Urteil des BVerfG vom 17.02.2011
BVerfG: verfassungsbeschwerde, prozessstandschaft, daten, subsidiarität, beschwerdebefugnis, rechtsverletzung, auskunftserteilung, entzug, eugh, verfügung
Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 3050/10 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der G... GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer ...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Kornmeier & Partner,
Hansaallee 23, 60322 Frankfurt -
gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. November 2010 - I-4 W 119/10 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Paulus
und die Richterin Britz
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 17. Februar 2011 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Auskunftsanspruch des Rechteinhabers gegen den Internetprovider bei der
Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Internet-Tauschbörsen. Bei Land- und Oberlandesgericht begehrte die
Beschwerdeführerin sinngemäß, einem Internetprovider die Speicherung künftiger IP-Adressen und Verbindungsdaten
jeweils „auf Zuruf“ aufzugeben, bis das Gericht eine Anordnung nach § 101 Abs. 2, 9 Urheberrechtsgesetz (UrhG)
erlassen oder einen entsprechenden Antrag rechtskräftig zurückgewiesen hat. Damit wollte die Beschwerdeführerin
der ansonsten oft kurzfristig erfolgenden Löschung der Daten zuvorkommen, welche den Auskunftsantrag ins Leere
laufen lässt.
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Die gegen den ablehnenden Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde, die
eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt, ist nicht zur Entscheidung
anzunehmen.
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Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor, denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie
erfüllt nicht die sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an eine
substantiierte Darlegung der Beschwerdebefugnis (1.), der Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union (2.) und der Beachtung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität (3.).
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1. Ob die Beschwerdeführerin im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG beschwerdebefugt ist, erschließt sich aus der
Verfassungsbeschwerde und den ihr beigegebenen Anlagen nicht mit Sicherheit. Die Formulierungen können entweder
so ausgelegt werden, dass die Beschwerdeführerin die ausschließlichen Verwertungsrechte von der Rechteinhaberin
übernommen hat, oder - näherliegend - so, dass die Beschwerdeführerin lediglich von der Rechteinhaberin beauftragt
wurde, Rechtsverletzungen in Tauschbörsen aufzuspüren und im eigenen Namen zu verfolgen, mithin in
Prozessstandschaft Schadensersatz- und vorbereitende Ansprüche geltend zu machen.
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Nur im erstgenannten Fall wäre die Beschwerdeführerin so in die Position des Urhebers beziehungsweise
Rechteinhabers eingerückt, dass ihr die Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG selbst zuständen. Im zweiten Fall wäre die
Beschwerdeführerin nicht befugt, vor dem Bundesverfassungsgericht das Eigentumsrecht eines Dritten geltend zu
machen.
Zwar
sind
Verwertungsgesellschaften
wie
die
VG
Wort
aufgrund
der
sogenannten
Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit bestimmter urheberrechtlicher Ansprüche befugt, die Eigentumsrechte der von
ihnen vertretenen Urheber in Prozessstandschaft auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren wahrzunehmen (vgl.
BVerfGE 77, 263 <269 f.>). Im Übrigen ist jedoch die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in gewillkürter
Prozessstandschaft, also zur Geltendmachung der Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte Dritter, mangels
Beschwerdebefugnis nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig (vgl. BVerfGE 19,
323 <329>; 25, 256 <263>; 56, 296 <297>; 72, 122 <131>). Dies gilt unabhängig davon, ob die gewillkürte
Prozessstandschaft im fachgerichtlichen Verfahren für zulässig gehalten wurde (vgl. BVerfGE 31, 275 <280>). Zu
dieser Problematik hätte sich die Verfassungsbeschwerde eindeutig verhalten müssen.
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2. Auch soweit die Beschwerdeführerin einen Entzug des gesetzlichen Richters rügt, geschieht dies nicht
ausreichend substantiiert. Sie beschränkt sich darauf, die von ihr für richtig gehaltene richtlinienkonforme Auslegung
der Vorschrift des § 101 Abs. 2 UrhG darzulegen, geht dabei aber weder auf die einschlägigen Regelungen der
Enforcement-Richtlinie (Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur
Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, berichtigte Fassung, ABl. EU Nr. L 195 S. 16) ein noch auf die
hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
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So verpflichtet Art. 8 Abs. 1 der Enforcement-Richtlinie die Mitgliedstaaten lediglich dazu sicherzustellen, dass die
Gerichte „im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ die
Auskunftserteilung durch Dritte (Art. 8 Abs. 1 lit. c der Richtlinie) anordnen; der selbständige Auskunftsanspruch ohne
anhängiges Klageverfahren in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung in § 101 Abs. 2 Satz 1 UrhG geht hierüber
hinaus, indem er von Art. 8 Abs. 3 lit. a der Richtlinie Gebrauch macht (vgl. BTDrucks 16/5048, S. 29).
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Weiter hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinien zum Schutz des geistigen Eigentums einerseits und
des Datenschutzes andererseits den Mitgliedstaaten nicht gebieten, die Pflicht zur Mitteilung personenbezogener
Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen. Der Gerichtshof hält die Mitgliedstaaten und ihre
Gerichte lediglich für verpflichtet, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Grundrechten herzustellen, die in
diesen Richtlinien sowie in allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ihren Ausdruck gefunden haben
(EuGH, Urteil vom 29. Januar 2008 - C-275/06 „Promusicae“ -, GRUR 2008, S. 241 <243>, Rn. 61-70). Welche
Auslegungsfrage des ungeachtet dem Gerichtshof vorzulegen wäre, erörtert die Verfassungsbeschwerde nicht.
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3. Die Beschwerdeführerin trägt auch nicht vor, dass sie dem Grundsatz der Subsidiarität genügt hätte. Dieser
erfordert, über die bloße formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, dass vor Erhebung der
Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen
worden sind, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden
sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3.
Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 -, NVwZ 2008, S. 780 <781>). Handelt es sich
beim gesetzlichen Richter um den Gerichtshof (vgl. BVerfGE 82, 159 <192 f.>), ist ein Antrag, ein
Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen, nicht erforderlich und nach Art. 267 Abs. 3 AEUV auch nicht
vorgesehen (vgl. BVerfGE 73, 339 <369>); es genügt eine entsprechende Anregung oder das ausdrückliche
Thematisieren der vom Fall aufgeworfenen, bislang ungeklärten unionsrechtlichen Fragen.
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Im Streitfall konnte die Beschwerdeführerin auch nichts Entsprechendes vortragen, da, wie die Schriftsätze des
Ausgangsverfahrens zeigen, die Auslegung der Enforcement-Richtlinie keine Rolle gespielt hat.
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4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Gaier
Paulus
Britz