Urteil des BVerwG vom 11.01.2008

BVerwG: beweisantrag, beweiswürdigung, grundstück, rüge, beschwerdebefugnis, gebäude, verzicht, aufklärungspflicht, verfahrensmangel, upr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 54.07
OVG 4 L 425/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Januar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und Dr. Nolte
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. Juli 2007 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 337,50 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg.
1. Als grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wirft die
Beschwerde folgende Fragen auf:
„Darf der Umstand, dass der Beitragspflichtige finanziell
nicht in der Lage ist, sein Grundstück tatsächlich anzu-
schließen, bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der He-
ranziehung zu einer Vorausleistung zu einem Schmutz-
wasserbeitrag außer Betracht bleiben?“
„Können Einwendungen des Klägers hinsichtlich der
Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwanges
im Rahmen der Heranziehung zu einem Beitragsvoraus-
leistungsbescheid dahingestellt bleiben?“
„Darf die Möglichkeit der Anschlussnahme - welche im
Rahmen der Heranziehung zu einer Vorausleistung re-
gelmäßig noch nicht gegeben ist - für die Bejahung des
wirtschaftlichen Vorteils herangezogen werden?“
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Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Sie betreffen Vor-
schriften des Landesrechts und des ihm zuzurechnenden Ortsrechts und mithin
irrevisible Normen, deren Auslegung und Anwendung vom Revisionsgericht
nicht nachgeprüft wird (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) und die Zulassung der Revisi-
on wegen grundsätzlicher Bedeutung deswegen nicht begründen kann. Den für
eine Grundsatzrüge erforderlichen Bezug zum Bundesrecht (vgl. hierzu näher
Beschluss vom 7. März 1996 - BVerwG 6 B 11.96 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1
VwGO Nr. 7) lässt die Beschwerde, die ausdrücklich das Ziel einer einheitlichen
Auslegung und Anwendung von Landesrecht hervorhebt, nicht erkennen.
2. Mit ihrer Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) macht die Beschwerde
geltend, der angefochtene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts weiche von
einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 23. Februar 1999
- IX R 61/96 - BFH/NV 1999, 1079) ab. Einen Zulassungsgrund vermag die Be-
schwerde damit aber schon deswegen nicht darzulegen, weil die nach ihrer An-
sicht voneinander abweichenden Rechtssätze der Entscheidungen nicht die-
selbe Rechtsnorm betreffen (vgl. zu diesem Erfordernis Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Während sich derjenige des Oberverwaltungsgerichts auf die
- ohnehin irrevisible - Vorschrift des § 6 KAG LSA bezieht, äußert sich der Bun-
desfinanzhof insoweit zu § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes. Auch in
inhaltlicher Hinsicht führt der Hinweis der Beschwerde auf die Entscheidung
des Bundesfinanzhofs nicht weiter, weil es dort in Abgrenzung von Anschaf-
fungs- und Werbungskosten um eine wesentliche Verbesserung des Grund-
stücks geht, wohingegen für das Oberverwaltungsgericht nach dem KAG LSA
der - deutlich weiter gefasste - (wirtschaftliche) Vorteil für den Beitragspflichti-
gen entscheidend ist.
3. Auch die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht
durch.
a) Als Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO)
macht die Beschwerde geltend, das Oberverwaltungsgericht habe sich nicht mit
der Wirksamkeit der Erweiterungsbeitragssatzung als Rechtsgrundlage des
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angefochtenen Vorausleistungsbescheides auseinandergesetzt. Dieses Vor-
bringen erfüllt nicht die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die
Darlegung eines Zulassungsgrundes. Denn die Beschwerde legt weder dar,
hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat,
welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hier-
für in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich ge-
troffen worden wären, noch zeigt sie auf, dass vom Kläger vor dem Oberverwal-
tungsgericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden
ist oder sich dem Gericht entsprechende Ermittlungen auch ohne ein solches
Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. zu diesen Anforderungen Beschluss
vom 19. August 1997 a.a.O.).
Unabhängig hiervon ist in der Sache selbst daran zu erinnern, dass eine sach-
gerechte Handhabung des Amtsermittlungsgrundsatz dem Gericht keine „unge-
fragte“ Fehlersuche abverlangt (Urteil vom 17. April 2002 - BVerwG 9 CN 1.01 -
BVerwGE 116, 188 <196 f.>). Das gilt insbesondere im Fall einer inzidenten
Satzungskontrolle, wenn der Kläger - worauf hier das Oberverwaltungsgericht
von der Beschwerde unbeanstandet hingewiesen hat - Bedenken gegen die
formelle oder materielle Wirksamkeit der Satzung nicht erhoben hat.
b) Einen weiteren Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz sieht die Be-
schwerde darin, dass das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung ohne
nähere Klärung der Grenzverhältnisse annehme, das klägerische Grundstück
grenze unmittelbar an den öffentlichen Straßenraum an. § 86 Abs. 1 VwGO ist
jedoch nicht verletzt. Zwar macht die Beschwerde geltend, der Kläger habe (im
Schriftsatz vom 22. Januar 2007) die Richtigkeit des vom Beklagten vorgeleg-
ten Flurkartenauszugs bestritten und auf eine Klärung der Eigentumsverhältnis-
se - gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - hin-
gewirkt. Sie übersieht jedoch, dass der Kläger in seinem Schriftsatz vom
17. April 2007 den Einwand des fehlenden Anschlusses seines Grundstückes
an den öffentlichen Verkehrsraum nicht mehr aufrechterhalten hat, nachdem
der Beklagte einen aktuellen Liegenschaftsauszug vorgelegt hat. Da sich der
Kläger hiermit in der Sache der Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts
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in seinem Berufungszulassungsbeschluss vom 23. Februar 2007 angeschlos-
sen hat, bestand für das Oberverwaltungsgericht kein Anlass mehr, früheren
Beweisangeboten des Klägers nachzugehen. Auch hat sich angesichts des
nunmehr insoweit unstreitigen Sachverhalts dessen weitere Aufklärung jeden-
falls nicht aufgedrängt. Die Angriffe der Beschwerde im Zusammenhang mit der
Annahme des unmittelbaren Angrenzens des klägerischen Grundstücks an den
öffentlichen Verkehrsraum im angefochtenen Beschluss des Oberverwaltungs-
gerichts erweisen sich deswegen als bloße Kritik an der Beweiswürdigung des
Oberverwaltungsgerichts, die eine Zulassung der Revision wegen eines Verfah-
rensmangels nicht begründen kann (vgl. hierzu Beschluss vom 2. November
1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - UPR 2000, 226).
