Urteil des BVerwG vom 07.02.2013

BVerwG: soldat, vorläufige festnahme, eingriff in grundrechte, körperliche unversehrtheit, untersuchungshaft, anfang, einheit, strafverfahren, schuldfähigkeit, luft

BVerwG 2 WD 36.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 WD 36.12
Truppendienstgericht Süd 1. Kammer - 11.09.2012 - AZ: TDG S 1 VL 7/10
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 7. Februar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Major Bieler und
ehrenamtliche Richterin Oberfeldwebel Borovskaya,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 1. Kammer des
Truppendienstgerichts Süd vom 11. September 2012 im Ausspruch über die
Disziplinarmaßnahme geändert.
Der Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines
Hauptfeldwebels herabgesetzt.
Die Frist zur Wiederbeförderung wird auf zwei Jahre verkürzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt. Die dem
Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt er selbst.
Gründe
I
1 Der 49 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem Erwerb des qualifizierten
Hauptschulabschlusses eine Ausbildung zum Koch. Auf seine Bewerbung für den freiwilligen
Dienst in der Bundeswehr wurde er mit Wirkung vom 1. Februar 1982 in das Dienstverhältnis
eines Soldaten auf Zeit berufen. Im Juli 1991 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten
verliehen. Seine Dienstzeit wird nach seinen Angaben Ende Oktober 2017 enden. Der Soldat
wurde regelmäßig befördert, zuletzt im Oktober 2005 zum Stabsfeldwebel.
2 Nach verschiedenen Vorverwendungen im süddeutschen Raum und auf Dienstposten im
Nachschubbereich wurde er zum Oktober 2002 in die ... versetzt. Dort nahm und nimmt er die
Funktion eines Materialnachweismeisters wahr.
3 Der Soldat war mehrfach zur Teilnahme an Auslandseinsätzen kommandiert:
Im Dezember 1998 nahm er von Piacenza aus am SFOR-Einsatz auf dem Balkan teil. In den
Zeiträumen Ende November bis Mitte Dezember 2004, April bis Mitte Mai 2005, November 2005
bis Februar 2006, Mitte Januar bis Mitte April 2007 und Anfang Oktober 2007 bis Anfang Februar
2008 war er beim Deutschen Einsatzkontingent ISAF in Termez (Usbekistan) eingesetzt. Mitte
August bis Anfang September 2009 war der Soldat im Rahmen der NATO nach Siauliai/Litauen
kommandiert.
4 Die letzte planmäßige Beurteilung vom 19. Juni 2008 bewertete die Aufgabenerfüllung auf
dem Dienstposten im Durchschnitt mit „5,75".
Der beurteilende und der nächsthöhere Vorgesetzte hoben in ihrer Beschreibung des Soldaten
seine hervorragenden Fachkenntnisse in seinem Aufgabengebiet und seine Fähigkeiten zur
Bewältigung komplexer Probleme unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen - konkret im
Zuge der Einführung eines neuen Waffensystems - hervor. Sie verwiesen auf sein besonders
hohes Engagement im Rahmen der Teilnahme an besonderen Auslandseinsätzen und lobten
sowohl seine Zusammenarbeit mit Vorgesetzten als auch die erfolgreiche Führung seiner
Teileinheit. Sie beschrieben den Soldaten als äußerst leistungsbereiten,
verantwortungsbewussten und eigenständig handelnden Portepeeunteroffizier. Er sei sehr
zuverlässig und gründlich und stehe jederzeit für sein Handeln ein. Unter Mehrbelastungen und
in schwierigen Situationen bleibe er stets ruhig und behalte die Übersicht. Erwähnung fanden
auch die routinierte Führung seiner Teileinheit auf ruhige und besonnene Art, das offene Ohr des
Soldaten für die Probleme seiner Untergebenen, sein Einsatz für diese sowie sein vorbildliches
Verhalten gegenüber Vorgesetzten. Im Kreise seiner Kameraden sei er anerkannt und bei
seinen zivilen Mitarbeitern und Soldaten genieße er hohes Ansehen.
5 In der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht hatte die Vertreterin des
Disziplinarvorgesetzten, Frau Oberleutnant H., als Leumundszeugin unter anderem angeführt,
der Soldat sei ein vorbildlicher Teileinheitsführer mit hohem Fachwissen. Er sei für sie ein
wichtiger Ansprechpartner, auf den sie sich voll verlassen könne. Er führe die Teileinheit fachlich
sehr gut.
In die Unteroffizierskameradschaft sei er voll integriert und sehr beliebt bei seinen Kameraden.
Nach der Untersuchungshaft habe es keinen Leistungseinbruch gegeben. Der Soldat habe sich
noch mehr in seine Arbeit reingehangen und versucht, durch Leistung zu überzeugen. Man
merke ihm die Untersuchungshaft allerdings an. Der Soldat liege leistungsmäßig im oberen
Mittelfeld und sei fachlich super. Der Sachverhalt sei im Kameradenkreis bekannt geworden. Als
ihm die Sicherheitsstufe Ü 2 entzogen worden sei, hätten sich alle Mühe gegeben, ihn auf dem
Dienstposten zu belassen. Sie hätten eine Sondergenehmigung für ihn erhalten. Auf den
Flugplatz dürfe der Soldat allerdings nur in Begleitung. Übermäßigen Alkoholgenuss und Gewalt
hätte sie dem Soldaten niemals zugetraut. Sie habe ihn nie betrunken erlebt und auch nicht
beobachtet, dass er sich unter Alkoholeinfluss anders benommen habe. Er sei nie disziplinär
auffällig geworden. Man hätte ihm nach dem Vorfall aufgrund seiner Leistungen mehrere
Förmliche Anerkennungen erteilen können.
6 In der Sonderbeurteilung vom 17. Dezember 2012 bewertete sein gegenwärtiger
Disziplinarvorgesetzter mit Zustimmung des nächsthöheren Vorgesetzten die Aufgabenerfüllung
im Durchschnitt mit „7,00“.
Auch in dieser Beurteilung wurde der Soldat als sehr erfahrener Portepeeunteroffizier und
absoluter Fachmann beschrieben, der sich mit viel Ehrgeiz und Vorschriftenwissen souverän,
selbständig und zielsicher in seinem Aufgabengebiet bewege. Die Leistungen und der
Arbeitseinsatz des Soldaten wurden als herausragend eingeschätzt. Mehrfach hervorgehoben
wurde sein außergewöhnlich hohes und besonders erfolgreiches Engagement bei der
Einführung eines neuen Buchführungssystems in der Materialbewirtschaftung. Lobende
Erwähnung fanden auch hier sowohl seine Zusammenarbeit mit seinen Vorgesetzten als auch
seine Führung von Untergebenen in seiner Teileinheit. Insgesamt habe Stabsfeldwebel ... im
Beurteilungszeitraum eine deutlich positive Entwicklung genommen und sich an die
Spitzengruppe seiner Vergleichsgruppe herangearbeitet. Er trage auch maßgeblich zu dem sehr
positiven Arbeitsklima und den daraus resultierenden sehr guten Arbeitsergebnissen seiner
Teileinheit bei. In Verbindung mit seinem freundlichen und zuvorkommenden Wesen sei er als
vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft der Staffel akzeptiert. Sein Wort finde sehr hohe
Gewichtung, sein fachmännischer Rat werde geschwaderweit geschätzt und geachtet. Darüber
hinaus setze er sich aktiv für die Förderung der Gemeinschaft innerhalb der Staffel ein. Sein
Führungsstil sei kooperativ. Für sein Personal setze er sich auch gegenüber Vorgesetzten sehr
fürsorglich ein.
7 In der Berufungshauptverhandlung führte der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Hauptmann
K., aus, er kenne den Soldaten seit Juli 2011 und habe ihn als überaus engagiert und sehr
leistungswillig erlebt. Der Soldat sei fachlich sehr gut. Er sei mit einer eher trockenen Materie
befasst, widme sich dieser aber mit viel Elan und könne auch seine Mitarbeiter hierfür
begeistern. Der fachmännische Rat des Soldaten werde auch dann gesucht und erteilt, wenn
dieser sich eigentlich im Urlaub befinde. Insbesondere bei der Einführung des neuen
Buchführungssystems habe er hohes persönliches Engagement an den Tag gelegt. Er habe es
geschafft, seine Mitarbeiter für das System zu begeistern. Der sehr gute Stand der Einheit bei
dieser Neueinführung sei wesentlich dem hohen Engagement des Soldaten geschuldet. Dieser
sei in der Gemeinschaft auch unter den erfahrenen Portepeeunteroffizieren hochgradig
akzeptiert. Der Soldat führe seine Teileinheit gut. Die Belastungen des Verfahrens seien dem
Soldaten psychisch anzumerken, würden seine Leistungen aber nicht beeinträchtigen. Der
Entzug der Sicherheitsstufe habe auf die Erledigung der Routineaufgaben des Soldaten keinen
Einfluss. Er habe auch noch denselben Dienstposten inne wie vor dem Vorfall. Es sei nur dann
eine Begleitung erforderlich, wenn der Soldat etwa zu Besprechungen bestimmte Teile der
dienstlichen Liegenschaften aufsuchen müsse. Dies sei aber ohne großen Aufwand zu
gewährleisten. Er selbst gehe davon aus, dass der Soldat auch dann auf seinem bisherigen
Dienstposten eingesetzt werden könne, wenn eine Dienstgradherabsetzung verhängt würde.
Der Soldat habe einen bis zur Ebene Stabsfeldwebel gebündelten Dienstposten inne. Probleme
mit Alkohol oder aggressives Verhalten habe er bei dem Soldaten nie beobachtet.
8 Der Soldat ist Träger u.a. des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Bronze, der SFOR-
Einsatzmedaille der Bundeswehr, der ISAF-Einsatzmedaillen der Bundeswehr in Bronze und in
Silber. Er hat 1997, 2001 und 2004 förmliche Anerkennungen wegen vorbildlicher
Pflichterfüllung erhalten. 1999 wurde ihm eine Leistungsstufe gewährt; 2001 und 2006 erhielt er
Leistungsprämien als Einmalzahlungen.
9 Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 15. Januar 2013 verweist auf die drei förmlichen
Anerkennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Die Auskunft aus dem Zentralregister vom
13. September 2012 verweist auf das seit dem 9. Dezember 2009 rechtskräftige Urteil des
Amtsgerichts ... vom 9. Dezember 2009, durch das der Soldat wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit versuchter Nötigung zu einer
Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung verurteilt worden war.
10 In dem mit diesem Verfahren sachgleichen Strafverfahren war der Soldat am 5. Mai 2009 auf
seiner Dienststelle vorläufig festgenommen worden. Am 6. Mai 2009 erging Haftbefehl. Der
Soldat war bis zum 18. Juni 2009 in Untersuchungshaft, nachdem gegen ihn zunächst wegen
eines versuchten Tötungsdelikts ermittelt worden war. Der Haftbefehl war auf Antrag der
Staatsanwaltschaft nach Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens aufgehoben worden.
Auf die Hauptverhandlung vom 9. Dezember 2009 erging das oben genannte Urteil. Im
Bewährungsbeschluss ist dem Soldaten auferlegt worden, einen Geldbetrag in Höhe von 1 000
€ an „terre des hommes“ zu zahlen. Die Geschädigte und Nebenklägerin hatte in der
Hauptverhandlung den Adhäsionsantrag zurückgenommen, nachdem außergerichtlich über die
beteiligten Rechtsanwälte eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 2 500 € vereinbart worden
war und der Soldat auch gezahlt hatte. Das Strafurteil ist nach einem Rechtsmittelverzicht aller
Beteiligten rechtskräftig geworden.
11 Der Soldat ist verheiratet und hat zwei Söhne. Nach Auskunft der Wehrbereichsverwaltung
Süd vom 21. Januar 2013 erhält er im März 2013 Bezüge in Höhe von 3 384,83 € brutto. Unter
Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge, des Kindergeldes und sonstiger Abzüge wurden ihm
tatsächlich 3 163,98 € netto ausgezahlt. In der Berufungshauptverhandlung hat der Soldat
ergänzend zu seiner finanziellen Situation auf seine Angaben in der Hauptverhandlung vor dem
Truppendienstgericht verwiesen. Dort hatte er angegeben, er übe eine Nebentätigkeit als
Entlader für Grillhähnchenfahrzeuge aus und erhalte hierfür monatlich rund 200 €. Seine Ehefrau
arbeite ganztags als Pflegekraft und verdiene ca. 900 €. Er habe insgesamt 140 000 € Schulden
für ein Eigenheim, aber auch für die Anwalts- und Gerichtskosten aus dem Strafverfahren und
das Schmerzensgeld. Monatlich zahle er 1 350 € für alle Darlehen ab. Die Stromkosten beliefen
sich auf 142 € monatlich und die Kosten für Versicherungen auf 300 €. Seine wirtschaftlichen
Verhältnisse seien geordnet. Die Familie komme mit den Einkünften aus.
II
12 1. Das Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten am 11. Januar 2010 mit Verfügung des
Kommandeurs der 1. Luftwaffendivision vom 19. Januar 2010 eingeleitet worden. Zuvor war dem
Soldaten die Stellungnahme der Vertrauensperson eröffnet worden, deren Beteiligung er nicht
widersprochen hatte.
