ver-
sandhandel mit Arzneimitteln setzt nicht voraus, dass die bestellten Medika-
mente dem Endverbraucher an seine Adresse zugestellt werden. Der Versand
kann auch durch Übersendung an eine in einem Gewerbebetrieb eingerichtete
Abholstation erfolgen, in der die Arzneimittelsendung dem Kunden ausgehän-
digt wird.
Überschreitet das in den Vertrieb eingeschaltete Unternehmen die Funktion des
Transportmittlers und erweckt es den Eindruck, die Arzneimittel würden von
ihm selbst abgegeben, handelt es sich nicht mehr um einen Arzneimittelver-
sand durch eine Apotheke im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG.
Das Verbot der Einrichtung von Rezeptsammelstellen (§ 24 ApBetrO) betrifft
nicht das Einsammeln von Medikamentenbestellungen im Rahmen des Ver-
sandhandels mit Arzneimitteln.
Urteil des 3. Senats vom 13. März 2008 - BVerwG 3 C 27.07
I. VG Düsseldorf vom 15.02.2006 - Az.: VG 16 K 5720/04 -
II. OVG Münster vom 07.11.2006 - Az.: OVG 13 A 1314/06 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
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URTEIL
BVerwG 3 C 27.07
OVG 13 A 1314/06
Verkündet
am 13. März 2008
Bech
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler
und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 7. November 2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Aufgrund einer Kooperationsvereinbarung mit der … (…), die in den Niederlan-
den eine Präsenz- und Versandapotheke unterhält, richtete die Klägerin, die in
Deutschland eine Drogeriemarktkette betreibt, im Juni 2004 in acht ihrer Filialen
in Düsseldorf und anderen Städten des Rheinlandes einen Bestell- und Abhol-
service für Arzneimittel ein. Dieser Service funktioniert wie folgt: Der Kunde füllt
einen in der jeweiligen Filiale erhältlichen, an die … adressierten Bestellschein
aus, in dem er neben seiner Adresse die gewünschten verschreibungspflichti-
gen oder nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel angibt und durch Ankreu-
zen bestimmt, ob die Lieferung an die von ihm angegebene Adresse oder an
die Filiale erfolgen soll. Er trennt dann den Abholschein vom Bestellschein ab.
Den Bestellschein steckt er - gegebenenfalls mit der Verschreibung - in eine
Bestelltasche, klebt diese zu und wirft sie in eine in der Filiale befindliche ver-
schlossene Sammelbox, auf die durch Plakate der … hingewiesen wird. Die
Bestelltaschen werden von sog. …-Beauftragten, bei denen es sich um Ange-
stellte der Klägerin handelt, die sich persönlich gegenüber der … verpflichtet
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haben, entnommen, gezählt und in einem undurchsichtigen Spezialumschlag
einem Kurierfahrer übergeben, der diesen zur … bringt. Dort werden die Bestel-
lungen auf Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie auf Arzneimittel-
missbrauch überprüft. Zudem wird geprüft, ob die Verschreibungen gefälscht
sind. Die Endkontrolle der zu versendenden Arzneimittel erfolgt durch einen
Apotheker. Danach werden die Arzneimittelsendungen einem Logistikunter-
nehmen übergeben, das sie zu den Filialen der Klägerin transportiert. Je Filiale
wird ein Warenbegleitschein erstellt, der u.a. die Zahl der dort abzuliefernden
Arzneimittelsendungen benennt. Die jeweilige Sendung ist lediglich mit dem
Namen und der Adresse des Kunden sowie der Filiale und deren Adresse be-
schriftet. Das Filialpersonal bestätigt den Empfang der Sendungen durch Un-
terschrift auf dem Warenbegleitschein, der zur … zurückgesandt wird. Die Arz-
neimittelsendungen werden getrennt von den sonstigen Waren in einem gesi-
cherten Lager der jeweiligen Filiale bis zur Abholung aufbewahrt. Der …-
Beauftragte händigt dem Kunden die bestellte Ware nach Vorzeigen des Ab-
holscheins und seines Personalausweises aus. Der Kunde begleicht die der
Ware beigefügte Rechnung der … per Überweisung oder Bankeinzug. In den
Filialen der Klägerin erfolgt keine Beratung. Der Kunde hat dort aber die Mög-
lichkeit, kostenfrei über eine Service-Hotline die … anzurufen.
Durch Ordnungsverfügung vom 11. August 2004 untersagte der Beklagte, der
durch die Bezirksregierung Düsseldorf zur gemeinsam zuständigen Behörde
bestimmt worden war, der Klägerin,
1. apothekenpflichtige Arzneimittel für den Endverbrauch
entgegen § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) in ihren
Filialen in den Verkehr zu bringen,
2. sich in ihren Filialen durch Kooperation mit der … an
einem rechtswidrigen Verbringen zulassungspflichtiger
Arzneimittel entgegen § 73 Abs. 1 AMG in die Bundesre-
publik Deutschland zu beteiligen,
3. am Verkehr mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln für
den Endverbrauch teilzunehmen, indem sie in ihren Filia-
len berufs- und gewerbsmäßig Verschreibungen entgegen
den Bestimmungen des Siebten Abschnitts des AMG
sammelt.
