Urteil des BVerfG vom 27.01.2011

BVerfG: juristische person, verfassungsbeschwerde, berufsfreiheit, eingriff, geschäftsführer, grundrecht, liquidität, bauunternehmen, strafbarkeit, generalunternehmer

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 3222/09 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der H... Bau GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer D... und A...,
2. des Herrn D...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Ingo Frings,
in Sozietät Rechtsanwälte Frings & Höhne,
Wallstraße 15, 02625 Bautzen -
gegen Art. 3 des Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur
verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz - FoSiG)
vom 23. Oktober 2008 (BGBl I S. 2022)
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Paulus
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 27. Januar 2011 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen
(Bauforderungssicherungsgesetz - BauFordSiG).
2
1. Das Bauforderungssicherungsgesetz dient dem Zweck, Bauhandwerker und andere Baubeteiligte vor
Forderungsausfällen zu schützen. In seiner ursprünglichen Fassung stammt es aus dem Jahr 1909. Die Zunahme der
Stadtbevölkerung hatte ab Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland zu einem erheblichen Anstieg des
Grundstückshandels und der Nachfrage nach Bauleistungen geführt. Bauunternehmer kauften Grundstücke und
errichteten Neubauten, ohne dabei selbst als ausführende Bauhandwerker tätig zu werden. Da das zu bebauende
Grundstück regelmäßig als Sicherheit für die Kaufpreisforderung des Grundstücksverkäufers und das zur
Finanzierung des Baus aufgenommene Baugelddarlehen diente, waren die ausführenden Bauhandwerker, die mit ihren
Arbeiten in Vorleistung getreten waren, bei einem Bankrott des Bauunternehmers nicht hinreichend gesichert und
fielen mit ihren Forderungen weitgehend aus (vgl. Jacobi, Bauforderungsgesetz, 1910, S. 1 ff.; Stammkötter,
BauFordSiG, 3. Aufl. 2009, Einl. Rn. 1). Diesem Missstand sollte das ursprünglich 67 Paragrafen zählende Gesetz
über die Sicherung der Bauforderungen vom 1. Juni 1909 (RGBl S. 449) entgegenwirken. § 1 verpflichtete den
Empfänger von Baugeld, dieses zur Befriedigung solcher Personen zu verwenden, die an der Herstellung des Baus
aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Lieferungvertrags beteiligt waren. § 5 enthielt einen Straftatbestand, der im
Wesentlichen dem heutigen § 2 BauFordSiG entsprach.
3
Auf Initiative des Bundesrats wurde das Gesetz durch Artikel 3 des Gesetzes zur Sicherung von
Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz -
FoSiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl I S. 2022, berichtigt in BGBl I S. 2582) novelliert. Anlass war, dass vor allem
Handwerker und mittelständische Unternehmen des Baugewerbes in den neuen Bundesländern seit längerer Zeit
erhebliche Forderungsausfälle und daraus resultierende teilweise existenzbedrohende Liquiditätsschwierigkeiten
beklagt hatten (vgl. BTDrucks 16/511, S. 1, 11). Durch das Forderungssicherungsgesetz erhielt das Gesetz über die
Sicherung der Bauforderungen seinen heutigen amtlichen Kurztitel. Die bedeutendste inhaltliche Änderung war eine
erhebliche Ausweitung des Baugeldbegriffs in § 1 Abs. 3 BauFordSiG und damit des Anwendungsbereichs des
Gesetzes. Es sollten alle Gelder von der Baugeldverwendungspflicht erfasst werden, die ein Unternehmer in der Kette
nach dem Bauherrn erhält, auch Eigenmittel (vgl. BTDrucks 16/511, S. 23).
4
Etwa ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes brachten die Bundesregierung und
parallel dazu die Fraktionen der CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf ein, der darauf abzielte, die Auswirkungen
des Bauforderungssicherungsgesetzes für die von der Baugeldverwendungspflicht betroffenen Bauunternehmen
abzumildern (BRDrucks 443/09; BTDrucks 16/13159; vgl. dazu BRDrucks 443/09 ). Insbesondere sollte
die Verpflichtung entfallen, das Baugeld nur speziell für die konkrete Baumaßnahme zu verwenden, für die es gezahlt
wurde. Zur Begründung hieß es, die Ausweitung des Baugeldbegriffs stelle insbesondere die Unternehmen, die eine
Vielzahl von Bauwerken gleichzeitig betreuen, in der Praxis vor Umsetzungsprobleme, die erheblichen bürokratischen
Aufwand und darüber hinaus unvorhergesehene Liquiditätsprobleme verursachten. Die vorgeschlagenen
Gesetzesänderungen wurden jedoch größtenteils nicht umgesetzt. Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über
die Sicherung der Bauforderungen vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2436) wurde letztlich - abgesehen von einer
sprachlichen Korrektur - lediglich das Entnahmerecht für Eigenleistungen nach § 1 Abs. 2 BauFordSiG ausgeweitet.
