Urteil des BVerwG vom 17.05.2004

BVerwG: zusicherung, beitragsbemessung, erlass, bestimmtheit, anforderung, behörde, begriff, tatsachenfeststellung, rechtsirrtum, verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 111.03
OVG 5 B 168/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Mai 2004
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R u b e l
und Dr. N o l t e
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 256,54 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensmangel)
sowie des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
Die von der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge, mit der sie geltend macht, die
Auslegung des Schreibens des Beklagten vom 4. März 1996 als Zusicherung ver-
stoße gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, greift nicht durch.
Der tatrichterlich ermittelte Erklärungsinhalt eines Verwaltungsakts und mithin auch
einer zumindest verwaltungsaktsähnlichen Zusicherung, für die die Regelungen für
einen Verwaltungsakt grundsätzlich zumindest entsprechende Anwendung finden
(vgl. auch § 38 Abs. 2 VwVfG), ist als Tatsachenfeststellung nur eingeschränkt da-
raufhin überprüfbar, ob ihr ein fehlerhaft festgestellter Sachverhalt zugrunde liegt, ob
sie auf einem Rechtsirrtum beruht oder ob sie einen Verstoß gegen allgemeine Er-
fahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt oder einen un-
umstrittenen Prozessstoff zu Unrecht unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BVerwG,
Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <280>).
Einen Verstoß gegen Denkgesetze macht die Beschwerde zwar geltend. Er liegt
aber nur vor, wenn das Gericht einen Schluss zieht, der schlechterdings nicht gezo-
gen werden kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 m.w.N.). Hierfür ist nichts ersichtlich. Die
Beschwerde hält der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts lediglich eine andere,
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eigene Interpretation entgegen. Die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, wo-
nach der Beklagte rechtlich verbindlich davon ausging, dass Teile des Grundstücks
der Klägerin baulich nicht nutzbar seien und insoweit ein - lediglich der genauen Hö-
he nach noch zu bestimmender - Teilflächenabzug vorzunehmen sei, spiegelt sich
im Wortlaut des Schreibens des Beklagten vom 4. März 1996 ohne weiteres wieder
und wurde auch vom Verwaltungsgericht im Ansatz erwogen. Ein Widerspruch ge-
gen Denkgesetze ist entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht darin zu
sehen, dass das Oberverwaltungsgericht trotz seiner Auslegung, die konkrete Höhe
des Teilflächenabzugs sei nicht zugesichert, zum Ergebnis gelangt, dass die Hälfte
des Grundstücks der Beitragsbemessung nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen
und der von der Klägerin angefochtene Beitragsbescheid somit rechtswidrig ist.
Denn das Oberverwaltungsgericht gewinnt nicht die Höhe des Teilflächenabzugs,
sondern lediglich den Maßstab für diesen Abzug aus dem Schreiben vom 4. März
1996 und bestimmt erst auf dieser Grundlage den konkreten Teilflächenabzug, für
den es mangels durch Besichtigung festgestellter Werte zwischen den Beteiligten
unstreitige Tatsachen (hälftige Überschwemmung des Grundstücks) zugrunde legt.
Auch mit dem Hinweis, bei einer Gleichsetzung der im Schreiben des Beklagten vom
4. März 1996 verwandten Begriffe "Uferbereich" und "Überschwemmungsgebiet",
wie sie der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts zugrunde liege, ergebe die in
diesem Schreiben angekündigte Besichtigung zum Zwecke der Feststellung der Hö-
he des Teilflächenabzugs keinen Sinn, weil der Überschwemmungsbereich nicht
sichtbar sei, legt die Beschwerde keinen Verstoß gegen Denkgesetze dar. Es ist
vielmehr nachvollziehbar, dass der Überschwemmungsbereich bei einer Besichti-
gung aufgrund von Zeugenaussagen, Wasserstandsangaben und topografischen
Gegebenheiten ermittelt werden kann. Ein zwingender Schluss, der Begriff "Uferbe-
reich" könne nur im (engen) Sinn des Beklagten gemeint sein, lässt sich deswegen
jedenfalls nicht ziehen.
Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde die Frage auf,
"ob eine Zusicherung im Sinne des § 38 VwVfG vorliegen kann, wenn ledig-
lich ein bestimmtes Verfahren angekündigt wird, mit dessen Hilfe die tat-
sächliche Entscheidungsgrundlage eines Verwaltungsaktes erarbeitet wer-
den soll, ohne dass zum Zeitpunkt dieser Verfahrenszusage klar ist, welche
Kriterien abschließend den Inhalt des Verwaltungsaktes bestimmen werden".
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Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie würde sich in einem
Revisionsverfahren nicht stellen. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts, an die der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrüge gebunden ist,
kommt dem Schreiben des Beklagten vom 4. März 1996 ein deutlich über eine "Ver-
fahrenszusage" hinausgehender Inhalt zu. Es enthält danach gerade nicht "allein
eine Aussage, wie zukünftig die beitragspflichtige Fläche eines Grundstücks be-
stimmt werden soll", wie die Beschwerde meint, sondern sagt zu, einen Teil des
Grundstücks bei der Beitragsbemessung nicht zu berücksichtigen und damit einen
Teilflächenabzug nach § 19 Abs. 1 SächsKAG vorzunehmen und den Betrag bzw.
die Raten entsprechend festzusetzen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bin-
dende Selbstverpflichtungen einer Behörde auch außerhalb des auf den Erlass ei-
nes Verwaltungsakts bezogenen Anwendungsbereichs des § 38 VwVfG möglich und
zulässig sind (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 2 C 8.97 - BVerwGE
106, 129 <132> m.w.N. sowie Urteil vom 25. Januar 1995 - BVerwG 11 C 29.93 -
BVerwGE 97, 323 <331>).
Dass eine Zusicherung Bedingungen und andere Nebenbestimmungen enthalten
kann, ergibt sich schon aus ihrem zumindest verwaltungsaktsähnlichen Charakter
und wird im Hinblick auf die Herstellung von Rechtsklarheit vielfach geboten sein.
Für diese Feststellung, auf die die Frage der Beschwerde möglicherweise zielt und
die das Bundesverwaltungsgericht für Bedingungen bereits getroffen hat (Beschluss
vom 21. November 1991 - BVerwG 1 B 140/91 - juris), bedarf es deswegen nicht erst
der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Unabdingbar ist freilich die Bestimmt-
heit solcher Nebenbestimmungen. Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht aus-
gegangen. Ob diese Anforderung hinsichtlich des Schreibens des Beklagten vom
4. März 1996 erfüllt ist, ist eine Frage der Einzelfallwürdigung, die die Zulassung der
Revision nicht begründen kann. Dass die Festlegung des "Uferbereichs" auf der
Grundlage seiner vom Oberverwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Defini-
tion als "Überschwemmungsgebiet" den Bestimmtheitsanforderungen nicht entspre-
chen könnte, ist allerdings auch nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Hien Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte