Urteil des BVerfG vom 15.01.2004

BVerfG: rechtliches gehör, recht auf akteneinsicht, ermittlungsverfahren, verfassungsbeschwerde, bekanntgabe, egmr, steuerstrafverfahren, anfang, organisation, copyright

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1895/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn N ...
- Bevollmächtigte:
Reiner Hollender und Koll.,
Odenkirchener Straße 43, 41236 Mönchengladbach -
gegen den Bescheid des Leitenden Oberstaatsanwalts bei der staatsanwaltschaft Düsseldorf
vom 20. August 2003 - 31 a E 1 - 49/03 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 15. Januar 2004 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind beantwortet
(§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des
Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine
Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).
2
Die Versagung umfassender Akteneinsicht im laufenden Ermittlungsverfahren verletzt den Beschwerdeführer nicht in
seinem Recht auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert dem Beschuldigten grundsätzlich rechtliches
Gehör vor jeder gerichtlichen Entscheidung. Dies umfasst das Recht, die Ermittlungsakten, wie sie dem Gericht zur
Entscheidung vorliegen, einzusehen (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
vom 11. Juli 1994 - 2 BvR 777/94 -, StV 1994, S. 465 <466>). Ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 147 StPO als
Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 18, 399 <405>; 62, 338 <343>) steht dem
Verteidiger des Beschuldigten allerdings erst nach Abschluss der Ermittlungen in vollem Umfang zu. Vorher kann die
Akteneinsicht ganz oder teilweise versagt werden, wenn sie den Untersuchungszweck gefährden würde (§ 147 Abs. 2
StPO). Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, da das Ermittlungsverfahren der Klärung eines
Verdachts dient und deshalb nicht von Anfang an "offen", das heißt unter Bekanntgabe aller ermittelten Tatsachen
geführt werden kann. Mit Blick auf den rechtsstaatlichen Auftrag zur möglichst umfassenden Wahrheitsermittlung im
Strafverfahren (vgl. BVerfGE 80, 367 <378>) ist es nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft im
Ermittlungsverfahren einen Informationsvorsprung hat und das Informationsinteresse des Beschwerdeführers bis zum
Abschluss des Ermittlungsverfahrens zurücksteht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli
1994, a.a.O.; Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1983 - 2
BvR 1138/83 -, NStZ 1984, S. 228; Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts vom
28. Dezember 1984 - 2 BvR 1541/84 -, NStZ 1985, S. 228 f.; EGMR, Urteil vom 13. Februar 2001, StV 2001, S. 201
<202>).
3
Etwas anderes ergibt sich im konkreten Verfahren auch nicht daraus, dass parallel zum Steuerstrafverfahren im
Besteuerungsverfahren eine Steuerneufestsetzung erfolgt ist, gegen die der Beschwerdeführer gerichtlich
vorgegangen ist und die auf Erkenntnissen aus dem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren beruht. Aus Art. 103
Abs. 1 GG folgt insoweit lediglich das Recht auf Akteneinsicht bezüglich dieser - im Besteuerungsverfahren
verwerteten - Erkenntnisse. Dass insoweit die Akteneinsicht durch das Finanzamt oder das Finanzgericht verweigert
worden wäre, hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen. Aus seinem Beschwerdevorbringen ergibt sich vielmehr,
dass ihm Teilakteneinsicht angeboten worden war, die er jedoch mit dem Hinweis ablehnte, "die Thematik beim
Bundesverfassungsgericht klären lassen" zu wollen.
4
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
5
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff