Urteil des BVerwG vom 05.05.1998

BVerwG (soldat, körperliche unversehrtheit, stgb, gewicht, schuldfähigkeit, bindungswirkung, verurteilung, alkohol, abstand, schuld)

Rechtsquellen:
WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 7, § 84 Abs. 1;
StGB § 21
Stichworte:
Körperverletzung, außerdienstliche; Degradierung; verminderte Schuldfähigkeit;
Bindungswirkung.
Leitsatz:
1. Die Bindungswirkung rechtskräftiger Strafurteile erfasst nur die
Feststellungen, die zu den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen
der jeweiligen Strafnorm gehören, die Grundlage der Verurteilung ist, nicht
aber auch diejenigen, die für die Frage der verminderten Schuldfähigkeit nach
§ 21 StGB Bedeutung haben.
2. Eine von einem Unteroffizier im außerdienstlichen Bereich begangene
vorsätzliche Körperverletzung stellt ein Dienstvergehen von erheblichem
Gewicht dar, das in der Regel mit einer Dienstgradherabsetzung in den
Mannschaftsdienstgrad zu ahnden ist.
BVerwG, Urteil des 1. Wehrdienstsenats vom 13. März 2003
- BVerwG 1 WD 2.03 -
Truppendienstgericht Süd
Der (zwischenzeitlich aus dem Dienst ausgeschiedene) Soldat im Dienstrang eines
Unteroffiziers war durch Urteil des Amtsgerichts wegen - im außerdienstlichen
Bereich begangener - vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tatmehrheitlichen
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Festsetzung einer
Bewährungszeit auf zwei Jahre verurteilt worden.
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Das Truppendienstgericht wertete sein Verhalten im gerichtlichen
Disziplinarverfahren als vorsätzlichen Verstoß gegen seine außerdienstliche
Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG und setzte ihn in den Dienstgrad
eines Hauptgefreiten herab.
Die Berufung des früheren Soldaten hatte beim Bundesverwaltungsgericht keinen
Erfolg.
A u s d e n G r ü n d e n :
Nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maß der
Disziplinarmaßnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie seine
Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und
die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.
Bei Anlegung dieses Maßstabes hat die Kammer das festgestellte pflichtwidrige
Verhalten des früheren Unteroffiziers mit der Herabsetzung in einen
Mannschaftsdienstgrad nicht unangemessen hart geahndet.
Die „Eigenart und Schwere” eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem
Unrechtsgehalt der Verfehlungen, mithin also nach der Bedeutung der verletzten
Pflicht(en). Auch wenn der frühere Soldat seine körperlichen Attacken jeweils im
außerdienstlichen Bereich beging, handelt es sich um ein Dienstvergehen, das
erhebliches Gewicht hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass der frühere Soldat
mit seinem Fehlverhalten kriminelles Unrecht beging (Körperverletzung nach
§ 223 StGB), das eine rechtskräftige strafgerichtliche Ahndung in erheblicher
Höhe nach sich zog. Obwohl sie den dienstlichen Bereich nicht unmittelbar
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berührte, lässt eine solche kriminelle Verfehlung Rückschlüsse auf
Charaktermängel des früheren Soldaten zu. Denn sie offenbart, dass der frühere
Soldat nicht bereit oder jedenfalls nicht in der Lage ist, sich in
Konfliktsituationen so zu beherrschen, dass eine innere Gereiztheit oder
Verärgerung nicht in körperliche Aggressionen und Attacken umschlägt.
Das Gewicht seines Fehlverhaltens wird - wie die Truppendienstkammer zu Recht
ausgeführt hat - noch dadurch erhöht, dass der frühere Soldat in derselben Nacht
nicht nur spontan einmal, sondern wiederholt im Abstand von zirka einer halben
Stunde auf sein Opfer einschlug, das ihn nach den bindenden Feststellungen des
Truppendienstgerichts jedenfalls nicht durch einen tätlichen Angriff zuvor
provoziert hatte.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist in der Regel zur disziplinaren Ahndung
eine „reinigende” Maßnahme - auch aus generalpräventiven Gründen -
unerlässlich, wenn sich ein Soldat im außerdienstlichen Bereich einer
Körperverletzung, die zudem strafrechtlich mit einer erheblichen Strafe
geahndet worden ist, schuldig gemacht hat (vgl. Urteile vom 5. Mai 1998
- BVerwG 2 WD 25.97 - und vom
19. Oktober 1999 - 2 WD 26.99 -
447> m.w.N.). Davon ist auch bei der Beurteilung der Pflichtverletzung des
früheren Soldaten auszugehen. Sein wiederholtes aggressives kriminelles
Fehlverhalten stellt einen gravierenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
des Betroffenen dar, die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützt
ist und deshalb einem besonderen staatlichen Schutz unterliegt.