13 Nach Gewährung des Schlussgehörs am 31. März 2010 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft
dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 19. April 2010, zugestellt am 29. April 2010,
folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„Am 02. Mai 2009 gegen 23.00 Uhr versuchte der Soldat auf dem ... Volksfest in ..., Frau D. von
der Theke im Festzelt ... wegzuziehen, wobei es dann zunächst zu einer verbalen
Auseinandersetzung kam und der Soldat äußerte, dass er sie umbringen werde, wenn sie ihn
nicht endlich vorließe. Da Frau D. der Aufforderung nicht nachkam, kam es zu einer Schubserei
bzw. Rangelei zwischen beiden. Kurz danach trat der Soldat erneut ohne rechtfertigenden oder
entschuldigenden Grund von hinten an diese heran, nahm sie mit dem rechten Arm in den
‚Schwitzkasten’ und würgte sie über einen Zeitraum von ca. 10-15 Sekunden so stark, dass
diese keine Luft mehr bekam und in Panik geriet."
14 2. Die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Urteil vom 11. September 2012
gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für vier Jahre und
eine Bezügekürzung um 1/12 für 24 Monate verhängt.
15 Ihrer Entscheidung hat die Kammer als Sachverhaltsfeststellungen die tatsächlichen
Feststellungen des Amtsgerichts ... aus dem rechtskräftigen Strafurteil gegen den Soldaten
zugrunde gelegt, die sie wie folgt wiedergibt:
„Am 02.05.2009 gegen 23.00 Uhr hielt sich der Angeklagte auf dem ... Volksfest, ..., Hauptstraße,
auf. An der Bar des Festzelts kam es zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten D.
zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung, da sich der Angeklagte am Ausschank
vordrängeln wollte. Sodann versuchte der Angeklagte, die Geschädigte von der Theke
wegzuziehen, wobei er äußerte, dass er die Geschädigte umbringen werde, wenn sie ihn nicht
endlich vorließe. Da sich die Geschädigte dies nicht gefallen ließ und dieser Aufforderung nicht
nachkam, kam es zu einer Schubserei bzw. Rangelei zwischen beiden.
Kurz nachdem der Angeklagte von der Geschädigten abgelassen hatte, trat er ohne
rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund erneut aus Wut von hinten an diese heran, nahm
sie mit dem rechten Arm in den ‚Schwitzkasten’ und würgte die Geschädigte dabei über einen
Zeitraum von ca. 10 bis 15 Sekunden so stark, dass diese keine Luft mehr bekam und in Panik
geriet. Auch hierbei äußerte der Angeklagte erneut, dass er sie umbringen werde, wenn sie
keine Ruhe gäbe. Der Angeklagte umklammerte den Hals der Geschädigten dabei so heftig,
dass es zu einer Prellung des Kehlkopfes und des Zungenbeins kam. Darüber hinaus erlitt die
Geschädigte Schmerzen. Der Angeklagte ließ erst von der Geschädigten ab, als die Zeugen S.
und B. ihn schließlich von der Geschädigten wegzogen.“
16 Zusätzlich hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
„Der Soldat hatte am Abend des angeschuldigten Vorfalls gegen 20:30 Uhr zunächst mit seiner
Ehefrau das ... Volksfest besucht. Während seine Ehefrau das Volksfest jedoch bereits gegen
21:00 Uhr wieder verließ, verblieb der Soldat auf dem Volksfest und trank dort nach seinen
unwiderlegbaren Angaben 5 Liter (Maß) Bier, bis es gegen 23:00 Uhr zu dem angeschuldigten
Vorfalle kam.
Das vom Soldaten in den ‚Schwitzkasten’ genommene Opfer war zum Tatzeitpunkt 16 Jahre alt
und Schülerin. Während ihr der Hals zugedrückt wurde, litt sie unter Todesangst. Sie wurde nach
dem Vorfalle zunächst vor Ort ärztlich versorgt und sodann in das ... Krankenhaus nach ...
verbracht, wo sie zwei Tage stationär aufgenommen war.
Bei den beiden Männern, die den Soldaten schließlich von der Geschädigten wegzogen,
handelte es sich um Untergebene des Soldaten aus seiner Einheit, nämlich um den
Hauptgefreiten S. und den Stabsunteroffizier B. . Beide Soldaten gehörten auch zu jenen
Personen, die sich aufgrund eines Zeugenaufrufs in der ‚... Rundschau’ am 05. Mai 2009 bei der
Polizeiinspektion ... meldeten und den Soldaten namentlich als Täter benannten. Zuvor hatten
sie ihrem damaligen Staffelchef, Major R., Meldung erstattet. Dieser sagte ihnen, sie sollten zur
Polizei gehen und Anzeige erstatten.
Aufgrund der Tatsachen, dass die Kameraden S. und B. Augenzeugen des Vorfalls geworden
waren und der Soldat während der Dienstzeit innerhalb der Kaserne von der Polizei vorläufig
festgenommen worden war, sprach sich der Sachverhalt zumindest innerhalb des Soldaten
Einheit herum.
Zwischen dem Soldaten und der Geschädigten kam es letztlich unter Einschaltung der
Rechtsanwälte beider Seiten zu einem Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a StGB. Der
Soldat zahlte noch vor der Hauptverhandlung im sachgleichen Strafverfahren 2.500,- €
Schmerzensgeld an das Opfer. In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht ... vom 25.
November 2009 entschuldigte er sich auch bei der Geschädigten D. . Die Geldauflage aus dem
Bewährungsbeschluss hat er zwischenzeitlich erfüllt.
Über den Vorfall wurde mehrfach in der örtlichen Presse berichtet, etwa am 06. Mai 2009 im ‚...’
(dort Seite 26) und in der ‚... Rundschau’ (dort Seite 29 unter der Überschrift ‚Würger von ...
gefasst - Polizei nimmt 45-Jährigen fest’). In den Presseberichten wurde weder der Name des
Soldaten genannt, noch fand die Zugehörigkeit des Täters zur Bundeswehr Erwähnung.
Wegen seiner Tat wurde dem Soldaten die Sicherheitsstufe Ü2 entzogen, die er zur
Wahrnehmung seines Dienstpostens grundsätzlich benötigt. Nach den glaubhaften und
überzeugenden Ausführungen der Leumundszeugin, die in der Hauptverhandlung vom Soldaten
bestätigt wurden, musste der Soldat jedoch nicht anderweitig eingesetzt werden, sondern kann
aufgrund einer Sondergenehmigung weiterhin auf seinem Dienstposten als Teileinheitsführer
Dienst leisten. Lediglich das Flugfeld und andere Sperrzonen darf er nur noch in Begleitung
eines Berechtigten betreten.“
17 Der Soldat habe damit vorsätzlich gegen die Pflicht zum außerdienstlichen Wohlverhalten
verstoßen. Schuldunfähig sei er nach den bindenden Feststellungen des rechtskräftigen
Strafurteils nicht gewesen. Die Feststellungen des Amtsgerichts zur verminderten
Schuldfähigkeit seien dagegen nicht bindend.
18 Zur Bemessung der Maßnahme hat das Truppendienstgericht im Wesentlichen Folgendes
ausgeführt: Die ernsthafte Körperverletzung des Opfers, ihre Bedrohung und versuchte Nötigung
stelle ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen dar. Das strafgerichtlich mit einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten geahndete Fehlverhalten lasse negative Rückschlüsse
auf Rechtstreue, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten zu.
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei die Dienstgradherabsetzung. Diese sei zur
angemessenen Ahndung und erzieherischen Einwirkung aber nicht mehr notwendig. Wegen
Milderungsgründen in der Tat und der Person reiche ein mit einer Bezügekürzung gekoppeltes
Beförderungsverbot aus. Die Dauer des Beförderungsverbotes müsse die Höchstgrenze
erreichen. Da es sich aber nicht mehr auswirken werde, weil der Soldat seine individuelle
Laufbahnperspektive erreicht habe, müsse es mit einer Bezügekürzung gekoppelt werden. Das
Verhalten des Soldaten werde den Grundsätzen der Inneren Führung nicht gerecht und stelle
einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte der Geschädigten dar. Die Wohlverhaltenspflicht
habe funktionalen Bezug zur Erfüllung des Auftrages der Streitkräfte. Den Soldaten belaste, dass
er von hinten an das Opfer herangetreten sei und es im „Schwitzkasten" so lang und stark
gewürgt habe, dass es keine Luft mehr und Todesangst bekommen habe. Die Geschädigte habe
erhebliche Schmerzen und Verletzungen erlitten und leide an psychischen Folgewirkungen. Die
Auseinandersetzung sei vom eigennützig handelnden Soldaten ausgegangen und habe einen
nichtigen Anlass gehabt. Der Soldat habe in Anwesenheit von Kameraden gehandelt, die ihn
von weiterem Fehlverhalten hätten abhalten müssen. Sein Tun sei auf seiner Dienstelle durch
seine vorläufige Festnahme dort und in der Öffentlichkeit durch Presseberichterstattung bekannt
geworden, ohne dass in der Presse allerdings sein Name und der Soldatenstatus genannt
worden seien. Durch den Entzug der Sicherheitsstufe und die Untersuchungshaft habe die Tat
Auswirkungen auf die Personalführung gehabt. Der Soldat sei Portepeeunteroffizier mit
herausgehobenem Dienstgrad und hafte nach § 10 Abs. 1 SG verschärft. Die Tat habe bei den
Strafverfolgungsorganen ein schlechtes Licht auf die Bundeswehr geworfen.
19 Das Dienstvergehen sei aber Folge der alkoholbedingten Enthemmung des Soldaten
gewesen. Ihm sei eine Verminderung seiner Schuldfähigkeit entsprechend § 21 StGB
zuzubilligen. Eine durch Alkoholgenuss verminderte Schuldfähigkeit führe zwar bei selbst
verschuldeter Trunkenheit nicht zu einer Maßnahmemilderung. Hier sei der Soldat für Art und
Umfang des Alkoholgenusses selbst verantwortlich gewesen. Dennoch sei zu berücksichtigen,
dass die Tat allein durch die enthemmende Wirkung des Alkohols zustande gekommen sei. Der
Soldat habe nicht vorhersehen können, dass er in alkoholisiertem Zustand Straftaten begehen
würde. Das Fehlverhalten sei der Persönlichkeit des Soldaten fremd, auch wenn es sich nicht
um eine Augenblickstat gehandelt habe.
20 Zugunsten des Soldaten sprächen die fehlende Vorbelastung, das Geständnis und die Reue.
Er habe eine günstige Sozialprognose. Es gebe keine Wiederholungsgefahr. Für ihn sprächen
ferner über viele Jahre erbrachte herausgehobene Leistungen und die zahlreichen
Auslandseinsätze. Dem Soldaten sei eine Nachbewährung zuzubilligen. Zu seinen Gunsten
seien die Entschuldigung und die Schmerzensgeldzahlung an das Opfer zu berücksichtigen.
Das Verfahren an sich habe bereits eine erhebliche erzieherische Wirkung gehabt, sodass eine
Dienstgradherabsetzung nicht mehr erforderlich sei. Auch wegen der Dauer des auf ihm
lastenden Verfahrens sei ein Beförderungsverbot gekoppelt mit einer Bezügekürzung
ausreichend.
21 3. Gegen das ihr am 9. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft
am 16. Oktober 2012 zu Ungunsten des Soldaten beschränkt auf die Bemessung der Maßnahme
Berufung eingelegt.
22 Zu Lasten des Soldaten sei stärker zu berücksichtigen, dass er durch dienstgradniedrigere
Soldaten seiner Einheit von einer weiteren Tatbegehung habe abgehalten werden müssen. Nur
dadurch seien schlimmere Verletzungen des Opfers verhindert worden. Die Tat sei dadurch im
Kameradenkreis bekannt geworden. Des Weiteren seien die vorläufige Festnahme und die
Untersuchungshaft dem Soldaten deutlicher entgegenzuhalten. Die alkoholbedingte
Enthemmung sei nicht maßnahmemildernd zu berücksichtigen. Dass der Soldat nicht mehr den
erforderlichen Sicherheitsstatus habe, führe zu Nachteilen für die Personalführung und stehe der
Nachbewährung entgegen. Eine nach außen sichtbare gerichtliche Disziplinarmaßnahme sei
erforderlich.
23 Der Soldat ist dem entgegengetreten und hat behauptet, das Strafurteil beruhe auf einer
rechtswidrigen Verfahrensabsprache.
III
24 Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO form- und fristgerecht
eingelegte Berufung ist begründet.
25 Das von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte Rechtsmittel ist auf die Bemessung der
Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in
Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche
Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Da das
Rechtsmittel zuungunsten des Soldaten eingelegt wurde, ist der Senat nicht an das
Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) gebunden.
26 1. Einer Entscheidung des Senats in der Sache stehen Verfahrensmängel, die eine
Entscheidung nach § 121 Abs. 2 WDO verlangen würden, nicht entgegen.
27 Verfahrensmängel werden bei einer beschränkten Berufung zwar regelmäßig
gegenstandslos, soweit sie nicht das gesamte disziplinargerichtliche Verfahren oder den
gerichtlichen Verfahrensabschnitt unzulässig machen (so Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG 2
WD 64.87 - S. 10 des Urteilsabdrucks). Beachtlich sind allerdings Aufklärungs- und
Verfahrensmängel von solcher Schwere, dass sie die Grundlage der vom Senat zu treffenden
Entscheidung über die Maßnahmebemessung - die tatsächlichen und disziplinarrechtlichen
Feststellungen zur Schuld des früheren Soldaten - erschüttern (vgl. Urteile vom 19. August 2009
- BVerwG 2 WD 31.08 - Rn. 12, 17 und vom 24. März 2010 - BVerwG 2 WD 10.09 - Rn. 12, 15,
17).