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Der Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung seines Bescheides an und gab
der Klägerin auf, die untersagten Handlungen unverzüglich nach Zustellung der
Verfügung einzustellen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte er Zwangs-
gelder von insgesamt 17 000 € an. Er begründete den Bescheid damit, die Klä-
gerin verstoße gegen § 43 Abs. 1 und 3 AMG. In ihren Filialen würden Arznei-
mittel in den Verkehr gebracht, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten sei.
Ob ein Inverkehrbringen in diesem Sinne vorliege, werde durch die Ver-
kehrsauffassung bestimmt. Die Filialen der Klägerin stellten sich dem Verbrau-
cher gegenüber als Einzelhandel mit diversen Produkten dar, nicht jedoch als
Boten. Die Kooperation der Klägerin mit der … verstoße auch gegen § 73
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG i.V.m. § 11a und 11b ApoG. Die Auslieferung von
Arzneimitteln der … über die Filialen der Klägerin an den Endverbraucher erfol-
ge entgegen § 11a Satz 1 Nr. 2 lit. b ApoG nicht an eine vom Auftraggeber na-
mentlich benannte natürliche Person oder einen benannten Personenkreis,
sondern an einen Gewerbebetrieb, nämlich an eine der Filialen der Klägerin.
Die Arzneimittel würden dem Besteller nicht zugestellt, sondern müssten in ei-
nem Gewerbebetrieb abgeholt werden. Demgegenüber zeige die Forderung
einer kostenlosen Zweitzustellung in § 11a Satz 1 Nr. 3 lit. d ApoG, dass der
Gesetzgeber von der Notwendigkeit einer Zustellung ausgegangen sei. Die
Klägerin leiste durch ihre Kooperation mit der … einem Verstoß gegen § 73
Abs. 1 AMG Vorschub. Sie sei daher als Mitstörerin zu betrachten, der die Be-
teiligung entsprechend zu untersagen sei. Schließlich sei im Siebten Abschnitt
des Arzneimittelgesetzes umfassend und abschließend geregelt, wer in welcher
Weise berechtigt sei, am Verkehr mit Arzneimitteln teilzunehmen. Auf Ver-
schreibung dürften Arzneimittel nach § 43 Abs. 3 Satz 1 AMG nur von Apothe-
ken abgegeben werden. Die Verschreibung müsse der Apotheke vorgelegt
werden. Die Vorlagepflicht diene dem in § 1 AMG normierten Zweck, im Sinne
einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit im Verkehr
mit Arzneimitteln zu sorgen. Anderen als den im Siebten Abschnitt des Arznei-
mittelgesetzes genannten Verkehrskreisen, mithin auch der Klägerin, sei die
Teilnahme am Verkehr mit Arzneimitteln nicht erlaubt. Dieses Verbot finde auch
dadurch seine Bestätigung, dass es selbst Apotheken ausdrücklich verboten
sei, entgegen § 24 ApBetrO Verschreibungen in Gewerbebetrieben zu sam-
meln.
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Der Antrag der Klägerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen
die Verfügung wiederherzustellen, blieb zunächst ohne Erfolg (OVG NRW, Be-
schluss vom 19. August 2005 - 13 B 426/05). Ihren Widerspruch wies die Be-
zirksregierung Düsseldorf mit Bescheid vom 3. Dezember 2004 zurück.
Mit ihrer bereits zuvor erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Ord-
nungsverfügung sei zu unbestimmt, weil sie nicht konkret angebe, welche
Handlungsweisen verboten würden. Im Übrigen lägen die ihr vorgeworfenen
Gesetzesverstöße nicht vor, weil sie lediglich eine Transportfunktion im Rah-
men des von der … zulässigerweise betriebenen Versandhandels mit Arznei-
mitteln wahrnehme. Das in § 24 ApBetrO enthaltene Verbot von Rezeptsam-
melstellen finde im Rahmen des Versandhandels keine Anwendung. Die ver-
schlossene Box zur Aufnahme der Bestellungen in ihren Filialen habe keine
andere Funktion als ein Briefkasten bei der Versandbestellung per Post.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 15. Februar 2006 ab-
gewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht diese
Entscheidung durch Urteil vom 7. November 2006 geändert und die Ziffern 1, 2
und 3 der Ordnungsverfügung des Beklagten sowie die hierauf bezogenen
Zwangsgeldandrohungen aufgehoben. Dazu hat es ausgeführt, die Ordnungs-
verfügung sei hinreichend bestimmt, weil die Klägerin aus der Begründung so-
wie den gesamten Umständen eindeutig habe entnehmen können, welche Ver-
haltensweisen untersagt werden sollten. Die Verfügung sei aber rechtswidrig,
weil die der Klägerin vorgeworfenen Gesetzesverstöße nicht vorlägen. Das gel-
te in erster Linie für den in Ziffer 2 der Verfügung enthaltenen Kernvorwurf, die
… verstoße mit ihrem Vertriebssystem gegen § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG.