Von besonderer Bedeutung für das Gewicht seines Dienstvergehens ist zudem,
dass der frühere Soldat zum Tatzeitpunkt aufgrund seines Dienstgrades als
Unteroffizier eine Vorgesetztenfunktion innehatte (§ 1 Abs. 5 SG i.V.m. § 4 Abs. 1
Nr. 3, Abs. 3 VorgV). Als Vorgesetzter soll er gemäß § 10 Abs. 1 SG in seiner
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Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben. Zur Anwendung der Vorschrift ist
nicht erforderlich, dass der frühere Soldat es innerhalb eines konkreten
Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht aus,
das er aufgrund seines Dienstgrades Vorgesetztenfunktionen ausüben kann (vgl.
dazu u.a. Scherer/Alff, SG, 7. Aufl., § 10 RNr. 3 m.w.N.).
Nach den bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts handelte der
frühere Soldat bei seinen Verfehlungen mit Vorsatz.
Dass der frühere Soldat zum Zeitpunkt der Tat in seiner Schuldfähigkeit im Sinne
des § 21 StGB eingeschränkt war, ist nach der vom Senat gewonnenen
Überzeugung auszuschließen. (wird ausgeführt)
Die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts
stehen dem nicht entgegen. Denn die Bindungswirkung rechtskräftiger
Strafurteile nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO erfasst nur die Feststellungen, die zu
den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen der jeweiligen Strafnorm
gehören, die Grundlage der Verurteilung ist, nicht aber auch diejenigen, die für
die Frage der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB Bedeutung haben (vgl.
Urteile vom 25. April 1956 - BDH 1 D 63.55 -
1895 = ZBR 1956, 298> und vom 8. Mai 1957 - 1 D 49.56 - ;
Dau, a.a.O., § 34 RNr. 15; Behnke, BDO, 2. Aufl., § 18 RNr. 12; Claussen/Janzen,
BDO, 8. Aufl., § 18 RNr. 10 c; Weiss, in: GKÖD II, BDO, § 18 RNr. 23; Köhler/Ratz,
BDO, 2. Aufl., § 18 RNr. 7). Die Anwendung des § 21 StGB gehört zur Straffrage
(vgl. statt vieler Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 21 RNrn. 2, 29). Angesichts
der unterschiedlichen Zwecke der Kriminalstrafe und der Disziplinarmaßnahme
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 1967 - 2 BvL 1/66 - ;
BVerwG, Urteil vom 6. Juli 2000 - 2 WD 9.00 - ) kann es
ist nicht Sinn des § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO sein, die Wehrdienstgerichte bei ihrer
ureigensten Aufgabe, das angemessene Disziplinarmaß zu finden (§ 58 Abs. 7
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i.V.m. § 38 WDO), an die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zum
Strafmaß zu binden. Somit ergibt sich, dass strafgerichtliche Feststellungen zu
§ 21 StGB im Rahmen des disziplinaren Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“
nicht bindend sind. An der nicht näher begründeten gegenteiligen Ansicht zur
Wehrdisziplinarordnung in der Fassung vom 15. März 1957 im Beschluss vom
10. Mai 1972 – BVerwG 2 WD 12.72 - hält der Senat nicht fest.
Unter Abwägung der wenigen für und der zahlreichen gegen den früheren
Soldaten sprechenden Gesichtspunkte ist das Truppendienstgericht zu Recht zu
der Überzeugung gelangt, dass auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung
des Senats grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung in den
Mannschaftsdienstgrad geboten ist, da er sich als Vorgesetzter disqualifiziert hat.
Milderungsgründe, die ausnahmsweise Veranlassung geben könnten, von einer
Dienstgradherabsetzung abzusehen, sind nicht ersichtlich. Bei einem
militärischen Vorgesetzten muss gerade auch im außerdienstlichen Bereich
uneingeschränkt gewährleistet sein, dass er von kriminellen Gewalttätigkeiten
gegenüber anderen Personen Abstand nimmt und sich rechtstreu verhält. Der
Umstand, dass der frühere Soldat bei seinem Fehlverhalten unter Alkoholeinfluss
stand, vermag ihn dabei nicht zu entlasten, denn es war seine Entscheidung, in
erheblichem Maße an jenem Abend Alkohol zu sich zu nehmen und sich den damit
verbundenen enthemmenden Wirkungen des Alkohols auszusetzen. Erschwerend
fällt dabei ins Gewicht, dass der frühere Soldat durch das Urteil des Amtsgerichts
kurze Zeit vor dem hier zu beurteilenden Fehlverhalten bereits schon einmal
wegen eines Delikts unter Alkoholeinfluss verurteilt worden war. Diese
Verurteilung nahm er jedoch nicht zum Anlass, künftig beim Genuss von Alkohol
Zurückhaltung zu üben.
Eine Beschränkung der Degradierung auf den Dienstgrad eines Oberstabsgefreiten
oder Stabsgefreiten der Reserve kam nicht in Betracht, da diese Dienstgrade nach
der Rechtsprechung des Senats nur solchen früheren Soldaten zuerkannt werden
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können, die sich nach ihren dienstlichen Leistungen sowie einer tadelfreien
Führung in und außer Dienst deutlich unter den Angehörigen des
Mannschaftsdienstes herausheben, hingegen nicht denen, die ein schweres
Dienstvergehen begangen haben (vgl. Urteil vom 27. Juni 1995 - BVerwG 2 WD
3.95 - ).
Prof. Dr. Pietzner
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Frentz