28 Hat eine Truppendienstkammer zu Unrecht entgegen § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht eine
Lösung von bindenden Feststellungen des Strafurteils in Betracht gezogen und vorgenommen,
um für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung hinreichende tatsächliche Feststellungen selbst
treffen zu können, liegt darin ein schwerer Verfahrensfehler und zugleich ein erheblicher
Aufklärungsmangel (vgl. Beschlüsse vom 19. August 2009 - BVerwG 2 WD 31.08 - Buchholz
450.2 § 121 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 16 und vom 28. September 2011- BVerwG 2 WD 18.10 - Rn.
12). Die Vorinstanz hat hier aber rechtsfehlerfrei die tatsächlichen Feststellungen des
rechtskräftigen Strafurteils zugrunde gelegt.
29 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 2
WD 29.06 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 4 Rn. 31 m.w.N. und Beschluss vom 28.
September 2011 - BVerwG 2 WD 18.10 - Rn. 33) ist die Lösung von den tatsächlichen
Feststellungen eines sachgleichen rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteils auf Fälle beschränkt,
in denen das Wehrdienstgericht sonst gezwungen wäre, auf der Grundlage offenkundig
unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Die
Wehrdienstgerichte sind nach ihrer Zuständigkeit und Funktion keine Überprüfungsinstanz für
Strafurteile. Für einen Lösungsbeschluss ausreichende Zweifel an der Richtigkeit der
strafgerichtlichen Feststellungen bestehen, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich
widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu den Denkgesetzen oder
allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus vergleichbar gewichtigen Gründen offenkundig
unzureichend sind. Offenkundig unzureichend sind strafgerichtliche Feststellungen, wenn sie in
einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Dies kann der Fall sein, wenn der Soldat die
Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe dezidiert bestreitet und geltend macht, dem
strafgerichtlichen Urteil liege ein „Deal“ zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung
zugrunde, der den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Verfahrensabsprache nicht genüge
(Urteil vom 14. März 2007 - BVerwG 2 WD 3.06 - BVerwGE 128, 189 <191 Rn. 26>). Ein
Lösungsbeschluss kommt nur in Betracht, wenn sich die Zweifel an der Richtigkeit aus dem
Urteil selbst oder in Verbindung mit dem Protokoll der Hauptverhandlung ergeben (vgl. Urteil
vom 30. Juli 1981 - BVerwG 2 WD 16.81, S. 12 - und Beschluss vom 28. September 2011 -
BVerwG 2 WD 18.10 - Rn. 38; Dau, WDO 5. Auflage § 84 Rn. 9 m.w.N.).
30 In der Berufungshauptverhandlung hat der Soldat zwar eine Verfahrensabsprache behauptet.
Er hat aber den Vorwurf, wegen dessen er verurteilt wurde, nicht bestritten. Es gibt auch weder
im Hauptverhandlungsprotokoll des Amtsgerichts ... noch im Urteilstext einen Anhaltspunkt dafür,
dass es eine Verfahrensabsprache gegeben haben könnte. Der Soldat hat in der Verhandlung
vor dem Strafgericht den Vorfall detailreich und ausführlich geschildert, mithin keineswegs nur
formal gestanden. Er hat sich mehrfach für seine Tat bei der Geschädigten entschuldigt. Das
Amtsgericht hat unter anderem durch Vernehmung der Geschädigten als Zeugin und Verlesung
eines rechtsmedizinischen Gutachtens Beweis erhoben. Staatsanwaltschaft und Verteidigung
haben unterschiedliche Anträge gestellt. Wäre das Strafgericht dem Antrag der
Staatsanwaltschaft gefolgt, hätte der Soldat seinen Soldatenstatus automatisch verloren. Vor
diesem Hintergrund gibt es keinen Hinweis darauf, dass eine Verfahrensabsprache im Sinne
des § 257c Abs. 1 StPO, die nach der zum Zeitpunkt der Verhandlung geltenden Rechtslage
nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO zudem hätte protokolliert werden müssen, überhaupt erfolgt ist,
geschweige denn, dass in ihrer Umsetzung der Soldat etwas gestanden haben könnte, was er in
Wahrheit gar nicht getan hat.
31 2. Das Truppendienstgericht hat festgestellt, dass der Soldat die Geschädigte zunächst
erfolglos verbal und im Rahmen einer Rangelei von ihrer Stelle am Ausschank in einem Festzelt
auf dem ... Volksfest wegzudrängen versuchte, wobei er äußerte, er werde sie umbringen, wenn
sie ihn nicht vorlasse. Kurze Zeit später habe er sie von hinten in den Schwitzkasten genommen
und gewürgt, sodass sie keine Luft mehr bekommen habe und in Panik geraten sei. Dabei seien
ihr Kehlkopf und das Zungenbein geprellt worden. Durch die gefährliche Körperverletzung,
Bedrohung und versuchte Nötigung habe der Soldat vorsätzlich gegen seine Dienstpflicht
verstoßen, sich außer Dienst und außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen so zu
verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht
ernsthaft beeinträchtigt wird (§ 17 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. SG).
32 Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Senat damit
bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstgericht rechtsfehlerfrei
getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der
Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der
Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des
angefochtenen Urteils bestimmt.
33 3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein
zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich
darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder
aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der
Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 -
Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der
Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des
Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die
bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.
34 a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der
Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das
Dienstvergehen schwer.
35 Eine brutale körperliche Misshandlung des Betroffenen ist sowohl mit dem Menschenbild des
Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der Menschenrechte als auch mit der
gesetzlichen Verpflichtung zu vorbildhaftem Verhalten gemäß § 10 Abs. 1 SG unvereinbar.
Dadurch hat sich der frühere Soldat nachhaltig in seiner Dienststellung als Vorgesetzter
disqualifiziert. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar; sie zu achten und
zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, und dieses Gebot kann innerhalb wie
außerhalb der Streitkräfte nicht unterschiedlich gelten (vgl. Urteile vom 18. Januar 1991 -
BVerwG 2 WD 24.89 - BVerwGE 93, 19 = NZWehrr 1991, 163, vom 23. Januar 1996 - BVerwG 2
WD 32.95 - DokBer B 1996, 147 und vom 5. Mai 1998 - BVerwG 2 WD 25.97 - BVerwGE 113,
217 = Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 19). Wie der Senat ferner in ständiger Rechtsprechung
hervorgehoben hat, ist auch die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen durch Art. 2
Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet. Diese Grundrechte bedürfen nicht nur im militärischen Bereich
besonderer Beachtung, da ihre Verletzung mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§§ 30, 31 WStG),
sondern derartige Verstöße sind auch generell durch das Kriminalstrafrecht, das dem
allgemeinen Rechtsfrieden dient, sanktioniert. Diesen Verpflichtungen hat der Soldat auch außer
Dienst sowie außerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen jederzeit zu entsprechen (vgl.
Urteile vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 26.99 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 28 und vom 2.
März 2000 - BVerwG 2 WD 44.99 - Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 32 = NZWehrr 2001, 35 jeweils
m.w.N.).
36 Die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz
1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck,
sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte
und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier -
ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des
Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des
militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine
Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern
nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar
2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 - m.w.N. - und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 -
juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.
37 Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch bestimmt,
dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Stabsfeldwebel in einem
Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV).
Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung
dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in
besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und
unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in
ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht
erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten
Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer
Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2
WD 7.08 - m.w.N. - vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 -
BVerwG 2 WD 2.10 - Rn. 30).
38 Bestimmend für Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind schließlich auch die
weiteren Tatumstände: Zu Lasten des Soldaten fällt ins Gewicht, dass er aus verwerflichem
Anlass eine Minderjährige mit besonderer Brutalität angegriffen und ernsthaft verletzt hat. Zu
berücksichtigen ist auch, dass der Soldat an einer schwereren Verletzung der Geschädigten erst
durch das gewaltsame Eingreifen von zwei unterstellten Soldaten in Nothilfe für die Schülerin
gehindert werden musste.
39 b) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen in erster Linie für die Geschädigte,
die Schmerzen erlitten hatte, ärztlich behandelt werden musste und eine Woche nicht zur Schule
gehen konnte. Außerdem litt sie an psychischen Folgen der Tat.
40 Nachteilige Auswirkungen hatte das Dienstvergehen auch für den Dienstherrn. Während der
Dauer der Untersuchungshaft stand der Soldat dem Dienstherrn trotz voller Dienstbezüge nicht
zur Verfügung. Deutlich weniger gravierend sind allerdings die Einschränkungen in seiner
Verwendbarkeit infolge des Verlustes der Sicherheitsstufe. Denn wie der Leumundszeuge in der
Berufungshauptverhandlung plausibel erläutert hat, führten diese nicht zur Notwendigkeit einer
Versetzung des Soldaten und konnten ohne großen Aufwand durch eine Begleitung des
Soldaten auf die ihm nicht mehr zugänglichen Teile der dienstlichen Liegenschaft ausgeglichen
werden.
41 Hinzu kommt noch, dass das Dienstvergehen im Kameradenkreis schon infolge des
Eingreifens der Nothilfe leistenden Kameraden bekannt geworden ist.
42 Eine Ansehensschädigung der Bundeswehr ist allerdings trotz der Presseberichte nicht
eingetreten, da die Meldungen neutral formuliert sind und weder den Namen noch den
Soldatenstatus des mutmaßlichen Täters erwähnen.
43 Das Bekanntwerden bei den Strafverfolgungsorganen und dem Wehrbeauftragten wertet der
Senat nicht maßnahmeverschärfend. Denn dieser Umstand allein begründet noch keine
nachteiligen Auswirkungen für das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Diese
Einrichtungen sind ohne Weiteres in der Lage, die Bedeutung einzelner Straftaten von Soldaten
für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte realitätsgerecht einzuordnen. Ihr Eingreifen soll das
Ansehen der Streitkräfte in der Öffentlichkeit wahren und wiederherstellen und begründet keinen
Ansehensschaden.
44 c) Die Beweggründe des Soldaten sprechen gegen ihn. Das Motiv, Konflikte unter Einsatz
von Gewalt zu lösen, ist in hohem Maße sozialschädlich, gefährdet das Zusammenleben in der
Gesellschaft, das auf eine friedliche Konfliktlösung angewiesen ist und untergräbt das staatliche
Gewaltmonopol. Gravierend fällt ins Gewicht, dass der Soldat den Konflikt hier aus zu
missbilligendem Anlass mit einer körperlich unterlegenen Minderjährigen vom Zaun gebrochen
hatte, ohne von dieser provoziert worden zu sein.
45 d) Das Maß der Schuld des Soldaten wird durch sein vorsätzliches Handeln bestimmt.
46 Es kann dahinstehen, ob die Blutalkoholkonzentration des Soldaten eine erhebliche
Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit entsprechend § 21 StGB indiziert:
Ist ein Soldat für Art und Umfang seines Alkoholkonsums selbst verantwortlich, führt eine
dadurch verminderte Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit nicht zu einer Milderung der
Disziplinarmaßnahme (stRspr, vgl. Urteile vom 28. Oktober 2003 - BVerwG 2 WD 10.03 - DokBer
2004, 193 = Blutalkohol 2005, 179, vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - NZWehrr
2006, 127, sowie vom 2. April 2008 - BVerwG 2 WD 13.07 - Rn. 36 f.). Die Bemessung der
Maßnahme nach dem Maß der Schuld gemäß § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO rechtfertigt es
zwar, § 21 StGB entsprechend anzuwenden. Die Norm stellt aber auch bei einer erheblichen
Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit die Milderung der Sanktion in das
Ermessen des Gerichts. Bei seiner Ausübung kommt dem Zweck des Wehrdisziplinarrechts, die
Funktionsfähigkeit der Streitkräfte und die dafür erforderliche Disziplin aufrechtzuerhalten,
maßgebende Bedeutung zu. Alkoholmissbrauch ist eine besonders schwere Gefahr für die
Disziplin in der Truppe. Um ihr angemessen zu begegnen, ist es geboten, eine
Sanktionsmilderung zu versagen, wenn die Beeinträchtigung durch ein Fehlverhalten im
Umgang mit Alkohol oder ein Verhalten herbeigeführt wurde, das Zweifel daran aufwirft, ob der
Soldat seinen Pflichten im Umgang mit Alkohol im Dienst genügen kann. Innerdienstlich setzt
Ziffer 403 der ZDv 10/5 ein grundsätzliches Alkoholverbot. Ein Verstoß dagegen ist ein
Fehlverhalten, das nicht durch die Zubilligung einer Sanktionsmilderung prämiert werden darf.
Im außerdienstlichen Bereich ist Alkoholkonsum für sich genommen zwar grundsätzlich keine
Pflichtverletzung. Dass die enthemmende Wirkung von Alkohol Normüberschreitungen abstrakt
wahrscheinlicher macht, ist aber allgemeinkundig. Für diese Gefahr sind Soldaten durch das
Alkoholverbot der ZDv 10/5 und ihre Ausbildung besonders sensibilisiert. Sie sind verpflichtet,
dafür Sorge zu tragen, dass sie ihren Dienst ohne alkoholbedingte Einschränkungen antreten
und ableisten können (vgl. Urteil vom 17. Januar 2013 - BVerwG 2 WD 25.11 -). Es obliegt ihnen
auch, außerhalb des Dienstes von dem Genussmittel Alkohol verantwortlich Gebrauch zu
machen, um keine Zweifel an ihrer dienstlichen Zuverlässigkeit in dieser Hinsicht aufzuwerfen.
Kommt ein Soldat dieser Obliegenheit nicht nach, kann er sich nicht zur Milderung einer
Maßnahme darauf berufen, dass sich das ihm bekannte Risiko einer Normüberschreitung durch
die enthemmende Wirkung des Alkohols realisiert hat. Denn ein Soldat, der sich in einem
Ausmaß berauscht, das seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert,
dokumentiert damit, dass er nicht willens oder in der Lage ist, den Alkoholkonsum so rechtzeitig
einzustellen, dass es zu einer Enthemmung nicht kommt. Begeht er in diesem Zustand zum
Beispiel wie hier ein Gewaltdelikt, wirft der Soldat damit nicht nur Zweifel daran auf, ob er im
innerdienstlichen Bereich die Grenzen rechtmäßiger Gewaltanwendung wahren kann. Vielmehr
begründet er zugleich Zweifel daran, dass er seinen Dienstpflichten im Umgang mit Alkohol
jederzeit genügen wird.
47 Es gibt hier keinen Hinweis darauf, dass der Soldat für Art und Umfang seines
Alkoholkonsums vor der Tat nicht selbst verantwortlich gewesen wäre. Insbesondere gibt es
keinen Hinweis auf eine Alkoholabhängigkeit des Soldaten mit Krankheitswert.
48 Auf Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern
könnten (vgl. z.B. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.), kann er sich
nicht berufen.
49 Insbesondere handelt es sich, auch wenn die Tat dem Soldaten wesensfremd gewesen ist,
nicht um eine einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und
im Dienst bewährten Soldaten.
50 Nach der Rechtsprechung des Senats ist für das Vorliegen einer Augenblickstat
entscheidend, ob der Soldat das Dienstvergehen in einem Zustand begangen hat, in dem er die
rechtlichen und tatsächlichen Folgen seines Verhaltens nicht bedacht hat, wozu ein gewisses
Maß an Spontaneität, Kopflosigkeit und Unüberlegtheit gehört (Urteile vom 19. September 2001 -
BVerwG 2 WD 9.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 48 und vom 30. März 2011 - BVerwG 2 WD
5.10 - juris Rn. 52). Von Spontaneität, Kopflosigkeit oder Unüberlegtheit ist allerdings dann nicht
mehr zu sprechen, wenn das Dienstvergehen sich als mehraktiges Verhalten darstellt, das
immer wieder neue, wenn auch kurze Überlegungen erfordert (vgl. Urteil vom 27. Juli 2010 -
BVerwG 2 WD 5.09 - juris Rn. 23).
51 Hier steht ein mehraktiges Geschehen in Rede. Das Strafgericht hat bindend festgestellt,
dass der Soldat die Schülerin erst würgte, nachdem eine Rangelei und Schubserei
vorangegangen war. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hatte der Soldat nach dieser
Rangelei zunächst von der Geschädigten abgelassen und kam dann erneut von hinten an sie
heran, um sie zu würgen. Es handelt sich mithin nicht um einen Fall plötzlich eskalierender, nur
kurz andauernder, sich hochschaukelnder und nicht durch eine Zäsur unterbrochener
Streitigkeiten, sodass ein Kontrahent wegen der schnellen Abfolge der Ereignisse gar keine
Gelegenheit gehabt hätte, Abstand zu gewinnen und über weitere Schritte nachzudenken.
52 e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Führung“ sind dem
Soldaten das von Anfang der polizeilichen Ermittlungen an abgegebene, vollumfängliche
Geständnis und die mehrfach glaubhaft geäußerte Unrechtseinsicht zugute zu halten. Glaubhaft
ist die Unrechtseinsicht vor allem deshalb, weil sie in der Schmerzensgeldzahlung an die
Geschädigte und die dieser in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht geäußerten
Entschuldigung Ausdruck gefunden hat. Für den Soldaten spricht, dass er bemüht war, den
Schaden wiedergutzumachen.
53 Nachdrücklich zugunsten des Soldaten sprechen auch seine herausragenden Leistungen vor
der Tat, die nicht nur durch die Beurteilungen, sondern auch durch die förmlichen
Anerkennungen, die Leistungsstufe und die Leistungsprämien sowie die Angaben der
Disziplinarvorgesetzten als Leumundszeugen belegt sind. Für ihn spricht auch die durch
Sonderbeurteilung und die Angaben des Leumundszeugen in der Berufungshauptverhandlung
nachgewiesene Nachbewährung, die in der Steigerung seiner ohnehin bereits
überdurchschnittlichen Leistungen trotz der Belastungen des Verfahrens und der nach dem
Vorfall in jeder Hinsicht tadelfreien Führung Ausdruck findet. Da es schon faktisch keine
erheblichen Einschränkungen in seiner Verwendung durch den Verlust der Sicherheitsstufe
gegeben hat, stehen solche in tatsächlicher Hinsicht einer Nachbewährung nicht entgegen.
54 f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im
Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zweckssetzung des
Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer - gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 62
Abs. 1 Satz 3 WDO bis zum Feldwebel zulässigen - Dienstgradherabsetzung erforderlich und
angemessen.
55 Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten
Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von
einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
56 aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung
vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und
Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende
Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“. Vorliegend gehen die
Bemessungserwägungen von einer Dienstgradherabsetzung aus.
57 In der Rechtsprechung des Senats ist bei brutalen, körperlichen Misshandlungen durch
Soldaten in Vorgesetztenstellung im außerdienstlichen Bereich in aller Regel eine
Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad als angemessene Maßnahme
betrachtet worden (vgl. Urteile vom 23. Januar 1996 - BVerwG 2 WD 32.95 - juris Rn. 12, vom 11.
März 1998 - BVerwG 2 WD 30.97, vom 5. Mai 1998 - BVerwG 2 WD 25.97 - BVerwGE 113, 217
= Buchholz 236.1 § 17 SG Nr. 19, vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 2 WD 26.99 - juris Rn. 11,
vom 2. März 2000 - BVerwG 2 WD 44.99 - juris Rn. 8).
58 Jedenfalls bei einer außerdienstlichen Körperverletzung, bei der - wie hier - auch die
qualifizierenden Tatbestandsmerkmale nach den §§ 224 bis 227 StGB erfüllt sind, ist die
Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad zum Ausgangspunkt der
Zumessungserwägungen zu nehmen (Urteil vom 24. Mai 2012 - BVerwG 2 WD 18.11 - Rn. 32).
Dass es sich um ein außerdienstliches Fehlverhalten handelt, rechtfertigt keine mildere
Regelmaßnahme. Die Unfähigkeit, im privaten Bereich die Grenzen rechtmäßiger Anwendung
von körperlicher Gewalt einzuhalten, hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen des Dienstherrn
in die dienstliche Zuverlässigkeit des Soldaten. Soldaten üben für den Dienstherrn das staatliche
Gewaltmonopol in der Verteidigung des Staates und seiner Bürger nach außen hin aus. Hierbei
muss der Dienstherr darauf vertrauen können, dass sie besonnen und unter Beachtung
rechtlicher Grenzen vorgehen. Dieses Vertrauen ist beeinträchtigt, wenn ein Soldat im privaten
Bereich Gewalt als Mittel der Konfliktlösung einsetzt.
59 bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38
Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts
Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer
Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme
eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie
dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände
um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt
kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach
„oben“ bzw. nach „unten“ zu modifizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“
kann z.B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte,
einmalig oder wiederholt oder in einem besonders wichtigen Pflichtbereich versagt hat. Bei den
Auswirkungen des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb sowie
schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu
berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben
der Schuldform und der Schuldfähigkeit das Vorliegen von Erschwerungs- und
Milderungsgründen in den Tatumständen in Betracht zu ziehen.
60 Hiernach liegt zwar kein besonders schwerer Fall vor, der die Grundlage des Vertrauens in
die Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten zerstören würde und deshalb zur Verhängung der
Höchstmaßnahme führen müsste. Allerdings gibt es erschwerende Gesichtspunkte,
insbesondere die Folgen der Tat für das Opfer, die Brutalität des Angriffes gegen eine
offensichtlich körperlich unterlegene Person aus zu missbilligendem Anlass, die Notwendigkeit
des Einschreitens von Kameraden zur Verhinderung von Schlimmerem, die es ausschließen,
von einem leichten Fall auszugehen, der mit einer milderen Maßnahme als der
Dienstgradherabsetzung noch angemessen sanktioniert werden könnte. Zwar mögen die
spezialpräventiven Sanktionszwecke durch die pflichtenmahnende Wirkung des Verfahrens
selbst bereits zum Teil erreicht sein, wie die Nachbewährung ausweist. Jedoch sind auch
generalpräventive Aspekte in die Maßnahmebemessung einzubeziehen, die bei einem im
Kameradenkreis bekannt gewordenen, mit vergleichsweise hoher Brutalität begangenen,
außerdienstlichen Gewaltdelikt hohe Hürden für den Verzicht auf eine nach außen sichtbare
Maßnahme setzen. Den im vorliegenden Fall gewichtigen, für den Soldaten sprechenden
Aspekten - insbesondere seine kontinuierlich sehr guten Leistungen, die Nachbewährung
während des laufenden Verfahrens, die in der Bereitschaft, Schmerzensgeld an die Geschädigte
zu zahlen, glaubhaft zum Ausdruck gebrachte Unrechtseinsicht und die Persönlichkeitsfremdheit
der Tat - kann angemessen dadurch Rechnung getragen werden, dass der rechtliche Rahmen
einer möglichen Dienstgradherabsetzung nicht ausgeschöpft und diese auf einen Grad begrenzt,
zugleich auch die Wiederbeförderungsfrist verkürzt wird.
61 Weder § 16 Abs. 1 WDO noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO stehen einer Dienstgradherabsetzung
entgegen.
62 Die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme ist auch nicht mit Rücksicht auf die
sachgleiche strafrechtliche Verurteilung des Soldaten geboten. Steht im Einzelfall § 16 WDO der
Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe
einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des
sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung.
Strafverfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe
unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme.
Während erstere neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für
begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische
Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen
geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, indem sie
denjenigen, der die ihm obliegenden Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat, entweder durch eine
erzieherische Maßnahme zu künftig pflichtgemäßem Verhalten mahnt oder ihn aus dem
Dienstverhältnis entfernt bzw. die sonst gebotene Höchstmaßnahme ausspricht (vgl. Urteile vom
13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 49 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2
WD 2.10 - juris Rn. 51 ).
63 Die Dauer des Verfahrens gibt keinen Grund für eine weitergehende Abmilderung der
Maßnahme. Zwar kann eine überlange Verfahrensdauer, die einen Verstoß gegen die
Gewährleistung einer Verhandlung innerhalb angemessener Frist durch Art. 6 EMRK begründet,
einen Milderungsgrund bei solchen Disziplinarmaßnahmen begründen, die der
Pflichtenmahnung dienen. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und kann mit
pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden sein, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
das Sanktionsbedürfnis mindern können (vgl. Urteile vom 17. Juni 2003 - BVerwG 2 WD 2.02 -
NZWehrr 2004, 83 ff. und juris Rn. 18; vom 26. September 2006 - BVerwG 2 WD 2.06 -
BVerwGE 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 - BVerwG 2 WD 6.07 - Rn. 116; vom 22. Oktober
2008 - BVerwG 2 WD 1.08 - Rn. 122; vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - a.a.O. Rn. 47
sowie vom 29. November 2012 - BVerwG 2 WD 10.12 - Rn. 62). Eine lange Verfahrensdauer
kann sich im Einzelfall aber auch zugunsten des Soldaten auswirken, in dem sich ihm dadurch
etwa die Möglichkeit einer Nachbewährung bietet (vgl. Urteil vom 13. März 2008 - BVerwG 2 WD
6.07 - Rn. 118). Hier verstößt die Dauer des vorliegenden Verfahrens nicht gegen Art. 6 EMRK.
Zwar mag das Verfahren in der Vorinstanz nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben
worden sein. Dennoch liegen hier zwischen der Einleitung des Verfahrens und der
letztinstanzlichen Entscheidung etwa drei Jahre. Mit dieser Verfahrensdauer für zwei
Gerichtsinstanzen ist das Verfahren jedoch noch nicht überlang, weil ein strafgerichtliches
Verfahren voranging. Zudem hatte der Soldat dadurch Gelegenheit, seine Nachbewährung unter
Beweis zu stellen. Die hierin zum Ausdruck kommende pflichtenmahnende Wirkung der Dauer
des Verfahrens ist bei der Maßnahmebemessung in der Form der Begrenzung des Umfanges
der auszusprechenden Dienstgradherabsetzung bereits berücksichtigt.
64 Die besonderen Gründe für die Verkürzung der Wiederbeförderungsfrist nach § 62 Abs. 3
Satz 3 WDO liegen in den über viele Jahre auf hohem Niveau erbrachten Leistungen des
Soldaten und ihrer Steigerung noch im gerichtlichen Disziplinarverfahren. Der Soldat soll eine
Möglichkeit erhalten, die Wiederbeförderung durch weiterhin überzeugende Leistungen so
zeitnah zu erreichen, dass dies für sein Ruhegehalt nach § 18 Abs. 1 SVG noch Bedeutung hat.
65 4. Da die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft erfolgreich gewesen ist, sind die Kosten
des Berufungsverfahrens gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz WDO dem Soldaten
aufzuerlegen. Es besteht kein Anlass, ihn aus Billigkeitsgründen (§ 139 Abs. 1 Satz 2 2.
Halbsatz WDO) ganz oder teilweise davon oder von den ihm in dem Berufungsverfahren
erwachsenen notwendigen Auslagen (§ 140 Abs. 3 Satz 3 WDO) zu entlasten.
Dr. von Heimburg
Dr. Burmeister
Dr. Eppelt