Urteil des BVerwG vom 10.06.2003

BVerwG: ddr, beweisantrag, begründungspflicht, vermögensrecht, grundstück, verfahrensmangel

Rechtsquellen:
VwGO § 86 Abs. 2, § 108 Abs. 1 Satz 2
Stichworte:
Förmlicher Beweisantrag; Ablehnung; Begründung; Sitzungsnieder-
schrift; Entscheidungsgründe.
Leitsatz:
Wird die Begründung für die Ablehnung eines förmlichen Beweis-
antrags nicht in die Sitzungsniederschrift aufgenommen, so muss
das Tatsachengericht die Gründe in den Entscheidungsgründen des
Urteils darlegen.
Beschluss des 8. Senats vom 10. Juni 2003 - BVerwG 8 B 32.03 -
I. VG Frankfurt (Oder) vom 18.10.2002 - Az.: VG 5 K 2780/97 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 32.03
VG 5 K 2780/97
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r , den Richter am Bundesverwaltungsgericht
G o l z e und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. von H e i m b u r g
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt
(Oder) vom 18. Oktober 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung an das Verwaltungsgericht
zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 62 376 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zwar kommt der Streit-
sache nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu
(1.), es liegt aber ein gerügter Verfahrensmangel vor, auf dem
das Urteil beruhen kann (2.).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisi-
onsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich unge-
klärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde
liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechts-
frage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten
ist.
Daran fehlt es hier. Die von der Beschwerde als grundsätzlich
bedeutsam bezeichnete Frage,
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ob ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 Buchst. b oder c
GVVO-63 und damit der Tatbestand des § 4 Abs. 3
Buchst. a VermG erfüllt ist, wenn sowohl das bebau-
te Wohnhausgrundstück bzw. Flurstück, als auch das
benachbarte, unbebaute weitere Grundstück bzw.
Flurstück an den DDR-Nutzer verkauft worden ist,
betrifft das nichtrevisible Recht der DDR. Das Verwaltungsge-
richt hat die genannten Vorschriften der Grundstücksverkehrs-
verordnung unter Bezugnahme auf den Grundstücksbegriff im
Rechtssinne dahin gehend ausgelegt, dass der einheitliche Ver-
kauf von zwei Flurstücken, die nur ein Buchgrundstück bildeten,
trotz ihrer Größe nach den Vorschriften der DDR nicht zu bean-
standen sei. Diese Auslegung wäre im Revisionsverfahren nicht
überprüfbar. Im Übrigen entspricht es auch der ständigen Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts, im Vermögensrecht vom
Buchgrundstück auszugehen (vgl. Urteil vom 24. Oktober 2001
- BVerwG 8 C 32.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 Nr. 31 S. 88 <94>
m.w.N.).
2. Es liegt aber der von der Beschwerde geltend gemachte Ver-
fahrensverstoß vor, auf dem das Urteil beruhen kann. Die Be-
schwerde rügt, dass die von der Klägerin in der mündlichen Ver-
handlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten drei formellen
Beweisanträge nicht berücksichtigt worden sind.
Nach § 86 Abs. 2 VwGO kann ein in der mündlichen Verhandlung
gestellter Beweisantrag nur durch einen Gerichtsbeschluss, der
zu begründen ist, abgelehnt werden. Ausweislich der Sitzungs-
niederschrift hat das Gericht einen solchen Beschluss gefasst
und der Vorsitzende hat den Beschluss auch mündlich begründet.
Damit ist zwar zunächst dem Erfordernis des § 86 Abs. 2 VwGO
Genüge getan. Da aber förmliche Beweisanträge nur in bestimmten
Fällen abgelehnt werden können (z.B. weil sie nach der Rechts-
auffassung des Tatsachengerichts nicht erheblich sind, die Be-
hauptung ins Blaue hinein aufgestellt wurde usw.) muss die Be-
gründung für die Ablehnung zur Ermöglichung der Verfahrenskon-
trolle durch das Revisionsgericht aktenkundig sein. Soweit dies
nicht durch Aufnahme in die Sitzungsniederschrift geschieht,
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muss das Gericht daher seine Begründung für die Zurückweisung
der Beweisanträge in den Entscheidungsgründen darlegen. So ent-
spricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts, dass es im Rahmen des Verfahrens nach § 130 a VwGO
zwar keiner Vorabentscheidung über einen gestellten Beweisan-
trag bedarf, dass aber aus den Entscheidungsgründen des Be-
schlusses ersichtlich sein muss, dass das Tatsachengericht die
Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und seine
Beweisanträge vorher auf ihre Rechtserheblichkeit geprüft hat
(vgl. u.a. Beschluss vom 19. April 1999 - BVerwG 8 B 150.98 -
Buchholz 310 § 130 a Nr. 37 S. 10 <13> m.w.N.). Weiter hat das
Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass es gegen die Begrün-
dungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO) verstößt, wenn das Tat-
sachengericht das Ergebnis seiner Abwägung nicht in den Ent-
scheidungsgründen in einer für das Revisionsgericht nachvoll-
ziehbaren Weise darlegt (Urteil vom 31. Juli 2002 - BVerwG 8 C
37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 102 <110> unter
Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH). Auch die Begründung
des Tatsachengerichts für die Nichteinholung eines Sachverstän-
digengutachtens wegen eigener ausreichender Sachkenntnis muss
in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dar-
gelegt werden (Beschluss vom 19. November 1998 - BVerwG 8 B
148.98 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 19 S. 55 <57> m.w.N.). Da
im vorliegenden Fall weder der Sitzungsniederschrift noch den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eine Begründung
für die Zurückweisung der Beweisanträge zu entnehmen ist, kann
der Senat nicht feststellen, ob die Begründung tragfähig ist.
Es ist auch nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die in der
mündlichen Verhandlung getroffene Entscheidung der Vorinstanz
insofern nachzuvollziehen, als es einerseits anhand der im Ur-
teil zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung des Gerichts und
andererseits am gesamten Akteninhalt prüft, ob die Beweisanträ-
ge zulässigerweise hätten abgelehnt werden können.
Zur Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat von der Mög-
lichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch und hebt das angefoch-
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tene Urteil ohne vorherige Durchführung eines Revisionsverfah-
rens auf.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 13, 14 GKG.
Dr. Müller Golze Dr. von Heimburg