Dieses System stelle eine Form des in der genannten Vorschrift zugelassenen
Versandhandels dar und sei damit zulässig. Die … sei zum Versandhandel be-
rechtigt, weil das Unternehmen eine Präsenzapotheke betreibe, nach nieder-
ländischem Recht eine Versandhandelserlaubnis habe und der Sicherheits-
standard für den Versandhandel mit Arzneimitteln in den Niederlanden aus-
weislich einer Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit und
Soziale Sicherung vom 16. Juni 2005 (BAnz 2005 Nr. 113 S. 9366) dem deut-
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schen Standard entspreche. Der Begriff des Versandes bzw. des Versandhan-
dels, der im Gesetz nicht definiert sei, müsse im Hinblick auf die bestehenden
Verhältnisse weit interpretiert werden. Zwar sei herkömmlich der Begriff des
Versandhandels durch die Zustellung der Ware in der Wohnung oder der Ar-
beitsstelle des Empfängers geprägt worden. Für den Fall, dass der Kunde nicht
angetroffen werde, sei aber schon immer die Deponierung der Sendung bei
einer Abholstelle (in der Regel der Post) möglich und üblich gewesen. Zwi-
schenzeitlich hätten sich weitere Versandhandelsformen entwickelt, die im Ge-
gensatz zum Versandhandel im herkömmlichen Sinn gerade auf dem Prinzip
der Abholung der Ware durch den Kunden basierten. So habe sich in erhebli-
chem Umfang ein System von Abholpunkten (sog. Pick Points) etabliert. Als
Abholpunkte fungierten in der Regel Gewerbebetriebe mit langen Öffnungszei-
ten. In diesen Rahmen gehörten auch die Paketstationen der Post. Das Abhol-
verfahren präge demnach in zunehmendem Maße den Versandhandel. Es tra-
ge den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung. Wortlaut, Sys-
tematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der durch Art. 20 ff. des
GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 (BGBl I S. 2190,
2249 ff.) eingefügten Bestimmungen über den Versandhandel mit Arzneimitteln
stünden dem weiten Begriffsverständnis nicht entgegen. Im Hinblick auf die
verfassungsrechtliche Gewährleistung der Berufsfreiheit sei es geboten, weil
das streitige Vertriebssystem unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicher-
heit keinerlei Nachteile gegenüber einem Versandhandel mit Zustellung an die
Anschrift des Empfängers habe. Auch andere Gründe, die ein Verbot dieser
Versandhandelsform im Hinblick auf Arzneimittel rechtfertigen könnten, seien
nicht gegeben. Damit entfalle auch der in Ziffer 1 der Verfügung angenommene
Verstoß gegen § 43 Abs. 1 AMG, da diese Bestimmung den Versandhandel
ausdrücklich zulasse. Das Verbot von Rezeptsammelstellen in § 24 ApBetrO
sei ebenfalls nicht verletzt, weil das Einsammeln von Bestellungen und Rezep-
ten ein typisches Element des Versandhandels mit Arzneimitteln sei und kein
Grund bestehe, gerade die hier streitige Form des Einsammelns zu verbieten.
Neben dem Fehlen der materiellen Eingriffsvoraussetzungen sieht das Beru-
fungsgericht die angefochtene Verfügung auch deshalb als rechtswidrig an,
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weil der Beklagte von seinem ihm in § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG eingeräumten
Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe.
Durch Beschluss vom 27. Dezember 2006 hat das Berufungsgericht die auf-
schiebende Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügung wiederher-
gestellt. Daraufhin haben die … und die Klägerin ihre zeitweilig unterbrochene
Kooperation in der bisherigen Weise wieder aufgenommen.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte, das Berufungsgericht habe die §§ 43
und 73 AMG, § 11a ApoG und § 24 ApBetrO unrichtig angewandt. Entspre-
chend der Systematik der angefochtenen Verfügung müsse jedes der drei strei-
tigen Verbote eigenständig auf seine Rechtmäßigkeit geprüft werden. Zu Recht
sei der Klägerin in Ziffer 1 der Verfügung untersagt worden, apothekenpflichtige
Arzneimittel für den Endverbrauch entgegen § 43 Abs. 1 AMG in ihren Filialen
in Verkehr zu bringen. Zwar bringe nicht die Klägerin die Arzneimittel in den
Verkehr, da dazu auch die Übertragung der Verfügungsbefugnis als rechtlicher
oder rechtsähnlicher Akt gehöre und diese unmittelbar von der … auf den Kun-
den übergehe. Die Klägerin betreibe aber entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2 AMG
Handel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken. Außerdem liege ein Ver-
stoß gegen § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG insoweit vor, als die Arzneimittel nicht in
einer - erlaubten - Apotheke in den Verkehr gebracht würden. Schließlich liege
ein Verstoß gegen § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG auch darin, dass die Klägerin uner-
laubt eine Apotheke betreibe, da die planmäßige Lagerung und Aushändigung
der apothekenpflichtigen Arzneimittel in den Filialen der Klägerin diese zu Apo-
theken im funktionalen Sinne mache. Das Vertriebssystem, in das die Klägerin
einbezogen sei, stelle keinen Versand im Sinne der genannten Bestimmung
dar. Wesentliches Merkmal des Versandes sei die Abgabe außerhalb ortsfester
Einrichtungen im Zuge des Transports an aus Sicht des Absenders ständig
wechselnden zum (Lebens- oder Arbeits-)Bereich des Bestellers gehörenden
Orten. Das ergebe sich aus den Qualitätsanforderungen, die der Arzneimittel-
versandhändler nach § 11a Satz 1 Nr. 2 und 3 ApoG im Rahmen eines Quali-
tätssicherungssystems sicherzustellen habe. Insbesondere die Bestimmung,
dass eine kostenfreie Zweitzustellung veranlasst werden müsse, zeige, dass
der Gesetzgeber von einer Auslieferung durch Zustellung an den Kunden aus-
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gegangen sei. Durch die Zulassung des Versandhandels hätten die Standards
der Arzneimittelversorgung nicht verändert und vor allem nicht eingeschränkt
werden sollen. Die Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit seiner
Bürger nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebiete eine möglichst einengende Ausle-
gung der Bestimmungen des Inverkehrbringens von Arzneimitteln im Wege des
Versandes. Dem genüge das von der Klägerin praktizierte Verfahren nicht. Für
das ortsfeste Inverkehrbringen apothekenpflichtiger Arzneimittel in den Filialen
der Klägerin bestehe weder eine behördliche Erlaubnis noch existierten hierfür
gesetzliche Standards. Folglich könne auch die Einhaltung gesetzlicher Stan-
dards weder behördlich überwacht noch behördlich durchgesetzt werden. Die
von der Klägerin und der … getroffenen Vereinbarungen über die Behandlung
der auszugebenden Arzneimittelsendungen könnten jederzeit verändert werden
und böten keinerlei dauerhafte Gewähr für die Wahrung der Arzneimittelsicher-
heit.
Auch die Ziffer 2 der Ordnungsverfügung sei rechtmäßig. Der Versand von
Arzneimitteln durch die … nach Deutschland verstoße gegen § 73 Abs. 1 Nr. 1a
AMG. Die … sei nicht versandberechtigt, weil sie keine deutsche Erlaubnis zum
Versandhandel mit Arzneimitteln besitze und der Qualitätsstandard des Ver-
sandhandels in den Niederlanden dem deutschen nicht entspreche; die Be-
kanntmachung des Bundesministers für Gesundheit und Soziale Sicherung
nach § 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG über die Vergleichbarkeit der Sicherheitsstan-
dards sei falsch. Schließlich sei auch die Ziffer 3 der Verfügung gerechtfertigt,
weil die Erlaubnispflicht von Rezeptsammelstellen durch Gesichtspunkte der
Arzneimittelsicherheit getragen werde. Solche Stellen seien mit dem Risiko be-
haftet, dass keine regelmäßige Leerung erfolge oder die Vertraulichkeit nicht
gewahrt werde.
Zu Unrecht habe das Berufungsgericht eine Ermessensfehlerhaftigkeit der Be-
scheide angenommen. § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG räume der zuständigen Behör-
de kein Entschließungsermessen ein. Im Übrigen habe bei derart schwerwie-
genden und umfangreichen Verstößen gegen das Arzneimittelrecht keine ande-
re Möglichkeit als das Verbot bestanden.
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Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt
sich am Verfahren. In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Ge-
sundheit trägt er vor, im Lichte des seit dem 1. Januar 2004 zulässigen Ver-
sandhandels mit Arzneimitteln bestehe hinsichtlich der Regelung über Rezept-
sammelstellen Klarstellungsbedarf. Deren Verbot basiere auf dem Grundge-
danken, dass Arzneimittel grundsätzlich persönlich in Apotheken abgeholt wer-
den müssten. Diese Prämisse sei entfallen. Das Ministerium prüfe deshalb eine
Lockerung des bestehenden Verbotes. Es sei auch fraglich, ob das Verbot
nach § 24 ApBetrO auf das Vertriebskonzept der Klägerin anwendbar sei.
Grundsätzlich sei allerdings zu bedenken, dass apothekenpflichtige Arzneimittel
Waren mit besonderem Charakter darstellten. Für den Kunden solle deutlich
sein, dass er mit einem apothekenpflichtigen Arzneimittel ein Produkt erwerbe,
das lediglich der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit diene. Um
diesem Ziel zu entsprechen, sei in das Arzneimittelgesetz die Apothekenpflicht
einschließlich pharmazeutischer Beratung aufgenommen worden. Nur durch
Apotheker oder entsprechende Apothekenmitarbeiter könne der Patient umfas-
send beraten werden. Dies gelte für Präsenz- und Versandapotheken. Erhalte
der Kunde apothekenpflichtige Arzneimittel dort, wo er auch Gegenstände des
täglichen Bedarfs, Lebensmittel, Genussmittel etc. bekomme, so bestehe die
Gefahr, dass er den besonderen Charakter von Arzneimitteln verkenne und in
der Konsequenz eine pharmazeutische Beratung nicht mehr für erforderlich
halte. Durch diese Einschätzung und die Möglichkeit, sich alle Waren ungehin-
dert aus allen Quellen und möglichst zum geringsten Preis beschaffen zu kön-
nen, sei die Arzneimittelsicherheit gefährdet und ein zweckwidriger Anstieg des
Arzneimittelkonsums zu befürchten. Eine ungeregelte Ausweitung der Ver-
triebswege und -formen, z.B. bei der Unterhaltung von Rezeptsammelstellen in
Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe, werde daher im Ein-
vernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit als sehr bedenklich
angesehen.
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Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundes-
recht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Grundlage der angefochtenen Untersagungsverfügung ist § 69 Abs. 1 Satz 1
AMG. Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestell-
ter Verstöße oder die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anord-
nungen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zu den Verstößen,
die hiernach die zuständigen Behörden zum Eingreifen ermächtigen, neben der
Missachtung arzneimittelrechtlicher Vorschriften auch die Verletzung apothe-
kenrechtlicher Bestimmungen gehört (Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG
3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141 <142>). Das rechtfertigt jedoch den angefochte-
nen Bescheid nicht, denn die der Klägerin untersagte Beteiligung am Arzneimit-
telvertrieb stellt keinen derartigen Verstoß dar. Er ist daher vom Berufungsge-
richt zu Recht aufgehoben worden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG dürfen Arzneimittel, die nicht für den Verkehr
außerhalb der Apotheken freigegeben sind, außer in den hier nicht interessie-
renden Fällen des § 47 AMG berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch
nur in Apotheken und ohne behördliche Erlaubnis nicht im Wege des Versan-
des in den Verkehr gebracht werden. Es steht außer Frage, dass die von der …
gelieferten Arzneimittel in den Filialen der Klägerin für den Endverbrauch in den
Verkehr gebracht werden. Hierzu gehört auch die Abgabe an andere (§ 4
Abs. 17 AMG), also die Besitzeinräumung im Sinne einer Übertragung der tat-
sächlichen Verfügungsgewalt (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 4 AMG
Anm. 57; Rehmann, Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2003, § 4 Rn. 19) an den Emp-
fänger der Sendung. Entgegen der Ansicht des Beklagten geschieht dies je-
doch „im Wege des Versandes“.
a) Der Begriff des Versandes und des Versandhandels (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1a AMG) setzt nicht voraus, dass die Ware individuell an die Anschrift des
Empfängers zugestellt wird. Vielmehr umfasst der Begriff auch die Auslieferung
der bestellten Ware über eine Abholstation.
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Diese weite Auslegung ist vom natürlichen Wortsinn des Versandhandels um-
fasst. So definiert die Brockhaus-Enzyklopädie den Versandhandel als eine
Form des Direktvertriebs, bei der Einzel- und Großhandelsbetriebe, aber auch
Hersteller ihre Angebote durch Kataloge, Prospekte, Anzeigen, elektronische
Medien oder Außendienstmitarbeiter (i.d.R. Sammelbesteller oder Vertreter im
Nebenberuf) abgeben und die schriftlich, telefonisch, elektronisch oder münd-
lich bestellten Waren den Käufern durch Transportunternehmen oder eigene
Transportmittel zustellen, unter Umständen über Kontaktstellen (Brockhaus,
21. Aufl. 2005, Stichwort „Versandhandel“). Damit stimmt die Feststellung des
Berufungsgerichts überein, dass Logistikunternehmen zunehmend Abholstatio-
nen eingerichtet haben, bei denen die Kunden die bestellten Waren ohne vor-
herigen Zustellungsversuch abholen können; so auch die Deutsche Post.
Geschichte und Systematik des Gesetzes sprechen nicht zwingend für eine
engere Auslegung. Zwar dürfte der Gesetzgeber von dem „klassischen“ Ver-
sandhandelsmodell mit individueller Zustellung ausgegangen sein; doch hat er
seine Regelung nicht auf dieses Modell beschränkt. So heißt es in der Geset-
zesbegründung, der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln
komme auch dem Anliegen der Verbraucher wie chronisch kranken, immobilen
Patienten, älteren Bürgern, Berufstätigen oder Kunden mit größeren Entfernun-
gen zur nächsten Apotheke sowie der häuslichen Pflege von Patienten entge-
gen (BTDrucks 15/1525 S. 165). Es liegt auf der Hand, dass den Bedürfnissen
der genannten Patientengruppen nur ein Versandhandel mit individueller Zu-
stellung gerecht wird. Umgekehrt ist die gleichzeitig erwähnte Gruppe der Be-
rufstätigen eher an einer Versendungsform mit eigener Abholung interessiert.
Der Verweis auf immobile Patienten bedeutet daher nicht, dass diese Gruppe
allein das Bild des gesetzlich zugelassenen Versandhandels maßgeblich prä-
gen sollte. Ähnlich liegt es mit Blick auf § 11a Satz 1 Nr. 3 Buchst. d ApoG. Mit
dieser Vorschrift wurde dem Versandapotheker aufgegeben sicherzustellen,
dass eine kostenfreie Zweitzustellung veranlasst werde. Die Regelung gilt für
den Fall, dass eine individuelle Zustellung vereinbart worden ist; sie lässt hin-
gegen nicht erkennen, dass der Besteller nicht auch von vornherein auf eine
individuelle Zustellung verzichten und die Abholung an einer Abholstation ver-
einbaren dürfte.
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Gegen eine einengende Auslegung sprechen aber Sinn und Zweck des Geset-
zes. Eines der wichtigsten mit der Freigabe des Versandhandels verfolgten Zie-
le war die Erschließung von Einsparpotentialen (BTDrucks 15/1525 S. 75). Die-
se Zielsetzung spricht für den vom Berufungsgericht vertretenen weiten Ver-
sandbegriff; denn die Zustellung an eine individuelle Anschrift ist naturgemäß
aufwendiger als die Bereitstellung zur Abholung an einer Abholstation. Das wird
durch die weitere Absicht des Gesetzgebers, einen Service entsprechend den
individuellen Bedürfnissen der Kunden zu ermöglichen (BTDrucks 15/1525
S. 165), zusätzlich gestützt. Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin,
dass viele Kunden aus beruflichen oder privaten Gründen während der norma-
len Zustellzeiten zu einer Entgegennahme der bestellten Ware nicht in der La-
ge sind. Da sich der konkrete Zustellzeitpunkt regelmäßig nicht vorher festlegen
lässt, ist das Risiko erfolgloser Zustellversuche sehr groß. Es kommt daher den
individuellen Bedürfnissen vieler Kunden entgegen, nicht auf eine Zustellung
warten zu müssen, sondern die bestellte Ware zu einem selbst gewählten Zeit-
punkt an einer leicht erreichbaren Stelle abholen zu können.
Die Belange des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit (vgl.
BTDrucks 15/1525 S. 75) sprechen nicht gegen, sondern für den weiten Ver-
sandhandelsbegriff. Die Lagerung der bestellten Arzneimittel bei der Klägerin
bis zur Abholung durch den Besteller erscheint gegenüber der Individualzustel-
lung nicht als weniger sicher. Die Arzneimittelsendungen werden in der Filiale
der Klägerin in einem gesicherten Raum - von anderen Waren gesondert - ge-
lagert. Die Ausgabe erfolgt durch speziell beauftragtes Personal nach Prüfung
der Identität des Abholers anhand der Abholkarte und des Personalausweises.
Die Gefahr, dass die Ware verwechselt oder an Unbefugte ausgegeben wird,
ist jedenfalls nicht größer als beim Transport und der Auslieferung durch ein
Postdienstleistungsunternehmen. Im Übrigen ist der Verordnungsgeber er-
mächtigt, ergänzende Vorschriften für den Versandhandel mit Arzneimitteln aus
Gründen der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes zu erlassen
(§ 21 Abs. 2 Nr. 1a ApoG).
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Der Hinweis des Vertreters des Bundesinteresses auf die Gefahr eines unkriti-
schen Arzneimittelkonsums kann nicht zu einer anderen Auslegung führen. Die
Ausgabe in einem Drogeriemarkt verwischt nicht an und für sich schon die Be-
sonderheit der Ware Arzneimittel; die Klägerin trifft vielmehr geeignete Vorkeh-
rungen, um ihre Abholstation für Arzneimittel von ihrem eigenen Warenangebot
zu unterscheiden. Bei dieser Sachlage besteht auch nicht die Gefahr, dass der
Patient den Beratungsbedarf unterschätzt und zu einem unkritischen Arzneimit-
telkonsum veranlasst wird. Mit der Einführung des Versandhandels mit Arznei-
mitteln hat der Gesetzgeber bewusst die Inanspruchnahme der Beratung durch
den Apotheker in die freie Entscheidung des Patienten gestellt (vgl. Urteil vom
14. April 2005 - BVerwG 3 C 9.04 - BVerwGE 123, 236 <240>). Dementspre-
chend hat die Klägerin an ihren Abholstationen ein Beratungstelefon eingerich-
tet, welches den Patienten auf Wunsch mit der …-Versandapotheke verbindet.
Schließlich erfordert auch die Absicht des Gesetzgebers, faire Bedingungen für
den Wettbewerb von Versandapotheken mit Präsenzapotheken zu schaffen
(BTDrucks 15/1525 S. 75), keine einschränkende Auslegung des Versandbe-
griffs. Richtig ist, dass der Apotheker in seiner Apotheke nur ein begrenztes
Warensortiment anbieten darf (§ 25 ApBetrO), während die Klägerin insoweit
keinen Beschränkungen unterliegt. Jedoch darf zum einen nicht übersehen
werden, dass die Versandapotheke denselben Einschränkungen unterliegt;
denn nur der Betreiber einer Präsenzapotheke kann auch eine Versandhan-
delserlaubnis erhalten (§ 11a ApoG). Damit soll sichergestellt werden, dass der
Apotheker über seinem Erwerbsstreben seine Hauptaufgabe nicht aus den Au-
gen verliert, für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung dazusein; das gilt
für den Versandapotheker gleichermaßen. Zum anderen weist das Vertriebs-
konzept der Klägerin gegenüber der Präsenzapotheke auch deutliche Nachteile
auf. Während die Präsenzapotheke die gängigen Arzneimittel zur sofortigen
Mitnahme bereithält, muss der Patient die Filiale der Klägerin mindestens
zweimal - zum Bestellen und zum Abholen - betreten. Außerdem dauert die
Beschaffung länger als selbst bei einem in der Präsenzapotheke nicht vorräti-
gen Medikament.