5
2. Die Beschwerdeführerin zu 1), eine GmbH, ist ein Bauunternehmen mit den Schwerpunkten Verkehrswegebau,
Ingenieurhoch- und -tiefbau, Rekonstruktion von Bestandsbauwerken sowie Schlüsselfertigbau. Das Unternehmen
beschäftigt nach eigenen Angaben durchschnittlich mehr als 600 Mitarbeiter, errichtet jährlich Bauvorhaben im
Gesamtwert von 140 Mio. € und arbeitet hierbei mit etwa 100 bis 200 Lieferanten und Nachunternehmern zusammen.
Der Beschwerdeführer zu 2) ist Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Beschwerdeführerin zu 1).
6
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1,
Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 GG sowie von Art. 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und
Art. 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) durch Vorschriften des
Bauforderungssicherungsgesetzes.
7
a) Das Gesetz greife in mehrfacher Hinsicht ungerechtfertigt in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte
Berufsfreiheit ein.
8
aa) Es sei schon unklar, welches konkrete Verhalten von einem Baugeldempfänger verlangt werde. In
Rechtsprechung und Literatur sei umstritten, ob er nach der Neuregelung verpflichtet sei, baustellenbezogene
gesonderte Treuhandkonten anzulegen. Schon im Hinblick auf Haftungs- und Strafbarkeitsfolgen sei ein solches
Vorgehen geboten. Dadurch sehen die Beschwerdeführer sich aber im Hinblick auf das Insolvenzrecht
Normwidersprüchen und Pflichtenkollisionen ausgesetzt. Zudem sei die Errichtung separater Treuhandkonten mit
einem unzumutbaren Aufwand verbunden. Die Liquidität des Unternehmens würde erheblich geschmälert und seine
Existenz bedroht.
9
Hinzu komme, dass das Entnahmerecht in § 1 Abs. 2 BauFordSiG nur unbestimmt geregelt sei. Insbesondere
angesichts der drohenden Sanktionen verstoße dies gegen das Rechtsstaatsprinzip. Wenn ein Baugeldempfänger zur
Vermeidung von Haftungsrisiken auf sein Entnahmerecht verzichte, gefährde dies seine Liquidität und seine
wirtschaftliche Existenz zusätzlich. Zudem sei die Erlangung von Krediten zur Zwischenfinanzierung wegen der
Einschränkungen durch das Bauforderungssicherungsgesetz erschwert; gleichzeitig bildeten eingegangene Zahlungen
„totes Kapital“, das kostenpflichtig verwaltet werden müsse.
10
Außerdem beklagen die Beschwerdeführer, dass die Neuregelung stark in ihre unternehmerische Handlungs- und
Entscheidungsfreiheit eingreife. Bisher habe die Beschwerdeführerin zu 1) beispielsweise Baustofflieferanten,
Nachunternehmer, Architekten, Ingenieure und Gutachter aus laufenden Baugeldern auch anderer Baustellen bezahlt,
um einen zeitnahen Rechnungsausgleich und eine gute Zusammenarbeit sicherzustellen. Diesem „Cash-Pooling“ sei
nun die Grundlage entzogen. Die Beschwerdeführerin zu 1) müsse jetzt konkrete Baugeldflüsse abwarten. So könne
es bis zu vier Jahren dauern, bis Gläubiger bezahlt würden.
11
Aufgrund der erheblichen zivil- und strafrechtlichen Sanktionsdrohungen wögen die Eingriffe besonders schwer.
12
bb) Die Eingriffe seien aus mehreren Gründen nicht gerechtfertigt.
13
Das Bauforderungssicherungsgesetz genüge schon deshalb nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts aus
Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, weil es nicht hinreichend bestimmt sei. Zugleich verstoße es gegen das Übermaßverbot.
Es sei schon ungeeignet, um Nachunternehmer im Falle der Insolvenz ihres Auftraggebers vor Forderungsausfällen
zu schützen, weil es in Widerspruch zum Insolvenzrecht stehe. Zudem würden Lieferanten und Nachunternehmer
letztlich nicht besser, sondern schlechter gestellt, weil sie länger auf ihre Zahlungen warten müssten. Wegen der ihres
Erachtens fehlenden Erforderlichkeit des Eingriffs verweisen die Beschwerdeführer auf den ursprünglichen Entwurf
zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen (BRDrucks 443/09). Im Übrigen sei
der Eingriff nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.
14
b) In ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG sehen die Beschwerdeführer sich verletzt, weil sie gegenüber
Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen ungleich behandelt würden. Insoweit verweisen sie auf die
Automobilindustrie, Nutzmaschinenherstellung und die Produktion von Energiegewinnungsanlagen. Auch dort werde,
ähnlich wie bei einem Generalunternehmer, in hohem Maße arbeitsteilig produziert, und die durch Vertragsketten
verbundenen Unternehmen bildeten ebenso wie in der Bauindustrie eine Wertschöpfungskette, in der eine
Vorleistungspflicht bestehe. Auch hier seien Nachunternehmer von Zahlungsausfällen bedroht. Eine weitere
Vergleichsgruppe bildeten ausländische Bauunternehmen, die deutsche Baustellen bearbeiteten. Zwar seien auch sie
vom Bauforderungssicherungsgesetz erfasst, es gelte aber ausländisches Insolvenzrecht.
15
c) Zudem verstoße die Neufassung des Bauforderungssicherungsgesetzes gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Die
Strafvorschrift in § 2 BauFordSiG entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot, weil die Verhaltenspflichten unklar seien
und Widersprüche zum Insolvenzrecht bestünden.
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d) Schließlich verstoße § 1 Abs. 4 in Verbindung mit § 2 BauFordSiG gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 20
Abs. 3 GG, Art. 11 AEMR, Art. 6 EMRK.
II.
17
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2
BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung.
Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der
Beschwerdeführer angezeigt. Sie ist zum Teil unzulässig, im Übrigen unbegründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Beschwerdeführer Verletzungen von Art. 3 Abs. 1, Art. 20
Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 GG geltend machen. Zulässig ist sie jedoch, soweit eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1
GG gerügt wird.
19
a) Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG rügen, genügt die Verfassungsbeschwerde
nicht den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG. Aus diesen Vorschriften folgt, dass
ein Beschwerdeführer aufzeigen muss, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht
verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>). Er muss substantiiert darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen
Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll; die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ist deutlich zu
machen (vgl. BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Bei der Rüge eines Verstoßes gegen das allgemeine Gleichheitsgebot
obliegt es ihm, darzulegen, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine Ungleichbehandlung bestehen soll
(vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2008 - 1 BvR 1243/04 -, juris, Rn. 6), und
sich mit nahe liegenden Gründen für die Differenzierung auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer
des Ersten Senats vom 28. August 2010 - 1 BvR 1141/10 -, juris, Rn. 15). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht
gerecht. Der bloße Verweis auf bestimmte andere Wirtschaftszweige und den dort ebenfalls praktizierten Einsatz von
Nachunternehmern reicht als Benennung einer konkreten Vergleichsgruppe nicht aus. Auch im Hinblick auf
ausländische Bauunternehmen wird schon die angebliche Ungleichbehandlung nicht hinreichend substantiiert
aufgezeigt; eine Auseinandersetzung mit nahe liegenden Differenzierungsgründen fehlt völlig.
20
b) Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 GG rügen, ist die
Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig.
21
aa) Soweit die Beschwerdeführerin zu 1) geltend macht, durch § 2
BauFordSiG in den genannten Rechten verletzt zu sein, steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde schon
entgegen, dass die Beschwerdeführerin zu 1) von dieser Vorschrift nicht selbst betroffen ist. Als juristische Person
kann sie nicht Täterin oder Teilnehmerin einer Straftat sein. Eine eigene rechtliche Betroffenheit dadurch, dass
beispielsweise ihrem Geschäftsführer, dem Beschwerdeführer zu 2), Strafbarkeit droht, ist weder dargetan noch
ersichtlich.
22
bb) Der Beschwerdeführer zu 2) ist zwar Adressat des Straftatbestands. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde
aber unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert begründet ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
23
(1) Dies gilt zunächst für die Rüge eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung. Diese verbietet es, ohne
gesetzlichen, prozessordnungsgemäßen Schuldnachweis Maßnahmen gegen einen Beschuldigten zu verhängen, die
in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln (vgl. BVerfGE 74,
358 <371>). Der Verfassungsbeschwerde ist nicht zu entnehmen, inwieweit sich die Beweislastregel des § 1 Abs. 4
BauFordSiG in einem Strafprozess zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu 2) auswirken könnte. Es handelt sich
erkennbar um eine Regelung für den Zivilrechtsstreit um Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit § 1 BauFordSiG (vgl. auch BTDrucks 16/511, S. 23).
24
(2) Auch die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG wird nicht substantiiert begründet. Die Vorschrift
enthält unter anderem ein striktes Bestimmtheitsgebot für die Gesetzgebung sowie ein damit korrespondierendes, an
die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten
Senats vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a. -, NJW 2010, S. 3209 <3210> m.w.N.). Bei der
verfassungsgerichtlichen Prüfung ist zu unterscheiden zwischen der Frage, ob ein gesetzlicher Straftatbestand
hinreichend bestimmt ist, und der Prüfung, ob eine bestimmte Auslegung dieses Straftatbestands durch die
Strafgerichte den aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Anforderungen genügt (vgl. beispielsweise BVerfGE 73, 206
<239>; 92, 1 <13 f.>; BVerfG, NJW 2010, S. 3209 <3212 ff., 3215 ff.>).
25
Gegenstand
der
vorliegenden
Verfassungsbeschwerde
sind
unmittelbar
die
Vorschriften
des
Bauforderungssicherungsgesetzes. Unter dem Aspekt der Bestimmtheit einer Strafnorm kommt es in erster Linie auf
deren Wortlaut an (vgl. BVerfGE 71, 108 <115>). Auf den Wortlaut der von ihnen als zu unbestimmt gerügten
Vorschriften gehen die Beschwerdeführer jedoch nicht ein. Sie legen ihren Ausführungen vielmehr sogleich eine
bestimmte auch im Schrifttum vertretene (vgl. Wittjen, ZfBR 2009, S. 418 <421>; Kölbl, NZBau 2010, S. 220
<221 ff.>; Heidland, ZInsO 2010, S. 737 <744 ff.>) Auffassung über die Reichweite der Baugeldverwendungspflicht
zugrunde, die sich ihrerseits auf eine einzelne Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13. Oktober 1987 -
VI ZR 270/86 -, NJW 1988, S. 263 <265>) zur alten Fassung der Norm stützt, hinsichtlich der konkreten
Anforderungen an das Verhalten des Baugeldempfängers allerdings deutlich über diese hinausgeht. Allein auf dieser
Grundlage rügen die Beschwerdeführer angebliche Unklarheiten und Normwidersprüche. Es ist aber nicht Aufgabe des
Bundesverfassungsgerichts, im Rahmen der vorliegenden Rechtssatzverfassungsbeschwerde eine bestimmte im
Schrifttum vertretene Auslegung der angegriffenen Normen am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu prüfen.
Prüfungsgegenstand im vorliegenden Verfahren können nur die gesetzlichen Vorschriften selbst sein. Zu deren
verfassungsrechtlicher Überprüfung am Maßstab von Art. 103 Abs. 2 GG gibt die Beschwerdebegründung aber keine
hinreichenden Anknüpfungspunkte.
26
c) Soweit eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG gerügt wird, ist die Verfassungsbeschwerde dagegen zulässig.
27
aa) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Auch für
Verfassungsbeschwerden gegen ein Gesetz gilt zwar, dass vor der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Inhalt
und Tragweite der Norm insbesondere dann vorrangig fachgerichtlich zu klären sind, wenn diese einen Auslegungs-
und Entscheidungsspielraum zulassen; erst danach kann mit der erforderlichen Zuverlässigkeit beurteilt werden,
welche Beschwer die Bestimmung dem Normunterworfenen auferlegt (vgl. BVerfGE 79, 29 <35>).
28
Im vorliegenden Fall ist den Beschwerdeführern ein Abwarten auf eine fachgerichtliche Klärung aber nicht zumutbar.
Für den Beschwerdeführer zu 2) folgt dies schon aus der Strafdrohung in § 2 BauFordSiG (vgl. BVerfGE 81, 70
<82 f.>). Der Beschwerdeführerin zu 1) als juristischer Person droht eine solche strafrechtliche Sanktionierung zwar
nicht. Es ist jedoch nicht erkennbar, wie sie in zumutbarer Weise eine fachgerichtliche Klärung herbeiführen könnte.
Denn zu einem Zivilrechtsstreit wegen Verstoßes gegen die Anforderungen des § 1 BauFordSiG kommt es
typischerweise erst dann, wenn der Baugeldempfänger Forderungen nicht mehr bedienen kann oder über sein
Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und Nachunternehmer oder Lieferanten deshalb
Schadensersatzansprüche geltend machen (vgl. allerdings Stammkötter, a.a.O., § 1 Rn. 96, 172). Der
Beschwerdeführerin zu 1) ist nicht zumutbar, sich zunächst auf diese Art der fachgerichtlichen Klärung verweisen zu
lassen.
29
bb) Die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG formulierte
Baugeldverwendungspflicht war zwar weitgehend wortgleich bereits in der Gesetzesfassung aus dem Jahr 1909
enthalten und § 2 BauFordSiG entspricht dem früheren § 5. Rein redaktionelle Änderungen eines Gesetzes, die den
materiellen Gehalt und den Anwendungsbereich einer Norm nicht berühren, setzen die Jahresfrist nicht neu in Lauf
(vgl. BVerfGE 12, 139 <141>; 79, 1 <14>). Aber selbst eine in ihrem Wortlaut unverändert gebliebene Vorschrift kann
dann erneut mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn sie durch die Änderung anderer Vorschriften
derart in ein neues gesetzliches Umfeld eingebettet wird, dass auch von der Anwendung der älteren Vorschrift neue
belastende Wirkungen ausgehen können (vgl. BVerfGE 100, 313 <356> m.w.N.). So liegt es hier. Denn die eigentliche
Veränderung der Baugeldverwendungspflicht durch das Forderungssicherungsgesetz liegt in der erheblichen
Ausweitung ihres Anwendungsbereichs, so dass von ihr neue belastende Wirkungen ausgehen. Dies wirkt sich auch
auf den Straftatbestand in § 2 BauFordSiG aus.
30
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. Die Beschwerdeführer werden durch die
angegriffenen Regelungen nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit verletzt. Die durch das
Forderungssicherungsgesetz in ihrem Anwendungsbereich erheblich ausgeweitete Pflicht zur zweckentsprechenden
Verwendung von Baugeld greift zwar in dieses Grundrecht ein, dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich
gerechtfertigt.
31
a) Die Beschwerdeführerin zu 1) kann sich als inländische juristische Person gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf das
Grundrecht der Berufsfreiheit berufen (vgl. BVerfGE 115, 205 <229>). Durch die Verpflichtung, empfangenes Baugeld
entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verwenden, wird sie in diesem Grundrecht beeinträchtigt. Aus einem
Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin zu 1) folgt zwar nicht automatisch ein Eingriff auch in die
Berufsfreiheit des Beschwerdeführers zu 2) als Gesellschafter und Geschäftsführer. Aber unabhängig davon, ob der
Beschwerdeführer zu 2) selbst als Baugeldempfänger anzusehen ist (vgl. dazu Hagenloch, Handbuch zum Gesetz
über die Sicherung der Bauforderungen , 1991, Rn. 243; Stammkötter, a.a.O., § 1 Rn. 14), ist eine
Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit jedenfalls wegen der ihm in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer drohenden
Sanktionen in Form von Schadensersatzansprüchen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 BauFordSiG) und Strafbarkeit (§ 2
i.V.m. § 1 BauFordSiG) anzunehmen.
32
b) Der Eingriff ist gerechtfertigt.
33
aa) § 1 BauFordSiG genügt den Bestimmtheitsanforderungen, die sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.
Danach dürfen Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung erfolgen, die Umfang und
Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt. Dabei muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen
treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die erforderlichen
Vorgaben ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben müssen; es genügt, dass sie sich mit Hilfe
allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen (vgl. BVerfGE 82, 209 <224 f.> m.w.N.). Ob § 1 BauFordSiG
darüber hinaus auch den besonders strikten Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG genügt, bedarf
dagegen an dieser Stelle keiner Erörterung (siehe oben 1. b bb <2>).
34
§ 1 Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG lässt sich ein klares, in Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichend
bestimmtes Handlungsgebot entnehmen: Empfangenes Baugeld ist, soweit kein Ausnahmetatbestand vorliegt, zur
Befriedigung der im Gesetz genannten Personen zu verwenden. Daraus ergibt sich ebenso klar ein Verbot, Baugeld
anderweitig zu verwenden; insbesondere darf es nicht zur Deckung der eigenen allgemeinen Unkosten oder zur
Tilgung anderweitiger Verbindlichkeiten eingesetzt werden (vgl. Peters/Jacoby, in: Staudinger, BGB, 2008, § 648
Rn. 57; vgl. auch schon Simon, Das Reichsgesetz über die Sicherung der Bauforderungen, 1909, § 1 Anm. 4). Weiter
folgt aus Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der Norm eindeutig, dass Baugeld nur zur Befriedigung solcher
Baugläubiger eingesetzt werden darf, die für genau die Baustelle tätig geworden sind, für die das Baugeld gegeben
wurde (vgl. BRDrucks 443/09 , S. 1; Stammkötter, a.a.O., § 1 Rn. 1; Virneburg, in: Evangelisches
Siedlungswerk in Deutschland, Rechtssicherheit am Bau, 2010, S. 25 <32 f.>).
35
Zu der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Maße ein Baugeldempfänger das Baugeld vor dem Zugriff Dritter
zu sichern hat (vgl. Virneburg, a.a.O., S. 35 ff. m.w.N.; siehe auch oben 1. b bb <2>), lässt sich dem Wortlaut des § 1
Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG dagegen zwar keine eindeutige Handlungsanweisung entnehmen. Es ist aber nicht
erkennbar, dass sich diese Frage nicht mit allgemeinen Auslegungsgrundsätzen beantworten ließe. § 1 Abs. 1 Satz 1
BauFordSiG steht auch nicht in einem rechtsstaatlich bedenklichen Normwiderspruch zum Insolvenzrecht. Aus dem
Rechtsstaatsprinzip lässt sich zwar herleiten, dass Rechtsnormen derart aufeinander abzustimmen sind, dass den
Normadressaten nicht gegenläufige Vorschriften erreichen, die Rechtsordnung also widersprüchlich ist (vgl. BVerfGE
25, 216 <227>; 98, 106 <118 ff.>). Dies ist aber nur bei einem echten Normwiderspruch der Fall, also dann, wenn der
vermeintliche Widerspruch durch Auslegung und Kollisionsregeln nicht zu beheben ist (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth,
GG, 11. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 63 m.w.N.). Abgesehen davon, dass die von den Beschwerdeführern beschriebene
Spannungslage zwischen den tendenziell gegenläufigen Regelungszielen von Bauforderungssicherungsgesetz und
Insolvenzordnung nur bei einer bestimmten Auslegung von § 1 BauFordSiG auftritt, zeigen die Beschwerdeführer nicht
auf, dass der von ihnen behauptete Widerspruch sich nicht mit Hilfe anerkannter Auslegungsmethoden und
Kollisionsregeln bewältigen ließe (vgl. dazu beispielsweise OLG Hamm, Urteil vom 12. Dezember 2006 - 27 U 98/06 -,
OLGR 2007, S. 159; Vogel, in: Ganten/Groß/Englert, Festschrift für Gerd Motzke zum 65. Geburtstag, 2006, S. 409
<415 f.>).
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bb) Der Eingriff in die Berufsfreiheit genügt auch materiell den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Für beide
Beschwerdeführer stellt das Gebot der zweckentsprechenden Verwendung von Baugeld eine Beschränkung der
Berufsausübungsfreiheit dar. Reine Berufsausübungsbeschränkungen können grundsätzlich durch jede vernünftige
Erwägung des Gemeinwohls legitimiert werden. Allerdings müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität in einem
angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 7, 377 <405 ff.>; 123, 186 <238 f.>).
37
(1) Gemessen an diesem Maßstab ist das Ziel des Bauforderungssicherungsgesetzes und seiner Novellierung durch
das Forderungssicherungsgesetz, Bauhandwerker und andere Baubeteiligte vor Forderungsausfällen zu schützen,
nicht zu beanstanden.
38
(2) Es ist derzeit nicht festzustellen, dass die angegriffenen Regelungen zur Erreichung dieses Zwecks nicht
geeignet wären. Ein Mittel ist bereits dann im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, wenn mit seiner Hilfe der
gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfGE 96, 10
<23>; 103, 293 <307>). Auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung gebührt dem Gesetzgeber
ein besonders weitgehender Einschätzungs- und Prognosevorrang; es ist Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage
seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der
Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des
Gemeinwohls ergreifen will (vgl. BVerfGE 103, 293 <307>). Unter dem Gesichtspunkt mangelnder Eignung wäre eine
Regelung nur dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn das eingesetzte Mittel objektiv untauglich oder
schlechthin ungeeignet wäre (vgl. BVerfGE 65, 116 <126>). Das ist im Falle des Bauforderungssicherungsgesetzes
nicht zu erkennen.
39
Zwar kam dem Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen vor der Novellierung keine große praktische
Bedeutung zu, und seine Wirksamkeit wurde auch von der Bundesregierung überaus kritisch bewertet (vgl. BTDrucks
14/9848, S. 34). Mit der Neuregelung sollte das Gesetz aber gerade „modernisiert, verbessert und insgesamt
praktikabler gestaltet werden“ (BTDrucks 16/511, S. 23). Kern der Novelle war eine erhebliche Ausweitung des
Baugeldbegriffs. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass damit auch die praktische Bedeutung der Regelungen
steigen würde. Eine vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eingesetzte Arbeitsgruppe kommt
zwar zu dem Ergebnis, dass das Gesetz auch nach seiner Änderung in der Praxis so gut wie nicht beachtet werde
(vgl. BTDrucks 17/3611, S. 2). Doch selbst wenn dieser Befund zutrifft, lässt sich daraus schon wegen des vom
Gesetzgeber gewählten Regelungsmechanismus derzeit noch nicht zwingend auf eine objektive Untauglichkeit des
Gesetzes schließen. Denn Verstöße gegen die Vorgaben des § 1 BauFordSiG führen in der Regel erst mit einiger
zeitlicher Verzögerung zu zivil- und gegebenenfalls auch strafgerichtlichen Verfahren und Sanktionen, weshalb sich
auch die Auswirkungen der Regelungen möglicherweise erst nach einigem Zeitablauf hinreichend verlässlich
beurteilen lassen.
40
Es ist auch nicht zu erkennen, dass die angegriffene Baugeldverwendungspflicht zur Zweckerreichung ungeeignet
wäre, weil sie den Baugläubigern aufgrund insolvenzrechtlicher Regelungen keinen wirksamen Schutz bieten könnte.
Zum einen ist das Verhältnis der Baugeldverwendungspflicht zum Insolvenzrecht in der fachgerichtlichen
Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Unabhängig davon lässt sich derzeit nicht feststellen, dass der mit dem
Bauforderungssicherungsgesetz verfolgte Zweck, Baugläubiger in stärkerem Maße vor Forderungsausfällen zu
schützen, vollends vereitelt würde, wenn Baugeldempfänger nicht auch zu einer insolvenzfesten Sicherung
verpflichtet wären. Denn dadurch würden das Verbot, Baugeld selbst zu verbrauchen oder an Dritte zu zahlen, und die
aus einem Verstoß resultierenden Schadensersatzansprüche von Baugläubigern nicht beeinträchtigt.
41
(3) Auch gegen die Erforderlichkeit des Eingriffs bestehen derzeit keine Bedenken. Hinsichtlich der Erforderlichkeit
einer wirtschaftsordnenden Maßnahme, die den Freiheitsraum für die wirtschaftlich tätigen Individuen einengt, steht
dem Gesetzgeber hinsichtlich der Auswahl und der technischen Ausgestaltung ein weiter Bereich des Ermessens zu;
nicht jeder einzelne Vorzug einer anderen Lösung gegenüber der vom Gesetzgeber gewählten muss schon zu deren
Verfassungswidrigkeit führen. Die sachliche Gleichwertigkeit zur Zweckerreichung muss vielmehr bei dem als
Alternative vorgeschlagenen geringeren Eingriff in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (vgl. BVerfGE 81, 70 <90 f.>).
42
Angesichts dieses Maßstabs ist nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber es nicht bei der früheren engeren
Regelung belassen, sondern sich für eine Ausweitung der Baugeldverwendungspflicht entschieden hat, insbesondere
nachdem die mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. März 2000 (BGBl I S. 330)
vorgenommenen Änderungen des Werkvertragsrechts nach seiner Einschätzung den seit langem beklagten
Missstand nicht beseitig hatten (vgl. BTDrucks 16/511, S. 1).
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Auch ist unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1
Satz 1 BauFordSiG an der Pflicht zu einer baustellenspezifischen Baugeldverwendung („des Baues“) festgehalten hat.
Zwar hatten die Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Jahr 2009 in ihren Gesetzentwürfen
zur Änderung des Bauforderungssicherungsgesetzes die Auffassung vertreten, der Zweck, diejenigen im Insolvenzfall
zu schützen, die mit ihren Leistungen den Wert von Baumaßnahmen steigern, könne auch erreicht werden, ohne die
Verwendungspflicht auf die konkrete Baustelle zu beziehen (vgl. BRDrucks 443/09, S. 2 f., Entwurf S. 4; BTDrucks
16/13159, S. 2, 5). Eine solche Lockerung würde für Baugeldempfänger ein erheblich größeres Maß an Flexibilität und
eine geringere Beeinträchtigung ihrer Liquidität mit sich bringen. Gegen ein solches Vorgehen machte der Bundesrat
aber im Wesentlichen zwei Einwände geltend (vgl. BRDrucks 443/09 , S. 2 f.): Zum einen äußerte er die
Befürchtung, dass eine Aufhebung der Verpflichtung zur baustellenspezifischen Verwendung dazu führen würde, dass
überschuldete Bauträger und Generalunternehmer „im Schneeballsystem immer wieder «alte Löcher stopfen»
könnten“. Dies würde nach seiner Einschätzung dazu führen, dass sich wirtschaftlich angeschlagene
Bauträgergesellschaften und Generalunternehmer zu Lasten der am jeweils jüngsten Projekt beteiligten
Subunternehmer länger am Markt halten könnten, während diese Subunternehmer von der geltenden Fassung der
Norm geschützt würden. Zum anderen, so die Prognose des Bundesrats, würde der Wegfall der Verpflichtung zur
baustellenspezifischen Verwendung dazu führen, dass der Schutz von Subunternehmern nicht mehr praktikabel
gewährleistet wäre, weil sie - nach dem Wegfall entsprechender Dokumentationspflichten - in der Regel nicht mehr in
der Lage wären, die Darlegungen des Baugeldempfängers über die zweckentsprechende Verwendung zu erschüttern.
Angesichts dieser schlüssigen Einwände lässt sich derzeit nicht feststellen, dass eine um die Pflicht zur
baustellenspezifischen Verwendung gelockerte Baugeldverwendungspflicht in jeder Hinsicht zur Zweckerreichung
gleich geeignet wäre.
44
Es ist auch nicht zu erkennen, dass der angestrebte Zweck ohne die dem Beschwerdeführer zu 2) unmittelbar
drohenden zivil- und strafrechtlichen Sanktionsmechanismen in gleicher Weise zu erreichen wäre. Gerade dieser
Haftungsdurchgriff bedingt die Wirksamkeit des Gesetzes (vgl. auch BTDrucks 14/9848, S. 34). Ohne die Haftung
wären Verstöße gegen die Baugeldverwendungspflicht sanktionslos (vgl. Simon, a.a.O., § 1 Anm. 2; Kölbl, NZBau
2010, S. 220 <222>). Die besondere Bedeutung des Durchgriffs auf das handelnde Organ ergibt sich daraus, dass der
Forderungsausfall der Baugläubiger zu einem Zeitpunkt eintritt, zu dem Maßnahmen gegen eine juristische Person als
Baugeldempfänger regelmäßig keine nennenswerte Wirkung mehr haben.
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(4) Der Eingriff ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des
Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit
noch gewahrt sein (stRspr; vgl. BVerfGE 67, 157 <178>). Es ist derzeit nicht zu erkennen, dass dies hier nicht der
Fall wäre.
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Die Beschwerdeführerin zu 1) wird durch die in § 1 BauFordSiG normierte Baugeldverwendungspflicht erheblich in
ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Ihr wird - abgesehen von den Ausnahmeregelungen in Absatz 1
Satz 2 und Absatz 2 - verboten, Baugeld zu anderen Zwecken als zur Befriedigung der am konkreten Bauvorhaben
beteiligten Baugläubiger zu verwenden. Deshalb kann sie das Geld auch nicht dazu benutzen, ältere Forderungen aus
anderen Baumaßnahmen zu begleichen, also andere Baugläubiger zu befriedigen. Damit entfällt die Möglichkeit eines
„Cash-Poolings“ im Rahmen des Liquiditätsmanagements. Für die Beschwerdeführerin zu 1) folgt daraus, dass sie in
größerem Umfang als bisher auf Eigenkapital oder Zwischenfinanzierungen angewiesen sein wird. Hinzu kommt, dass
solche Zwischenfinanzierungen - auf Grundlage der fachgerichtlichen Rechtsprechung zur alten Fassung des
Gesetzes - möglicherweise schwerer zu erlangen sind (vgl. BTDrucks 16/13159, S. 2). Darüber hinaus bringt die
Baugeldverwendungspflicht für die Beschwerdeführerin zu 1) einen erhöhten Verwaltungsaufwand mit sich. Dieser ist
umso höher, je höhere Anforderungen man an die Verpflichtung eines Baugeldempfängers stellt, das Baugeld vor dem
Zugriff Dritter zu schützen, etwa wenn man generell für jede Baumaßnahme die Einrichtung eines Treuhandkontos für
erforderlich hält.
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Die Beschränkung der Liquidität von Baugeldempfängern wurde schon in der Vergangenheit in begrenztem Umfang
durch das Entnahmerecht nach § 1 Abs. 2 BauFordSiG abgemildert. Dieses Entnahmerecht ist durch das Gesetz zur
Änderung des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen erheblich ausgeweitet worden. Zwar sind noch nicht
alle Fragen zur Auslegung dieser Vorschrift in Rechtsprechung und Schrifttum abschließend geklärt (vgl. dazu Illies,
BauR 2010, S. 546). Es ist aber nicht zu erkennen, dass verbleibende Unschärfen und die Ausfüllungsbedürftigkeit
des Begriffs „angemessenen Wertes“ die Bestimmtheit oder die Praktikabilität der Vorschrift nachhaltig in Frage
stellen würden.
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Die gleichwohl verbleibenden erheblichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführer stehen nicht außer Verhältnis zu
dem vom Gesetzgeber legitimerweise bezweckten Schutz der Baugläubiger vor Forderungsausfällen. Es ist zu
berücksichtigen, dass der Gesetzgeber insoweit seit vielen Jahren von einem ganz erheblichen Missstand ausging.
Angesichts des Volumens, das die Forderungsausfälle in der Bauwirtschaft erreicht haben, und der teilweise
existenziellen wirtschaftlichen Folgen, die sich daraus insbesondere für Bauhandwerker ergeben, darf der
Gesetzgeber auch solche Schutzmaßnahmen ergreifen, die die Berufsausübungsfreiheit der Baugeldempfänger
erheblich einschränken.
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Soweit die Beschwerdeführer sich vor allem durch eine Pflicht zur Sicherung des Baugelds vor dem Zugriff Dritter
beeinträchtigt sehen, ist zudem zu berücksichtigen, dass sich die von ihnen als unzumutbar beschriebenen
Anforderungen nicht zwingend aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben. Der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur alten Fassung des Gesetzes lassen sie sich zumindest nicht ohne Weiteres in dem von den
Beschwerdeführern beklagten Umfang entnehmen. Es ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass § 1 BauFordSiG mit
Hilfe anerkannter Auslegungsmethoden nicht in einer Weise ausgelegt werden könnte, die einerseits dem von der
Vorschrift gebotenen Schutz der Baugläubiger vor Forderungsausfällen und andererseits dem von Art. 12 Abs. 1 GG
geforderten Schutz der Baugeldempfänger vor einer unzumutbaren Beeinträchtigung ihrer Berufsfreiheit in
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise Rechnung tragen würde (vgl. dazu BVerfGE 64, 229 <242>; 112,
164 <183>).
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Dem Beschwerdeführer zu 2) drohen zwar mit dem Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung
mit § 1 BauFordSiG sowie der Strafbarkeit nach § 2 BauFordSiG erhebliche Sanktionen. Dass diese in ihren
Auswirkungen außer Verhältnis zum verfolgten legitimen Zweck stünden, ist weder mit der Verfassungsbeschwerde
dargetan noch sonst ersichtlich.
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cc) Der Gesetzgeber wird jedoch die weitere Entwicklung zu beobachten haben. Es gehört zu den Aufgaben des
parlamentarischen Gesetzgebers, mögliche Missstände zu ermitteln, die sich aus der Anwendung von Gesetzen
ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, GRUR
2010, S. 332 <334>). In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich die Eignung und die Auswirkungen
gesetzgeberischer Maßnahmen zum Schutz des Bauhandwerks vor Zahlungsausfällen nur in begrenztem Umfang
vorhersagen lassen. Dies gilt auch für die Wechselwirkungen verschiedener Sicherungsmittel. Gerade wegen solcher
prognostischen Unwägbarkeiten steht dem Gesetzgeber ein besonderer Gestaltungsspielraum zu. Daraus folgt aber
auch die Pflicht, die weitere Entwicklung umso sorgfältiger zu beobachten und gegebenenfalls korrigierend
einzugreifen (vgl. BVerfGE 110, 141 <166>). Dessen sind sich die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe im
vorliegenden Fall auch bewusst (vgl. BRDrucks 443/09 , S. 4; BTDrucks 17/3611). Ihnen muss für die
notwendige Beobachtung und Evaluierung hinreichend Zeit gegeben werden.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hohmann-Dennhardt
Gaier
Paulus