c) Ohne Erfolg stützt die Beschwerde ihre weitere Verfahrensrüge auf einen
Verstoß gegen § 128a Abs. 1 VwGO. Sie meint, das Oberverwaltungsgericht
hätte das Vorbringen des Beklagten vor dem Oberverwaltungsgericht in Form
der Vorlage der Flurkarten als verspätet und nicht entschuldigt zurückweisen
müssen. Diese Rüge greift schon deswegen nicht durch, weil im Nichtzurück-
weisen von unentschuldigt verspätetem Vorbringen des einen Beteiligten keine
die Beschwerdebefugnis auslösende Beschwer des anderen Beteiligten liegt.
Ebenso wie § 87b Abs. 3 VwGO, auf dessen Voraussetzungen § 128a VwGO
Bezug nimmt, ist § 128a Abs. 1 VwGO nicht in diesem Sinne „drittschützend“
(vgl. zur Vorschrift des § 87b Abs. 3 VwGO Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG
4 C 2.03 - NVwZ 2004, 1114 <1115>). Die Vorschrift dient dem öffentlichen
Interesse, das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleu-
nigen. Wenn Vorbringen von der Vorinstanz entgegen der Vorschrift des
§ 128a Abs. 1 VwGO bereits zugelassen wurde, kann diesem Interesse vom
Revisionsgericht ohnehin nicht mehr Rechnung getragen werden. Erst recht
besteht kein Anlass, dem Beteiligten, der sich mit einem solchen Vorbringen
konfrontiert sieht, die Rechtsmacht zu verleihen, die Zulassung des Vorbrin-
gens im Interesse der Allgemeinheit zu rügen (Bader, in: ders., VwGO, 4. Aufl.
2007, § 128a Rn. 12; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/
Pietzner, VwGO, Stand September 2007, § 128a Rn. 12; Kopp/Schenke,
VwGO, 15. Aufl. 2007, § 128a Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Feb-
ruar 1991 - XI ZR 163/90 - NJW 1991, 1896 <1897> zu § 528 ZPO a.F.).
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d) Als vierten Verfahrensmangel macht die Beschwerde schließlich geltend,
das Oberverwaltungsgericht habe seine Amtsermittlungspflicht auch dadurch
verletzt, dass es das Vorbringen des Klägers, die Herstellung des Grund-
stücksanschlusses gefährde die Standsicherheit eines seiner Gebäude, als
bloße Behauptung qualifiziert habe, ohne dem gestellten Beweisantrag auf Ein-
holung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen. Auch diese Rüge
bleibt ohne Erfolg. Auf der Grundlage der bereits dargelegten Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Aufklärungspflicht abgesehen vom
Fall einer sich aufdrängenden Sachverhaltsermittlung nicht verletzt ist, wenn
das Gericht von einer Beweiserhebung absieht, auf die eine anwaltlich vertre-
tene Partei nicht förmlich hingewirkt hat, setzt eine Aufklärungspflichtverletzung
im hier gegebenen Fall einer Entscheidung nach § 130a VwGO voraus, dass
die anwaltlich vertretene Partei auf das gerichtliche Anhörungsschreiben hin
einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit dem Hinweis widerspro-
chen hat, in der mündlichen Verhandlung solle ein Beweisantrag zu der für er-
forderlich gehaltenen Sachverhaltsermittlung gestellt werden (Beschluss vom
30. Oktober 2007 - BVerwG 5 B 157.07 - juris Rn. 12). Daran fehlt es hier. Zwar
hat die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom
17. April 2007 zur Frage der Standsicherheit des betroffenen Gebäudes für den
Bestreitensfall die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt und
im Schriftsatz vom 31. Mai 2007 einem Verzicht auf mündliche Verhandlung
ausdrücklich widersprochen. Auf das gerichtliche Anhörungsschreiben vom
6. Juni 2007 hat sie jedoch keine Einwendungen gegen eine Entscheidung
nach § 130a VwGO erhoben und auch keinen förmlichen Beweisantrag ange-
kündigt, obwohl der Berichterstatter im Anhörungsschreiben unter Einbezie-
hung des Schriftsatzes vom 31. Mai 2007 zu den - aus seiner Sicht gegebe-
nen - Erfolgsaussichten der Berufung des Beklagten Stellung genommen hat.
Dieses fehlende „Hinwirken“ auf eine mündliche Verhandlung und eine Beweis-
aufnahme konnte das Gericht nur dahingehend verstehen, dass sich der Kläger
mit der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, es fehle bereits an
einem substanziierten Vorbringen zur Frage der Standsicherheit des klägeri-
schen Gebäudes, abgefunden hat. Dass sich eine Beweisaufnahme dennoch
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aufgedrängt hätte, ist auf dieser Grundlage nicht erkennbar und wird von der
Beschwerde auch nicht geltend gemacht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 VwGO.
Dr. Storost Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
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