Urteil des BVerwG vom 28.04.2008

BVerwG: öffentliches interesse, befreiung, bebauungsplan, ausschluss, behörde, gebäude, beschränkung, beschwerdeschrift, form, ausnahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 16.08
VGH 25 B 05.1337
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 9. August 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die
Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchst-
richterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen
Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die
allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll
(stRspr).
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Die Beschwerde wirft unter B I. die Fragen auf,
- Rechtfertigt der Ausschluss aller Nutzungsarten, die ge-
mäß § 3 Abs. 3 BauNVO in einem reinen Wohngebiet
ausnahmsweise zulässig sind, die Qualifizierung des
Wohngebiets als ein kompromisslos reines Wohngebiet
und damit den Grundzug einer Planung, der die Erteilung
einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für jedwede
Form gewerblicher Nutzungen ausschließt?
- Führt der Ausschluss von ausnahmsweise zulässigen
Nutzungsarten nach § 3 Abs. 3 BauNVO in einem Bebau-
ungsplan dazu, dass eine Befreiungsentscheidung nach
§ 31 Abs. 2 BauGB bereits dann die Grundzüge der Pla-
nung berührt, wenn eine solche Nutzungsart im Einzelfall
gleichwohl zugelassen wird?
- Begründet die Begrenzung von Antennenanlagen in ei-
nem Bebauungsplan einen gestalterischen Grundzug der
Planung dahingehend, dass er auch Mobilfunkanlagen
auszuschließen vermag?
- Berührt es die Grundzüge der Planung, wenn in einem
Wohngebiet, für das Nutzungsarten nach § 3 Abs. 3
BauNVO 1962/1968/1977 ausgeschlossen wurden, eine
Mobilfunkanlage im Wege der Befreiung zugelassen wird?
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision, weil der Verwal-
tungsgerichtshof in seinem Urteil davon ausgeht, dass die Grundzüge der Pla-
nung im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht berührt werden und die Er-
teilung einer Befreiung daher nicht an dieser gesetzlichen Voraussetzung
scheitert (Urteil Rn. 35 - 45). Soweit die Klägerin durch das angegriffene Urteil
beschwert wird - nämlich soweit das Gericht die Beklagte verpflichtet, über den
Antrag neu zu entscheiden, und damit eine weitergehende Verpflichtung der
Beklagten zur Erteilung der Befreiung ablehnt - beruht dieses nicht auf den an-
gesprochenen Fragen. Selbst wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Zu-
lassung wegen grundsätzlicher Bedeutung vorlägen, könnte eine revisionsge-
richtliche Überprüfung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs der
Klägerin zu keinem günstigeren Ergebnis verhelfen.
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2. Die in diesem Zusammenhang erhobene Divergenzrüge genügt nicht den
Darlegungserfordernissen. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein
Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsge-
richt in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in einer Entscheidung des Bun-
desverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wä-
re (stRspr). Dieser Zulassungsgrund muss in der Beschwerdeschrift nicht nur
durch Angabe der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der das
Berufungsgericht abgewichen sein soll, sondern auch durch Darlegung der als
solche miteinander in unmittelbarem Widerspruch stehenden, entscheidungs-
tragenden Rechtssätze bezeichnet werden. Die Beschwerde benennt zwar das
Urteil des Senats vom 11. Mai 2000 - 4 C 14.98 - (Buchholz 406.11 § 34
BauGB Nr. 200 = BRS 63 Nr. 105). Sie legt aber in keiner Weise dar, dass das
Normenkontrollgericht einen davon abweichenden Rechtsgrundsatz aufgestellt
und damit dem Bundesverwaltungsgericht die Gefolgschaft versagt hätte; sie
verkennt ferner, dass sich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mit der
Auslegung von § 34 BauGB (Beeinträchtigung des Ortsbildes) befasst hat,
während der Verwaltungsgerichtshof sich auf die Festsetzungen in einem Be-
bauungsplan (§ 30 BauGB) und die Voraussetzungen für Befreiungen von den
Festsetzungen in einem Bebauungsplan (§ 31 BauGB) stützt.