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Insgesamt rechtfertigen die Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, den
Arzneimittelversand zuzulassen, keine Einschränkung auf die Versandform der
Individualzustellung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine solche Einschrän-
kung einen Eingriff in das grundgesetzlich verbürgte Recht der Berufsfreiheit
darstellen würde (Art. 12 Abs. 1 GG), für die triftige Gründe des Gemeinwohls
nicht ersichtlich sind.
b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede beliebige Form der Beteiligung ei-
nes Drogeriemarktes am Arzneimittelvertrieb durch den Begriff des Versand-
handels gedeckt wäre. Vielmehr folgt aus § 11a Abs. 1 Satz 1 ApoG, auf den
§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG verweist, dass die Zulassung des Versandhandels mit
Arzneimitteln die Apothekenpflichtigkeit dieser Produkte nicht aufhebt. Die Er-
laubnis zu einem solchen Handel ist nur zu erteilen, wenn der Versand aus ei-
ner öffentlichen Apotheke erfolgt. Der Gesetzgeber verzichtet damit lediglich
auf die räumliche Bindung des Abgabevorgangs an die Apotheke. Er verzichtet
aber nicht darauf, dass die Abgabe institutionell durch die Apotheke und nur
durch sie erfolgt. Dem Apotheker ist anstelle der unmittelbaren Übergabe an
den Patienten die Versendung gestattet. Hierzu darf er sich der Dienste von
Logistikunternehmen bedienen. Geht die Beteiligung Dritter am Vertrieb jedoch
über eine solche Transportfunktion hinaus und geben sie sich so, als würden
sie selbst Arzneimittelhandel betreiben, so liegt kein - zulässiger - Arzneimittel-
versand einer Apotheke mehr vor; vielmehr handelt es sich dann um ein nicht
erlaubtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch einen Gewerbetreibenden.
Ein solcher Fall liegt auch dann vor, wenn das in den Vertrieb eingeschaltete
Unternehmen durch seine Werbung den Eindruck erweckt, bei ihm könne man
die Arzneimittel - wenn auch im Wege der Bestellung - kaufen. Ein solches
Verhalten hebt zumindest nach außen die alleinige Verantwortung der Apothe-
ke für die Arzneimittellieferung auf, die das Gesetz verlangt.
Gemessen an diesen Maßstäben ist das von der … im Zusammenwirken mit
der Klägerin gewählte Verfahren als Versandhandel mit Arzneimitteln im Sinne
des § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG anzusehen. Die Beteiligten lassen keinen Zweifel
daran, dass die niederländische Apotheke alleiniger Vertragspartner und Liefe-
rant der Arzneimittel ist. An sie richtet sich die schriftliche Bestellung. Sie erhält
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die Bezahlung durch Abbuchung oder Überweisung seitens des Kunden. Auch
die übrige Abwicklung weist unmissverständlich darauf hin, dass die Klägerin
lediglich logistische Dienste bei der Übermittlung der Ware leistet.
2. Der somit von der … zu verantwortende Versandhandel verstößt auch nicht
gegen das Verbringungsverbot des § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG, weil er die unter
Nr. 1a dieser Vorschrift niedergelegten Ausnahmevoraussetzungen erfüllt.
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG dürfen Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung
oder zur Registrierung unterliegen, in den Geltungsbereich des Arzneimittelge-
setzes nur verbracht werden, wenn sie zum dortigen Verkehr zugelassen oder
registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt sind. Zusätz-
lich verlangt Nr. 1a dieser Bestimmung, dass das Arzneimittel im Falle des Ver-
sandes an den Endverbraucher „zur Anwendung am oder im menschlichen
Körper bestimmt ist und von einer Apotheke eines Mitgliedstaates der Europäi-
schen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den
europäischen Wirtschaftsraum, welche für den Versandhandel nach ihrem na-
tionalen Recht, soweit es dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die
Vorschriften zum Versandhandel entspricht, oder nach dem deutschen Apothe-
kengesetz befugt ist, entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versand-
handel oder zum elektronischen Handel versandt wird“. Die Bestimmung ver-
langt also, dass die in der EU ansässige ausländische Versandapotheke, wenn
sie nicht nach deutschem Recht befugt ist, nach dem Recht ihres Heimatlandes
zum Versandhandel befugt ist und dass dieses Recht dem deutschen Apothe-
kenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entspricht.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die … besitzt eine niederländische Ver-
sandhandelserlaubnis. Entgegen der Ansicht des Beklagten entspricht das nie-
derländische Recht aber auch dem deutschen Recht zum Versandhandel mit
Arzneimitteln. Das ergibt sich aus der Bekanntmachung des Bundesministeri-
ums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 16. Juni 2005. Deren Grundla-
ge ist § 73 Abs. 1 Satz 3 AMG. Danach veröffentlicht das Bundesministerium in
regelmäßigen Abständen eine aktualisierte Übersicht über die Mitgliedstaaten
der Europäischen Union, in denen für den Versandhandel und den elektroni-
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schen Handel mit Arzneimitteln dem deutschen Recht vergleichbare Sicher-
heitsstandards bestehen. In der Bekanntmachung vom 16. Juni 2005 wird die
Gleichwertigkeit der Sicherheitsstandards des niederländischen Arzneimittel-
versandhandels mit dem deutschen bestätigt, sofern die betreffende Versand-
apotheke zugleich eine Präsenzapotheke unterhält. Das ist bei der … der Fall.
Die Einwände des Beklagten hiergegen greifen nicht durch. Der Beklagte hält
die Bekanntmachung vom 16. Juni 2005 für rechtswidrig. Die Einschränkung
auf solche Versandapotheken, die zugleich eine Präsenzapotheke unterhalten,
zeige, dass das niederländische Recht dem deutschen Versandhandelsrecht
nicht entspreche. Damit verkennt der Beklagte den Zusammenhang zwischen
§ 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a und § 73 Abs. 1 Satz 3 AMG. Für die von § 73 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1a AMG geforderte Entsprechung des ausländischen mit dem deut-
schen Recht kommt es auf die jeweiligen Sicherheitsstandards an. Sind diese
unter einer leicht feststellbaren, im ausländischen Recht aber nicht vorge-
schriebenen Voraussetzung gleichwertig, so rechtfertigt es der Zweck des § 73
Abs. 1 Satz 3 AMG, der Allgemeinheit Rechtssicherheit für den Umgang mit
ausländischen Versandapotheken zu verschaffen, eine entsprechend einge-
schränkte Feststellung der Gleichwertigkeit zuzulassen. § 73 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1a AMG verlangt nicht, den Versandhandel wegen Unterschieden der aus-
ländischen zur deutschen Rechtsordnung zu untersagen oder einer individuel-
len Überprüfung in einem deutschen Erlaubnisverfahren zu unterziehen, wenn
ohne Weiteres ersichtlich ist, dass die betreffende ausländische Apotheke das
zusätzliche deutsche Erfordernis erfüllt.
Ohne Erfolg bezweifelt der Beklagte im Übrigen die Richtigkeit der in der Be-
kanntmachung getroffenen Feststellung, dass die Sicherheitsstandards des
niederländischen Versandhandels den deutschen Standards gleichwertig seien.
Wie immer man die Bekanntmachung rechtlich qualifiziert, kommt ihr jedenfalls
die Bedeutung einer gesetzlich vorgesehenen sachverständigen Feststellung
zu, die auch für die Gerichte grundsätzlich so lange bindend ist, wie die ihr
zugrunde liegende fachliche Einschätzung nicht substantiiert in Frage gestellt
wird. Substantiierte Einwände gegen die Richtigkeit der in der Bekanntmachung
getroffenen Einschätzung hat der Beklagte aber nicht vorgebracht.
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3. Auch die in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung erfolgte Untersagung des Ein-
sammelns von Arzneimittelbestellungen in der Filiale der Klägerin ist rechtswid-
rig. Der Beklagte sieht darin einen Verstoß gegen die Bestimmungen des sieb-
ten Abschnitts des Arzneimittelgesetzes, der sich mit der Abgabe von Arznei-
mitteln befasst. Mit dieser Begründung kann die Untersagung keinesfalls Be-
stand haben, denn keine der Bestimmungen dieses Abschnitts befasst sich mit
der Frage, in welcher Form Bestellungen für ein Arzneimittel entgegengenom-
men werden dürfen.
Das vom Verwaltungsgericht herangezogene Verbot des Betriebs von Rezept-
sammelstellen in § 24 ApBetrO kann die Untersagung ebenfalls nicht rechtferti-
gen. Nach dieser Vorschrift dürfen Einrichtungen zum Sammeln von Verschrei-
bungen (Rezeptsammelstellen) nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde un-
terhalten werden. Die Erlaubnis ist dem Inhaber einer Apotheke auf Antrag zu
erteilen, wenn zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von abgelegenen
Orten oder Ortsteilen ohne Apotheken eine Rezeptsammelstelle erforderlich ist.
Rezeptsammelstellen dürfen nicht in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen
der Heilberufe unterhalten werden.
Diese Regelung ist für die Entgegennahme von Arzneimittelbestellungen im
Versandhandel nicht einschlägig. Sie geht von der räumlichen Bindung der
Arzneimittelabgabe an die Apotheke aus. Fehlt sie wie beim Versandhandel, so
ist die daran anknüpfende Bestimmung nicht anzuwenden. Sammelbesteller
sind seit jeher ein typisches Element des Versandhandels. Wenn der Gesetz-
geber daher den Versandhandel mit Arzneimitteln zulässt, so umfasst dies
auch die Möglichkeit, Bestellungen einzusammeln und gebündelt an die Ver-
sandapotheke zu übersenden.
Bedenken gegen die konkrete Form, in der in den Filialen der Klägerin die Be-
stellungen eingesammelt werden, bestehen nicht. Der Kunde wirft seine Bestel-
lung in eine geschlossene Box, die einmal am Tag von einem …-Beauftragten
geleert wird. Die Rezepte werden sodann in einem verschlossenen Umschlag
von einem Kurier zu der Versandapotheke gebracht. Dieses Verfahren steht im
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Hinblick auf die Sicherheit der Übermittlung und auf die Gewährleistung der
Vertraulichkeit in nichts der Normalbeförderung durch die Post nach.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
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