3. Auch die unter III. aufgeworfenen Fragen führen nicht zur Zulassung der Re-
vision wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung.
3.1 Die Frage,
ob die planerischen Festsetzungen eines reinen Wohngebiets mit der
Beschränkung auf exklusive Wohnnutzung ein gewichtiges öffentliches
Interesse begründen, dass eine negative Ermessensentscheidung im Si-
ne von § 31 Abs. 2 BauGB selbst dann rechtfertigen kann, wenn das
Vorhaben wegen der faktischen Bebauung die Grundzüge der Planung
nicht berührt,
lässt sich in grundsätzlicher Hinsicht ohne weiteres dahingehend beantworten,
dass die gesetzliche Regelung in § 31 Abs. 2 BauGB die einzuhaltenden Vor-
aussetzungen - die Grundzüge der Planung werden nicht berührt und es liegen
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entweder Gründe des Gemeinwohls vor (vgl. hierzu auch den Beschluss vom
5. Februar 2004 - 4 B 110.03 - BRS 67 Nr. 86) oder die Abweichung ist städte-
baulich vertretbar - sowie die sich daran anschließende Ermessensentschei-
dung der Behörde deutlich voneinander unterscheidet. Daher kann eine Er-
messensentscheidung auch dann ohne Rechtsfehler zu Ungunsten eines An-
tragstellers getroffen werden, wenn Grundzüge der Planung nicht berührt sind.
Im Übrigen lässt sich die Frage, ob die mit der planerischen Festsetzung eines
reinen Wohngebiets verfolgten Belange eine für den Antragsteller negative Er-
messensentscheidung rechtfertigen, nicht in grundsätzlicher Weise ohne Be-
rücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls (vgl. vorliegend Rn. 63 des
Urteils des Verwaltungsgerichtshofs) beantworten.
3.2 Die Frage:
Kann die Versagung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2
BauGB unter Hinweis auf ein Rückbaukonzept begründet
werden, obschon zum Zeitpunkt der Versagung der Be-
freiung rechtskräftig nicht geklärt ist, ob das Rückbaukon-
zept ganz oder auch nur teilweise umsetzbar ist?
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Sie bezieht sich auf die
Ausführungen in Rn. 64 und 65 des angegriffenen Urteils. Darin hebt das Beru-
fungsgericht hervor, das Ziel, am Gebäude der Beigeladenen lediglich den sta-
tus quo zu erhalten, sei die Ermessensentscheidung zu Ungunsten der
Klägerin rechtfertigender, hinreichend gewichtiger Belang. Die Beklagte habe
außer Acht gelassen, dass sie die beantragte Befreiung nur im Rahmen eines
schlüssigen Rückbaukonzepts ablehnen könnte, das konkrete bauaufsichtliche
Maßnahmen gegen den vorhandenen Antennen-Wildwuchs voraussetze. Die
Frage, ob das von der Beklagten - fehlerhaft - nicht in den Blick genommene
Rückbaukonzept umsetzbar sein wird, war für den Verwaltungsgerichtshof nicht
entscheidungserheblich.
3.3 Die Frage,
ob bei Ausübung einer Ermessensentscheidung über ei-
nen Befreiungsantrag nach § 31 Abs. 2 BauGB eine nega-
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tive Entscheidung über eine beantragte abweichende Nut-
zungsart auch dann möglich ist, wenn hinsichtlich dieser
Nutzungsart in Ansehung einer vergleichbaren Anlage
gleicher Nutzungsart bereits eine Befreiungsentscheidung
ergangen ist,
lässt sich nicht in grundsätzlicher Weise unabhängig von den Besonderheiten
des Einzelfalls beantworten.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2
VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizu-
tragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow
Gatz
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